Urteil vom Sozialgericht Gelsenkirchen - S 37 U 329/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aufgrund eines Unfallereignisses. Am 17.03.2012 verunfallte der Kläger bei dem Versuch, seine im Dachgeschoss gelegene Wohnung über das Fenster zu verlassen. Er stürzte aus einer Höhe von ca. 2,6 m auf den Vordachbereich der unten liegenden Wohnung und zog sich eine Verletzung am Unterschenkel rechts zu. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine 3-gradig offene Unterschenkelfraktur rechts. Im Durchgangsarztbericht erfolgte ferner der Hinweis, der Versicherte habe angegeben, der Unfall sei gegen 15:00 Uhr passiert. Gegen 13:00 Uhr habe er sich 1/4 Gramm Kokain intravenös verabreicht. Die im Anschluss an den Unfall veranlasste Blutuntersuchung ergab einen positiven Befund im Hinblick auf die Droge Kokain.
3Mit Bescheid vom 12.04.2013 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Entschädigungsleistungen aus Anlass des am 17.03.2012 eingetretenen Ereignisses ab. Ein Arbeitsunfall gemäß § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) habe nicht vorgelegen. Es sei unwahrscheinlich, dass jemand aus dem Fenster einer Dachgeschosswohnung klettert, um einen Geschäftstermin wahrzunehmen.
4Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2013 zurückgewiesen. Das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt könne nicht als bewiesen angesehen werden.
5Der Kläger hat am 22.10.2013 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, ein Arbeitsunfall habe vorgelegen. Den Geschehensablauf beschreibt der Kläger wie folgt: Er habe sich am Vormittag des 17.03.2012 in seiner Firma befunden und sei gegen Mittag nach Hause gegangen. Er habe vorgehabt, für einen Geschäftstermin mit einem Kunden um 15:30 Uhr Papiere zu holen. Angekommen in seiner alten Wohnung habe er die Papiere zu sich genommen und anschließend einen Mittagsschlaf abgehalten. Als er wieder aufwachte, habe er versucht, die Wohnung zu verlassen. Dabei sei der Wohnungsschlüssel bei dem Versuch die Wohnungstür aufzuschließen im Schloss abgebrochen. Da der Kläger den Termin mit dem Kunden um 15:30 Uhr unbedingt wahrnehmen wollte, habe er versucht, die Wohnung über das Dachgeschossfenster zu verlassen. Er habe geplant, zunächst den Vordachbereich der unten liegenden Wohnung über das Dachgeschossfenster zu erreichen. Sodann habe er vorgehabt, vom Vordachbereich auf den ca. 2,6 m unterhalb befindlichen rückwärtigen Garten zu gelangen. Dazu sei es aber nicht mehr gekommen, weil der Kläger sich bereits bei dem Versuch, auf den Vordachbereich der unten liegenden Wohnung zu gelangen, verletzte. Es sei nicht richtig, dass er sich vor dem Unfall Kokain intravenös verabreicht habe. Am Tag vor dem Unfall habe er lediglich Kokain in geringen Mengen nasal eingenommen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe er nicht unter Drogeneinfluss gestanden.
6Der Kläger beantragt,
7den Bescheid der Beklagten vom 12.04.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Entschädigungsleistungen zu erstatten.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie nimmt Bezug auf ihr Vorbringen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.
12Entscheidungsgründe:
13Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
14Der Bescheid vom 12.04.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2013 ist nicht nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abzuändern gewesen. Dieser Bescheid beschwert den Kläger nicht nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn er ist nicht rechtswidrig. Die Beklagte hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den Unfall des Klägers am 17.03.2012 als einen Arbeitsunfall anzuerkennen. Daraus folgt, dass in Ermangelung eines Versicherungsfalles ein Anspruch auf Leistungen gegenüber der Beklagten nicht besteht.
15Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer die den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2).
16Das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ist eine versicherte Tätigkeit (sog. Wegeunfall § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Unfälle infolge eines solchen Weges sind Arbeitsunfälle. Mit dem Ort der Tätigkeit ist ein Grenzpunkt des unter Versicherungsschutz stehenden Weges gesetzlich festgelegt. Dies ist der Ort der tatsächlich versicherten Tätigkeit. Der andere Endpunkt ist im Allgemeinen die Wohnung des Versicherten. Der Weg von und zu dieser muss wegen der Tätigkeit im Unternehmen zurückgelegt werden (= innerer Zusammenhang). Im häuslichen Bereich selbst besteht kein Versicherungsschutz. Der versicherte Weg beginnt bzw. endet grundsätzlich mit dem "Durchschreiten" der Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes. An dieser strikten Grenzziehung hält das Bundessozialgericht aus Gründen der Rechtssicherheit und im Interesse einer möglichst einheitlichen Rechtsprechung ausnahmslos fest (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 1.11.1.1 m.w.N.).
17Die Voraussetzungen für die Annahme eines Wegeunfalls sind nicht erfüllt. Nach dem Vortrag des Klägers hat er die Wohnung zum Zwecke der Wahrnehmung eines Geschäftstermins über das Dachgeschossfenster verlassen wollen. Selbst unter Annahme dieser Behauptung ist von einem Wegeunfall nicht auszugehen, da der Kläger auch nach eigenem Vortrag die Wohnung nicht durch die Außentür verlassen wollte. Erst das Durchschreiten der Außentür lässt den versicherten Weg beginnen (a.a.O.). Entgegen der Auffassung des Klägers ist es sehr wohl erheblich, dass der Kläger die Wohnung nicht über die Außentür, sondern über das Fenster verlassen wollte. Ein Fenster ist eine Öffnung in der Wand eines Gebäudes und dient der Licht- und Luftzufuhr sowie der Aussicht. In dem Moment, als der Kläger über das Fenster die Wohnung verlassen wollte, hat er das Fenster nicht bestimmungsgemäß genutzt. Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger damit den Betriebsweg nicht angetreten. Darüber hinaus weist die Kammer darauf hin, dass der Kläger sich die Verletzungen im Vordachbereich des mehrgeschossigen Hauses zugezogen hat. Dies spricht auch gegen die Annahme eines Arbeitsunfalls als Wegeunfall, da. Zur Überzeugung der Kammer wird die Gefahr, sich bei dem Verlassen der Wohnung über ein Fenster zu verletzen, nicht vom Schutzbereich der Wegeunfallversicherung erfasst. Die Frage, ob der Kläger aufgrund seines Drogenkonsums nicht mehr in der Lage war, seine verrichtete Tätigkeit zu verrichten, kann in Ansehung der vorstehenden Ausführungen offen bleiben.
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
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Referenzen
- SGG § 193 1x
- § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 54 1x
- § 8 Abs. 1 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 2, 3 oder 6 SGB VII 2x (nicht zugeordnet)