Urteil vom Sozialgericht Halle (13. Kammer) - S 13 R 93/14

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem sechsten Buch Sozialgesetzbuch (gesetzliche Rentenversicherung- SGB VI).

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Der 1954 geborene Kläger verfügt über einen Berufsabschluss als Maschinen- und Anlagenmonteur. Er hat in seinem erlernten Beruf, als Maschinenbauer, Anlagenfahrer/Schlosser, Baumaschinist und Serviceschlosser gearbeitet. Zuletzt war er als Landschaftsgestalter versicherungspflichtig tätig.

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Der Kläger beantragte wiederholt am 27.06.2013 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Dr ... vom 27.09.2013 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 den Antrag des Klägers auf volle Erwerbsminderung ab. Nach Würdigung der medizinischen Unterlagen wurden als Diagnosen ein degeneratives Lendenwirbelsäulenleiden, Halswirbelsäulenleiden, Hämangiom der Lendenwirbelsäule mit Bestrahlung 1999, Schultergelenkfunktionsstörung rechts, Hüftgelenkleiden, Osteoporose, Zustand nach Blasenkrebs, Bluthochdruck-Herzkrankheit bei normaler Pumpfunktion des Herzens festgestellt. Es liege ein Leistungsvermögen für 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten ohne Nachtschicht, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, ohne häufige Überkopfarbeiten oder in Armvorhalte vor. Eine Berufsunfähigkeit liege ebenfalls nicht vor, denn es sei von einem Hauptberuf als Landschaftsgestalter auszugehen. Somit sei er in die Gruppe der Ungelernten einzuordnen. Unter Berücksichtigung der zusätzlichen qualitativen Leistungseinschränkungen sei er nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit sei dabei entbehrlich.

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Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 05.02.2014 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage gewandt.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

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den Bescheid der Beklagten vom 11.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 aufzuheben,

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die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.07.2013 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Nach Beiziehung der Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers hat das Sozialgericht Halle ein orthopädisches Gutachten vom 10.09.2014 durch die Chefärztin und Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr ... aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 28.08.2014 erstatten lassen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten, Blatt 43-77 der Gerichtsakte, verwiesen.

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Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

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Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und der gerichtlichen Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 rechtmäßig ist. Dem Kläger steht keine Erwerbsminderungsrente zu, weil er erwerbsfähig ist.

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Nach § 43 Abs.1, Abs.2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll gemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

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Der Kläger ist, an diesem Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Gerichts nicht erwerbsgemindert. Eine Erwerbsminderung des Klägers, d.h. ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als 6 Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung der Kammer nicht belegen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Gesamtwürdigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten orthopädischen Gutachten des Dr ... vom 27.09.2013, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, sowie aufgrund des von der Kammer darüber hinaus veranlassten orthopädischen Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch ChÄ Dr ... vom 10.09.2014.

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Der Kläger leidet an einem chronisch rezidivierenden, teilweise pseudoradikulären LWS-Syndrom mit deutlichen Funktionseinschränkungen und degenerativen Veränderungen ohne neurologische Defizitsymptomatik, Zustand nach Bestrahlung eines Hämangiomwirbels LWK 4, Subacromialsyndrom rechte Schulter bei Tendinitis calcarea und AC-Arthrose mit mäßiggradiger Funktionseinschränkung, Coxarthrose rechtsbetont mit beginnenden Funktionseinschränkungen, Osteoporose ohne sicheren Frakturnachweis, Zustand nach Urothel-Ca Harnblase pTaG1 (Erstdiagnose 2003, Rezidiv 2007 mit Chemotherapie), arterielle Hypertonie, Adipositas, Zustand nach Gallensteinoperation, Zustand nach Schilddrüsenoperation 1989 und leichte Hypercholesterinämie.

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Im Vordergrund stehen Beschwerden von Seiten des Bewegungsapparates mit Schwerpunkt Lendenwirbelsäule, Schultergelenk rechts und Hüftgelenk rechts. Die Beschwerden der Lendenwirbelsäule bestehen seit vielen Jahren. Sie sind neben den fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen zumindest teilweise auf ein Hämangiomwirbel LWK 4 zurückzuführen, der 2002 einer Strahlentherapie zugeführt wurde und regelmäßigen Verlaufskontrollen, wo sich keinen fassbaren Befundveränderungen gezeigt haben. Die geklagten Schmerzen im LWS-Bereich sind teilweise mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in das rechte Bein verbunden. Der aktuelle Schmerzcharakter ist mit einer Bedarfsmedikation mit NSRA beherrschbar. Klinisch fanden sich rigide Wirbelsäulenverhältnisse mit deutlichem Funktionsdefizit im Bereich der LWS, jedoch ohne eindeutige neurologische Defizitsymptomatik. Die aktuellen Röntgenbilder der BWS und LWS ergeben keine Hinweise für eine osteoporosetypische Wirbelkörperfraktur. Die letzten Knochendichtewerte von 2009 bestätigen eine Osteoporose mit T-Werten von schlechter als 2,5 im Bereich des Schenkelhalses und bei L3. Hieraus lässt sich eine verstärkte Knochenbrüchigkeit ableiten. Insgesamt gesehen ergibt sich somit eine Minderbelastbarkeit des Achsenorgans, die einen dauerhaft mindernden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit bezüglich der qualitativen Leistungsparameter begründet.

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Die Beschwerden im Bereich der rechten Schulter gehen mit einer deutlichen Funktionseinschränkung für Tätigkeiten über die Horizontale (über 90° Abduktion/Anteversion) einher. Die MRT-Untersuchung des rechten Schultergelenkes vom 27.06.2014 beschreibt deutliche Verkalkungen im Bereich der Supraspinatussehne sowie eine Arthrose des AC-Gelenkes, welche die Funktionseinschränkungen erklären. Die Umfangsmessung im Bereich der oberen Extremitäten lassen keine Rückschlüsse auf Muskelatrophien zu. Hieraus lassen sich insgesamt Auswirkungen auf die qualitative Leistungsfähigkeit ableiten.

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Die Beschwerden im Bereich des Hüftgelenkes rechtsbetont bestehen ebenfalls schon längerfristig. Klinisch zeigt sich eine beginnende Funktionseinschränkung, röntgenologisch sind beginnende degenerative Veränderungen nachweisbar. Signifikante Beeinträchtigungen der Alltagsbelastungen werden nicht beschrieben. Hieraus lassen sich ebenfalls nur qualitative Leistungseinschränkungen ableiten.

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Daher geht die Kammer von folgendem Leistungsbild aus: Der Kläger ist in der Lage, leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, teilweise im Gehen und Stehen 6 Stunden und mehr täglich ohne Heben und Tragen von Lasten von ) 10 kg, Arbeiten mit Zwangshaltungen, Wechsel-/Nachtschicht, Zeit-/Leistungsdruck, Überkopfarbeiten zu verrichten.

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Die vorstehend als relevant festgestellten Gesundheitsstörungen schränken die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Aus medizinischer Sicht sind dem Kläger noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit den o.g. Leistungseinschränkungen über 6 Stunden täglich zumutbar.

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Zusammenfassend ist der Kläger danach noch in der Lage, jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen mindestens 6 Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Kläger ist somit nicht erwerbsgemindert, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein Leistungsvermögen von täglich weniger als 6 Stunden begründet. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens 6 Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Angelernte des unteren Bereich sowie Ungelernte geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind. Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI.

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Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zu Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit gebootet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

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Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG der "bisherigen Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat dies ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Berufsunfähig ist ein Versicherter dann, wenn er seinen "bisherigen Beruf" nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann und es nicht zumindest eine andere berufliche Tätigkeit gibt, die ihn sozial zumutbar für ihn sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung gebildet worden, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe

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des Vorarbeiters oder Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters

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des Facharbeiters in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren

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des angelernten Arbeiters bzw. Facharbeiters in einem sonstigen Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von 3 Monaten bis zu 2 Jahren

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des ungelernten Arbeiters

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charakterisiert (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 12.02.2004 – B 13 RJ 34/03 R -, juris Rn.17). Die Einordnung eines bestehenden Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt dabei nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für einen Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Abs. 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderung der bisher Berufstätigkeit) umschrieben wird. Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 12.10.1993 – 13 RJ 71/92 – juris, Rn.33 m.w.N.).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist als bisher Beruf der eines Landschaftsgestalters zugrunde zu legen und der Gruppe der Ungelernten zu zuordnen. Als Ungelernter ist der Kläger von der Beklagten in jedenfalls rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise zumutbar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen worden. Nach alledem hat dem Kläger auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zugesprochen werden können.

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Entsprechendes gilt für die weiter hilfsweise nach § 43 Abs. 1 SGB VI geltend gemachte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weil der Kläger -wie oben ausgeführt- täglich 6 Stunden und mehr körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten kann.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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