Urteil vom Sozialgericht Hannover (48. Kammer) - S 48 AS 687/16

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Bewilligung eines Mehrbedarfes für dezentrale Warmwasserkosten für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.08.2013 nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II).

2

Die Kläger beantragten am 02.10.2015 beim Beklagten die rückwirkende Bewilligung eines Mehrbedarfes für Warmwassererzeugung in Höhe von monatlich insgesamt ca. 13,-- €. Der Antrag bezog sich auf die Zeit ab Einführung dieses Mehrbedarfes am 01.01.2011.

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Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2015 ab. Es wurde ausgeführt, dass bereits seit dem 01.09.2013 ein entsprechender Mehrbedarf bewilligt würde. Für die Zeit davor bestünde kein Anspruch auf Neubescheidung, da gemäß § 40 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) eine Erbringung von Leistungen rückwirkend nur für ein Jahr möglich sei, also angesichts des Antrages im Jahr 2015 längstens bis zum 01.01.2014.

4

Dagegen legten die Kläger mit Schreiben vom 10.11.2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2016 zurückwies und zur Begründung wiederum auf die Jahresfrist hinwies.

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Die Kläger haben am 22.02.2016 Klage erhoben und führen aus, dass eine Nichteinhaltung der Vorgaben des § 77 Abs. 6 SGB II nicht zu einem Anspruchsverlust führe. Auch stünde die Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II einer Gewährung nicht entgegen, denn eine Berufung auf die Jahresfrist sei unbillig. Der Beklagte hätte zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung von Amts wegen den Mehrbedarf berücksichtigen müssen und könne sich daher nicht auf die Jahresfrist berufen.

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Die Kläger beantragen (sinngemäß),

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den Bescheid des Beklagten vom 08.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der entsprechenden Bewilligungsbescheide den Klägern für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.08.2013 einen Mehrbedarf für Warmwasser zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

11

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 04.05.2016 am 09.05.2016 sowie die Kläger mit Schreiben vom 08.08.2016 am 09.08.2016 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

14

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. § 53 Abs. 4 SGG) ist zulässig, aber unbegründet.

15

Der Bescheid vom 08.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2016 ist nicht rechtswidrig und stellt keine Rechtsverletzung dar, denn der rückwirkenden Gewährung eines Mehrbedarfes für dezentrale Warmwasserkosten für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.08.2013 steht die Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II (idF vom 24.03.2011) in Verbindung mit § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X entgegen.

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Zwar führen die Kläger zu Recht an, dass dem Anspruch nicht § 77 Abs. 6 SGB II entgegensteht. Dieser regelt lediglich eine "verfahrenstechnische Erleichterung" für die Grundsicherungsträger. Grundsätzlich sind Gesetzesänderungen im Rahmen von § 44 SGB X von Amts wegen und ohne schuldhafte zeitliche Verzögerung zu berücksichtigen. Diese Vorgaben mindert § 77 Abs. 6 SGB II dahingehend ab, als dass bezüglich dem Mehrbedarf für Warmwasser die rückwirkende Gewährung erst bis zum Ablauf eines Monats nach dem Ende des Bewilligungszeitraums zu erfolgen braucht. Diese Erleichterung betrifft aber nur die Grundsicherungsträger und führt bei Nichteinhaltung nicht zu einem Anspruchsverlust der Antragsteller (vgl. Behrend, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 77 Rn. 43).

17

Jedoch gilt es zu beachten, dass in weiterhin die allgemeinen Regelungen des § 40 SGB II in Verbindung mit den § 44 ff. SGB X gelten, also auch die Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II (idF vom 24.03.2011) (vgl. Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 77 Rn. 15).

18

Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer insbesondere daraus, dass die Verkürzung der Überprüfungsfrist im SGB II durch die Einführung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf dem Grundgedanken beruht, dass für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts und der Eingliederung in Arbeit dienen und dabei in besonderem Maß die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollen (sog. Aktualitätsgrundsatz), die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X zu lang ist (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 06. November 2014 – L 7 AS 534/13 m.w.N.). Dieser Grundgedanke wird zudem in § 77 Abs. 13 SGB II deutlich, wonach die Jahresfrist lediglich auf solche Anträge nach § 44 SGB X nicht anwendbar ist, die vor dem 01.04.2011 gestellt worden sind. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass bezüglich aller Leistungen des SGB II im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X die Jahresfrist nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X gilt.

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Auch ist für die Kammer kein unbilliges Verhalten ersichtlich, welches gegen die Anwendbarkeit des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II (idF vom 24.03.2011) in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X sprechen könnte. Der Umstand der Nichtberücksichtigung einer Gesetzesänderung reicht nach Auffassung der Kammer diesbezüglich nicht aus. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass Hauptanwendungsfall des § 44 SGB X die nicht ausreichende Berücksichtigung von Gesetzen bzw. fehlerhafte Gesetzesanwendung ist (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X: "Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder […]") und dazu auch die fehlende bzw. mangelnde Umsetzung von Gesetzesänderungen zählt. Das (bloße) Vorliegen eines der Hauptanwendungsfälle des § 44 SGB X wiederum kann jedoch nach Auffassung der Kammer alleine (noch) nicht zur Annahme eines Unbilligkeitsfalles führen. Weitere, eventuell ein solches Verhalten begründende, Umstände sind zudem im hiesigen Fall nicht ersichtlich. Zum anderen gilt es zu beachten, dass Behörden grundsätzlich nicht verpflichtet sind, ihre Bescheide bezüglich der Auswirkungen von Gesetzesänderungen zu überprüfen, denn dies würde der Massenverwaltung im Sozialleistungsbereich nicht gerecht bzw. unerfüllbare Ermittlungen ins Blaue hinein bedeuten (vgl. Schütze, in:  von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 40 Rn. 39).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 


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