Urteil vom Sozialgericht Hannover (86. Kammer) - S 86 KR 305/17

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.03.2017 zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Aufwandspauschale nach Maßgabe des § 275 Abs. 1c S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

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Sie ist Trägerin eines gemäß § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. Dort wurde im Zeitraum 21.06.2016 bis 07.07.2016 die bei der Beklagten versicherte, am 03.01.1933 geborene G. stationär behandelt. Am 15.07.2016 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung 3.592,91 EUR in Rechnung. Sie beanspruchte dabei auf der Grundlage der Fallpauschale für die Diagnosis Related Group (DRG) K62A (Verschiedene Stoffwechselerkrankungen bei Para- / Tetraplegie oder mit komplizierender Diagnose oder endoskopischer Einlage eines Magenballons oder äußerst schweren CC und mehr als ein Belegungstag). Die Beklagte glich die Rechnung zunächst vollständig aus, schaltete aber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Überprüfung ein. Die an den MDK gerichteten Fragestellungen lauteten: „Bestand die Notwendigkeit der vollstationären KH-Behandlung nach § 39 SGB V für die gesamte Dauer? (Aus welchen Gründen musste in der Zeit vom 21.06.2016 bis 07.07.2016 eine vollstationäre Behandlung erfolgen?“, „Ist die Hauptdiagnose (HD) korrekt? (Die Kodierung der Hauptdiagnose ist anhand der Falldaten nicht plausibel.)“ und „Ist/Sind die Nebendiagnose(n) (ND) korrekt? (Die Kodierung der Nebendiagnose(n) ist anhand der Falldaten nicht plausibel.)“. Der MDK kam mit Gutachten vom 22.09.2016 zu dem Ergebnis, dass die Notwendigkeit der vollstationären Behandlung aufgrund der erheblichen Begleiterkrankungen und der zeitlich nacheinander entstandenen Probleme für den gesamten Zeitraum gegeben gewesen und die Hauptdiagnose E87.1 (Hypoosmolalität und Hyponatriämie) korrekt kodiert worden sei.  Einzig die Nebendiagnosen I36.1 (Nichtrheumatische Trikuspidalklappeninsuffizienz), D68.4 (erworbener Mangel an Gerinnungsfaktoren) und R18 (Aszites) seien zu streichen. Stattdessen sei die Nebendiagnose Z92.1 (Dauertherapie (gegenwärtig) mit Antikoagilanzien in der Eigenanamnese) zu ergänzen. Diese Veränderungen waren jedoch nicht ergebnisrelevant.

3

Am 23.09.2016 stellte die Klägerin der Beklagten daraufhin für die MDK-Prüfung eine Aufwandspauschale in Höhe von 300,- EUR in Rechnung. Mit Schreiben vom 27.09.2016 verweigerte die Beklagte deren Zahlung. Der MDK habe in seinem Gutachten den Abrechnungsbetrag als ordnungsgemäß bestätigt. Dieser Einschätzung schließe die Beklagte sich an; die Ordnungsmäßigkeit habe sich jedoch erst nach einer Datenkorrektur im MDK-Verfahren bestätigt. Gemäß den Vorgaben der Prüfverfahrensvereinbarung stehe der Klägerin damit keine Aufwandspauschale zu.

4

Am 14.03.2017 hat die Klägerin Klage erhoben.

5

Sie ist der Auffassung, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 275 Abs. 1c S. 3 SGB V seien erfüllt. Überprüft worden sei eine Schlussrechnung für eine stationäre Behandlung im Sinne des § 39 SGB V. Die Prüfung habe nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Der Klägerin sei durch die Begehung durch den MDK und durch die Erörterung des Sachverhaltes mit dem MDK auch ein Verwaltungsaufwand entstanden. Die Gründe für das vom MDK gefundene Ergebnis seien irrelevant. Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs sei ausschließlich das infolge der Prüfung unveränderte rechnerische Ergebnis. Unerheblich sei daher, ob die Klägerin der Beklagten bei der Übermittlung des Datensatzes nach § 301 SGB V nicht erlösrelevante Dateninformationen zur Verfügung gestellt habe, die aus Sicht des MDK zu ändern seien. Zudem könne die Beklagte nicht durch die aus ihrer Sicht fehlerhafte Kodierung veranlasst worden sein, die Prüfung durch den MDK zu initiieren, da sie die vollständige Abrechnung habe überprüfen lassen.

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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie 300,- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie behauptet, die nachweislich fehlerhafte Kodierung, die einen Verstoß gegen die Vorgaben des § 301 SGB V darstelle, habe das Prüfbegehren der Beklagten ausgelöst. Bei richtiger Kodierung hätte der Fall nicht überprüft werden müssen. Damit bestehe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kein Anspruch auf eine Aufwandspauschale, die auf Prüfungen beschränkt sei, die die Krankenkasse ohne berechtigten Anlass eingeleitet habe.

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Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 16.10.2017 und 13.11.2017 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte das Gericht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

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Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

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Statthafte Klageart ist die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG. Bei der Klage eines Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse handelt es sich um einen Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl. BSGE 90, 1 f. = SozR 3-2500, § 112, Nr. 3; Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 10.04.2008, Az.: B 3 KR 19/05 R). Dieselben Grundsätze gelten für die Geltendmachung der Aufwandspauschale als Nebenforderung zur Vergütung des stationären Aufenthaltes.

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Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in Höhe von 300,- EUR sowie auf die geltend gemachten Verzugszinsen.

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Die Krankenkassen sind nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen.

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Gemäß § 275 Abs. 1c SGB V ist bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zeitnah durchzuführen (Satz 1). Die Prüfung ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen (Satz 2). Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300,- EUR zu entrichten (Satz 3). Als Prüfung nach Satz 1 ist jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den Medizinischen Dienst beauftragt und die eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordert (Satz 4). Vorliegend ist aufgrund der durch die Beklagte eingeleitete Überprüfung der Abrechnung eine Datenerhebung bei der Klägerin durch den MDK erfolgt. Ob es sich dabei um eine Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit oder um eine Auffälligkeitsprüfung gehandelt hat, ist nach Einführung des Satzes 4 in § 275 Abs. 1c SGB V unerheblich (siehe zur alten Rechtslage BSG SozR 4-2500 § 301 Nr. 4 Rn. 16 ff.; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr. 3 Rn. 17; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr. 5 Rn. 21; BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 - B 1 KR 13/14 R, Rn. 24). Die Prüfung führte nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages.

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Weitere Voraussetzungen sieht die Norm nicht vor. Soweit das Bundessozialgericht zur bis zum 31.12.2015 gültigen Fassung des § 275 Abs. 1c SGB V vertreten hat, es handele sich bei dem Anspruch auf die Aufwandspauschale um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung, die nur auf die Einschränkung von solchen Prüfungen abziele, die die Krankenkassen ohne berechtigten Anlass, ggf. gar durch „missbräuchliche“ Prüfungsbegehren eingeleitet hätten, nicht aber auf Verfahren, die durch eine fehlerhafte Abrechnung des Krankenhauses veranlasst worden seien (s. z.B. Urt. v. 22.06.2010, Az.: B 1 KR 1/10 R; Urt. v. 25.10.2016, Az.: B 1 KR 22/16 R), lässt sich diese Ansicht für die ab 01.01.2016 geltende Neufassung nicht mehr aufrecht erhalten. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 275 Abs. 1c SGB V die Zwecke der Beschleunigung und Planungssicherheit betont (BT-Drucksache 18/6586, S. 110). Dieser Intention widerspräche eine Auslegung der Norm dahingehend, dass (gleichsam als zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung) zu klären wäre, ob das Krankenhaus einen Anlass zur Prüfung gegeben hat und ob ein Fehlverhalten auf dieser Seite zu bejahen ist. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen über die Einschätzung des MDK noch nicht einmal Einigkeit besteht. Obwohl eine streitige Diagnose keinerlei Erlösrelevanz besitzt, müsste deren Einschlägigkeit in teilweise langwierigen Verfahren, ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden. Wenn der Gesetzgeber bestimmte Konstellationen nach dem Verursacherprinzip von dem Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale hätte ausnehmen wollen, so hätte er dies - in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG hierzu - mit der Neufassung eindeutig klargestellt, zumal er in seiner Gesetzesbegründung ausdrücklich auf das Bundessozialgericht Bezug nimmt (so auch SG Trier, Urt. v. 09.02.2017, Az.: S 1 KR 116/16). Von dem Umstand, dass die Norm auch in ihrer neuen Fassung entsprechende Einschränkungen oder Klarstellungen nicht enthält, ist darauf zu schließen, dass für den Gesetzgeber gerade nicht auf die Richtigkeit der Abrechnung des Krankenhauses Auslöser der Aufwandspauschale sein sollte, sondern (nur) die fehlende Änderung des Abrechnungsbetrages (siehe hierzu auch Dr. Schütz in jurisPR-SozR 17/2017 Anm. 2).

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Im Übrigen hat die Klägerin der Beklagten hier aber auch keinen (berechtigten) Anlass zu einer Einschaltung des MDK gegeben. Die Behauptung der Beklagten, der Fall wäre bei richtiger Kodierung nicht überprüft worden, überzeugt die Kammer nicht. Denn die Beklagte hatte ausweislich des Prüfauftrags unter anderem auch Zweifel an der Verweildauer und der richtigen Kodierung der Hauptdiagnose. Beide Umstände hätten im Falle ihres Zutreffens zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führen können. Die Prüfung wäre also konsequenterweise auch bei Nichtkodierung der vom MDK gestrichenen Nebendiagnosen erfolgt. Die Nebendiagnosen selbst waren dagegen von Anfang an nicht abrechnungsrelevant, was die Beklagte auch ohne Einschaltung des MDK beispielsweise durch Verwendung eines entsprechenden Groupers hätte erkennen können. Es handelt sich hierbei um eine rechtliche, nicht um eine medizinische Frage, für die der Sachverstand des MDK nicht benötigt wird. Hinzu kommt, dass der Prüfauftrag im Hinblick auf die Nebendiagnosen - im Gegensatz z.B. zur monierten Verweildauer - denkbar pauschal formuliert ist. So unterscheidet die Beklagte dabei noch nicht einmal zwischen Singular und Plural, geschweige denn, dass sie bestimmte Nebendiagnosen nennt, die ihr unplausibel erscheinen. Es fehlt dadurch jeglicher Hinweis darauf, welche Diagnose die Beklagte konkret zur Prüfung veranlasst hat. Vielmehr scheint es sich bei diesem Teil des Prüfauftrags um einen Baustein zu handeln, der im Falle der Einschaltung des MDK als Ergänzung routinemäßig verwendet wird.

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Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und beträgt fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit der am 14.03.2017 mit Klageerhebung eingetretenen Rechtshängigkeit (BSG, Urt. v. 23.06.2015, Az.: B 1 KR 24/14 R). Der klägerische Antrag war nach Maßgabe des § 123 SGG dahingehend auszulegen. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der fehlenden Passage „über dem Basiszinssatz“ um einen bloßen Schreibfehler handelt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

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Die Berufung war zuzulassen, da die Kammer der Auslegung der Neufassung des § 275 Abs. 1c SGB V grundsätzliche Bedeutung beimisst.

 


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