Urteil vom Sozialgericht Köln - S 39 SO 74/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt die Versorgung mit einem Automatik-KfZ im Rahmen der Eingliederungshilfe.
3Der 1962 geborene, alleinstehende Kläger ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie den gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G anerkannt. Er leidet u. a. an einer psychischen Störung sowie einem inkompletten Querschnittsyndrom mit Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremitäten und einer ataktischen Gangstörung. Er erhält seit August 1998 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsunfähigkeit von der Beigeladenen. Ferner erhielt er im Jahr 2012 von der Beigeladenen eine monatliche Pflegebeihilfe i. H. v. 175,85 € für Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung. Am 06.10.2012 beantragte er bei der Beigeladenen eine sofortige KfZ-Beihilfe und führte zur Begründung aus, er sei seit Jahren gezwungen, seinen Heilpraktiker abzuholen und wieder nach Hause zu bringen. Einkäufe könne er nur noch mit einem PkW durchführen. Bei seinem bisherigen PkW sei ein Motortotalschaden eingetreten. Die Beigeladene leitete diesen Antrag am 08.11.2012 an den Beklagten weiter, bei welchem der Antrag am 13.11.2012 einging. Daneben stellte der Kläger unmittelbar beim Beklagten am 19.10.2012 telefonisch einen entsprechenden Antrag. Mit Bescheid vom 20.11.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab: Fahrten zum Arzt oder zu ärztlich verordneten Maßnahmen könnten keine Notwendigkeit der KfZ-Hilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe begründen, da die Krankenkasse bzw. die Beigeladene im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit die Fahrtkosten übernehme, wenn es hierfür zwingende medizinische Gründe gebe. § 8 Abs. 1 S. 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung mache durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals „insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben“ deutlich, dass hierin der vom Gesetz vorgesehen Schwerpunkt der Versorgung mit einem KfZ liege. Damit seien andere Gründe zwar nicht ausgeschlossen. Sie müssten aber zumindest vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehöre auch, dass die Notwendigkeit der Benutzung des KfZ ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich bestehe. Da der Kläger Hilfe zur Pflege erhalte, habe er die Möglichkeit, die Haushaltshilfe über die Beigeladene organisieren und sich Einkäufe mitbringen zu lassen. Ferner könne er im Stadtgebiet der Beigeladenen 15 mal im Quartal den Behindertenfahrdienst der Beigeladenen nutzen. Auch für andere Aktivitäten, wie den Besuch von Freunden oder kultureller Veranstaltungen seien Fahrten nicht so regelmäßig erforderlich, dass sie Fahrten zu einem Arbeitsplatz gleichgestellt werden könnten.
4Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2012 Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2013 zurückwies.
5Hiergegen hat der Kläger am 15.02.2013 Klage erhoben.
6Der Kläger trägt vor, er benötige das Auto für Alles, für den Einkauf, aber auch Fahrten zur Hausärztin. Ferner hole er seinen Heilpraktiker ab und bringe diesen nach den Behandlungen wieder nach Hause, da dieser selbst über kein KfZ verfüge. Er habe auch soziale Kontakte im Umkreis von etwa 12 – 15 km. Auch fahre er gelegentlich zu seinem alten Anwesen in Bonn-Lannesdorf. Zu dem Gerichtstermin - zu welchem ein persönliches Erscheinen nicht angeordnet war – sei er mit öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen.
7Der Kläger beantragt,
8den Bescheid des Beklagten vom 20.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2013 aufzuheben und die Beigeladene zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Anschaffungskosten für ein Automatik-Kraftfahrzeug zu leisten.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die mit Beschluss der Kammer vom 26.06.2013 Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie ist ebenso wie der Beklagte der Auffassung, dass der Kläger kein KfZ benötige, um am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen. Der Kläger verfüge überdies über einen 16 Jahre alten Opel Corsa ohne Lenkhilfe, welchen ihm Verwandte geschenkt hätten.
12Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, welche zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorgelegen hat, sowie der ebenfalls beigezogenen Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes der Beigeladenen.
13Entscheidungsgründe:
14Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Denn der Kläger hat weder gegen den Beklagten noch gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Versorgung mit einem neuen Kraftfahrzeug.
15Zuständig für die Erbringung von Rehabilitationsleistungen an den Kläger wäre im vorliegenden Fall im Außenverhältnis die Beigeladene, da der Kläger bei dieser den Antrag auf Versorgung mit einem Kraftfahrzeug bereits am 06.10.2012 gestellt hat und die Beigeladene somit erstangegangener Träger im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IX ist. Da die Beigeladene den Antrag des Klägers an den Beklagten erst am 13.11.2012 und somit nach Ablauf der Feststellungsfrist gem. § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX von 2 Wochen weitergeleitet hat, wurde die Beklagte für die beantragte Leistung gem. § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX unter jedem rehabilitationsrechtlichen Gesichtspunkt im Außenverhältnis zum Kläger zuständig. Der Umstand, dass der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 19.10.2012, beim Beklagten einen weiteren telefonischen Antrag auf dieselbe Leistung gestellt hat, ändert an dieser Bewertung nichts.
16Die Voraussetzungen der für diese Leistung einzig als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Absatz 1 S. 1 SGB XII, 8 Abs. 1 S. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung sind jedoch nicht erfüllt. Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges gilt dabei als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Sie wird in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist.
17Der Kläger ist als Schwerbehinderter mit einem GdB von 100 wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Er ist jedoch nach den Gesamtumständen nicht auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung. Sowohl unter Berücksichtigung der sich aus der Schwerbehinderten-Akte des Klägers ergebenden sozialmedizinischen Bewertungen als auch nach dem bei der Kammer im Verhandlungstermin vom 07.03.2014 hinterlassenen persönlichen Eindruck ist das Gehvermögen des Klägers nicht derart eingeschränkt, dass ihm eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmitteln nicht zuzumuten wäre. Die Behinderungen des Klägers setzen sich aus einer psychischen Störung, zu bewerten mit einem Einzel-GdB von 60, einen inkompletten Querschnittsyndrom mit Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremitäten und ataktischer Gangstörung sowie Potenzstörung (Einzel-GdB 50), einem chronischen Wirbelsäulensyndrom (Einzel-GdB 20) sowie einer Funktionsstörung des rechten Schultergelenkes (Einzel-GdB 10) zusammen. Auf die Fortbewegungsfähigkeit wirkt sich insoweit allein das inkomplette Querschnittsyndrom aus. Es führt beim Kläger dazu, dass er erheblich gehbehindert ist. Es ist ihm nicht zuzumuten, Wegstrecken, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (2 km im Zeitraum von einer halben Stunde) fußläufig zu bewältigen. Dementsprechend hat das Versorgungsamt der Beklagten beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G anerkannt. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung, welche es dem Kläger unzumutbar machen würde, selbst kurze Strecken zu Fuß zurückzulegen, besteht nach den versorgungsärztlichen Feststellungen demgegenüber nicht. Dies deckt sich mit dem persönlichen Eindruck, welchen die Kammer von dem Kläger bei der mündlichen Verhandlung am 07.03.2014 gewinnen konnte. Der Kläger war ohne Weiteres in der Lage, den Gerichtssaal zügig zu betreten und wieder zu verlassen. Zwar war eine ataktische Gangstörung ohne Weiteres zu erkennen. Der Kläger war jedoch zu dem Termin – ohne dass sein persönliches Erscheinen angeordnet worden wäre – mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist, ohne dass dies ihm übermäßige Schwierigkeiten bereitet hätte. Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer nicht zu erkennen, weshalb es dem Kläger unmöglich oder gar unzumutbar sein soll, auch seine sonstigen sozialen Kontakte mit Hilfe öffentlicher Verkehrsmittel zu pflegen. Dies gilt auch für Einkäufe. Aus denselben Gründen dürfte der Kläger auch nicht berechtigt sein, den Behindertenfahrdienst der Beigeladenen in Anspruch zu nehmen.
18Die vom Kläger angeführten Fahrten zu seiner Hausärztin vermögen ebenfalls nicht die Notwendigkeit zu begründen, ihm im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten für die Anschaffung eines PkWs zu verauslagen. Die Fahrten zu einer ambulanten Krankenbehandlung werden unter den Voraussetzungen der §§ 52 Abs. 3 S. 1 SGB XII, 60 Abs. 1 S. 3 SGB V i. V. m. den Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XII von der Beigeladenen im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit übernommen. Auch die dort, insbesondere in § 8 Abs. 3 der Krankentransport-Richtlinien niedergelegten Voraussetzungen erfüllt der Kläger jedoch im Übrigen nicht. Dass die nach Angaben des Klägers erforderliche Beförderung seines Heilpraktikers durch ihn nicht zu einem notwendigen Bedarf für die Anschaffung eines Kraftfahrzeuges im Rahmen der Eingliederungshilfe führen kann, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass es sich insoweit nicht um einen unmittelbaren Bedarf des Klägers handelt. Soweit der Kläger einer medizinischen Handlung bedarf, wird ihm diese im Umfang und in den Grenzen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, auf welche die Hilfen zur Gesundheit nach dem 5. Kapitel SGB XII verweisen, zuteil. Einer darüber hinausgehenden mittelbaren Förderung außerhalb dieses Systems stehender Heilbehandlungsverfahren bedarf es weder zur Sicherung der körperlichen Integrität des Klägers noch seines Bedarfes an Eingliederung in die Gesellschaft.
19Da ein Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe durch Übernahme der Anschaffungskosten für ein Automatik-KfZ schon aus den vorstehenden Gründen ausscheidet, kann die Kammer offenlassen, ob ein solcher Anspruch vorliegend jedenfalls dadurch untergegangen ist, dass der Kläger zwischenzeitlich über einen 16 Jahre alten Opel Corsa verfügt.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
21Rechtsmittelbelehrung:
22Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
23Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
24Landessozialgericht
25Nordrhein-Westfalen,
26Zweigertstraße 54,
2745130 Essen,
28schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
29Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem
30Sozialgericht Köln,
31An den Dominikanern 2,
3250668 Köln,
33schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
34Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
35Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-koeln.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.
36Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.
37Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Köln schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.
38Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
39Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
40Richter am Sozialgericht
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Referenzen
- SGG § 54 1x
- §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Absatz 1 S. 1 SGB XII 2x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 52 Abs. 3 S. 1 SGB XII, 60 Abs. 1 S. 3 SGB V 2x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 1 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)