Urteil vom Sozialgericht Köln - S 18 U 419 / 13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht.
3Der 1960 geborene Kläger erlitt am 28.08.2002 während seiner Tätigkeit als Arbeiter der Stadtgärtnerei einen Arbeitsunfall, als er beim Mähen einer städtischen Grünfläche mit der linken Hand in das Mähwerk des Mähers geriet.
4Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr., zu dem er sofort gebracht wurde, diagnostizierte Rissquetschverletzungen der 2. bis 5. Finger links, offene Wunden sowie Frakturen der Finger 3 bis 5 links. Während des folgenden stationären Aufenthalts bis zum 11.09.2002 wurde der Kläger operiert.
5In der Folgezeit erfolgten ambulante Behandlungsmaßnahmen. Während eines erneuten stationären Aufenthalts in der Zeit vom 14.11.2002 bis 17.11.2002 kam es zu einer Amputation des Endgliedes des linken Kleinfingers. Am 16.12.2002 teilte Dr. mit, Arbeitsfähigkeit bestehe wieder ab dem 02.01.2013, die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage weniger als 20 %.
6Zur gleichen Einschätzung gelangte der zwischenzeitlich behandelnde Arzt des Klägers Dr. in einem Bericht vom 26.11.2003.
7Nachdem sich der Kläger in der Folgezeit mehrfach an die Beklagte gewandt hatte, teilte der Chirurg Dr. in einer beratungsärztliche Stellungnahme vom 04.11.2008 mit, eine MdE im rentenberechtigenden Grad über die 26. Woche hinaus habe nicht vorgelegen. Eine Begutachtung sei nicht erforderlich.
8Mit Schreiben vom 31.03.2011 beantragte der der Kläger dann eine "Überprüfung der Angelegenheit". Er trug hauptsächlich vor, es liege eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit vor, nicht zuletzt durch den Verlust der Fingersegmente als auch durch die Versteifung von Fingern an der linken Hand.
9Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten ein, das Dr. am 17.09.2011 erstattete. Als Unfallfolgen beschrieb er darin narbige Veränderungen an allen Langfingern der linken Hand, eine Verplumpung der Mittelgelenke des dritten und vierten Fingers der linken Hand mit posttraumatischer Arthrose, eine leichte Behinderung beim Faustschluss sowie eine Kraftminderung der linken Hand. Wegen der anzunehmenden Beeinträchtigung der Handfunktion bei Amputation des Kleinfingers und der Bruchschäden am Mittelgelenk des Mittel- und Ringfingers hielt er eine MdE von 20 % für die Dauer von neun Monaten ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit für gerechtfertigt. Danach schätzte er die MdE mit 10 % auf Dauer ein.
10In einer von der Beklagten daraufhin eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 02.11.2011 gab der Orthopäde Dr. an, dem Gutachten könne man im Großen und Ganzen folgen. Allerdings erscheine eine MdE von 20 % für einen Zeitraum von sechs Monaten ab Rentenbeginn ausreichend. Danach seien 10 % auf Dauer angemessen.
11Mit Bescheid vom 23.11.2011 erkannte die Beklagte alsdann den Arbeitsunfall dem Grunde nach an. Des Weiteren stellte sie fest, dass eine MdE von 20 % in der Zeit vom 02.01.2003 bis 01.07.2003 vorgelegen habe. Der Anspruch für diese Zeit sei aber verjährt und die Rente könne deswegen nicht mehr ausgezahlt werden.
12Der Widerspruch des Klägers vom 06.12.2011 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2013 als unbegründet zurückgewiesen.
13Hiergegen richtet sich die am 30.10.2013 erhobene Klage. Der Kläger ist im Wesentlichen der Ansicht, die unfallbedingte MdE betrage mindestens 20 % und ihm stehe deswegen auch eine Verletztenrente zu. Im Jahre 2008 sei eine erhebliche Verschlimmerung in den Unfallfolgen eingetreten. Im Übrigen sei eine besondere berufliche Betroffenheit zu berücksichtigen. Auch werde der Verjährung widersprochen.
14Der Kläger beantragt,
15die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2013 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 28.08.2002 eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 % zu gewähren.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie hält ihre Entscheidung für zutreffend und ist nach wie vor der Ansicht, die Zahlung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung komme nicht in Betracht. Soweit im Jahre 2003 eine rentenberechtigende MdE bestanden habe, seien die Ansprüche verjährt. Danach habe die MdE zu keinen Zeitpunkt mehr einen rentenberechtigenden Grad erreicht. Bestätigt sieht sie sich insoweit durch das vom Gericht von Amts wegen eingeholte Gutachten. Von einer besonderen beruflichen Betroffenheit könne nicht ausgegangen werden.
19Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Handchirurgen Dr. vom 30.06.2014.
20Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und den der zum Verfahren beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten über den Kläger wird ergänzend in vollem Umfang Bezug genommen. Alle Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
21Entscheidungsgründe
22Die zulässige Klage ist nicht begründet.
23Der Bescheid der Beklagten vom 23.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2013 ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte die Zahlung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Unfalls des Klägers vom 28.08.2002 abgelehnt.
24Nach § 56 Abs.1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles (hier: Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 % gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbs-fähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die %-Sätze zusammen genommen wenigstens die Zahl 20 besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente. Die Folgen des Versicherungsfalls sind dabei nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 % mindern. Ein solcher Stützrententatbestand ist hier jedoch weder ersichtlich noch vorgetragen.
25Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich dabei nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs.2 Satz 1 SGB VII).
26Bei der Einschätzung der MdE sind die von der Rechtsprechung und Literatur herausgear-beiteten allgemeinen Erfahrungswerte zu beachten, die eine Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE bilden (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 23 und 27 ; BSG SozR 3 - 2200 § 581 Nr. 5). Diese MdE-Erfahrungswerte bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, wodurch gewährleistet wird, dass alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden. Da Rentenbegutachtung in der gesetzlichen Unfallversicherung im Kern Funktionsbegutachtung ist, kommt es darauf an, inwieweit durch die Schwere der verbliebenen Gesundheitsstörungen das Leistungsvermögen des Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens beeinträchtigt ist (BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte auf der Grundlage umfassender sozialmedizinischer Ermittlungen die MdE hinsichtlich der Unfallfolgen nachvollziehbar und angemessen bewertet.
27Unstreitig hat der Kläger am 28.08.2002 einen Arbeitsunfall erlitten. Es mag auch sein, dass im Jahre 2003 für einige Monate eine MdE von 20 % bestanden hat, wobei hier im Ergebnis dahinstehen kann, ob diese MdE sechs Monate oder neun Monate nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 02.01.2003 bestanden hat. Entsprechende Zahlungsansprüche des Klägers sind auf jeden Fall verjährt.
28Gemäß § 45 Abs. 1 SGB-I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind. Eventuelle Ansprüche aus dem Jahre 2003 sind damit spätestens seit Anfang 2008 verjährt. Einen Antrag auf "Überprüfung" hat der Kläger erst im März 2011 gestellt. Bis dahin hat für die Beklagte auch keine Veranlassung bestanden, eine solche Überprüfung von Amts wegen ins Auge zu fassen. Sämtliche bis dahin vorliegenden ärztlichen Äußerungen gingen dahin, dass eine MdE im rentenberechtigenden Grad über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus gerade nicht vorliegt.
29Nach 2003 besteht keine MdE von wenigstens 20 % mehr.
30Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem vom Gericht von Amts wegen eingeholten Gutachten des Handchirurgen Dr..
31Darin hat der Sachverständige hauptsächlich ausgeführt, als Folgen des Unfalls lägen noch narbige Veränderungen an den dreigliedrigen Fingern der linken Hand, eine Verplumpung der Mittelgelenke des Mittel- und Ringfingers der linken Hand, eine Amputation des linken Kleinfingerendgliedes, eine leichte Behinderung der Streckung und Beugung der dreigliedrigen Finger der linken Hand, ein Teil der Kraftminderung sowie radiologische Veränderungen vor. Von einer MdE von 20 % könne unter Berücksichtigung einer notwendigen Phase der Anpassung und Gewöhnung für die Dauer von sechs Monaten ausgegangen werden. Danach werde die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 10 % eingeschätzt. Es sei kein Funktionsverlust erkennbar, der auch nur annähernd mit einem Teilverlust des Mittel-, Ring- und Kleinfingers in Höhe der Mittelgelenke vergleichbar wäre. Hingewiesen hat Dr. auch noch darauf, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen den aktiven Bewegungsausschlägen und den bei der geführten Bewegungsprüfung gefundenen Bewegungsausschlägen vorlag.
32Die Kammer hat keine Bedenken, den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Dr. zu folgen. Als erfahrener Gutachter verfügt er über die Kenntnisse und Fähigkeiten, den Gesundheitszustand eines Klägers und den Zusammenhang der festgestellten Leiden mit dem geltend gemachten Unfallereignis zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass Gesundheitsstörungen übersehen oder fehlerhaft bewertet worden wären, lässt das Gutachten nicht erkennen. Es ist aufgrund eingehender Untersuchung und unter Berücksichtigung der übrigen vorliegenden medizinischen Unterlagen erstattet worden. Die Einschätzung der MdE entspricht zudem den im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Bewertungskriterien. Danach ist eine MdE von 20 % etwa gerechtfertigt bei einem Teilverlust des Mittel-, Ring- und Kleinfingers in Höhe der Mittelgelenke (vergl. Schönberger-Mehrtens-Valentin , Arbeitsunfall und Berufskrankheit , 8.Auflage , S. 569). Mit einem solchen Verletzungsmuster und der damit einhergehenden Funktionseinschränkungen ist die Situation beim Kläger jedoch nicht vergleichbar, worauf Dr. ausdrücklich hingewiesen hat.
33Schließlich hat die vom Gericht durchgeführte Beweiserhebung im Wesentlichen das gleiche Ergebnis erbracht wie die von der Beklagten veranlasste Begutachtung. Diese Übereinstimmung spricht ebenfalls dafür, dass die Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen zutreffend sind.
34Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 21.04.2015 noch eine fachärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. vom 03.02.2015 vorgelegt und die Einholung eines "unabhängiges Obergutachten in einer handchirurgischem Spezialeinrichtung" beantragt hat, ist dies unerheblich.
35Zum einen ist der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. gerade spezialisiert auf handchirurgische Begutachtungen. Der Bericht von Dr. ist auch nicht geeignet, das ausführliche und nachvollziehbare Gutachten zu widerlegen. Eine Einschätzung der MdE und eine Begründung dieser Bewertung hat Dr. in seiner Bescheinigung gerade nicht abgegeben. Wenn es heißt, es sei eine komplexe Behinderung der linken Hand zurückgeblieben, ist dies nicht konkret und schon deshalb nicht verwertbar.
36Es bleibt demnach dabei, dass die unfallbedingte MdE ab 2003 mit lediglich 10 % zu bewerten ist.
37Eine Erhöhung der MdE nach § 56 Abs.2 Satz 3 SGB-VII wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit kommt hier nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die Versicherte dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere spezielle berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können. Nach Maßgabe der Rechtsprechung liegen die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile nur dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde. Selbst wenn ein Verletzter seinen erlernten Beruf infolge des Versicherungsfalls nicht mehr ausüben kann, muss dies daher nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der MdE führen (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 2 U 3/08 R - www.Sozialgerichtsbarkeit.de).
38Bei einem Arbeiter einer städtischen Gärtnerei ist nicht davon auszugehen, dass die ausgeübte Tätigkeit so spezielle Fähigkeiten voraussetzt, dass in Abweichung von dem im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung ausnahmsweise bei der MdE-Bewertung auf die berufliche Tätigkeit abzustellen wäre. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger in so besonderem Maße von den üblichen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen abgehoben wäre, dass deshalb das unfallbedingte Ausscheiden aus dem ausgeübten Beruf zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde.
39Die Klage konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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