Urteil vom Sozialgericht Mainz (14. Kammer) - S 14 P 66/14

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über den Beitragszuschlag für Kinderlose als Bestandteil des Beitrags zur Pflegeversicherung.

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Er wohnte in den Jahren 1996 bis 2013 mit seiner Lebensgefährtin und deren leiblichen Kindern, geboren 1991 und 1994, zusammen. Die Kinder haben ein Elternverhältnis zu dem Kläger aufgebaut. Der Kläger hat die Erziehung und den Unterhalt der Kinder mitbestritten.

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Der Kläger war bei der Beklagten von 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2011 gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Sein Arbeitgeber, die Fa. S. H. P. GmbH führte für ihn in diesem Zeitraum den für Kinderlose im Vergleich zu Elternteilen um 0,25 Prozent erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung ab.

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Am 4. Februar 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zurückzahlung des geleisteten Beitragszuschlags für Kinderlose für die Jahre 2006 bis 2011, da Kinder seiner Lebensgefährtin in seinem Haushalt gelebt hätten. Dies sei der Beklagten und dem Arbeitgeber bekannt gewesen.

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Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. Februar 2014 ab. Eine rückwirkende Geltendmachung sei nicht vorgesehen. Dem Arbeitgeber seien keine Nachweise eingereicht worden. Nach Einreichung von Nachweisen beim Arbeitgeber, werde zuerst dieser entscheiden und sodann ggf. die Krankenkasse die Entscheidung überprüfen.

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Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 25. April 2014. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass in seinem Haushalt Kinder der Lebensgefährtin gewohnt hätten.

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Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2014 ab.

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Hiergegen richtet sich die Klage vom 1. September 2014. Der Kläger vertiefte im Klageverfahren seinen Vortrag. Er rügt, dass die Beklagte ihn nie darauf hingewiesen habe, dass ein Beitrag für Kinderlose zu zahlen sei.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid vom 26. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Juli 2014 aufzuheben, den Nachweis seiner seine Elterneigenschaft anzuerkennen und die Beklagte zu verurteilen, den im Zeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2011 vom Arbeitgeber des Klägers an die Beklagte abgeführten Beitragszuschlag für Kinderlose zu erstatten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte verwies auf ihren Widerspruchsbescheid.

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Das Gericht hat den Kläger schriftlich darauf hingewiesen, dass der Beitrag für Kinderlose solange zu zahlen ist, bis er in geeigneter Form gegenüber der beitragsabführenden Stelle nachgewiesen ist. Er fällt in dem Monat weg, der auf den Monat des Nachweises folgt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der Kläger war im streitentscheidenden Zeitraum verpflichtet, den nicht reduzierten Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung zu bezahlen.

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Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI (eingefügt durch Art 1 Kinderberücksichtigungsgesetz vom 15.12.2004, BGBl I S 3448) erhöhte sich ab 1.1.2005 der nach § 55 Abs. 1 SGB XI geltende Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung um 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Dies gilt individuell mit dem Ablauf des Monats, in dem das Mitglied das 23. Lebensjahr vollendet hat Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen allein die Versicherten (§ 58 Abs. 1 Satz 3, § 59 Abs. 5 SGB XI).

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Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI zahlen vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte Wehr- und Zivildienstleistende und Beziehern von Arbeitslosengeld II den Beitrag nicht. Kein Beitragszuschlag ist gemäß § 55 Abs. 3 Satz 2 SGB XI von Versicherten zu zahlen, die ihre Elterneigenschaft nachgewiesen haben.

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Die Elterneigenschaft ist in geeigneter Form gegenüber der beitragsabführenden Stelle, von Selbstzahlern gegenüber der Pflegekasse, nachzuweisen, sofern diesen die Elterneigenschaft nicht bereits aus anderen Gründen bekannt ist. Bei Neugeborenen wirkt der Nachweis bis zu drei Monate nach der Geburt zurück. In allen übrigen Fällen gilt der Nachweis ab dem Monat, der auf den Monat des Nachweises folgt.

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Die Elterneigenschaft knüpft an die in § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB I geregelten Formen an. Hierzu gehören neben leiblichen Eltern auch Stief- und Pflegeeltern.

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Der Begriff der Stiefelternschaft ist gesetzlich nicht definiert. Die Literatur und Gerichte gehen bislang überwiegend davon aus, dass Stiefelternteil der selbst biologisch betrachtet kinderlose Ehegatte eines Elternteils, dessen Kinder im gemeinsamen Haushalt leben, ist (Seewald, in: Kasseler Kommentar, SGB I § 56 Rn. 12; LSG BB v 23. 1. 2008 – L 16 R 1055/07, BSG v 21. 10. 1998 – B 9 VG 1/97 R; BVerfG v 10. 12. 2004 – 1 BvR 2320/98). Dies entspricht dem herkömmlichen Rechtsverständnis des Begriffs der Stiefelternschaft.

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Es muss jedoch festgestellt werden, dass die Bundesregierung und die Landesregierungen in der Familienberichterstattung und die Forschung einen erweiterten Stiefelternbegriff anwenden, wonach auch bei nichtverheirateten Paaren, in deren Haushalt die biologischen Kinder eines Teils aufwachsen, der andere Teil Stiefelternteil sein kann (pars per toto: Bundesregierung, Familienreport 2012, S. 20 „Drei Viertel der Partner in Stief- und Patchworkfamilien sind verheiratet.“; Deutsches Jugendinstitut, Projekt Stieffamilien in Deutschland: „Stieffamilien bilden heute hochkomplexe Familienkonstellationen mit höchst unterschiedlichen Strukturen, an denen meist mehrere Haushalte beteiligt sind (Alltags- und Wochenendfamilien). Empirisch bedeutsam sind drei Typen von Alltagsfamilien: Verheiratete Stiefvaterfamilien mit bzw. ohne gemeinsame leibliche Kinder sowie nichteheliche Stiefvaterfamilien ohne gemeinsame leibliche Kinder.“).

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Diese gesellschaftliche Entwicklung hat bislang, soweit ersichtlich, allein das Sozialgericht Kassel (SG Kassel, Urteil vom 26. 3. 2008 – S 7 R 578/05) nachvollzogen. Es verlangt im Verhältnis der Partner eine auf Dauer angelegte Partnerschaft getragen von gegenseitigem Einstandswillen, das schließt im Verhältnis zu den nicht eigenen Kindern auch Unterhaltsleistung sowie den Nachweis, umfassender, tatsächlicher Erziehung voraus. Diese Voraussetzungen stellen ein deutliches Mehr als das Zusammenleben mit Kindern dar. Das Sozialgericht Mainz hat bislang noch nicht entschieden, ob es sich der Auffassung des Sozialgerichts Kassel anschließt. Im vorliegenden Fall muss es dies auch nicht entscheiden, da der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum gegenüber dem Arbeitgeber als beitragsabführende Stelle seine Elterneigenschaft nicht schriftlich nachgewiesen hat. Erst auf dieser Basis hätte dann zunächst der Arbeitgeber und dann im Nachgang ggf. die Krankenkasse eine Prüfung vornehmen und über die Elterneigenschaft entscheiden müssen. Der Arbeitgeber konnte und musste nicht wissen, ob der Kläger Elternteil ist. Anders als der Kläger annimmt, reicht dafür nicht aus, dass der Arbeitgeber weiß, dass in seinem Haushalt Kinder lebten. Würde das Gericht der herkömmlichen Auffassung folgen, ergibt sich dies aus der nichteingegangenen Ehe. Würde das Gericht dem Sozialgericht Kassel folgen, hätte der Kläger zumindest darlegen und nachweisen müssen, dass Kinder in seinem Haushalt leben, er mit der Mutter dieser Kinder eine auf Dauer angelegte und von gegenseitigem Einstandswillen getragene Partnerschaft lebt, er den Unterhalt der Kinder und tatsächliche Erziehung mitleistet und ggf. dass ein Vater-Kind-Verhältnis entstanden ist.

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Die Klage war daher abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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