Gerichtsbescheid vom Sozialgericht Mainz (14. Kammer) - S 14 AS 409/15

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts, mit dem eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Kläger ersetzt wird.

2

Der Kläger steht im laufenden Leistungsbezug beim Beklagten.

3

Eine Eingliederungsvereinbarung war zum 19, November 2014 abgelaufen. Bei einem Gespräch mit dem Beklagten am 9. Januar 2015 erhielt der Kläger den Entwurf einer beklagtenseits bereits unterzeichneten Eingliederungsvereinbarung mit nach Hause. Er wollte hierzu Vorschläge unterbreiten. Er wurde gebeten, sie bis zum 23. Januar 2015 unterschrieben zurückzusenden. Der Kläger unterbreitete dem Beklagten mit Schreiben vom 12. Januar 2015 Vorschläge zur Änderung der Eingliederungsvereinbarung. Im Einzelnen handelt es sich um

4

Unterbreitung von ausschließlich passgenauen Vermittlungsvorschlägen,

5

Erhöhung der Kostenpauschale für schriftliche Bewerbungen von 2,50 Euro auf 5 Euro und Einführung einer Pauschale für online-Bewerbungen in Höhe von 1 Euro,

6

Ein Zustimmungsrecht des Klägers zu Maßnahmen zur Aktivierung und Eingliederung.

7

Streichung von Anpassungsklauseln (Abs. 7 und 8).

8

Der Kläger stimmte den für ihn vorgesehenen Bemühungen ausdrücklich zu.

9

Der Kläger beendete sein Schreiben mit der Bitte, seine Vorschläge zu prüfen und vollständig und unverändert zu übernehmen. Falls der Beklagte wider Erwarten sein Ersuchen ablehnen sollte, erwarte er umgehend, das heiße spätestens bis zum 31. Januar 2015 die Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt.

10

Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 28. Januar 2015 mit, dass er nicht allen Vorschlägen des Klägers habe folgen können. Er könne nicht zusagen, ausschließlich passgenaue Vermittlungsvorschläge zu machen, da ihm gemäß § 10 SGB II jede Arbeit zumutbar sei. Die Kostenpauschale für Bewerbungen könne er nicht hochsetzen, da es hierzu eine Weisung gäbe. Im Einzelfall könne er bei Nachweis höhere Kosten erstatten. Die Absätze 7 und 8 könnten wegen einer Vorgabe der Bundesagentur nicht gestrichen werden. Im Verwaltungsakt entfielen diese jedoch. Er erließ am 28. Januar 2015 einen Verwaltungsakt, mit dem er die Eingliederungsvereinbarung mit dem Kläger im Wortlaut der Vereinbarung vom 9. Januar 2015 ersetzte. Der Verwaltungsakt war bis zum 27. Juli 2015 befristet. Im Vergleich zum Text des Entwurfs der Eingliederungsvereinbarung ergänzte der Beklagte, „passgenaue“ Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, bei Nachweis höhere Bewerbungskosten zu erstatten. Unter den Eigenbemühungen ergänzte er eine Passage zur Zumutbarkeit der anzunehmenden Arbeit und zu Eigenbemühungen.

11

Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 3. Februar 2015.

12

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

13

Der Kläger hat an 6. Mai 2015 Klage erhoben. Er verweist umfangreich auf Rechtsprechung. Im Wesentlichen ist er nicht damit einverstanden, dass nicht weiterverhandelt wurde und der Text der Eingliederungsvereinbarung geändert wurde. Die Finanzierung der Bewerbungsbemühungen werde sehr unterschiedlich bei verschiedenen Jobcentern gehandhabt. Er fühlt sich durch die Absätze 7 und 8 einseitig benachteiligt. Er findet es nicht richtig, dass sein Vorschlag zum Einverständnis bei Maßnahmen zur Aktivierung und Eingliederung ignoriert wurde.

14

Der Kläger beantragt sinngemäß,

15

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 2015 rechtswidrig war und diesen aufzuheben.

16

Der Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er bezieht sich auf den Inhalt der Verwaltungsakte und seines Widerspruchsbescheids.

19

Das Gericht hat die Beteiligten am 4. August 2015 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Beide Beteiligten waren hiermit einverstanden.

20

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

21

Die Kammer entscheidet nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

22

Die Klage ist als Anfechtungsklage zwischenzeitlich unzulässig geworden, da der Verwaltungsakt mit Ablauf des 27. Juli 2015 seine Gültigkeit verloren hat. Wirkungen können von ihm nicht mehr ausgehen. Das Gericht legt das Klagebegehren des Klägers jedoch als Fortsetzungsfeststellungsklage aus, zumal die Ersetzung von Eingliederungsvereinbarungen mit dem Kläger durch den Beklagten wiederholt erfolgt ist. Das Gericht bejaht das Feststellungsinteresse in Form einer „Wiederholungsgefahr“.

23

Die so ausgelegte Klage ist unbegründet. Das Gericht hat festzustellen, dass der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig war und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzte.

24

Gemäß § 15 Abs.1 Satz 6 SGB II sollen die grundsätzlich in einer Eingliederungsvereinbarung zu treffenden Regelungen nach § 15 Abs.1 Satz 2 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Die Berechtigung, einen Eingliederungsverwaltungsakt zu erlassen, besteht erst, wenn zuvor Verhandlungen zumindest angeboten oder – wenn der Leistungsberechtigte verhandlungsbereit ist – ohne Ergebnis geführt worden sind. Ist der Leistungsberechtigte verhandlungsbereit und macht selbst Vorschläge sind diese Vorschläge mit dem Ziel einer Einigung zu besprechen. Ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt ohne jede vorausgehende Verhandlung ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 15, Rn. 142). Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn beide Seiten verhandlungsbereit sind. Fordert der Leistungsbezieher den Träger von Grundsicherungsleistungen ultimativ dazu auf, entweder alle Vorschläge zu übernehmen oder bis zu einer bestimmten Frist die Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt zu ersetzen, liegt keine Verhandlungsbereitschaft auf Seiten des Leistungsbeziehers vor. In diesem Fall darf der Grundsicherungsträger den Verwaltungsakt erlassen. Es entspricht der gesetzlich gewollten dialogischen Form, dass er prüft, darstellt und umsetzt, inwieweit er den Vorschlägen des Leistungsbeziehers folgen konnte. Dabei darf er keine Regelungen treffen, die nicht bereits im Entwurf der Eingliederungsvereinbarung enthalten waren oder die sich nicht auf die (deklaratorische) Wiedergabe gesetzlicher Regelungen beschränken. Eine „Revanche“ des Grundsicherungsträgers für mangelnde Abschlussbereitschaft ist unzulässig.

25

Nach diesem Maßstab war der streitgegenständliche Bescheid nicht zu beanstanden. Der Kläger hat dem Beklagten ein verhandlungsschädliches Ultimatum gesetzt und ihn aufgefordert, im Falle, dass er nicht alle Vorschläge übernimmt, die Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt zu ersetzen. Der Beklagte ist, soweit es ihm möglich war auf die Wünsche des Klägers eingegangen und hat es ihm auch mitgeteilt. Die Aufnahme einer neuen Passage in den Eigenbemühungen ist nicht zu beanstanden, da diese lediglich den Regelungsgehalt von § 10 SGB II zusammenfasst, der für den Kläger und die Beklagte ohnehin gilt.

26

Das Gericht hat die Inhalte der Eingliederungsvereinbarung geprüft und hat keine Bedenken.

27

Es ist zutreffend, dass der Beklagte nicht durch Eingliederungsvereinbarung gesetzliche Normen abändern kann. Er darf sich wegen § 10 SGB II nicht auf die „passgenaue Vermittlung“ beschränken, ist dem Kläger aber durch Einräumung eines Vorrangs passgenauer Vermittlung entgegen gekommen.

28

Das Gericht hält die Anforderung an den Kläger, in drei Monaten mindestens 10 Eigenbewerbungen vorzunehmen und nachzuweisen für moderat. Das Gericht geht davon aus, dass dies der Kläger ohnehin im eigenen Interesse vornimmt. Die Bewerbungen erfolgen ja nicht dem Kläger zuliebe sondern im Eigeninteresse des Klägers.

29

Soweit der Kläger darauf hinweist, dass diese Bemühungen ausreichend finanziert sein müssen, stellt das Gericht fest, dass dies zutreffend ist. Daraus folgt aber nicht, dass das Gericht hier einen Pauschalbetrag festlegen kann. Das Gericht hat im Hinblick auf die Honorierung von Bewerbungsbemühungen aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 SGB II zu beachten, dass hier ein weites, pflichtgemäßes Ermessen des Beklagten als eigenständiges Jobcenter besteht. Aus der Festlegung anderer Jobcenter folgt für die Beklagte zunächst nichts. Das Gericht hat im Fall des hier allein zu beurteilenden Verwaltungsaktes keinen Anlass, die Pauschale in Höhe von 2,50 Euro ausschließlich für schriftliche Bewerbungen zu beanstanden. Bei schriftlichen Bewerbungen können über die gewährte Pauschale von 2,50 Euro hinaus zwar weitere Kosten entstehen. Der Verwaltungsakt ermöglicht aber, die tatsächlichen Kosten abgerechnet werden, was ein Verhandlungserfolg des Klägers darstellt und gegen die Unterfinanzierung von Bewerbungsbemühungen spricht. Online-Bewerbungen verursachen aus eigener Erfahrung des Gerichts keine besonderen Kosten. Sie müssen daher auch nicht abrechnungsfähig sein.

30

Die vom Kläger angegriffenen Absätze 7 und 8 sind nicht Teil des Verwaltungsakts.

31

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen