Urteil vom Sozialgericht Mainz (14. Kammer) - S 14 KR 329/14
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Sachleistung in Form einer Magenbypass-Operation als genehmigt gilt.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Übernahme einer Magenbypass-Operation bei Adipositas.
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Die Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit versichert. Sie leidet seit der Pubertät an starkem Übergewicht. Sie ist 1,61 Meter hoch und wiegt rund 124 (BMI rund 48). Nach eigenen Angaben haben Diäten und sportliche Betätigung nicht zu einer Gewichtsreduktion geführt.
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Mit Schreiben vom 16. Juli 2014 (eingegangen am 21: Juli 2014) beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme einer Magenbypass-Operation im Krankenhaus S. (F). Beigefügt war ein Attest des Krankenhauses (Prof. Dr. W.), der die medizinische Notwendigkeit beschreibt und um Kostenzusage auf Grundlage der DRG K04A bittet. Weiterhin wird das Attest des Hausarztes Dr. G (R.).
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Die Beklagte reagierte auf den Antrag erstmals am 11. August 2014 mit einem Schreiben, in dem um das Einreichen beigefügter Fragebögen gebeten wurde. Man werde dann die Untersuchung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung veranlassen.
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Am 20. August 2014 erhob die Klägerin Klage mit dem Ziel, dass der Eintritt der Genehmigungsfiktion für die begehrte Leistung festgestellt wird. Sie reicht verschiedene ärztliche Atteste ein. Das Verwaltungsverfahren sei durch die Genehmigungsfiktion erledigt.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer adipositaschirurgischen Operation im Form des Magenbypass als Sachleistung vom 16. Juli 2014 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten. Die Beklagte habe der Klägerin mitgeteilt, dass vor Begutachtung durch den MDK weitere Unterlagen notwendig seien. Sie habe zwar keinen ausdrücklichen Hinweis beigefügt, dass aufgrund dessen die 5-Wochen-Frist nicht einzuhalten sei. Diese rein am Wortlaut orientierte Auslegung verkenne Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Klägerin habe die von ihr angeforderten Unterlagen trotz Mahnung am 13. Oktober 2014 nicht eingereicht. Sie werde nun eine Begutachtung beim MDK veranlassen. Die Klage gehe ins Leere, da die Klägerin lediglich Leistung oder Kostenerstattung erlangen könne. § 13 Abs. 3a SGB V sei auf Kostenerstattung gerichtet. Dies ergäbe sich aus der Systematik des § 13 SGB V, der die Kostenerstattung betreffe. Die Norm bewirke nach Selbstbeschaffung eine Kostenerstattung, sofern die Leistung medizinisch notwendig war. Die Klägerin habe sich die Leistung noch nicht beschafft. Die Genehmigungsfiktion trete nur ein, wenn eine im System der Gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich geschuldete Leistung beantragt werde. Nicht zustehende Leistungen sollten nicht fiktiv bewilligt werden können. Der Rechtsweg für eine risikofreie Vorabfeststellung, ob eine Kostenerstattung zu erfolgen hat, sei nicht eröffnet.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K. (U.B.), das dieser am 21. Oktober 2015 vorlegte. Dieser teilte mit, es bestünden bei der Klägerin eine Insulinresistenz, aus der sich ein Diabetes mellitus entwickeln könne und erhöhte Leberfettwerte, vermutlich als Folge einer Fettleber. Ein operativer Eingriff sei ab einem BMI von 40 zu empfehlen. Dies sei aber nur dann zu empfehlen, wenn konservative multimodale Therapieversuche durch ein versiertes Beratungsteam über mindestens 6 bis 12 Monate erfolglos geblieben seien. Erst dann sei die Operation Kassenleistung. Die Operation habe als Nebenwirkung eine Resorptionsstörung. Diese mache die Nahrungsergänzung für Vitamine und Calcium, evt. Eisen notwendig. Eine medizinische Betreuung sei lebenslang notwendig. Eine massive Gewichtsreduktion führe zu einem Hautüberschuss; zu Ausmaß und Rückbildung könne er nichts sagen. Bei der Klägerin sei ein Erfolg bei einer konservativen multimodalen Therapie zu erwarten, da sie in den letzten 3 Monaten ihr Gewicht um 3 bis 4 kg reduziert habe.
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Die Beklagte sah sich durch das Gutachten bestätigt. Die Klägerin teilte mit, die Beweisfragen seien nicht in Bezug auf die konkrete Krankheitsgeschichte und das konkrete Krankheitsbild der Klägerin beantwortet worden. Auf den Themenkomplex der Primären Indikation bei einem BMI von über 50 Punkten sei der Sachverständige nicht eingegangen.
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In einer ergänzenden Stellungnahme vom 12. Januar 2016 teilt der Sachverständige mit, die Klägerin habe einen BMI von 48. Es bestehe seinerseits unverändert die Empfehlung für eine multimodale konservative Therapie.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die erhobene Feststellungsklage ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Denn die Klägerin hat insbesondere ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die begehrte Behandlung als genehmigt gilt. Ein Interesse ist berechtigt, wenn es nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigt ist; es kann rechtlicher oder als schutzwürdig anzuerkennender tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher oder ideeller Art sein (Scholz in Roos/Wahrendorf Sozialgerichtsgesetz, § 55 Rn 21). Die Klägerin hat ein solches Feststellungsinteresse, weil mit der gerichtlichen rechtskräftigen Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion die Klägerin ohne Kostenrisiko sich die begehrten Leistungen selbst beschaffen und Kostenerstattung gegenüber der Beklagten geltend machen kann (ebenso: SG Koblenz, Urteil vom 23. März 2015 - S 13 KR 977/14 - juris Rn. 20). Ohne gerichtliche rechtskräftige Feststellung der Genehmigungsfiktion trägt sie im Hinblick auf die grundsätzliche Einhaltung des Beschaffungsweges (vgl. § 13 SGB V) das Risiko, die Kosten für die Maßnahme selbst tragen zu müssen.
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Die Klage ist auch begründet. Das zur Feststellung begehrte öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis besteht. Nach Ablauf des 25. August 2014 erging gemäß § 13 Abs. 3a SGB V fiktiv ein Verwaltungsakt der Beklagten, wonach die beantragte Magenbypass-Operation genehmigt ist.
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Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis ist jede durch öffentlich-rechtliche Norm, durch öffentlich-rechtlichen Vertrag oder Verwaltungsakt begründete rechtliche Beziehung zwischen zwei Rechtssubjekten oder einem Rechtssubjekt und einer Sache. Feststellungsfähig sind dabei sowohl das Rechtsverhältnis als solches, als auch einzelne Rechte oder Pflichten.
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Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
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Nach dem klaren Wortlaut von § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist Rechtsfolge die Genehmigung der beantragten Leistung. Eine andere Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut ist aus Sicht der erkennenden Kammer nicht möglich (ebenso: Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 17. Juni 2015 - L 2 KR 180/14 - juris Rn. 21). Weitere Voraussetzungen, insbesondere ob die begehrte Leistung medizinisch zwingend notwendig oder wirtschaftlich sinnvoll ist, enthält die Norm nicht (vgl. zutreffend: SG Koblenz, Urteil vom 23. März 2015 - S 13 KR 977/14 - juris Rn. 25, juris). Würde man § 13 Abs. 3a SGB V als Genehmigungsfiktion unter Vorbehalt verstehen, so hätte das Gesetz letztlich nicht die von dem Patientenrechtsgesetz verfolgte Stärkung der Patientenrechte zur Folge (vertiefend: SG Koblenz, Urteil vom 23. März 2015 - S 13 KR 977/14 - juris Rn. 33). Die fiktive erteilte Genehmigung ergeht als bestandskräftiger, begünstigender Verwaltungsakt und hat den Inhalt des Antrags; im Falle der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung ist der Verwaltungsakt zu vollziehen solange er nicht von der Beklagten aufgehoben wird (ebenso: SG Speyer, Urteil vom 9. Juli 2015 - S 17 KR 327/14 - juris Rn. 36, mutmaßlich auch: Bundessozialgericht, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 25/15 R, laut Medieninformation des BSG Nr. 6/16). Das Bundessozialgericht verlangt mutmaßlich weiterhin, dass die begehrte Leistung nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 25/15 R, laut Medieninformation des BSG Nr. 6/16).
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Nach diesem Maßstab ist das Rechtsverhältnis in Form eines Verwaltungsaktes festzustellen.
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Die Magenbypass-Operation ist grundsätzlich Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung; sie wird von ihr für medizinisch erforderliche Fälle erbracht. Laut Mitteilung der Beklagten ging der Antrag der Klägerin auf Bewilligung einer Magenbypass-Operation bei ihr am 21. Juli 2014 ein. Der Antrag, der dem Wortlaut nach auf „Kostenerstattung" gerichtet ist, ist umgangssprachlich als Antrag auf Bewilligung der Sachleistung auszulegen. Maßgeblich für die Bewilligung durch die Beklagte war die Dreiwochen und nicht die Fünfwochenfrist. Die Beklagte war zwar gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zur Einholung eines Gutachten des Medizinischen Dienstes verpflichtet, da es sich bei der Magenbypass-Operation um eine Leistung in Form eines Eingriffes in ein gesundes Organ, die grundsätzlich nicht ohne weiteres allgemein als Leistung der Krankenversicherung gewährt wird, handelt. Sie hat dieses aber nicht eingeholt, was Voraussetzung für die Fünfwochenfrist ist. Die Frist war auch nicht suspendiert. Sie hat zwar mitgeteilt, dass der Medizinische Dienst einzuschalten ist. Eine Mitteilung, dass deswegen die Frist nicht eingehalten wird, hat sie unterlassen. Die übersandten se Fragebögen waren keine Voraussetzung für die Einschaltung des Medizinischen Dienstes. Dies räumt die Beklagte schriftsätzlich selbst ein, wenn sie im Verfahren die Einschaltung des MDK ankündigte, obwohl die Fragebögen nicht zurückgesandt wurden. Die Erhebung hätte auch im Termin beim MDK stattfinden können. Die erforderliche Information ist keine Förmelei sondern gesetzliches Tatbestandsmerkmal, das die Beklagte in Kenntnis des Gesetzeswortlauts nicht erfüllt hat.
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Der somit nach Ablauf von drei Wochen seit Antragseingang fiktiv erlassene Verwaltungsakt ist ein feststellbares öffentlich-rechtliches Verhältnis.
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Ob die Klägerin die Leistung auch bei der noch nicht erfolgten Beschaffung für erforderlich halten darf (Bundessozialgericht, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 25/15 R, laut Medieninformation des BSG Nr. 6/16), spielt für die Feststellung keine Rolle.
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Die Klage hatte daher Erfolg.
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Referenzen
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- § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V 2x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
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