Urteil vom Sozialgericht Mainz (12. Kammer) - S 12 KR 112/16
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Antrag des Klägers vom 29.12.2015 auf Gewährung einer bariatrischen Schlauchmagenoperation als Sachleistung gemäß § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V als genehmigt gilt.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
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In Streit steht, ob die Rechtswirkungen der Genehmigungsfiktion eingetreten sind.
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Unter Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 11.12.2015 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 28.12.2015 bei der Beklagten eine Operation zur Herstellung eines sog. Schlauchmagens bei Adipositas. Dieses wurde mit Einschreiben mit Rückschein versandt und ging der Beklagten am 29.12.2015 zu.
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Mit Schreiben vom 05.01.2016 bat die Beklagte den Kläger um die Vorlage weiterer Unterlagen zu bisher durchgeführten Operationen der Adipositas Chirurgie. Der Kläger teilte die gewünschten Informationen per E-Mail am Folgetag mit. Sodann legte die Beklagte den Sachverhalt dem MDK zur Überprüfung vor und teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 08.01.2016 mit. Nachdem der MDK unter dem 29.01.2016 eine Stellungnahme abgeben hatte, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 02.02.2016 ab. Dieser Bescheid wurde mit einfacher Post versandt und ging dem Kläger nach eignen Angaben am 04.02.2016 zu. Der Kläger legte hiergegen am 07.03.2016 Widerspruch ein und erhob am 17.03.2016 vor dem Sozialgericht Mainz Klage auf Feststellung des Eintretens der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
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Er trägt vor, die Beklagte habe die in dieser Vorschrift eingeräumte Entscheidungsfrist von 5 Wochen nicht eingehalten und auch keine entsprechende Mitteilung an den Kläger nach § 13 Abs.3a Satz 5 SGB V gemacht. Die Genehmigungsfiktion sei damit eingetreten, das Antragsverfahren beendet.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass der Antrag des Klägers auf Gewährung einer bariatrischen Operation (Schlauchmagen) als Sachleistung vom 30.12.2015 gemäß V § 13 Absatz 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung fest. Ein Anspruch auf Sachleistung bestehe nicht, da es sich nicht um eine Leistung handele, welche generell als Sachleistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zur Verfügung stehe. Die Durchführung der Adipositas Chirurgie sei komme nur als Ultima Ratio in Betracht und auch nur, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt seien.
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Zudem sei auch die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten. Die Voraussetzungen seien nicht erfüllt. In Bezug auf die durch den Gesetzgeber angeordnete Frist komme es zur Fristberechnung nicht auf den Zugang bei dem Versicherten an, sondern vielmehr auf den Zeitpunkt der Entscheidung. Sie verweist zur Begründung auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts München vom 25.04.2016 (L 5 KR 121/16 B ER). Hier sei die Entscheidung intern am 02.02.2017 und damit noch innerhalb der 5 Wochen Frist getroffen worden. Die Frist solle der Krankenkasse vollumfänglich zur Entscheidung zur Verfügung stehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die erhobene Feststellungsklage ist gemäß § 55 Absatz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.
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Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die begehrte Behandlung als genehmigt gilt, liegt vor. Ein Interesse ist berechtigt, wenn es nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigt ist; es kann rechtlicher oder als schutzwürdig anzuerkennender tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher oder ideeller Art sein (Scholz in Roos/Wahrendorf Sozialgerichtsgesetz, § 55 Rn. 21). Der Kläger hat ein solches Feststellungsinteresse, weil mit der gerichtlichen rechtskräftigen Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion der Kläger ohne Kostenrisiko sich die begehrten Leistungen selbst beschaffen und Kostenerstattung gegenüber der Beklagten geltend machen kann (ebenso: SG Koblenz, Urteil vom 23. März 2015 S 13 KR 977/14 - juris Rn. 20). Ohne gerichtliche rechtskräftige Feststellung der Genehmigungsfiktion trägt der Kläger im Hinblick auf die grundsätzliche Einhaltung des Beschaffungsweges das Risiko, die Kosten für die Maßnahme selbst tragen zu müssen.
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Die Klage ist auch begründet.
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Nach Fristablauf erging gemäß § 13 Absatz 3a SGB V fiktiv ein Verwaltungsakt der Beklagten, so dass das festzustellende Rechtsverhältnis besteht. Die beantragte barbarische Schlauchmagenoperation ist genehmigt.
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Nach § 13 Absatz 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
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Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der hier angesichts der Beteiligung des MDK einschlägigen gesetzlichen Frist von fünf Wochen (§ 13 Abs 3a S 1, 2 Alt. SGB V), ohne dem Kläger Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen. Der Antrag ging am 29.12.2015, einem Dienstag, bei der Beklagten ein. Die Frist endete mithin am Dienstag den 02.02.2016 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2, 193 BGB). Die Entscheidung der Beklagten wurde erst am 04.02.2016 und damit nach Fristablauf bekannt gegeben. Die Entscheidung ging damit ins Leere.
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Entgegen der Einschätzung der Beklagten kommt es für die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V nicht auf die interne Entscheidungsfindung der Beklagten an. Das Gesetz fordert von der Krankenkasse eine Entscheidung über einen Antrag der versicherten. Diese ergeht grundsätzlich durch Bescheid. Dieser wird grundsätzlich erst mit Bekanntgabe nach § 37 SGB X wirksam; die Bekanntgabe stellt den Abschluss des Verwaltungsverfahrens dar. Angesichts des Zweckes der Vorschrift, die Krankenkassen zu verpflichten, zügig über die Anträge der Versicherten zu entscheiden, sind die für das Antragsverfahren gesetzten Entscheidungsfristen so auszulegen, dass diese einen Abschluss des Verfahrens durch eine dem Versicherten bekannt gegebene Entscheidung verlangen. Hierbei handelt es sich auch um eine unverhältnismäßige Verlagerung des Risikos eines verzögerten Zuganges der Entscheidung, da den Kassen die Möglichkeit gegeben ist, eine rechtzeitige Meldung eines Verzögerungsgrundes abzugeben, wenn absehbar ist, dass die Entscheidung erst zum Ablauf der Frist erfolgen kann. Überdies kann das Verhalten des Antragstellers bei der Beurteilung mit berücksichtigt werden. Das Unvermögen zur rechtzeitigen Entscheidung kann hinreichend darin begründet sein, dass dieser seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachkommt; dies gilt auch dann, wenn dieser etwa den Zugang einer rechtzeitig ergangenen Entscheidung verhindert. Vorliegend ist hierfür jedoch nichts ersichtlich. Die Beklagte hat am letzten Tag der Frist entschieden und die nicht fristgerechte Bekanntgabe liegt nicht etwas darin begründet, das sich ein Risiko einer verspäteten Zustellung an den Kläger verwirklicht hätte. Dieser hat vielmehr erklärt, ihm sei das Schreiben am 04.02.2016 und damit einen Tag vor der gesetzlich fingierten 3-Tages-Frist zugegangen. Jedenfalls mit dieser 3-Tages-Frist muss die Krankenkasse rechnen.
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Nach dem klaren Wortlaut von § 13 Absatz 3a Satz 6 SGB V ist Rechtsfolge die Genehmigung der beantragten Leistung. Weitere Voraussetzungen, insbesondere ob die begehrte Leistung medizinisch zwingend notwendig oder wirtschaftlich sinnvoll ist, enthält die Norm nicht (vgl. zutreffend: SG Koblenz, Urteil vom 23. März 2015 - Az.: 13 KR 977/14 - juris Rn. 25, juris). Erfasst ist auch der Naturalleistungsanspruch; die Fiktion führt nicht lediglich zu einem Kostenerstattungsanspruch (BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15)
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In der aktuellen diesbezüglichen Rechtsprechung verlangt das Bundessozialgericht über den Wortlaut der Norm hinaus ergänzend, dass der Antrag eine Leistung betrifft, die der Versicherte für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Das BSG gesteht zu, dass die Gesetzesregelung eine solche Einschränkung für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich anordne, diese aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck angeordnet sei. Denn die Genehmigungsfiktion begründe zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspreche. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirke eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15). Angesichts des ausdrücklichen Wortlautes der Vorschrift kann diese auch bei Berücksichtigung der Erwägungen des BSG nur begrenzt eingeschränkt werden. Hohe Anforderungen an die durch das BSG geforderte „subjektive Erforderlichkeit" der Leistungen dürfen nicht gestellt werden. Nach Überzeugung der Kammer kann von dieser subjektiven Erforderlichkeit jedenfalls grundsätzlich dann ausgegangen werden, wenn der Versicherte seinen Anspruch gestützt auf eine ärztliche Verordnung oder ein ärztliches Gutachten geltend macht. Bestätigt der behandelnde Mediziner die Erforderlichkeit der beantragten Leistung, so darf der Versicherte sich in der Regel darauf stützen und die Leistung auch subjektiv für erforderlich halten. Bei ärztlicher Verordnung darf der Versicherte auch davon ausgehen, dass die Leistung nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges liegt. Hiervon mögen dann Ausnahmen gelten, wenn es sich auch dem medizinischen Laien aufdrängt, dass eine Zuständigkeit der Kasse trotz Verordnung nicht gegeben sein kann. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
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Vorliegend durfte der Kläger die Leistung angesichts der ärztlichen Empfehlung für erforderlich halten. Dem steht nicht entgegen, dass - wie die Beklagte mitteilt - eine bariatrische Operation lediglich als Ultima Ratio erbracht werde. Sie liegt nicht grundsätzlich außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkasse.
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Die Kammer weist darauf hin, dass die fiktive erteilte Genehmigung als bestandskräftiger, begünstigender Verwaltungsakt ergeht und den Inhalt des Antrags hat. Auch eine fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (BSG, Urteil vom 08.03.2016, aao). Im Falle der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung ist der Verwaltungsakt zu vollziehen solange er nicht von der Beklagten aufgehoben wird (ebenso: SG Speyer, Urteil vom 9. Juli 2015 - S 17 KR 327/14 - juris Rn. 36). Anzumerken ist hier, dass für den Fall, dass die fingierte Leistungsbewilligung den gesetzlichen Vorgaben des § 13 Abs. 3 a SGB entspricht, von einer Rechtswidrigkeit kaum anzugehen sein dürfte. Denn an den Vorgaben des § 13 Abs. 3 a SGB V ist die Rechtmäßigkeit zu messen.
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Der Klage war daher im Ergebnis stattzugeben.
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