Endurteil vom Sozialgericht Nürnberg - S 22 SO 212/20

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Der Streitwert wird auf 152.840,47 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für die Gewährung von Leistungen für eine Studienassistenz (Schriftdolmetschen) im schulischen Teil eines dualen Hochschulstudiums.

Am 09.09.2014 beantragte Frau S. beim Beklagten als örtlicher Träger der Sozialhilfe ihres Wohnortes im Rahmen der Eingliederungshilfe Schriftdolmetscherleistungen für den schulischen Teil des dualen Hochschulstudiums. Ab dem Wintersemester 2014 wolle sie unmittelbar im Anschluss an das Abitur ein Vollzeitstudium zur „Bachelorin of Arts Gesundheitsmanagement“ an einer dualen Hochschule aufnehmen. Nach den Feststellungen des Versorgungsamtes H. ist Frau S. wegen einer beidseits an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen schwerbehindert (GdB 100). Außerdem sind die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen H, RF und Gl festgestellt.

Der Beklagte leitete den Antrag am 12.09.2014 an die Klägerin weiter, weil es sich nach seiner Auffassung um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben handle. Die Klägerin lehnte den Antrag zunächst ab, bewilligte aber nach Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts B-Stadt (Beschluss vom 22.01.2015, Az. S 1 AL 294/14 ER) für sechs Semester die begehrten Leistungen.

Nach Abschluss des Studiums machte die Klägerin mit Schreiben vom 21.02.2018 beim Beklagten eine Erstattung in Höhe von insgesamt 152.840,47 EUR geltend, weil sie als zweitangegangene Rehabilitationsträgerin Leistungen bewilligt habe, für die nicht sie, sondern der Beklagte als Träger der Sozialhilfe zuständig sei. Dieser wies seine Erstattungspflicht allerdings zurück.

Am 20.11.2020 hat die Klägerin beim Sozialgericht Nürnberg Klage erhoben. Sie begehrt die Erstattung der für Frau S. bewilligten Leistungen durch den Beklagten. Assistenzleistungen im Rahmen eines dualen Hochschulstudiums seien keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX a.F., sondern der Eingliederungshilfe nach §§ 53 Abs. 3, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII a.F. i.V.m. § 13 Nr. 5 EinglHV zuzuordnen. Der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020, Aktenzeichen L 13 AL 190/18, wonach in einer solchen Konstellation eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vorliege, werde nicht gefolgt. § 54 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. regle eindeutig, dass die Eingliederungshilfe auch Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule beinhalten würde. Der erfolgreiche Abschluss des dualen Studiums sei lediglich Voraussetzung für die Erlangung eines Arbeitsplatzes, ziele aber nicht unmittelbar auf dessen Vermittlung. Würde man die Klägerin für zuständig halten, widerspräche dies dem Regelungswillen des Gesetzgebers. Für eine Zuständigkeit des Trägers der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII a.F. bliebe gar kein Anwendungsbereich mehr. Das Bundessozialgericht habe diesbezüglich bisher auch noch keine Entscheidung getroffen. Nach der internen Weisung der Klägerin zu § 117 SGB III vom 20.08.2020 komme - sofern während einer nicht durch die BA geförderten schulischen Ausbildung der isolierte Bedarf an behinderungsbedingt erforderlichen Hilfen entstehe - lediglich eine Förderung durch einen anderen Rehabilitationsträger als die Bundesagentur für Arbeit in Frage, i. d. R. durch den Träger der Eingliederungshilfe oder Träger der Jugendhilfe.

Die Klägerin beantragt,

Der Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 152.840,47 EUR an die Klägerin zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen darauf, dass die Klägerin für die Studienassistenz im dualen Hochschulstudium originär zuständig sei. Es handle sich dabei um besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, für welche die Bundesagentur für Arbeit vorrangig zur Leistung verpflichtet sei. Der Einsatz der Studienassistenz sei im vorliegenden Fall Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss des Studiums, damit anschließend eine entsprechende angemessene und geeignete berufliche Tätigkeit ausgeübt werden könne.

Das Gericht hat die Akten beider Beteiligten beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf verwiesen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Gegenstand dieses Rechtsstreites ist die Erstattungsforderung in Höhe von 152.840,47 EUR, die die Klägerin mit Schreiben vom 21.02.2018 erfolglos beim Beklagten geltend gemacht hat.

Die Klage ist zulässig, insbesondere als allgemeine Leistungsklage statthaft gem. § 54 Abs. 5 SGG (vgl. vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 41 ff.).

Die Klage ist nicht begründet, weil der Klägerin kein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zusteht. Für die Schriftdolmetscherleistungen im schulischen Teil des dualen Hochschulstudiums war im vorliegenden Fall die Bundesagentur für Arbeit zuständig.

Rechtsgrundlage für die begehrte Erstattung ist § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 23.4.2004. Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen zweitangegangenen Rehabilitationsträger (§ 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX) festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.

Gemäß § 33 SGB IX in der Fassung vom 20.12.2011 (im Folgenden: SGB IX a.F.) bzw. § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX in der Fassung vom 23.12.2016 (SGB IX n.F.) werden die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von der Bundesagentur für Arbeit erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX a.F. bzw. § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX n.F. insbesondere sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten.

Gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der Fassung vom 29.08.2013 und vom 23.12.2016 (im Folgenden: §§ 53, 54 SGB XII a.F.) sind Leistungen der Eingliederungshilfe, für die der Träger der Eingliederungshilfe zuständig ist, insbesondere Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne dieser Vorschrift umfasst nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Eingliederungshilfeverordnung in der Fassung vom 27.12.2003 (EinhV) unter anderem die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule oder einer Akademie. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen im Rahmen der Eingliederungshilfe jeweils den Rehabilitationsleistungen der Bundesagentur für Arbeit (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F.).

Die Abgrenzung dieser beiden in Betracht kommenden Leistungen hat nach Auffassung der Kammer danach zu erfolgen, ob eine endgültige Eingliederung in den Arbeitsmarkt bereits erreicht ist oder nicht. Wenn dies noch nicht der Fall ist, muss vorrangig die Bundesagentur für Arbeit leisten (so BSG, Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 20/14 R -, juris-Rn. 18). Nach bereits erfolgter beruflicher Eingliederung ist sorgsam zu prüfen, ob gleichwohl noch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen sind (vgl. Bienert, in: info also 2020, S. 210 ff.). Eine bestmögliche Ausbildung bei schon erfolgter beruflicher Eingliederung kann jedenfalls nicht als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gefördert werden. Kann eine berufliche Eingliederung jedoch nur mithilfe eines - auch dualen - Studiums erreicht werden, sind diesbezügliche Unterstützungsleistungen als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben förderungsfähig und die Bundesagentur für Arbeit kommt insoweit - anders als in ihrer internen Weisung festgestellt - durchaus als zuständiger Rehabilitationsträger in Betracht. Erst nach endgültiger Eingliederung in den Arbeitsmarkt sind die nach § 2 Abs. 1 SGB XII nachrangigen Leistungen der Eingliederungshilfe zu prüfen (BSG a.a.O.).

Frau S. hat unmittelbar im Anschluss an ihr Abitur das Hochschulstudium aufgenommen. Sie war also noch gar nicht, erst recht noch nicht endgültig beruflich eingegliedert. Demzufolge war die Klägerin zuständige Rehabilitationsträgerin für die begehrten Leistungen. Soweit die Klägerin einwendet, dass im Falle ihrer Zuständigkeit für die Leistungen nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII a.F. kein Anwendungsbereich mehr verbliebe, kann dem nicht gefolgt werden. Denn Eingliederungshilfe kommt nach der oben zitierten Rechtsprechung zumindest dann in Betracht, wenn die antragstellende Person bereits endgültig beruflich eingegliedert ist, durch ein Hochschulstudium aber dennoch das berufliche Fortkommen verbessern will. Auch der Einwand der Klägerin, dass ein duales Hochschulstudium nicht unmittelbar auf die Vermittlung eines Arbeitsplatzes gerichtet sei, ändert nichts an ihrer vorrangigen Zuständigkeit. Denn weder in § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX a.F, noch in § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX n.F. werden die Leistungen an die unmittelbare Vermittlung eines Arbeitsplatzes geknüpft. Schon nach dem Wortlaut beider Vorschriften geht es vielmehr darum, behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Frau S. wurde eine Tätigkeit als „Bachelorin of Arts Gesundheitsmanagement“ erst dadurch ermöglicht, dass sie mit Hilfe einer Studienassistenz dem schulischen Teil der Ausbildung folgen konnte. Auch wenn die Klägerin in ihrer internen Weisung zu § 117 SGB III vom 20.08.2020 die Meinung vertritt, dass sie bei einer nicht durch sie geförderten schulischen Ausbildung nie als Leistungsträgerin in Betracht komme, folgt dem die Kammer auf Grund der obigen Erwägungen ausdrücklich nicht.

Im Übrigen waren die Leistungsvoraussetzungen von § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX a.F. bzw. § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX erfüllt.

Frau S. ist unstreitig ein behinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 19 Abs. 1 SGB III. Durch ihre an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen waren ihre Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert, so dass sie Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigte.

Die Kosten für Studienassistenz (Schriftdolmetscherin oder Schriftdolmetscher) im schulischen Teil einer dualen Ausbildung stellen eine sonstige Hilfe zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX a.F. bzw. § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX n.F. dar (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020, Aktenzeichen L 13 AL 190/18, juris-Rn. 39; zustimmend Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 49 SGB IX (Stand: 17.06.2020), Rn. 201.1 sowie Hohner, in: RP Reha 3/2020, S. 23 ff. und Bienert, in: info also 2020, S. 210 ff.).

Zwischen den Beteiligten war auch zu keinem Zeitpunkt strittig, dass die Assistenzleistungen erforderlich waren. Das Gericht hat keinen Anlass, dies anzuzweifeln.

Im Ergebnis ergibt sich somit keine Zuständigkeit des Beklagten, so dass die Klägerin gegen sie keinen Anspruch auf Erstattung hat. Die Leistungsklage hatte keinen Erfolg und war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Streitwert richtet sich nach § 197a Abs. 1 S.1 SGG i.V.m. §§ 63, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Gegen dieses Urteil findet in der Sache gemäß § 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrungstatt.

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