Urteil vom Sozialgericht Rostock (5. Kammer) - S 5 AS 620/13

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe der den Klägern vorläufig bewilligten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für den Abschnitt vom 01.06.2013 bis 30.11.2013.

2

Die Klägerin zu 1 ist verheiratet. Ihr Ehemann ist dauernd erwerbsgemindert und bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die im streitigen Abschnitt zunächst 622,95 € monatlich und nach der Rentenanpassung ab 01.07.2013 monatlich 642,62 € betrug. Er trägt die Aufwendungen für eine Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 23,50 € monatlich. Das Ehepaar hat zwei Kinder, den am 05.08.2000 geborenen Kläger zu 2 und die am 22.02.2003 geborene Klägerin zu 3. Für die Kinder wird Kindergeld in Höhe von je 184 € monatlich gewährt. Die Klägerin zu 1 ist erwerbstätig und arbeitet als Zeitungszustellerin. Der Arbeitgeber vergütet die Tätigkeit der Klägerin mit einem Grundgehalt in Höhe von 401 € brutto (357,80 € netto) monatlich und erstattet ihr die Aufwendungen für Fahrkosten ausgehend von der Anzahl der zur Ausübung der Tätigkeit jeweils zurückgelegten Kilometer mit einer Pauschale von 0,26 € je Kilometer. Die Höhe der Fahrkostenerstattung ist dabei monatlich schwankend. Die Auszahlung erfolgte jeweils im Folgemonat.

3

Die Familie bewohnt eine Mietwohnung in A-Stadt, für die monatlich 428,47 € aufzuwenden sind.

4

Für den streitigen Zeitraum bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bewilligungsbescheid vom 27.05.2013 vorläufig Leistungen in Höhe von insgesamt 462,28 € monatlich für Juni 2013 und in Höhe von 432,68 € monatlich für den Abschnitt Juli bis November 2013. Laut Berechnungsbogen berücksichtigte der Beklagte bei Berechnung der Leistungen vorläufig ein Netto-Erwerbseinkommen in Höhe von 587,64 €, das nach Bereinigung um die gesetzlichen Freibeträge in Höhe von 309,74 € zur Anrechnung kam. In diesem Zusammenhang berücksichtigte der Beklagte einkommensmindernd u.a. Fahrkosten in Höhe von 156,40 € (34 km x 0,20 € x 23 Arbeitstage).

5

Am 17.06.2013 erhoben die Kläger Widerspruch und wandten sich im Wesentlichen gegen die Anrechnung der Fahrkostenzuschüsse des Arbeitgebers als Einkommen. Es handele sich um eine zweckgebundene Aufwandsentschädigung.

6

Während des Widerspruchsverfahrens erhöhte der Beklagte die Leistungen mit Änderungsbescheid vom 24.07.2013 auf 685,55 € für Juli 2013 und auf 442,61 € monatlich ab August bis November 2013. Die Änderungen wurden mit der Neuberechnung des Rentenüberhangs ab 01.07.2013 und der Übernahme der Betriebskostennachzahlung laut Rechnung vom 11.07.2013 in Höhe von 253,27 € begründet.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung legte der Beklagte ausführlich die Berechnung der Leistungen dar und führte aus, es sei bereits rechtswidrig begünstigend vorläufig von einem Erwerbseinkommen in Höhe von 587,64 € netto ausgegangen worden, obwohl die Klägerin zu 1 in den letzten sechs Monaten vor Beginn des Bewilligungsabschnitts tatsächlich 604,16 € netto verdient habe. Auch die Fahrkosten seien rechtswidrig begünstigend zu hoch angesetzt worden.

8

Mit der am 19.07.2013 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter und verweisen im Wesentlichen auf die Begründung ihres Widerspruchs. Sie machen geltend, dass die Klägerin zu 1 ohne die vom Arbeitgeber erstatteten Fahrkosten nicht in der Lage sei, die Zustelltätigkeit weiter auszuüben.

9

Die Kläger beantragen,

10

den Bescheid vom 27.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2013 dahingehend abzuändern, dass den Klägern Leistungen der Grundsicherung ihres Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe bewilligt werden.

11

Der Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Er verweist im Wesentlichen auf die Begründung seiner Bescheide.

14

Während des Verfahrens hat die Klägerin zu 1 Nachweise über ihr tatsächliches Erwerbseinkommen eingereicht, das sich im Einzelnen wie folgt darstellt:

15

Zufuss-Monat

Arbeitsentgelt
(brutto)

Arbeitsentgelt
(netto)

abgerechnete
Fahrkosten

Auszahlungsbetrag
(Nettoarbeitsentgelt
+ Fahrkosten)

Juni 2013

401,00 €

357,80 €

212,16 €

569,96 €

Juli 2013

401,00 €

357,80 €

167,96 €

525,76 €

August 2013

401,00 €

357,80 €

159,12 €

516,92 €

September 2013

401,00 €

357,80 €

114,92 €

472,72 €

Oktober 2013

401,00 €

357,80 €

132,60 €

490,40 €

November 2013

401,00 €

357,80 €

221,00 €

578,80 €

16

Eine Neufestsetzung der vorläufig gewährten Leistungen erfolgte nicht, weil nach den Feststellungen des Beklagten das tatsächliche Durchschnittseinkommen, das zugrunde gelegte Durchschnittseinkommen um nicht mehr als 20 € überstieg

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakten des Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist zulässig. Insbesondere können die Kläger nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nicht auf die endgültige Festsetzung der Leistungen verwiesen werden, weil der Beklagte nach Aktenlage unter Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Einkünfte die endgültige Festsetzung geprüft und als nicht notwendig angesehen hat. Es besteht daher ein Rechtschutzbedürfnis für die gerichtliche Prüfung der vorläufig bewilligten Leistungen.

19

Die Klage ist jedoch unbegründet.

20

Streitgegenstand ist nicht nur der ursprünglich angefochtene Bewilligungsbescheid vom 27.05.2013, sondern gemäß § 86 SGG auch der während des Widerspruchsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 24.07.2013, der den ursprünglich angefochtenen Bescheid ersetzt hat.

21

Die Kläger haben für den streitigen Zeitraum vom 01.06.2013 bis 30.11.2013 keinen Anspruch auf höhere Leistungen. Insbesondere werden die Kläger durch das von dem Beklagten vorläufig zugrunde gelegte Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1, auch unter Berücksichtigung der jetzt bekannten tatsächlichen Einkommensverhältnisse nicht beschwert.

22

Der grundsicherungsrelevante Bedarf der Kläger ist unstreitig und betrug im streitigen insgesamt 1.190,51 € monatlich. Er setzt sich wie folgt zusammen:

23
        

Insgesamt

Frau J.

 J.     

 J.     

Regelleistung inkl.
Mehrbedarfe
(§§ 20, 21 SGB II)

869,06 €

352,74 €

(345 € Regelleistung
zzgl. 7,54 €
Mehrbedarf
Warmwasser)

258,06 €

(255,00 € Regelleistung
zzgl. 3,06 €
Mehrbedarf
Warmwasser)

258,06 €

(255 € Regelleistung
zzgl. 3,06 €
Mehrbedarf
Warmwasser)

Kosten der Unterkunft –
KdU - (§ 22 SGB II)
Hier anteilig

321,35 €

107,15 €

107,16 €

107,15 €

Summe Bedarf

1.190,51 €

460,09 €

365,18€

365,18 €

24

Im Juli 2013 war zudem die von dem Beklagten anerkannte Betriebskostennachzahlung gemäß Rechnung vom 11.07.2013 in Höhe von 253,27 € bedarfserhöhend zu berücksichtigen.

25

Auf diesen Bedarf anzurechnen war, was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig ist, das Kindergeld (insgesamt 368 € monatlich) und das Einkommen des Ehemannes aus der Erwerbsminderungsrente, soweit dieses von ihm nicht für seinen eigenen Bedarf benötigt wird. Insoweit hat der Beklagte zutreffend einen Rentenüberhang in Höhe von 50,39 € im Juni 2013 und in Höhe von monatlich 70,89 € monatlich ab Juli 2013 ermittelt. Wegen der Berechnung des Rentenüberhangs im Einzelnen wird auf die Berechnungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen, die das Gericht nach eigener Prüfung für zutreffend hält und zum Gegenstand der eigenen Entscheidung macht (§ 136 Abs. 3 SGG).

26

Im Weiteren ist das Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1 aus ihrer Tätigkeit als Zeitungszustellerin anzurechnen.

27

Hierbei ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte in einem ersten Schritt als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II nicht nur das Arbeitsentgelt, sondern auch die vom Arbeitgeber gewährte Fahrkostenerstattung berücksichtigt hat und im Weiteren in einem zweiten Schritt die Aufwendungen für Fahrkosten nach Maßgabe von § 11 b SGB II und den Grundsätzen der Grundsicherung, insbesondere in Anwendung der dort maßgebenden Fahrkostenpauschalen, vom Einkommen abgesetzt hat. Die Berechnungsweise des Beklagten entspricht den gesetzlichen Vorgaben.

28

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen zu berücksichtigen. Durch den Zufluss des Einkommens muss ein tatsächlicher, wertmäßiger Zuwachs eintreten. Soweit mit der Erzielung des Einkommens notwendige Ausgaben anfallen, sind diese in einem zweiten Schritt nach § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II vom Einkommen abzusetzen.

29

Entgegen der Auffassung der Kläger können die vom Arbeitgeber erstatteten Fahrkosten auf der Einkommensseite nicht außer Betracht bleiben (a.A. SG Schwerin, Urteil vom 10.03.2015, S 15 AS 1947/13, juris). Grundsätzlich stellen auch Aufwandsentschädigungen Einkommen dar (so schon BSG, Urteil vom 11.12.2012 – B 4 AS 27/12 R –, zu § 11 SGB II alter Fassung betreffend Spesen, die der Arbeitgeber LKW-Fahrern im Fernverkehr gewährt). Hierfür spricht auch die Gesetzessystematik. So werden z.B. in § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II erhöhte Freibeträge für steuerprivilegierte Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit gewährt. Hätte der Gesetzgeber diese Einnahmen, bei denen es sich regelmäßig um Aufwandsentschädigungen z.B. für Übungsleiter, Ausbilder in gemeinnützigen Sportvereinen handelt, nicht als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II ansehen wollen, ergäbe die Freibetragsregelung keinen Sinn.

30

Im Übrigen sind Einkommenszuflüsse nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen nicht als Einkommen zu werten. Dieses betrifft zum einen die in § 11a SGB II ausdrücklich benannten besonderen Einkommensarten, zu denen die durch einen Arbeitgeber gewährte Fahrkostenerstattung nicht gehört. Zum anderen hat das Bundessozialgericht einen wertmäßigen Zuwachs z.B. abgelehnt bei echten Darlehen, die von vornherein mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet sind (BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R –, juris) und bei zurückzuzahlenden Zuwendungen Dritter bei rechtwidriger Ablehnung von Grundsicherungsleistungen bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes (BSG, Urteil vom 06.10.2011, B 14 AS 66/11 R, juris). In beiden Ausnahmefällen steht bereits bei Zufluss des Einkommens die Rückzahlungspflicht fest, sodass es nicht gerechtfertigt erscheint, das Einkommen wertmäßig dem Hilfebedürftigen zuzuordnen. Eine solche Rückzahlungsverpflichtung besteht vorliegend für die vom Arbeitgeber gewährten Fahrkosten jedoch nicht. Sie führen tatsächlich bei Auszahlung zu einem wertmäßigen Zuwachs, über den die Klägerin zu 1 verfügen kann. Die tatsächlichen Aufwendungen für Fahrkosten sind als Absetzbetrag nach § 11b SGB II zu berücksichtigen (so auch BSG, a.a.O.)

31

Mit Rücksicht auf die oben angeführten Grundsätze und das nunmehr bekannte tatsächliche Einkommen, ergibt sich für den streitigen Abschnitt ein anzurechnendes (bereinigtes) Einkommen in Höhe von 322,04 € monatlich, das höher ist, als die von dem Beklagten zugrunde gelegten 309,74 € monatlich. Der Betrag in Höhe von 322,04 € errechnet sich wie folgt:

32

Die Klägerin erzielte im streitigen Abschnitt ein durchschnittliches Einkommen von 568,96 € brutto (525,76 € netto), das sich wie folgt errechnet:

33

Zufuss-Monat

Einkommen brutto
(Bruttoarbeitsentgelt
+ Fahrkosten)

Auszahlungsbetrag
(Nettoarbeitsentgelt
+ Fahrkosten)

Juni 2013

613,16 €

 569,96 €

Juli 2013

568,96 €

 525,76 €

August 2013

560,12 €

 516,92 €

September 2013

515,92 €

 472,72 €

Oktober 2013

533,60 €

 490,40 €

November 2013

622,00 €

 578,80 €

Insgesamt

3.413,76 €

3.154,56 €

Durchschnitt

568,96 €

525,76 €

34

Von diesem Einkommen sind die Freibeträge nach § 11b SGB II abzusetzen. Zu berücksichtigen sind die Versicherungspauschale (30 €) und die Werbungskostenpauschale (15,33 €). Die Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung wurden bereits bei Berechnung des Rentenüberhangs abgesetzt und können nicht nochmals berücksichtigt werden. Weiter absetzbar sind die Fahrkosten, die die Klägerin zu 1 in Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit hatte (durchschnittlich 64,60 € monatlich). Die absetzbaren Fahrkosten errechnen sich in Anlehnung an § 3 Abs. 7, § 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b Arbeitslosengeld II-Verordnung wie folgt:

35

abgerechnete Fahrkosten
(0,26 € je km)

abgerechnete Kilometer
geteilt durch 0,26 €

abgerechnete Kilometer
mal 0,10 €

 212,16 €

816     

 81,60 €

 167,96 €

646     

 64,60 €

 159,12 €

612     

 61,20 €

 114,92 €

442     

 44,20 €

 132,60 €

510     

 51,00 €

 221,00 €

850     

 85,00 €

 Absetzbare Fahrkosten insgesamt

 387,60 €

Absetzbare Fahrkosten geteilt durch
6 Monate


64,60 €

36

Die oben genannten Aufwendungen betragen mithin insgesamt 109,93 € und übersteigen den Grundfreibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100 €. Sie sind daher zugrunde zu legen. Darüber hinaus ist noch der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 Nr. 1 SGB II abzusetzen mit 93,79 €.

37

Soweit der Beklagte bei Berechnung der vorläufig gewährten Leistungen lediglich ein Einkommen aus der Zustelltätigkeit in Höhe von 309,74 € angerechnet hat, sind die Kläger begünstigt. Eine endgültige Festsetzung der vorläufig bewilligten Leistungen war nicht geboten, weil das tatsächliche monatliche Durchschnittseinkommen das bei der vorläufigen Entscheidung zugrunde gelegte monatliche Durchschnittseinkommen um nicht mehr als 20 € übersteigt (vgl. § 2 Abs. 3 S. 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung).

38

Aus den genannten Gründen ist die Klage abzuweisen.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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