Beschluss vom Sozialgericht Speyer (6. Kammer) - S 6 AS 362/12 ER

1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Lernförderung (Nachhilfe) gemäß § 28 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – 2. Buch – (SGB II).

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Die Antragsstellerin zu 1), ihr 1994 geborener Sohn M… und ihre am … 2000 geborene Tochter K…-R… (Antragsstellerin zu 2) beziehen seit längerem vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 23.11.2011 bewilligte der Antragsgegner der Antragsstellerin zu 2) Leistungen der Bildung und Teilnahme nach § 28 SGB II in Höhe des Mitgliedsbeitrags für einen Karateverein. Sie besucht zur Zeit die Klasse 6 a der Realschule plus in S…. Mit einem am 22.2.2012 beim Antragsgegner eingegangenen Formularantrag beantragte die Antragsstellerin zu 1) für die Antragsstellerin zu 2) eine ergänzende angemessene Lernförderung gemäß § 28 SGB II. Die Schule bescheinigte für das 2. Halbjahr 2012 einen außerschulischen Lernförderbedarf (Nachhilfebedarf) in den Unterrichtsfächern Englisch, Mathematik und Deutsch. Nach den weiteren Angaben der Schule ist die Versetzung gefährdet. Mit außerschulischem Nachhilfeunterricht bestehe eine positive Prognose für die Versetzung. Dem Antrag lag ein Angebot der Studienkreis GmbH bei. Ohne Mindestlaufzeit eines Vertrags beträgt der Preis für 3 x 90 Minuten in der Woche 189 € im Monat.

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Mit Bescheid vom 28.2.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf angemessene Lernförderung (Nachhilfe) ab. Laut dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz komme eine Lernförderung nach dem Bildungs- und Teilhabepaket bei Ganztagsschulen nicht in Betracht. Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren legten die Antragssteller eine Bestätigung der Klassenlehrerin vom 5.3.2012 vor. Sie bescheinigte einen Förderbedarf in den Hauptfächern. „Es wäre wünschenswert, sie durch Nachhilfeunterricht auf den derzeit notwendigen Leistungsstand zu bringen, auch im Hinblick darauf, dass sie im nächsten Schuljahr den Anschluss schafft. K… wird nach Möglichkeiten der Ganztagsschule gefördert (Hausaufgabenbetreuung, Förderunterricht). Dies reicht aber nicht aus, um ihre zur Zeit sehr großen Leistungsdefizite auszugleichen“. Ausweislich des Halbjahreszeugnisses vom 27.1.2012 waren die Noten in Deutsch und Mathematik „ausreichend“, in Englisch „mangelhaft“. Bemerkungen: Nach dem derzeitigen Leistungsstand werden die Anforderungen zur Einstufung in den Bildungsgang zur Erlangung des qualifizierten Sekundarabschlusses I nach Klasse 6 nicht erreicht. Auch in den Fächern Erdkunde, Musik und Wirtschaft und Verwaltung war die Note "mangelhaft"

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Mit einem am 8.3.2012 beim Sozialgericht Speyer eingegangenen Schreiben begehren die Antragssteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

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Sie verweisen auf die Bestätigung der Klassenlehrerin. Die Antragsstellerin zu 2) benötige dringend Nachhilfe.

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Die Antragssteller beantragen nach verständiger Würdigung ihres Vorbringens,

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den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragsstellerin zu 2) vorläufig eine Lernförderung in Form einer außerschulischen Nachhilfe zu gewähren.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er verweist auf seine Verwaltungsentscheidung.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 14.3.2012 hat er den Widerspruch zurückgewiesen. Mit Verweis auf eine nicht aktenkundige Anlage hat er in diesem Bescheid ausgeführte, dass eine Lernförderung nach dem Bildungs- und Teilhabepaket bei Ganztagsschulen nicht in Betracht komme. Die Antragssteller haben bis zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine Klage erhoben.

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Die Kammer hat den Antragsgegner mit Verweis auf eine E-Mail-Korrespondenz in der Akte aufgefordert eventuelle schriftliche Empfehlungen des Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demographie Rheinland-Pfalz sowie die im Bescheid genannte Anlage vorzulegen. Er hat daraufhin Mails eines Herrn M… von der Stadtverwaltung L… und eine allgemeine Empfehlung des Ministeriums zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakts in Rheinland-Pfalz vorgelegt.

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Schließlich hat die Kammer die Klassenlehrerin schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Wegen der Beantwortung der Beweisfragen wird auf Blatt 33 der Prozessakte verwiesen.

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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte und der übersandten Verwaltungsakte.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber nicht begründet.

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Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit kein Fall der aufschiebenden Wirkung vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts (Anordnungsanspruch) des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert (Anordnungsgrund) werden könnte.

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Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei ist ein materieller Anspruch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einer summarischen Überprüfung zu unterziehen und darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Nur ausnahmsweise kann von diesem Grundsatz abgewichen werden, wenn streitige Leistungen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005; Az.: BvR 569/05). Hieraus folgt, dass es ausnahmsweise auch erforderlich sein kann, einer Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst ein Recht des Antragstellers vereitelt würde oder eine bloße vorläufige Regelung nicht zumutbar ist. Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, d.h., es müssen erhebliche belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Der Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG i.V.m § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.

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Soweit die Antragsstellerin zu 1) einen eigenen Anspruch auf Lernförderung ihrer Tochter geltend macht fehlt es bereits an einer Aktivlegitimation. Bei dem hier streitigen Anspruch auf Lernförderung handelt es sich um eine individualisierten Anspruch der Antragsstellerin zu 2).

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Aber auch die Antragsstellerin zu 2) kann einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen.

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Gemäß § 28 Abs. 5 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung vom 24. März 2011 wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Diese, als eine gebundene Entscheidung ausgestaltet Regelung berücksichtigt nach der Gesetzesbegründung (BTDrs. 1/3494 S.105), dass auch außerschulische Lernförderung als Sonderbedarf vom Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfasst sein kann. Grundsätzlich ist außerschulische Lernförderung als Mehrbedarf nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit notwendig. In der Regel ist sie nur kurzzeitig notwendig, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung bezieht sich auf das wesentliche Lernziel, das sich aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt. Wesentliches Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein ausreichendes Leistungsniveau (a.a.0.).

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Soweit der Antragsgegner die Auffassung vertritt bzw. im Verwaltungsverfahren vertrat, dass der Besuch einer Ganztagsschule eine Lernförderung grundsätzlich ausschließt, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Auffassung findet keine Stütze im Gesetz. Allerdings lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen, dass nur dann, wenn unmittelbare schulische Angebote nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen, eine außerschulische Lernförderung gewährt werden kann. Bei Ganztagsschulen ist davon auszugehen, dass gegenüber konventionellen Schulen eine größeres schulischen Förderangebot (z.B. Hausaufgabenbetreuung) besteht. Auch in vorliegenden Fall ist daher eine individuelle Prüfung und eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen.

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Nach Würdigung der schriftlichen Bekundungen der sachverständigen Zeugin S… geht die Kammer davon aus, dass bei der Antragsstellerin ein nicht nur vorübergehender Förderbedarf besteht. Die Lernschwäche bestand schon in der 5 Klasse. Sie hat sich nunmehr verstärkt. Die Versetzung ist akut gefährdet. Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass auch eine Versetzung möglicherweise in Betracht kommt, wenn die Klassenkonferenz zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass eine Wiederholung der Klassenstufe keine Verbesserung erwarten lässt. Nach Einschätzung der Zeugin ist eine vorübergehende außerschulische Förderung hilfreich. Es bestehen aber deutliche Zweifel an einem Erfolg. Hier ist zu berücksichtigen, dass in vier Fächern die Leistungen im Halbjahreszeugnis mit mangelhaft benotet wurden und die Arbeiten im zweiten Halbjahr schon weit vorgeschritten sind. Selbst nach einer Versetzung ist es fraglich, ob die Antragsstellerin im nächsten Schuljahr den Anforderungen genügen kann. Eine ausreichende Motivation wird von der Zeugin nicht positiv beschrieben.

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Ist im Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung die Prognose negativ, besteht kein Anspruch auf eine Lernförderung (a.a.0.). In einer Gesamtschau kann, gestützt auf die Bekundungen der Zeugin S… nach Überzeugung der Kammer eine positive Prognose nicht glaubhaft gemacht werden. Das eine vorübergehende außerschulische Lernförderung hilfreich ist reicht für die Feststellung einer solchen Prognose nicht aus. Ein Anspruch auf außerschulischer (Nachhilfe) gemäß § 28 Abs. 5 SGB II kann nach alledem nicht glaubhaft gemacht werden

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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