Urteil vom Sozialgericht Speyer (19. Kammer) - S 19 KR 1129/13

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Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013 verurteilt, den Kläger mit Hörgeräten der Firma OTICON Chili SP 9 zu versorgen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Versorgung mit Hörgeräten.

2

Der 1969 geborene Kläger ist von Beruf Techniker/Informationselektroniker und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an einer beidseitigen Taubheit mit audiologisch lediglich geringer Hörrestigkeit.

3

Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 20.08.2012 und einer ärztlichen Bescheinigung des HNO-Arztes Dr. R… vom 18.02.2013 sowie eines Kostenvoranschlages des Hörzentrums L… vom 05.01.2013 über die Versorgung mit einem Paar Hörgeräte „Chili SP 9“ der Firma OTICON in Höhe von 5.346 Euro beantragte der Kläger am 18.02.2013 bei der Beklagten die Versorgung („volle Kostenübernahme“) mit Hörgeräten.

4

Ausweislich eines Anschreibens des Hörzentrums L… vom 05.01.2013 an die Beklagte waren beim Kläger seit dem 22.08.2012 vier Hörgeräte im „HdO-Powerbereich“ getestet worden. Das Schreiben enthält die folgende Auflistung:

5

 Sumo E

        

 als Festbetragsgerät

 Chili 5 SP

        

 als Mittelklassetechnik

 Naida S IX UP

        

 als Highendtechnik

 Chili 9 SP

        

 als Highendtechnik

6

In dem Schreiben wird ausgeführt, zwar seien im Freiburger Satztest mit allen Geräten sehr gute Werte erreicht worden, auf Grund der hochgradigen Hörbehinderung des Klägers sei das Verstehen im privaten und beruflichen Alltag im Störschall und bei der Wahrnehmung von Umweltsignalen jedoch sehr geräteabhängig. Bei dem hierfür durchgeführten Oldenburger Satztest habe das vom Kläger ausgewählte Gerät Chili SP 9 den besten Wert erzielt (70 % Sprachverstehen im Freiburger Satztest, der Oldenburger Satztest ergab den besten Wert von -2,3). Es werde im Interesse des Klägers um eine erhöhte Kostenunterstützung gebeten.

7

Mit Bescheid vom 01.03.2013 sagte die Beklagte zu, sich an den Kosten in Höhe des Festbetrages von 1.296,07 Euro nach den neuen „Richtlinien WHO 4“ zu beteiligen. Eine vollständige Kostenübernahme könne nicht erfolgen, da im Fall des Klägers eine medizinische Notwendigkeit für eine „Aussetzung der Festbeträge“ nicht vorliege. Der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes habe im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) einen neuen Festbetrag für Versicherte mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit festgesetzt. Dieser neue Festbetrag berücksichtige die Zielsetzung des BSG-Urteils vom 17.12.2009, wonach es grundsätzlich ausreiche, einen Versicherten mit solchen Hörhilfen zu versorgen, die Störgeräusche und Rückkopplungen vermeiden und das Hören und Verstehen ermöglichten. Sofern der Kläger die Versorgung mit einem Gerät Chili SP 9 wünsche, werde ein Zuschuss in Höhe des Festbetrages bewilligt, die Mehrkosten seien jedoch vom Kläger selbst zu tragen.

8

Hiergegen hat der Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG Widerspruch eingelegt und vorgetragen, er sei auf die Versorgung mit den höherpreisigen Geräten angewiesen, da nur diese ihm ein ausreichendes Sprachverstehen in allen Lebenslagen ermöglichten. Andere Geräte stellten hingegen keine ausreichende Versorgung dar. Bei der Entscheidung der Beklagten handele es sich um eine Teilkostenerstattung, die nicht das im SGB V gebotene Sachleistungsprinzip erfülle.

9

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens veranlasste die Beklagte die Begutachtung des Klägers durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK). Der Arzt im MDK Dr. M… kam in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 25.04.2013 zu dem Ergebnis, das getestete „Festbetragsgerät“ SUMO E habe nicht über die vorgeschriebenen vier Kanäle verfügt und es habe sich nicht um digitale, sondern um analoge Technologie gehandelt. Damit habe dieses Gerät nicht den Mindestkriterien entsprochen. Jedoch kämen laut Hilfsmittelverzeichnis noch mehrere Dutzend zuzahlungsfreie Hörgeräte in Betracht, die die Kriterien des BSG-Urteils aus dem Jahr 2009 erfüllen würden.

10

Mit Schreiben vom 03.05.2013 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass das vom Akustiker als „Festbetragsgerät“ angebotene SUMO E die Mindestanforderungen nicht erfülle. Der Akustiker müsse aufgefordert werden, sich vertragskonform zu verhalten und dem Kläger ein Hörgerät anbieten, das dessen Bedürfnisse befriedige. Eine Abschrift dieses Schreibens erhielt das Hörzentrum.

11

Daraufhin testete der Kläger im Juni 2013 beim Hörzentrum L… noch das weitere zuzahlungsfrei angebotene Gerät Phonak Naida S I UP, das über digitale Technik verfügte. Mit lediglich 65% Sprachverstehen konnte dieses das Testergebnis des Chili SP 9 (70 %) nicht erreichen. Im Ergebnis begehrte der Kläger weiterhin das Gerät Oticon Chili SP 9, da das nun getestete Gerät verschiedene – im Einzelnen aufgeführte - Einschränkungen im Vergleich mit dem begehrten aufwies.

12

Der von der Beklagten nochmals hinzugezogene Arzt im MDK Dr. M… gab in einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten nach Aktenlage vom 02.08.2013 an, das nun zuzahlungsfrei ausgewählte Gerät Naida S I UP habe keine Telefonspule, es gebe aber ausweislich des Hilfsmittelverzeichnisses mehrere Geräte mit den unterschiedlichsten Features und einer Hörspule. In Ansehung der Leistungen des getesteten Gerätes seien die Beschwerden des Klägers nicht nachvollziehbar. Der Akustiker entscheide selbstständig vor dem Hintergrund seiner wirtschaftlichen Kalkulation und seines unternehmerischen Verhaltens, welches Gerät er zum Festbetrag abgebe und welches er mit einer Zuzahlung versehe. Es gebe noch weitere Hörgeräte, die ähnliche Features hätten und keine oder eine geringere Zuzahlung haben könnten. Sofern der Kläger an seinem Arbeitsplatz sehr viel telefonieren müsse, sei die Krankenkasse für den Behinderungsausgleich am Arbeitsplatz nicht zuständig. Die Zuständigkeit eines anderen Sozialleistungsträgers sei zu prüfen.

13

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sei für die Versorgung mit einem erforderlichen Hilfsmittel ein Festbetrag festgesetzt, so sei die Krankenkasse verpflichtet, die Kosten bis zur Höhe dieses Festbetrages zu tragen. Sofern der Versicherte Hilfsmittel auswähle, die über das notwendige Maß der Versorgung hinausgingen, seien die Mehrkosten durch ihn selbst zu tragen. Lediglich für den Fall, dass der Ausgleich einer konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht durch ein Hilfsmittel zum Festbetrag möglich sei, sei die Kostenübernahme in der den Festbetrag übersteigenden Höhe denkbar. Den Feststellungen des MDK sei jedoch zu entnehmen, dass die beim Kläger vorliegende Hörbehinderung mit einer Versorgung zum Festbetrag möglich sein sollte.

14

Am 17.12.2013 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Er begehrt die volle Kostenübernahme für eine Versorgung mit zwei Hörgeräten Chili SP 9. Er habe vier Hörgeräte erprobt, bevor er die Versorgung mit dem Gerät Chili SP 9 beantragt habe. Unter den getesteten Geräten habe sich auch ein „Festbetragsgerät“ befunden. Letztlich habe er sich für das Gerät Chili SP 9 entschieden, weil ihm hiermit eine bessere Verständigung auch bei mehreren Gesprächspartnern sowie ein verbessertes Hören möglich seien. Bei den auch später noch getesteten „Festbetragsgeräten“ sei ihm lediglich eine Verständigung im Einzelgespräch bei geräuscharmer Kulisse möglich gewesen. Dagegen sei die Verständigung während des Telefonierens oder die Verständigung in einer Gruppe mit mehreren Gesprächspartnern nicht gewährleistet gewesen.

15

Der Kläger beantragt,

16

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013 zu verurteilen, den Kläger mit Hörgeräten der Firma OTICON Chili SP 9 zu versorgen.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Zur Begründung führt sie aus, nach den ihr vorliegenden Erkenntnissen sei das vom Kläger ebenfalls getestete „Festbetragsgerät“ Naida zur Versorgung des Klägers geeignet. Möglicherweise habe der Akustiker bei der Anpassung nicht korrekt gehandelt, denn er sei verpflichtet, mindestens zwei geeignete Geräte zum Festbetrag anzubieten. Insofern dürfte das Gerät SUMO wohl nicht geeignet gewesen sein, die Hörbehinderung des Klägers angemessen auszugleichen. Dass der Akustiker nach zwei Jahren unentgeltlicher Überlassung einen Tausch ablehne, sei verständlich, könne aber nicht zu Lasten der Beklagten gehen.

20

Auf Anforderung des Gerichts hat die Beklagte die auch im Jahr 2013 noch geltende Vereinbarung über die Versorgung von Versicherten u.a. der Betriebskrankenkassen mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker vom 01.02.2005 (im Folgenden: Versorgungsvereinbarung) sowie die zugehörige Vergütungsvereinbarung (Anlage 2 zur Versorgungsvereinbarung) vorgelegt. Danach sind ein eigenanteilsfreier Vertragspreis pro Hörgerät in Höhe von 421,28 Euro und ein Abschlag in Höhe von 84,26 Euro für das zweite Hörgerät bei beidohriger Versorgung vereinbart.

21

Das Gericht hat gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zunächst Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten bei der den Kläger versorgenden Hörgeräteakustikmeisterin G… vom Hörzentrum L…vom 06.06.2014 sowie beim Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. R… vom 26.06.2014.

22

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht zudem die Hörgeräteakustikmeisterin G… als Zeugin vernommen. Diese hat angegeben, der Kläger habe anfangs keinen Antrag „nach WHO 4“ stellen wollen. Daher sei zunächst das SUMO E als Festbetragsgerät getestet worden. Nachdem die Beklagte den Festbetrag nach WHO 4 jedoch bewilligt habe, sei die Testung mit dem „Festbetragsgerät nach WHO 4“ (Phonak Naida S 1 UP) nachgeholt worden. Beim Kläger sei neben dem Freiburger Satztest (Test ohne Störgeräusch) zusätzlich der Oldenburger Satztest durchgeführt worden. Beim Oldenburger Satztest würden sinnfreie Sätze im Störgeräusch angeboten und getestet, ob der Patient auch über einen längeren Zeitraum im Störgeräusch fähig sei, die Sätze gleichwohl zu verstehen und wiederzugeben. Dieser Test ermögliche die Testung auf Alltagstauglichkeit bei ganz besonders schwerhörigen Patienten. Durch diesen Test erhalte der Akustiker die Möglichkeit, die vom Patienten vorgetragenen, subjektiv empfundenen Unterschiede zwischen den einzelnen Geräten zu objektivieren. Die Zeugin erklärte, mit keinem „Basisgerät nach WHO 4“ wäre eine Versorgungsqualität beim Kläger zu erreichen gewesen, wie mit dem jetzt getragenen Hörgerät Chili SP 9. Mit diesem Gerät sei der Kläger in die Lage versetzt worden, den Anforderungen des Alltags am besten standzuhalten. Die Hörgeräteakustikmeisterin bestätigte im Rahmen der Zeugenvernehmung, dass bei einer Bewilligung der Versorgung durch die jeweilige Krankenkasse in jedem Falle eine Abrechnung zum Vertragspreis bzw. Festbetrag erfolge, selbst wenn die konkrete Versorgung günstiger erfolgen könne.

23

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen und hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Dieser war im Wesentlichen Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

24

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.

25

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die Versorgung mit den ausgewählten Hörgeräten Chili SP 9 der Firma OTICON. Hierbei handelt es sich um einen Sachleistungsanspruch, den die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht durch Zahlung eines Geldbetrages, sei es in Höhe des Festbetrages oder aber in Höhe eines mit dem Akustiker vertraglich vereinbarten Preises erfüllen kann. Der Bescheid vom 01.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013, mit dem die Beklagte lediglich eine „Kostenbeteiligung“ bzw. einen Zuschuss in Höhe von 1.296,07 Euro zusagte, den Kläger darüber hinaus aber darauf verwies, die Mehrkosten selbst tragen zu müssen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Bescheid war daher aufzuheben.

I.

26

Vorliegend ist die Beklagte zuständiger Leistungsträger. Bei der hier begehrten Versorgung mit Hörgeräten handelt es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, da eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens ausgeglichen werden soll (vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB IX]). Rehabilitationsträger hierfür ist neben den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung unter anderem die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse, § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Darüber hinaus (sofern es nicht um ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens geht) kann es sich bei einer Hörgeräteversorgung zudem um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben handeln, wenn diese Leistung nicht als medizinische Leistung erbracht werden kann, § 33 Abs. 8 Nr. 4 letzter Halbsatz SGB IX. Rehabilitationsträger für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind u.a. die Träger der Rentenversicherung, § 5 Nr. 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX i.V.m. § 9 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI), nicht jedoch die Krankenkassen. Denkbar wäre ein solcher Anspruch etwa, wenn ein Versicherter behinderungsbedingt eine besondere technische Zusatzausstattung nur für den Arbeitsplatz benötigte. Da der Ausgleich der reinen Hörbehinderung des Klägers vorliegend jedoch bereits im Rahmen der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens und damit als medizinische Leistung erforderlich ist, sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben darüber hinaus nicht zu erbringen.

27

Gemäß § 14 Abs. 1 und Abs. 2 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) ist die Beklagte daher zuständiger Rehabilitationsträger für die Versorgung mit Hörgeräten im Rahmen der medizinischen Rehabilitation. Sie hat den bei ihr eingegangenen Antrag auf Hörgeräteversorgung, der ein Antrag auf Teilhabe im Sinne des § 4 Abs. 1 SGB IX ist, auch nicht an den (bei Vorliegen der Voraussetzungen des SGB VI ebenfalls zuständigen) Träger der Rentenversicherung weitergeleitet.

28

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Sinne des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) können dabei nicht nur solche der §§ 40 f. SGB V (ambulante und stationäre Rehabilitationsleistungen in Einrichtungen) sein. In der Gesetzessystematik werden diese ausweislich der Regelung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V und des § 27 Abs. 1 Nr. 6 SGB V ebenso wie die Versorgung mit Hilfsmitteln (vgl. Nr. 3 der Regelung) zunächst den Leistungen der Krankenbehandlung zugeordnet. Daneben bestimmt § 11 Abs. 2 SGB V einen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen), die notwendig sind, um eine Behinderung (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX) oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Für diese Leistungen verweist § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V auf die Vorschriften des SGB IX, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist. Aus diesem Verweis wiederum ergibt sich, dass der Begriff der medizinischen Rehabilitation im SGB V in einem umfassenderen Sinne verstanden werden muss als nur im Sinne einer Rehabilitation in Einrichtungen. Es fallen hierunter bei dem Ziel, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, insbesondere die in § 26 ff. SGB IX enthaltenen Leistungen. Bei der Versorgung mit Hörgeräten handelt es sich um den Ausgleich einer langfristig bestehenden Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX, die über eine (akute) Krankenbehandlung hinausgeht. Daher stellt sie eine Leistung der medizinischen Rehabilitation in diesem Sinne dar.

II.

29

1. Rechtsgrundlage für die Versorgung des Klägers durch die Beklagte mit Hörgeräten ist § 26 Abs. 2 Nr. 6 und § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

30

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

31

Im Hinblick auf die beim Kläger vorliegende Hörbehinderung hat dieser einen Anspruch auf Ausgleich durch Versorgung mit Hörgeräten.

32

2. Dieser Anspruch ist auf eine Sachleistung, hier also auf tatsächliche Verschaffung eines Hörgerätes gerichtet. Denn gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V oder das SGB IX nichts Abweichendes vorsehen. Dieses sogenannte Sachleistungsprinzip wird bestätigt durch § 13 Abs. 1 SGB V, wonach die Krankenkasse an Stelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur in besonders geregelten Fällen erstatten darf. In Umsetzung des Sachleistungsprinzips sieht § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V vor, dass die Krankenkassen Verträge über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen mit den Leistungserbringern schließen.

33

3. Bei der vom Kläger begehrten Versorgung mit Hörgeräten handelt es sich um einen Fall des unmittelbaren Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Variante SGB V), da die fehlende Funktion des Hörens durch das Hörgerät kompensiert werden soll.

34

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs zielt der Anspruch des Versicherten auf einen möglichst vollständigen funktionellen Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dabei ist die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens (so schon BSG, Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R -, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R – und Urteil vom 29.04.2010 - B 3 KR 5/09 R -). Die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel kann daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 68/01 R – und Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R ).

35

Dieser Maßstab ist auch bei der Versorgung eines Versicherten mit Hörgeräten heranzuziehen (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 31; ebenso Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R –, Rn. 15). Im Urteil vom 17.12.2009 bekräftigte der 3. Senat des BSG zunächst, dass Ziel der Versorgung die Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen sei; solange dieser Ausgleich im Sinne eines Gleichziehens mit deren Hörvermögen nicht vollständig erreicht sei, könne die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hörgerät nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die GKV nur für die Aufrechterhaltung eines Basishörvermögens aufzukommen habe. Das Maß der notwendigen Versorgung würde verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte nur zur Verständigung "beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache" zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs sei es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R -, Rn. 20; ebenso Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 31). Versicherte haben daher einen Anspruch auf Sachleistung, gerichtet auf eine umfassende, nach Maßgabe des Leistungsrechts des Sozialgesetzbuches (hier: des Leistungsrechts der GKV nach dem SGB V sowie des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI) bestmögliche Versorgung mit Hörgeräten (BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R -, Rn. 19 und 21).

36

Auch die gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassene Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL) beschreibt im Unterabschnitt C (Hörhilfen) in § 19 Abs. 1 die Versorgungsziele der Hörgeräteversorgung. Danach ist es eine Zielsetzung der Hörgeräteversorgung, ein Funktionsdefizit des beidohrigen Hörvermögens unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts möglichst weitgehend auszugleichen und dabei – soweit möglich – ein Sprachverstehen bei Umgebungsgeräuschen und in größeren Personengruppen zu erreichen.

37

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger daher nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit den Hörhilfen, die für einen möglichst weitgehenden Ausgleich des bestehenden Funktionsdefizits, also für die Herstellung des fehlenden Hörvermögens funktionell am besten geeignet sind. Die Versorgung hat daher mit den Geräten zu erfolgen, die unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts den Ausgleich der vorliegenden Hörbeeinträchtigung bestmöglich im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht (hör-)behinderten Menschen herstellen können.

38

4. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann der bestmögliche Behinderungsausgleich im Fall des Klägers mit den Hörgeräten der Firma OTICON Chili SP 9 erzielt werden, so dass die Beklagte zu verpflichten war, den Kläger mit diesen Geräten zu versorgen.

39

Hierbei stützt sich die Kammer auf die Angaben der den Kläger versorgenden Hörgeräteakustikmeisterin G… vom Hörzentrum L…, die diese zum einen in dem Befundbericht vom 06.06.2014, zum anderen aber auch im Rahmen ihrer Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung gemacht hat.

40

Diese hatte erläutert, dass wegen der beim Kläger bestehenden hochgradigen, an Taubheit grenzenden Innenohrschwerhörigkeit ein kompletter Ausgleich der Hörminderung nicht mehr möglich sei, da das Innenohr nicht mehr in allen Tonbereichen eine Verarbeitung der Töne sichere. Elementare technische Eigenschaft sei in einem solchen Fall zunächst die Verstärkerleistung der Geräte. Aber selbst mit stärkster Gerätetechnik sei es nicht möglich, den Kläger in einen Leistungsbereich eines normalhörenden Menschen zu bringen. Mit allen getesteten Geräten aus dem „absoluten Powerbereich“ habe ein dem Hörverlust entsprechend gutes Ergebnis im Freiburger Sprachtest erzielt werden können. In Ruhe hätten die Werte bei allen getesteten Geräten bei ähnlichen Werten gelegen, wobei die aufzahlungsfrei angebotenen Geräte ein Sprachverstehen von 60-65 %, die anderen drei Geräte aber ein Sprachverstehen von 70 % ermöglicht hätten. Die künstlich hergestellte Messkonstruktion des Freiburger Satztest sei aber gerade für einen Hörbehinderten mit Resthörigkeit kein Indikator für die Hörsicherheit im praktischen Alltag. Der Kläger habe im Gespräch deutliche Leistungsunterschiede, etwa am Arbeitsplatz und bei der Sicherheit im Straßenverkehr gezeigt. Durch zusätzliche Anwendung des Oldenburger Satztests sei es möglich gewesen, die vom Kläger vorgetragenen, subjektiv empfundenen Unterschiede zwischen den einzelnen Geräten zu objektivieren. Bei diesem Test wird die Verständlichkeit von sinnfreien Sätzen im Störgeräusch durch Ermittlung der Sprachverständlichkeitsschwelle (SVS) untersucht. Bei diesem Test habe der Kläger mit den begehrten Geräten Chili 9 SP den besten Wert von -2,3 (SVS beim SUMO E von 3,8 und beim Chili 5 SP von -1,8) erreicht. Die bessere Aufnahme von Sprache im Störschall über eine lange Belastungszeit habe hier etwas mit der komplexeren Störschallunterdrückung der höherwertigeren Gerätetechnik zu tun. Es sei keine Auswahl wegen Kosmetik oder Bedienungskomfort erfolgt. Die Hörgeräteakustikmeisterin bestätigte letztlich, dass der Kläger mit den Geräten Chili SP 9 am besten in die Lage versetzt worden sei, den Anforderungen des Alltags standzuhalten.

41

Diese Angaben decken sich mit dem Vortrag des Klägers, da auch dieser insbesondere geltend macht, dass mit den ausgewählten Geräten eine bessere Verständigung auch bei mehreren Gesprächspartnern möglich sei.

42

Der Anspruch des Klägers hat sich vorliegend auf die im Rahmen der Testung beim Akustiker als bestgeeignete Geräte ausgewählten Hörgeräten der Firma OTICON Chili SP 9 konkretisiert. Weder die Beklagte noch der MDK haben dem Kläger Alternativen benannt, die zum Ausgleich seiner Hörbehinderung mindestens ebenso geeignet wären. Da es sich um einen Sachleistungsanspruch handelt, muss er durch konkrete Geräte erfüllt werden. Für die Auswahl bedient sich die Krankenkasse des Akustikers. Dass es auf dem Markt noch Dutzende möglicherweise ebenso oder sogar besser geeignete Geräte geben mag, kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, solange nicht ein konkretes anderes Gerät von der Beklagten nachgewiesen und angeboten wird, das mindestens ebenso zum Behinderungsausgleich im konkreten Einzelfall geeignet ist.

III.

43

Dem so beschriebenen Sachleistungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass für Hörgeräte Festbeträge festgesetzt wurden. Denn der Festbetrag begrenzt nicht den Sachleistungsanspruch des Versicherten, sondern den Vergütungsanspruch des Leistungserbringers gegenüber der Krankenkasse. Sofern § 12 Abs. 2 SGB V bestimmt, dass die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag erfüllt, wenn für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist, kann er nur die Zahlungspflicht gegenüber dem Leistungserbringer betreffen, da nur diesem gegenüber ein Betrag geschuldet ist. Die Höhe dieser Vergütung wird mit dem Festbetrag festgesetzt.

44

1. § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB V ermächtigt den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) dazu, Hilfsmittel zu bestimmen, für die Festbeträge festgesetzt werden. Nach Satz 2 der Vorschrift sollen unter Berücksichtigung des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Mittel in Gruppen zusammengefasst und die Einzelheiten der Versorgung festgelegt werden. Der gemäß § 36 Abs. 3 SGB V entsprechend anzuwendende § 35 Abs. 5 SGB V bestimmt, dass die Festbeträge so festzusetzen sind, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten.

45

Für Hörhilfen wurden auf dieser Grundlage Festbeträge festgesetzt. Mit der Gesundheitsreform 1989 wurden erstmals Festbeträge eingeführt. Die ursprünglich neun verschiedenen Festbetragsgruppen für Hörgeräte wurden später auf drei Gruppen und 2004 schließlich auf eine einheitliche Gruppe für alle Schweregrade der Hörschädigung reduziert. Ab 01.01.2005 wurde von den Spitzenverbänden der Krankenkassen bundeseinheitlich der Festbetrag auf 421,28 Euro festgesetzt mit einem Abschlag von 20% für das zweite Hörgerät bei beidohriger Versorgung. Am 12.12.2011 hat der GKV-Spitzenverband unter Fortgeltung der zuvor festgesetzten Festbeträge für Hörhilfen mit Wirkung zum 01.03.2012 für die Versorgung von „an Taubheit grenzenden Patienten“ eine neue Abrechnungsposition gebildet und ein entsprechendes Festbetragsgruppensystem für Hörhilfen beschlossen. Unter der Positionsnummer 13.20.10 wurde ein Festbetrag für ein „Hörgerät für an Taubheit grenzende Versicherte“ in Höhe von 786,86 € festgesetzt. Für mittel- und hochgradig schwerhörige Patienten galt der bundeseinheitliche Festbetrag von 421,28 Euro unverändert weiter. Zuletzt hat der GKV-Spitzenverband am 10.06.2013 zum 01.11.2013 mit der Positionsnummer 13.20.12 das Festbetragsgruppensystem „Hörgerät für schwerhörige Versicherte, ausgenommen für an Taubheit grenzend schwerhörige Versicherte“ und einen entsprechenden Festbetrag in Höhe von 733,59 € beschlossen. Mit dieser letzten Festsetzung verloren die früheren Festbetragsgruppen 13.20.01 (Einkanalige HdO- und IO-Geräte), 13.20.02 (Einkanalige HdO- und IO-Geräte mit AGC), 13.20.03 (Mehrkanalige HdO- und IO-Geräte) sowie die Positionsnummern für den jeweiligen Abschlag bei beidohriger Versorgung 13.99.99.1002, 13.99.99.1003 und 13.99.99.1004 ihre Gültigkeit.

46

Derzeit bestehen daher zwei Festbetragsgruppen, die sich ausweislich der aufgeführten Mindestkriterien allein in der Verstärkerleistung (< 75 dB für die Versorgung von schwerhörigen Versicherten, ≥ 75 dB für „an Taubheit grenzende Versicherte“) unterscheiden. Da die Hörgeräteversorgung im Wege der Sachleistung mit dem Ziel eines möglichst vollständigen funktionellen Ausgleichs der Hörbehinderung (bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen, vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 31; ebenso schon Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R –, Rn. 15 und 20) zu erfolgen hat, sind vom Akustiker die Geräte zum Festbetrag abzugeben, die im konkreten Einzelfall zum Ausgleich der Hörbehinderung geeignet und erforderlich sind. Die derzeitige Praxis der Akustiker, nur technisch einfachere Geräte, die gerade die Mindestkriterien der Festbetragsgruppe erfüllen, ungeachtet der tatsächlichen Eignung im Einzelfall als „Festbetragsgeräte“ oder „Kassengeräte“ zu bezeichnen und anzubieten, die im Einzelfall tatsächlich erforderlichen Geräte hingegen nur zu einem Aufpreis abgeben zu wollen, ist hiermit nicht zu vereinbaren. Zum Festbetrag ist vom Akustiker gegenüber der Krankenkasse nicht irgendeine, sondern die im Einzelfall zum Behinderungsausgleich geeignete Versorgung des Versicherten geschuldet.

47

Insofern ist auch die in gerichtlichen Entscheidungen vorgenommene Abgrenzung zwischen „Festbetragsgerät“ bzw. zum Festbetrag erhältlichem „Basis- oder Komfortgerät“ und „Premiumgerät“ irreführend (vgl. nur BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R –, Rn. 22 und 40 m.w.N., BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R -, Rn. 36 f.). Denn es gibt keine – vorab definierte - Gruppe von „Festbetragsgeräten“, mit denen die für den konkreten Behinderungsausgleich tatsächlich als geeignet eingestuften Geräte verglichen werden könnten. Festbetragsgerät ist vielmehr immer ein solches, das der Akustiker zur Versorgung des Versicherten im Einzelfall in Erfüllung seines Vertrages mit der Krankenkasse abzugeben hat. Der Akustiker kann daher nicht schon im Voraus festlegen, welche Geräte er zum Festbetrag abgeben möchte, sondern er hat diese in jedem einzelnen Versorgungsfall durch eine vergleichende Anpassung beim Versicherten konkret anhand des Versorgungsbedarfs zu bestimmen.

48

Ob die derzeit bestehende Gruppenbildung und die Festbetragsfestsetzung einer rechtlichen Überprüfung standhalten würden, ist im vorliegenden Klageverfahren nicht zu entscheiden, da der Sachleistungsanspruch des Klägers auf Versorgung mit den erforderlichen Hörgeräten hiervon unabhängig besteht.

49

2. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 SGB V steht dem Sachleistungsanspruch des Klägers nicht entgegen. Sie lautet:

50

„Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.“

51

Diese Norm wurde bislang so interpretiert, dass die Krankenkasse ihre (Sach-) Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit der Übernahme des Festbetrages erfüllt (vgl. nur BSG, Urteil vom 23.01.2003 – B 3 KR 7/02 R –, Rn. 19; BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 19); der Festbetrag also die Obergrenze des Leistungsanspruchs des Versicherten darstelle (so BSG, Urteil vom 23.01.2003 – B 3 KR 7/02 R –, Rn. 19; dem folgend Bayerisches LSG, Urteil vom 21.08.2008 – L 4 KR 265/06 –, Rn. 14 und zu der allerdings für die Zeit vom 01.01.2004 - 31.03.2007 geltenden Fassung des § 33 SGB V: Bayerisches LSG, Urteil vom 21.08.2008 – L 4 KR 265/06 –, Rn. 14; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.09.2008 – L 5 KR 1539/07 –, Rn. 42; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2009 – L 5 KR 867/07 –, Rn. 36). Bei einem derartigen Normverständnis wird jedoch das im Bereich des Leistungserbringerrechts grundsätzlich bestehende Dreiecksverhältnis nicht berücksichtigt.

52

Bei diesem Dreiecksverhältnis ist zwischen dem krankenversicherungsrechtlichen Verhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse und dem Vertragsverhältnis der Krankenkasse mit dem Leistungserbringer zu unterscheiden. In ersterem besteht hinsichtlich der Hörgeräteversorgung ein Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse (§ 33 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 SGB V), in letzterem hat die Krankenkasse einen vertraglichen Anspruch gegen den Akustiker, wonach der Akustiker verpflichtet ist, die Versicherten für die Krankenkasse mit geeigneten Hörgeräten auszustatten. Der Akustiker hingegen hat gegenüber der Krankenkasse Anspruch auf Vergütung seiner Leistung. Dieser Vergütungsanspruch ist im Bereich der Hörgeräteversorgung auf den Festbetrag bzw. bei entsprechenden Vergütungsvereinbarungen sogar auf den Vertragspreis begrenzt.

53

Derartige Dreiecksverhältnisse sind für das Krankenversicherungsverhältnis typisch, da die Krankenkasse sich zur Leistungserbringung in der Regel besonderer Leistungserbringer bedienen muss. All diesen Leistungsverhältnissen ist gemeinsam, dass der Versicherte durch den Leistungserbringer (im Auftrag der Krankenkasse) mit der jeweiligen Sach- oder Dienstleistung (ärztliche Behandlung, Krankenhausbehandlung, Heil- oder Hilfsmittel) versorgt wird und die Krankenkasse dafür das jeweilige Entgelt an den Leistungserbringer zahlt.

54

Vor diesem Hintergrund kann sich die Regelung des § 12 Abs. 2 SGB V nur auf das Verhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer beziehen. Nur dort ist die Zahlung eines Geldbetrages geschuldet. Nur gegenüber dem Leistungserbringer (hier gegenüber dem Akustiker) kann die Krankenkasse daher ihre Leistungspflicht durch Zahlung des Festbetrages (oder gegebenenfalls durch Zahlung des vereinbarten Vertragspreises) erfüllen. Gegenüber dem Versicherten bleibt die Krankenkasse hingegen zur Erbringung der Sachleistung verpflichtet. Der Versicherte hat gerade keinen Anspruch auf den Festbetrag oder den vertraglich vereinbarten Preis (anders wohl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.09.2008 – L 5 KR 1539/07 –, Rn. 42). Eine Rechtsgrundlage für die Bewilligung einer Kostenbeteiligung bzw. eines Zuschusses zu einer Hörgeräteversorgung besteht demgemäß auch nicht.

55

Um die Erbringung der gegenüber den Versicherten geschuldeten Sachleistung sicherzustellen, hat die Krankenkasse Verträge mit geeigneten Leistungserbringern zu schließen und diese zu einer geeigneten Versorgung der Versicherten zu verpflichten (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 3 und §§ 126 f. SGB V). Gemäß § 127 Abs. 4 SGB V können für Hilfsmittel, für die ein Festbetrag festgesetzt wurde, in den Verträgen Preise höchstens bis zur Höhe des Festbetrags vereinbart werden. § 33 Abs. 7 SGB V bestimmt hierzu: „Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.“

56

Gerade die Regelung des § 127 Abs. 4 i.V.m. § 33 Abs. 7 SGB V macht deutlich, dass weder der Festbetrag, erst recht aber nicht ein von Krankenkassen und Leistungserbringern vereinbarter (niedrigerer) Vertragspreis den Sachleistungsanspruch des Versicherten begrenzen kann. Denn wenn die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker mit den Krankenkassen Preise noch unterhalb der festgesetzten Festbeträge vereinbaren kann, kann hieraus nicht die Pflicht des Versicherten resultieren, den Rest des vom Akustiker im Übrigen frei kalkulierten Gerätepreises selbst zu zahlen. Eine andere Sichtweise zu Grunde gelegt, würde es sich hierbei gerade nicht um Mehrkosten handeln, die wegen einer über das notwendige Maß hinausgehenden Versorgung entstehen. Vielmehr entstünde ein solches Aufzahlungserfordernis, weil die Krankenkasse mit dem Akustiker (zu Lasten der Versicherten) vereinbarte, nur einen (möglichst geringen) Anteil der Kosten zu tragen. Ein derartiges Normverständnis des § 12 Abs. 2 SGB V bzw. des § 127 Abs. 4 SGB V würde den bestehenden Sachleistungsanspruch schon im Ansatz verkennen. Auch im vorliegenden Fall hatte die Beklagte lediglich einen (anhand der vorgelegten Vergütungsvereinbarung nicht nachvollziehbaren) Zuschuss in Höhe von 1.296,07 Euro in Aussicht gestellt, obwohl der Festbetrag allein für die Hörgeräte bei beidohriger Versorgung sich seinerzeit bereits auf über 1.400 Euro belaufen hätte.

57

Daher ist die Regelung des § 12 Abs. 2 SGB V so anzuwenden, dass durch die Festsetzung eines Festbetrages für Hörhilfen nicht der Sachleistungsanspruch des Versicherten begrenzt wird, sondern der Entgeltanspruch des Leistungserbringers im Sinne einer Versorgungspauschale festgeschrieben wird. Dieses Normverständnis ist mit dem Wortlaut vereinbar. Der Normtext selbst bleibt insofern vage. Die Formulierung „… erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag“ enthält keinen Hinweis darauf, gegenüber wem hier welche Pflicht erfüllt wird. Das SGB V sieht bei der Versorgung mit Hörgeräten derzeit einen Sachleistungsanspruch vor, der durch die Festbetragsfestsetzung nicht aufgegeben wurde. Hierauf hatte bereits das BVerfG in seinem Urteil vom 17.12.2002 – 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 –, Rn. 138-140 hingewiesen. Das BVerfG (Urteil vom 17.12.2002 – 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 –, Rn. 139 f.) führte hierzu aus:

58

„Soweit in den Gesetzesmaterialien erwähnt wird, es könne sich vorübergehend - insbesondere in der Anfangsphase - ergeben, dass für den Festbetrag kein Mittel auf dem Markt zur Verfügung stehe, so dass Versicherte sogar notwendige Mittel nur mit Zuzahlung erhalten könnten (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 176), findet dies im Gesetzestext keine Stütze. Die Versicherten müssen sich nicht mit Teilkostenerstattung zufrieden geben. …. im Hilfsmittelsektor muss die Versorgung mit ausreichenden, zweckmäßigen und in der Qualität gesicherten Hilfsmitteln als Sachleistung gewährleistet sein. Welche Bedeutung insoweit dem Zusatz "im Allgemeinen" in § 35 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 3 SGB V zukommt, werden die Gerichte zu klären haben. …

59

Eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip wäre von so erheblicher Tragweite für das System der gesetzlichen Krankenversicherung, dass nur der Gesetzgeber selbst sie verantworten könnte. Er hat diese Entscheidung ersichtlich nicht getroffen und sie auch - ungeachtet der Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit - nicht in das Gestaltungsermessen der Verbände gegeben. Feste Zuzahlungen oder prozentuale Beteiligungen, die nur den allgemeinen Sparzwang kennzeichnen, nicht aber als Merkmale für die Auswahl wirtschaftlicher Mittel im Rahmen der gesamten Angebotspalette taugen, waren nicht gewollt. … “.

60

3. Das Bestehen eines Sachleistungsanspruchs wird zwar auch in der Rechtsprechung immer wieder bestätigt. Die hieran aber jeweils angeknüpfte Behauptung, die Krankenkasse erfülle ihre (Sach-)Leistungspflicht mit der Übernahme des Festbetrages (BSG, Urteil vom 23.01.2003 – B 3 KR 7/02 R –, Rn. 19; BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.09.2008 – L 5 KR 1539/07 –, Rn. 42), übersieht den logischen Bruch in der Argumentation. So hat der 3. Senat in seinem Urteil vom 23.01.2003 (– B 3 KR 7/02 R –, Rn. 19) unter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG vom 17.12.2002 ausgeführt, der Leistungsanspruch (auf Versorgung mit Hörgeräten) sei zwar grundsätzlich im Wege der Sachleistung zu erfüllen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Festsetzung eines Festbetrags führe nach § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V aber dazu, dass die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags zu tragen habe, während der etwaige Differenzbetrag bis zum Abgabepreis des Leistungserbringers grundsätzlich dem Versicherten zur Last falle. Der Festbetrag stelle also die Obergrenze des Leistungsanspruchs des Versicherten dar. Die Festsetzung eines solchen Festbetrags (§ 36 SGB V) ändere aber nichts am Sachleistungsprinzip (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V), das sich am Bedarf des Versicherten orientiere. Sie betreffe lediglich die Leistungshöhe und nicht den Leistungsanspruch dem Grunde nach.

61

Im Anschluss hieran geht die derzeitige Rechtsprechung – soweit ersichtlich – davon aus, dass, soweit die Krankenkasse die Sachleistung auf der Grundlage einer Festbetragsregelung zu erbringen habe, also „unter Zuzahlungspflicht des Versicherten hinsichtlich des den Festbetrag übersteigenden Teils des Kaufpreises“, sie im Regelfall ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag erfülle (§ 12 Abs. 2 SGB V). Dies sei grundsätzlich verfassungsgemäß, gelte jedoch nur, wenn eine sachgerechte Versorgung des Versicherten zu den festgesetzten Festbeträgen möglich sei. Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenze die Leistungspflicht der Krankenkasse nämlich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreiche (LSG Niedersachsen-Bremen vom 15.06.2005 - L 4 KR 147/03; BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 3 KR 20/06 R – [zu Sehhilfen], Rn. 13; BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 R 33/07 R -; Hessisches LSG, Urteil vom 24.07.2014 – L 8 KR 352/11 –, Rn. 47; SG Aachen, Urteil vom 07.07.2015 – S 13 KR 315/14 –, Rn. 36). (Nur) soweit der Festbetrag für den Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreiche, bleibe es bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von Zuzahlungen abgesehen - kostenfreien Versorgung der Versicherten (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R –, Rn. 29; BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R -, Rn. 19). Folgerichtig hinterfragt der 3. Senat im Urteil vom 17.12.2009 die Rechtmäßigkeit der maßgeblichen Festbetragsfestsetzung (a.a.O, Rn. 30) und verwirft diese dann stillschweigend.

62

Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Die Argumentation, der Festbetrag betreffe nur die Leistungshöhe und nicht den Leistungsanspruch dem Grunde nach (BSG, Urteil vom 23.01.2003 – B 3 KR 7/02 R –, Rn. 19; ähnlich BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R –, Rn. 36), vermag nicht aufzuzeigen, wie ein Sachleistungsanspruch nur dem Grunde, nicht aber der Höhe nach erfüllbar sein könnte. Der Anspruch auf Versorgung der Versicherten mit Hörgeräten ist auch weiterhin nicht als Anspruch auf Zuschuss – wie etwa beim Zahnersatz – oder als Kostenerstattungsanspruch geregelt. Hätte der Gesetzgeber die Abkehr vom Sachleistungsprinzip des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V bei Festsetzung von Festbeträgen beabsichtigt, hätte dies in den entsprechenden Normen zum Ausdruck kommen müssen. Da dies im Bereich der Hörgeräteversorgung derzeit nicht der Fall ist (die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 4 in der durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. 11. 2003 [BGBl. I S. 2190] m.W.v. 01.01.2004 geltenden Fassung, wonach der Versicherte die Differenz zwischen dem sich aus den ausgehandelten Durchschnittspreisen des unteren Preisdrittels ergebenden von der Kasse zu zahlenden Preis und dem Abgabepreis zahlen sollte, beruhte erkennbar auf der zuvor getroffenen Entscheidung des 3. Senates des BSG, Urteil vom 23.01.2003 – B 3 KR 7/02 R –, Rn. 19 und wurde durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.03.2007 [BGBl. I S. 378] m.W.v. 01.04.2007 wieder aufgehoben), kann sich § 12 Abs. 2 SGB V nur auf die Pflicht der Krankenkasse gegenüber dem Leistungserbringer zur Vergütung beziehen.

63

Richtigerweise begrenzt daher die Festsetzung eines Festbetrages nur die Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse dem Leistungserbringer zu zahlen hat. Ein Leistungserbringer, der sich an der vertraglichen Versorgung der Versicherten beteiligt, kann für jede Versorgung den Festbetrag (bzw. den vertraglich vereinbarten Preis) beanspruchen. Es handelt sich nicht um einen Höchstpreis, sondern um einen festgesetzten Pauschalpreis. Der Verweis des § 36 Abs. 3 SGB V auf § 35 Abs. 5 SGB V zeigt, dass der festgesetzte Betrag „im allgemeinen“ eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten muss. Dies ist kennzeichnend für eine Pauschale, da mit ihr alle Versorgungsfälle zu vergüten sind, also sowohl für den Leistungserbringer sehr preiswert durchführbare als auch besonders aufwändige Versorgungen. Im Allgemeinen ist eine Versorgung dann gewährleistet, wenn die Pauschale die Mehrzahl der (durchschnittlichen) Versorgungsfälle abzudecken in der Lage ist. Bei einer pauschalierten Vergütung wird in Kauf genommen, dass der Betrag in Einzelfällen zu hoch oder aber auch zu niedrig ist. Die Annahme, es handele sich bei dem Festbetrag um einen Höchstpreis bzw. eine Obergrenze, steht zudem im Widerspruch mit der tatsächlichen Geschäftsabwicklung zwischen Akustikern und Krankenkassen. Tatsächlich zahlen die Krankenkassen – soweit hier bekannt - jeweils den Festbetrag, es sei denn, es wurde ein (niedrigerer) Preis vertraglich vereinbart. Auch die Zeugin hat im vorliegenden Fall bestätigt, dass in jedem Falle eine Abrechnung zum Vertragspreis bzw. Festbetrag erfolge, selbst wenn die konkrete Versorgung günstiger erfolgen könne.

64

Ein Akustiker kann also im Rahmen des Versorgungsvertrages von der Krankenkasse für die Versorgung eines Versicherten (nur, aber auch jedenfalls) den einschlägigen Festbetrag beanspruchen, sofern nicht der vertraglich vereinbarte Preis gilt. Es handelt sich daher um einen festgesetzten Pauschalpreis für jeden Versorgungsfall. Aufpreise kann der Akustiker bei der Versorgung eines Versicherten der GKV nur für die Ausstattungsmerkmale und Produktausführungen erhalten, die der Versicherte zusätzlich begehrt und die „über das reine Hören“ hinausgehen. Sollte allerdings eine Versorgung ausschließlich mit einem Gerät möglich sein, das zusätzlich über für den Behinderungsausgleich nicht erforderliche Merkmale verfügt, so wäre auch dieses zum Festbetrag abzugeben, da der Sachleistungsanspruch auf bestmöglichen Hörbehinderungsausgleich sich auch in einem solchen Fall auf das bestgeeignete Gerät bezieht. Die Akustiker zur Erfüllung ihres Versorgungsauftrages im Rahmen der vertraglichen Beziehungen anzuhalten, ist Sache der (sach-) leistungspflichtigen Krankenkassen.

IV.

65

Dem Sachleistungsanspruch des Klägers auf Versorgung mit den begehrten Hörgeräten stehen Gründe der Wirtschaftlichkeit nicht entgegen. Das Maß des Notwendigen ist vorliegend nicht überschritten, sodass die Mehrkostenregelung des § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V nicht greift.

66

Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V verankert. § 12 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Wählen Versicherte Hilfsmittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V; ebenso § 31 Abs. 3 SGB IX). Krankenkassen haben nach der Rechtsprechung des 3. Senates des BSG insofern nicht für solche Verbesserungen aufzukommen, die keine Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels bzw. lediglich ästhetische Vorteile betreffen (vgl. nur BSG, Urteil vom 16.09.2004 – B 3 KR 20/04 R –, Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R -, Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 3/12 R -, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R –, Rn. 21 und Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 34). Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist dabei aber grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn mehrere tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 68/01 R –, Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 4/08 R -, Urteil vom 20.11.2008 - B 3 KR 6/08 R - und Urteil vom 25.06.2009 - B 3 KR 10/08 R -). Eine Begrenzung eines bestehenden Sachleistungsanspruchs durch das Wirtschaftlichkeitsgebot kann also erst dann greifen, wenn es mehrere funktionell zumindest gleich geeignete Versorgungsmöglichkeiten gibt. Dann hat der Versicherte lediglich einen Anspruch auf die preiswertere Versorgung.

67

Da der Akustiker für die „geeignete, ausreichende“ Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten im Rahmen der Leistungsbeziehung nur den Festbetrag bzw. hier den Vertragspreis beanspruchen kann, dürfte es praktisch auch keine preiswerteren Geräte geben. Die Krankenkasse schuldet in jedem Fall den Festbetrag bzw. vorliegend gemäß der geltenden Versorgungsvereinbarung mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker vom 01.02.2005 einen feststehenden Vertragspreis. Es handelt sich insofern nicht um einen Höchstbetrag, sondern – wie bereits ausgeführt - um eine Pauschale, die für jede Versorgung ungeachtet des konkret anfallenden Aufwandes zu zahlen ist. Sofern mehrere Geräte einen gleich guten Behinderungsausgleich ermöglichen würden, wäre der Akustiker nach der geltenden Versorgungsvereinbarung allerdings befugt, lediglich zwei davon zum Vertragspreis abzugeben. Nur wenn der Versicherte sich in einem solchen Fall gleichwohl für ein vom Akustiker teurer abgegebenes Modell entscheiden würde, hätte er den Mehrpreis zu zahlen.

68

Die Versorgung des Klägers mit den Hörgeräten der Firma OTICON Chili SP 9 ist – wie gezeigt – für den bestmöglichen Behinderungsausgleich notwendig. Eine andere, gleich geeignete Versorgung konnte weder die Akustikerin noch die Beklagte bzw. der MDK benennen. Mangels Versorgungsalternative, mit der der Kläger ein ebenso gutes Hörergebnis erzielen könnte, greifen Wirtschaftlichkeitserwägungen daher nicht ein.

V.

69

Ein neben dem krankenversicherungsrechtlichen Anspruch gegebenenfalls bestehender (vgl. den Ausschluss nur für zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz in § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) und ebenfalls auf Sachleistung gerichteter Anspruch nach den Vorschriften des SGV VI würde im vorliegenden Fall (abgesehen von der nach krankenversicherungsrechtlich vorgesehenen Zuzahlung durch den Versicherten) nicht weiter reichen. Dass der Kläger (auch und in besonderem Maße) im beruflichen Umfeld in der Lage sein muss, Telefongespräche und Gespräche in der Gruppe oder bei störenden Umgebungsgeräuschen zu führen und zu verstehen, macht die hierfür benötigte Herstellung der Hörfähigkeit nicht zu einem berufsbedingten Mehrbedarf (anders wohl BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 R 33/07 -, Rn. 48 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 24.04.2008 – B 3 KR 24/07 -; noch weitergehend BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 -, Rn. 37: für den „Alltagsgebrauch“ habe ein „zum Festbetrag erhältliches“ Hörgerät offenbar noch ausgereicht, hingegen sei das gewählte „Premiumgerät“ für die berufliche Tätigkeit wegen der dort üblicherweise vorhandenen Störgeräusche zwingend erforderlich gewesen, sodass eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten sei, a.a.O, Rn. 51). Denn die genannten Fähigkeiten würden den Kläger gegebenenfalls nicht von einem hörgesunden Menschen unterscheiden. Solange das Hörvermögen eines Versicherten aber noch nicht derart ausgeglichen ist, dass er auch diese Situationen wie ein Gesunder bewältigen kann, ist der Behinderungsausgleich im Hinblick auf das allgemeine Grundbedürfnis des täglichen Lebens gerade noch nicht vollständig gelungen. Sollte ein hörgeschädigter Versicherter im privaten Umfeld keine Telefonate oder Gespräche in Gruppen führen müssen oder wollen, etwa weil er sehr zurückgezogen lebt, wäre sein Hörvermögen im Sinne des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens gleichwohl erst dann ausgeglichen, wenn er dies bestmöglich könnte. Hingegen ist es denkbar, dass der Anspruch auf Versorgung mit einem Hörgerät im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nach den Vorschriften des SGB VI (§ 15 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 und § 31 SGB IX) hinter dem des § 33 SGB V zurückbleibt, da diese Leistungen zum einen mit der Zielsetzung erfolgen, den Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (§ 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB VI). Ein Versicherter muss also neben den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zunächst die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI erfüllen, um überhaupt einen Anspruch zu erwerben. Zum anderen sind diese Leistungen auf medizinische Rehabilitation als Ermessensleistungen ausgestaltet (§ 9 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 SGB VI).

70

Sofern der 3. Senats des BSG für den Anspruch auf medizinische Rehabilitation im Wege der Versorgung mit Hörgeräten einen unterschiedlichen Maßstab an die Erfordernisse nach dem SGB V und nach dem SGB VI anlegt, vermag dies nicht zu überzeugen. In der zuletzt hierzu getroffenen Entscheidung (BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –) hat der 3. Senat im Ergebnis die beigeladene Krankenkasse als erstangegangenen Träger zur Kostenerstattung verpflichtet, weil diese den rentenversicherungsrechtlichen Anspruch der Klägerin gegen die gesetzliche Rentenversicherung auf medizinische Rehabilitation (als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, vgl. Rn. 47) unberücksichtigt gelassen habe. Nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX seien als Leistung zur medizinischen Rehabilitation wiederum Hilfsmittel zu gewähren, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich seien, um eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen. Insofern komme die für den Bereich des § 33 SGB V vorgenommene Begrenzung auf Nutzungsvorteile, die eine Behinderung (auch) im gesamten täglichen Leben ausgleichen oder mildern, außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der GKV „naturgemäß“ nicht zur Anwendung (BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R –, Rn. 50).

71

Eine derart unterschiedliche Definition des Behinderungsausgleichs bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, zu dem sowohl die Krankenversicherung als auch die Rentenversicherung über § 26 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX gleichermaßen aufgefordert sind, erschließt sich nicht. Der Argumentationsansatz mag sich daraus erklären, dass Leistungen der medizinischen Rehabilitation mit solchen zur Teilhabe am Arbeitsleben vermengt wurden (BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 -, Rn. 47, 52). Richtigerweise kommt bei einem ausschließlichen Berufsbezug nicht die Gewährung eines Hörgerätes als Leistung der medizinischen Rehabilitation in Frage (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX: bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens), sondern es kommen Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 und 6 i.V.m. Abs. 8 Nr. 4 SGB IX in Betracht, die gerade die besonderen Anforderungen hinsichtlich einer Berufsausübung oder des Arbeitsplatzes im Blick haben. Rehabilitationsträger für derartige Ansprüche ist u.a. die gesetzliche Rentenversicherung, nicht aber die Krankenversicherung (vgl. § 6 Abs. 1 SGB IX). Diese Schwelle ist aber so lange nicht überschritten, wie es noch um die bestmögliche (Wieder-)Herstellung des reinen Hörvermögens geht, denn dies ist Aufgabe der medizinischen Rehabilitation.

VI.

72

Da der Kläger die Versorgung mit den begehrten Hörgeräten als Leistung der medizinischen Rehabilitation (§ 26 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, § 33 SGB V) beanspruchen kann, kommen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX) nicht in Betracht. Denn der Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist gegenüber einem Anspruch auf medizinische Rehabilitation bzw. Krankenbehandlung (§ 26 Abs. 2 Nr. 6, § 31 SGB IX, § 33 SGB V) nachrangig, vgl. § 33 Abs. 8 Nr. 4 letzter Halbsatz SGB IX. Denkbar wäre ein solcher Anspruch nur dann, wenn ein Versicherter behinderungsbedingt eine besondere technische Zusatzausstattung gerade für den konkreten Arbeitsplatz oder nur für die Ausübung eines bestimmten Berufes benötigte. Da der Ausgleich der reinen Hörbehinderung des Klägers im Rahmen der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens und damit als medizinische Leistung erforderlich ist, sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben darüber hinaus nicht zu erbringen.

VII.

73

Die Beklagte war daher zur Versorgung des Klägers zu verpflichten. Dabei obliegt ihr die Durchführung der Versorgung und insbesondere die Umsetzung der hierfür geltenden Vereinbarung mit dem Akustiker. Sie kann vom Akustiker die Versorgung des Klägers gemäß der Vereinbarung mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker vom 01.02.2005 verlangen.

74

Gemäß § 1 Abs. 2 der Vereinbarung hat der Akustiker eine ausreichende, zweckmäßige und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Nach § 3 Abs. 5 der Vereinbarung hat der Akustiker dem Versicherten im Rahmen der Anpassung mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsvorschläge mit Hörsystemen, die dem aktuellen technischen Stand entsprechen, zu unterbreiten. Diese Geräte müssen zur Versorgung des jeweiligen Hörverlustes geeignet sein. Die pauschale Vergütung erfolgt gemäß § 6 der Vereinbarung nach der Preisvereinbarung der Anlage 2. Mit der Vergütung werden sämtliche Kosten für den vertraglich vereinbarten Leistungsumfang abgegolten. Insbesondere übernimmt der Akustiker für die Dauer von sechs Jahren nach abgeschlossener Anpassung alle notwendigen Wartungs- und Reparaturarbeiten auf der Basis der pauschalen Vergütung (§ 6 Abs. 3 der Vereinbarung). In der Protokollnotiz zu § 6 Abs. 3 der Vereinbarung wird der Umstand der pauschalen Vergütung nochmals ausgeführt.

75

Gegenüber dem Kläger hat der vertraglich gebundene Akustiker – von der gemäß § 33 Abs. 8 SGB V zu leistenden Zuzahlung in Höhe von 10 Euro abgesehen - keinen über den Fest- bzw. hier Vertragspreis hinausgehenden Anspruch auf eine höhere Vergütung. Auch gegenüber der Beklagten dürfte ihm ein solcher Anspruch wohl nicht zustehen, was hier jedoch offen gelassen werden kann. Selbst wenn der Akustiker als Leistungserbringer der Auffassung sein sollte, er sei vertraglich zu weniger als zur bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Sinne des oben beschriebenen weitestgehenden Behinderungsausgleichs verpflichtet, sodass die Krankenkasse für die von ihr jedenfalls gegenüber dem Versicherten geschuldete Versorgung einen höheren als den Vertragspreis zu entrichten habe, wäre ein derartiger Vergütungsstreit innerhalb der Vertragsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse zu führen und beträfe den Kläger nicht.

76

Für den Kläger bleibt es beim Anspruch auf Versorgung mit den erforderlichen Hörgeräten als Sachleistung.

77

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

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