Urteil vom Sozialgericht Speyer (17. Kammer) - S 17 P 19/15

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) streitig.

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Die am ...1924 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert.

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Seit dem 1.9.2013 befindet sich die Klägerin im Bezug von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II.

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Durch den Club Behinderter und ihrer Freunde … e.V. (cbf) wurde von der A… Projektentwicklung GmbH eine Wohnung in der … Straße 13 in L… angemietet. Die Wohnung ist in sich abgeschlossen und weist eine gemeinsame Haustür sowie einen gemeinsamen Sanitärbereich und Küche auf.

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Die Wohnung wird durch eine Wohngemeinschaft mit 8 betreuungs- und teilweise pflegebedürftigen Personen bewohnt. Durch die einzelnen Bewohner dieser Wohngemeinschaft wurde jeweils ein Untermietvertrag mit dem cbf abgeschlossen.

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Den Bewohnern der Wohngruppe wird der pflegerische sowie betreuerische Rahmen durch spezielle Angebote des cbf und das Vorhalten von pflegerischen Leistungen durch den ambulanten Pflegedienst des cbf vorgegeben. Die Wohngemeinschaft wird durch eine vom cbf organisierte pädagogische Fachkraft geleitet und koordiniert.

7

Die Bezahlung der Fachkraft erfolgt durch die Bewohner.

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Am 7.7.2011 schloss die Klägerin mit dem cbf einen Vertrag über die ambulante pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung (Pflegevertrag) ab. Auf Basis dieses Vertrags wurden durch das Personal des cbf ab dem 7.7.2011 ambulante pflegerische und hauswirtschaftliche Leistungen für die Klägerin erbracht. Auf den Pflege

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Im August 2013 wurde zwischen der Klägerin und dem cbf ein Untermietvertrag über ein Zimmer in der oben genannten Wohnung in der  ... Straße 13 in L… abgeschlossen. Gegenstand des Untermietvertrages ist die Überlassung des Zimmers sowie die Möglichkeit der Nutzung der in der Wohnung befindlichen Nebenräume (Küche, Bad/Dusche, Aufenthaltsraum und Kellerraum). Die Monatsmiete für das Zimmer wies eine Höhe von 280,00 € auf. Durch die Klägerin waren nach dem Mietvertrag weitere Nebenkosten von monatlich 149,00 € zu zahlen. Das Mietverhältnis sollte zum 1.8.2013 beginnen.

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In dem Mietvertrag war des Weiteren geregelt, dass in der Zeit zwischen 13:00 Uhr-15:00 Uhr und nach 22:00 Uhr unbedingt Ruhe herrschen muss. Darüber hinaus war die Klägerin vertraglich zur Reinigung der gemeinschaftlich benutzten Räume und Einrichtungsgegenstände verpflichtet.

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§ 7 Nr. 2 des Mietvertrags lautete wie folgt:

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Nr. 2 Außerordentliche Kündigung

13

der Hauptmieter kann das Mietverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung kündigen, wenn

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a) der Untermieter die Hilfe des betreuten Wohnens nicht mehr bedarf oder Betreuung durch den CBF nicht mehr ein Anspruch nimmt

15

b) der Untermieter schuldhaft den Hausfrieden so nachhaltig stört, dass dem Hauptmieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann-insbesondere auch bei Alkohol-und Drogenmissbrauch

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c) der Vermieter dem Hauptmieter die Mietvertrag mit sofortiger Wirkung aufkündigt“.

17

Auf den Untermietvertrag aus dem Monat August 2013 (Blatt 31-33 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

18

Der durch die Klägerin mit dem cbf geschlossene Untermietvertrag war mit dem Pflegevertrag gekoppelt. Der Pflegedienst konnte durch die Klägerin nicht selbstständig ausgewählt werden.

19

Auf das Schreiben des cbf vom 25.7.2014 und den Schriftsatz der Klägervertreter vom 15.6.2014 (Blatt 4 der Verwaltungsakte und 30 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

20

Zum 1.8.2013 bezog die Klägerin ihr Zimmer in der Wohngemeinschaft in der … Straße 13 in L….

21

Zum Zeitpunkt des Einzugs der Klägerin in die Wohnung lebten 7 weitere Mitbewohner in der Wohngemeinschaft, von denen 2 pflegebedürftig waren.

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Im Hinblick auf die Bezahlung der pädagogischen Fachkraft stellte sich die Problematik, dass die sieben Mitbewohner der Klägerin ihren Anteil durch ein persönliches Budget in Höhe von durchschnittlich 3 Stunden/Woche erbrachten. Die Klägerin selbst musste Ihren Anteil an der Bezahlung der pädagogischen Fachkraft aus eigenen finanziellen Mitteln aufwenden.

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Seit dem 8.7.2015 ist die Klägerin im Pflegeheim Bethesda untergebracht.

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Am 3.4.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf die Gewährung von Leistungen nach § 38a SGB XI für die Zeit ab dem 1.1.2013.

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Mit Bescheid vom 19.8.2014 lehnte die Beklagte die Gewährung des pauschalen Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin vom 4.9.2014 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.1.2015 (zugestellt am 20.1.2015) als unbegründet zurück. Zur Begründung machte die Beklagte geltend, dass der Gewährung eines pauschalen Zuschlags nach § 38 a SGB XI die fehlende freie Wählbarkeit eines Pflegedienstes entgegenstehe. Sowohl durch § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI in Verbindung mit § 4 Abs. 2 des Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe für das Land Rheinland-Pfalz, als auch nach § 38a Abs. 2 SGB XI stehe die Verknüpfung von Pflegeleistungen und Wohnraumüberlassung der Gewährung eines Wohngruppenzuschlags entgegen.

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Am 20.2.2015 hat die Klägerin die vorliegende Klage bei dem Sozialgericht Speyer erhoben.

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Die Klägerin macht geltend, dass die Vorgehensweise der Beklagten, die Leistungen nach § 38a SGB XI gemäß § 83 SGB XII als zweckgleiche Leistung auf die in der Wohngemeinschaft vereinbarte Betreuungspauschale anzurechnen, rechtswidrig sei.

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Die Klägerin beantragt:

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die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids von 19.8.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.1.2014 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab dem 1.1.2013 bis zum 8.7.2015 den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt:

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die Klage wird abgewiesen.

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Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid.

33

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

35

Der Bescheid der Beklagten von 19.8.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids und 13.1.2014 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren subjektiven Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von zusätzlichen Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen gemäß § 38a SGB XI.

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1. Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags war im Zeitraum vom 1.1.2013 bis zum 31.12.2014 § 38 a SGB XI in der maßgeblichen Fassung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) vom 23.10.2012 (Bundesgesetzblatt I, Seite 2246; im folgenden § 38 a SGB XI (a.F.)).

37

Nach dieser Vorschrift haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200,00 € monatlich, wenn sie 1.) in ambulant betreuten Wohngruppen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben, 2.) sie Leistungen nach §§ 36, 37 oder 38 SGB XI beziehen, 3.) in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet und 4.) es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens 3 Pflegebedürftigen handelt mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, dem die jeweils maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften oder ihre Anforderungen an Leistungserbringer nicht entgegenstehen. Keine ambulante Versorgungsform liegt nach § 38a Abs. 2 Satz 1 SGB XI (a. F.) vor, wenn die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt ist. Die von der Gemeinschaft unabhängig getroffenen Regelungen und Absprachen sind keine tatsächlichen Einschränkungen in diesem Sinne (§ 38a Abs. 2 Satz 2 SGB XI (a. F.)).

38

Vorliegend fehlt es an einer ambulanten Versorgungsform im Sinne des § 38 a Abs. 1 SGB XI (a.F.), da die freie Wählbarkeit der Pflege-und Betreuungsleistungen zur Überzeugung der Kammer eingeschränkt war.

39

Die Kammer stützt sich in ihrer Überzeugung von der eingeschränkten Wählbarkeit, zum einen auf den Schriftsatz der Klägervertreter vom 15.06.2015, in dem auf Nachfrage der Kammer bestätigt worden ist, dass der Pflegevertrag und der Untermietvertrag der Klägerin faktisch miteinander gekoppelt waren.

40

Die Kammer stützt sich zum anderen auf die Regelung des § 7 Nr. 2a des Untermietvertrages, wonach der cbf unter anderem dann zur außerordentlichen Kündigung des Untermietverhältnisses berechtigt ist, wenn der Untermieter die Betreuung durch den cbf nicht in Anspruch nimmt. Auch die im Schreiben des cbf vom 25.7.2014 geschilderte Struktur der Wohngemeinschaft bestätigt die jedenfalls faktische Koppelung von Pflege-und Untermietvertrag. Hiernach wird die jeweilige Wohnung durch den cbf angemietet und den Bewohnern der Wohngruppe der pflegerische sowie betreuerische Rahmen durch spezielle Angebote, das Vorhalten von pflegerischen Leistungen durch den eigenen Pflegedienst sowie das Vorhalten einer pädagogischen Fachkraft (Sozialarbeiterin) vorgegeben. Für eine eigenständige Organisation der pflegerischen Versorgung durch die Mitbewohner bleibt innerhalb dieser (vorgegebenen) Struktur kein Raum. Dies wird im Übrigen durch den CBF selbst bestätigt, der in dem Schreiben vom 25.07.2014 angibt, dass die Wohngemeinschaft keine durch die Mitbewohner selbstorganisierte Pflege-WG ist.

41

2. Auch für den Zeitraum vom 1.1.2015 bis zum 7.7.2015 besteht kein Anspruch der Klägerin auf die Gewährung des pauschalen Zuschlags nach § 38a SGB XI in der Fassung des Ersten Pflegestärkungsgesetzes (PSG I) vom 17.12.2014 (Bundesgesetzblatt I, Seite 2222; im folgenden § 38a SGB XI (n. F.).

42

Diese Bestimmung lautet:

43

(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 € monatlich, wenn

44

1. sie mit mindestens 2 und höchstens 9 weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zwecke der gemeinschaftlich organisierten pflegerische Versorgung leben und davon mindestens 2 weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz nach § 45 a bei Ihnen festgestellt wurde,

45

2. sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, 45 b oder § 123 beziehen,

46

3. eine Person von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerische Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten und hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten, und

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4. keine Versorgungsform vorliegt, in der der Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs. 1 die vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten in der Wohngruppe nicht erbracht wird, sondern die Versorgung auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfelds sichergestellt werden kann.

48

Durch die Wohngemeinschaft der Klägerin in der … Straße 13 in L… werden die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB XI (n.F.) nicht erfüllt.

49

Zum einen ist der nach § 38 a Abs. 1 Nr. 1 SGB XI (n.F.) erforderliche Wohnzweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerische Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung nicht gegeben (dazu a). Darüber hinaus ist durch die Mitglieder der Wohngruppe keine Person gemeinschaftlich beauftragt worden, um die in § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI (n.F.) genannten Tätigkeiten und/oder Unterstützungsleistungen zu erbringen (dazu b).

50

a) Zwar lebten in der … Straße 13 in L… in einer gemeinsamen Wohnung 8 Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe zusammen. Eine Würdigung der inneren und äußeren Umstände führt jedoch zum Ergebnis, dass dieses Zusammenleben nicht zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung erfolgte. Es handelt sich vielmehr um eine durch den cbf organisierte und strukturierte Wohngruppe, in der die einzelnen Bewohner von diesem ambulant betreut werden. Ein gemeinschaftlich organisiertes Wohnen sowie eine gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung waren nicht gegeben (siehe oben).

51

b) Darüber hinaus wurde durch die Mitglieder der Wohngruppe keine Person zu Wahrnehmung der in § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI genannten Aufgaben und Unterstützungsleistungen beauftragt. Nur durch diese neben das gemeinschaftlich organisierte Wohnung tretende Element der Beauftragung einer Person mit diesen Aufgaben werden die Aufwendungen ausgelöst, die der Wohngruppenzuschlag abdecken soll (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.2.2016, Az.: B 3 P 5/14 R).

52

Zwar wird die Wohngemeinschaft von einer pädagogischen Fachkraft geleitet und koordiniert. Diese pädagogische Fachkraft gehört jedoch zu der durch den cbf vorgegebenen Struktur der Wohngemeinschaft; eine gemeinschaftliche Auswahl und Beauftragung dieser Fachkraft durch die Bewohner der Wohngemeinschaft ist nicht erfolgt. Es obliegt den Mitgliedern der Wohngemeinschaft lediglich, die finanziellen Mittel zur Bezahlung der Fachkraft aufzubringen.

53

Die Kostentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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