Gerichtsbescheid vom Sozialgericht Speyer (19. Kammer) - S 19 KR 479/14

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Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einer wasserfesten Oberschenkprothese mit Kniegelenk 3R80 des Herstellers O… B… nebst den weiteren erforderlichen Passteilen gemäß Kostenvoranschlag vom 11.08.2015 des Sanitätshauses Sch… Orthopädie- und Rehatechnik Zentrum GmbH H… zu versorgen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Versorgung mit einer wasserfesten Oberschenkprothese mit dem Kniegelenk 3R80 des Herstellers O… B….

2

Der 1966 geborene Kläger ist auf Grund eines Zustandes nach Oberschenkelamputation (links) derzeit mit einer C-Leg-Prothese und einem microprozessorgesteuerten Genium-Kniegelenk mit Standphasendämpfung versorgt.

3

Im Januar 2009 hatte der Kläger bei der Beklagten die Versorgung mit einer Badeprothese mit Hydraulikknie beantragt, was die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 09.04.2009 als Zweitversorgung ablehnte. Auf den Widerspruch des Klägers hin nahm die Beklagte diesen Bescheid mit Bescheid vom 02.06.2009 nach Beratung durch den MDK (Gutachten vom 22.05.2009) zurück und bewilligte die Versorgung mit einer wasserfesten Zweitprothese dem Grunde nach. Nachdem der Kläger hiergegen wiederum Widerspruch eingelegt hatte, mit dem er die Versorgung auch mit dem Hydraulikknie begehrte sowie sich gegen die Standardfußversorgung richtete, holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK vom 09.08.2009 ein und wies den Widerspruch letztlich mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2009 zurück. Mit der hiergegen erhobenen Klage vor dem Sozialgericht Speyer (Az.: S 11 KR 457/09) begehrte der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, neben der bereits bewilligten Badeprothese auch die Kosten für deren Ausstattung mit einem hydraulischen Kniegelenk zu übernehmen. Mit Urteil vom 29.09.2011 hatte das Sozialgericht Speyer die Klage abgewiesen. Nachdem der Kläger sich seinerzeit die begehrte Badeprothese mit hydraulischem Kniegelenk selbst beschafft hatte, haben die Beteiligten im Berufungsverfahren vor dem LSG Rheinland-Pfalz (Az.: L 5 KR 278/11) in der mündlichen Verhandlung am 15.03.2012 dann einen Vergleich geschlossen, wonach die Beklagte sich verpflichtete, dem Kläger die Kosten der selbst beschafften Prothese in Höhe der Kosten der Standardbadeprothese zuzüglich der Hälfte des Differenzbetrages zwischen den Kosten der Standardbadeprothese und der Badeprothese mit hydraulischem Kniegelenk entsprechend einzuholender Kostenvoranschläge zu erstatten. Zudem verpflichtete sich die Beklagte, künftige Reparaturen der vom Kläger beschafften Prothese zu übernehmen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien und die Kosten nicht für die Reparatur des hydraulischen Kniegelenks anfielen. Im April 2012 hat die Beklagte demgemäß dem Kläger für die selbstbeschaffte Badeprothese den Betrag von 5.003,39 Euro abzüglich 10 Euro Zuzahlung erstattet.

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Am 01.04.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Versorgung mit einem neuen Badeprothesenkniegelenk „3R80 Modular-Kniegelenk“ mit Rotationshydraulik der Firma O…B…. Er legte hierzu eine Verordnung des Allgemeinmediziners Dr. O… über die Neuversorgung mit einem Badeprothesenkniegelenk vom 24.03.2014 sowie einen Kostenvoranschlag des Sanitätshauses M… & R… vom 31.03.2014 über 5.309,76 Euro vor. Mit Bescheid vom 10.04.2014 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für den Ersatz des Kniegelenkes der Badeprothese unter Verweis auf den vor dem LSG Rheinland-Pfalz geschlossenen Vergleich ab. Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2014 zurück. Zur Begründung führte sie aus, mit dem Vergleich hätten Reparaturkosten an der Badeprothese ausgeschlossen werden sollen, die sich auf das risikoanfälligere Kniegelenk beziehen. Entscheidend sei also, dass es um die Reparatur der Badeprothese gehe. Hierzu gehöre auch das Kniegelenk, selbst wenn es nicht repariert, sondern vollständig ausgetauscht werden müsse.

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Am 29.07.2014 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 19 KR 479/14 erfasst wurde. Er macht geltend, er begehre eine Neuversorgung mit verbesserter Funktionalität. Seine vorhandene Prothese habe eine hydraulische Schwungphasensteuerung, jedoch keine Standphasendämpfung. Eine solche ermögliche jedoch das alternierende Gehen auf Schrägen und Treppen sowie das Abbremsen des Ganges, ohne wegzuknicken. Das beantragte Badeknie ermögliche zudem das Tragen von Schuhen und gleiche die dadurch abweichende Schwungmasse besser aus. Da nicht die Instandsetzung oder der 1:1-Austausch beantragt worden sei, sei der mit der Beklagten geschlossene Vergleich nicht anwendbar. Ein beinamputierter Versicherter habe einen Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese. Dabei habe der Ausgleich der ausgefallenen Körperfunktion so weit wie technisch möglich zu erfolgen (Bezug auf BSG, Urteile vom 25.06.2009 – B 3 KR 19/08 R und B 3 KR 2/08 -). Die begehrte Standphasendämpfung stelle keinen Komfort oder Gimmik dar, sondern einen unmittelbaren Behinderungsausgleich, weil sie der Funktion des natürlichen Beins mit den derzeit verfügbaren technischen Mitteln am nächsten komme. Grundsätzlich sei es auch möglich, eine komplette Neuversorgung zu beantragen. Da die Prothese aber modular aufgebaut sei, könne man gut einzelne Komponenten ersetzen. Zur Nutzung der Badeprothese hat der Kläger angegeben, die Badeprothese bislang zwei- bis dreimal wöchentlich beim Schwimmbadbesuch zum Duschen sowie auf Dienstreisen ein- bis zweimal wöchentlich und im Urlaub am Meer genutzt zu haben. Die Prothese ersetze im Nassbereich die Beinfunktion, soweit das möglich sei. Als sie noch funktionsfähig gewesen sei, habe er sie auch zum Wachdienst bei der DLRG, zum Tauchtraining und zum Tauchen benutzt. Außerdem sei er als Schwimmausbilder bei der DLRG tätig, wo er es mit Erwachsenen zu tun habe, die das Schwimmen im flachen Wasser erlernten. Er müsse dabei im hüfttiefen Wasser sicher stehen und durchs Wasser gehen können. Zum Schwimmbad oder zum Badesee fahre er in der Regel mit dem Fahrrad. Auch dabei sei die Badeprothese erforderlich und der Transport von Krücken hinderlich. Beim Spielen mit seinen Kindern oder wenn er z.B. von seinem Boot an Land schwimme, trage er die Prothese auch im Wasser. Reines Schwimmen mache er ohne, Flossen- und Schnorcheltraining aber mit Prothese. Gerade im Freibad seien die Transferwege, vor allem mit Kindern und dem dazugehörigen Equipment, relativ weit und mit Krücken praktisch nicht zu bewältigen. Aufgrund der Zugangsbecken sei die Nutzung der Alltagsprothese unmöglich, weil der Fuß nicht wasserfest sei. Außerdem sei das Risiko, bei einem Ausrutscher mit der über 40.000 Euro teuren Prothese ins Wasser zu fallen, zu hoch.

6

Im Rahmen dieses Klageverfahrens hat die Beklagten entgegnet, die vom Kläger begehrte Versorgung überschreite das Maß des Notwendigen. Den Vergleich vor dem LSG Rheinland-Pfalz im Verfahren L 5 KR 278/11 habe die Beklagte deshalb geschlossen, weil auf Grund der Selbstbeschaffung der Badeprothese mit hydraulischem Kniegelenk der Kläger an der bewilligten Versorgung mit einer Badeprothese ohne ein solches Kniegelenk kein Interesse mehr haben konnte. Da aber das Risiko gesehen wurde, dass das hydraulische Kniegelenk wesentlich empfindlicher sein würde und in der Reparatur wesentlich kostenintensiver sein könnte, als dies bei der Badeprothese in Standardbauweise der Fall gewesen wäre, sei die Einschränkung bezüglich der Reparaturkosten bezogen auf das hydraulische Knie aufgenommen worden.

7

Hierauf entgegnete der Kläger, die Motivation in einem früheren Verfahren sei nicht geeignet, die bessere (Neu-)Versorgung mit einem Hilfsmittel abzulehnen. Auf eine Neuversorgung habe ein Versicherter grundsätzlich einen Anspruch, unabhängig davon, ob das alte Hilfsmittel noch gebrauchsfähig sei. Der Beklagten bleibe es unbenommen, die Wirtschaftlichkeit einer neuen Komplettversorgung zu prüfen.

8

Die Beklagte machte geltend, Klagegegenstand sei die Reparatur der vorhandenen Badeprothese. Beantragt sei der Austausch des Kniegelenkes. Laut des gerichtlichen Vergleichs seien aber Reparaturen an der Badeprothese, die das hydraulische Kniegelenk beträfen, ausgeschlossen. Der Kläger begehre neben der Versorgung, die ihm das sichere Gehen und Stehen im Nassbereich und im Schwimmbad gewähre, eine Versorgung, die ihm auch das Schwimmen an sich, die Ausübung seines Vereinssports und seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Verein ermögliche. Hierzu habe das BSG mit Urteil vom 21.03.2013 (B 3 KR 3/12 R) entschieden, dass eine Sportprothese, die der sportlichen Betätigung in der Freizeit diene, keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse sei. Nicht jede Form der Freizeitbeschäftigung müsse auf Kosten der Versichertengemeinschaft der GKV ermöglicht werden. Da der Kläger sich weigere, die Reparatur der Prothese bezogen auf das Kniegelenk durchführen zu lassen, könne die von der Beklagten im Rahmen des Vergleichs mitfinanzierte Badeprothese aktuell nicht genutzt werden. Hätte sich die Beklagte auf diesen Vergleich nicht eingelassen, hätte der Kläger nun eine funktionstüchtige Standard-Badeprothese, denn dann würde die Beklagte auch die Reparaturen vollständig übernehmen.

9

Im August 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten durch Vorlage einer ärztlichen Verordnung des Hausarztes Dr. O… vom 03.08.2015 und eines Kostenvoranschlages des Sanitätshauses Sch… Orthopädie- und Rehatechnik Zentrum GmbH H… vom 11.08.2015 eine neue wasserfeste Oberschenkprothese mit Kniegelenk 3 R 80 des Herstellers O…B… nebst den weiteren erforderlichen Passteilen.

10

Mit Schreiben vom 13.08.2015 bestätigte die Beklagte den Antragseingang und bat den Kläger um Verständnis, dass die Bearbeitung noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Die Beklagte werde sich unaufgefordert beim Kläger melden, nachdem der Antrag abschließend bearbeitet worden sei. Mit Schreiben vom 20.08.2015 bestätigte die Beklagte nochmals den Antragseingang und bat erneut um Verständnis, dass die Bearbeitung momentan nicht abgeschlossen werden könne. Sie verwies dazu auf das bereits anhängige Klageverfahren vor dem SG Speyer (S 19 KR 479/14). Die Beklagte werde sich unaufgefordert beim Kläger melden, nachdem der Antrag abschließend bearbeitet worden sei.

11

Mit Schreiben vom 24.09.2015 machte der mittlerweile anwaltlich vertretene Kläger geltend, eine Entscheidung oder Mitteilung, warum über den Leistungsantrag nicht entschieden werden könne, sei nicht in ausreichender Art und Weise erfolgt. Es sei auch nicht mitgeteilt worden, dass die Einschaltung des MDK erfolgen solle. Er wies auf den Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a SGB V hin. Die Leistung sei durch Fristablauf genehmigt. Der Kläger bat die Beklagte um kurze Bestätigung und Beauftragung des Sanitätshauses mit der Durchführung der Versorgung. Gegen einen etwaigen Ablehnungsbescheid lege er hilfsweise Widerspruch ein.

12

Mit Schreiben vom 30.09.2015 antwortete die Beklagte hierauf, der Kläger habe zum wiederholten Male eine Badeprothese bzw. die Reparatur einer Badeprothese beantragt. Hierüber sei ein Klageverfahren anhängig, dessen Ausgang abgewartet werde. Der Kläger sei mit Schreiben vom 20.08.2015 auch hierauf hingewiesen worden. Der Antrag auf Leistungsgewährung gemäß § 13 Abs. 3a SGB V werde deshalb zurückgewiesen.

13

Am 04.11.2015 hat der Kläger eine weitere Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 19 KR 636/15 erfasst wurde. Mit dieser Klage machte er nunmehr geltend, der Anspruch auf die begehrte Versorgung sei auf Grund der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V entstanden.

14

Auf diese weitere Klage hat die Beklagte entgegnet, sie habe den Antrag des Klägers unter Hinweis auf das ebenfalls vor dem SG Speyer anhängige Klageverfahren S 19 KR 479/14, in dem es ebenfalls um die Badeprothese gehe, abgelehnt, wogegen der Kläger Widerspruch eingelegt habe. Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3a SGB V sei daher nicht nachvollziehbar.

15

Mit Beschluss vom 18.03.2016 hat das Gericht die Verfahren unter dem Aktenzeichen S 19 KR 479/14 verbunden.

16

Der Kläger beantragt nunmehr schriftsätzlich sinngemäß,

17

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger mit einer wasserfesten Oberschenkprothese mit Kniegelenk 3 R 80 des Herstellers O… B… nebst den weiteren erforderlichen Passteilen gemäß Kostenvoranschlag vom 11.08.2015 des Sanitätshauses Sch… Orthopädie- und Rehatechnik Zentrum GmbH H… zu versorgen,

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- hilfsweise für den Fall der Abweisung des Hauptantrages -

19

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2014 zu verurteilen, den Kläger mit einem wasserfesten Kniegelenk 3 R 80 des Herstellers O… B…gemäß Kostenvoranschlag vom 31.03.2014 des Sanitätshauses M… & R…GmbH H… zu versorgen.

20

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

22

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

23

Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu angehört worden sind.

24

Die Klage ist als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Sie ist auf die Durchführung der als genehmigt geltenden Versorgung des Klägers mit dem begehrten Hilfsmittel gerichtet. Einer Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf es wegen der Möglichkeit der auf Gewährung der Sachleistung gerichteten Leistungsklage nicht. Bei Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) besteht der Rechtsanspruch auf die beantragte Leistung, ohne dass hierüber noch ein Bescheid der Beklagten zu erteilen wäre.

25

Die Klage ist im Hauptantrag (ursprünglicher Klageantrag aus dem Verfahren S 19 KR 636/15) auch begründet. Die Beklagte war auf Grund der eingetretenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V zur Versorgung des Klägers mit einer wasserfesten Oberschenkprothese mit Kniegelenk 3 R 80 des Herstellers O…B… gemäß Kostenvoranschlag vom 11.08.2015 des Sanitätshauses Sch… Orthopädie- und Rehatechnik Zentrum GmbH H… zu verurteilen. Einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag (ursprünglicher Klageantrag aus dem Verfahren S 19 KR 479/14) bedurfte es daher nicht. Da der Kläger die begehrte Versorgung bereits aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion beanspruchen kann, wird sich sein ursprüngliches Klagebegehren, die Beklagte unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 10.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2014 zu verurteilen, ihn mit einem entsprechenden wasserfesten Kniegelenk zu versorgen, im Falle der Rechtskraft der Entscheidung erledigen.

26

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit der begehrten Oberschenkelprothese ist Satz 6 des § 13 Abs. 3a SGB V. Nach § 13 Abs. 3a SGB V (eingefügt durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013, BGBl. I, 277) hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und den Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (Satz 9).

27

Obwohl es sich bei der begehrten Leistung um eine solche der medizinischen Rehabilitation handelt, steht Satz 9 des § 13 Abs. 3a SGB V möglicherweise der Anwendbarkeit des Satzes 7, nicht aber der des Satzes 6 der Vorschrift entgegen. § 13 Abs. 3a SGB V enthält eine klare Unterscheidung zwischen dem in Satz 6 geregelten Sachleistungsanspruch und dem in Satz 7 geregelten Kostenerstattungsanspruch (ebenso SG Lüneburg, Urteil vom 17.02.2015 - S 16 KR 96/14 -; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.01.2016 - L 5 KR 238/15 B ER –, Rn. 25, alle Entscheidungen im Folgenden zitiert nach juris). Der Verweis auf die Vorschriften des SGB IX für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Satz 9 erfolgt aber ausdrücklich nur hinsichtlich der Zuständigkeitsklärung und für die (von Satz 7 geregelten) Fälle der Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung durch den Versicherten. Vorliegend macht der Kläger aber keinen Kostenerstattungsanspruch, sondern den Anspruch auf Gewährung der beantragten Sachleistung gemäß § 33 Abs. 1 SGB V (Versorgung mit dem Hilfsmittel wasserfeste Oberschenkprothese mit Kniegelenk 3 R 80 des Herstellers O… B…) geltend.

28

Die Gewährung dieses Hilfsmittels als Sachleistung gilt gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt, so dass der Kläger die Beklagte nunmehr aus dieser (fingierten) Genehmigung auf Durchführung der Versorgung in Anspruch nehmen kann.

29

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V sind erfüllt. Der Antrag des Klägers mittels Vorlage einer ärztlichen Verordnung des Hausarztes Dr. O… vom 03.08.2015 und eines Kostenvoranschlages des Sanitätshauses Sch… Orthopädie- und Rehatechnik Zentrum GmbH H… vom 11.08.2015 lag der Beklagten ausweislich ihres Schreibens vom 13.08.2015 spätestens an diesem Tag vor. Die mangels Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme maßgebliche Dreiwochenfrist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V endete daher spätestens am 03.09.2015. Eine Entscheidung über den Antrag erfolgte innerhalb dieser Frist nicht. Insbesondere erfolgte eine ausdrückliche Ablehnung der Beklagten weder mit Schreiben vom 13.08.2015, mit dem die Beklagte zunächst den Antragseingang bestätigte und den Kläger um Verständnis bat, dass die Bearbeitung noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde, noch mit Schreiben vom 20.08.2015, mit dem die Beklagte nochmals den Antragseingang bestätigte und erneut um Verständnis bat, dass die Bearbeitung momentan nicht abgeschlossen werden könne. Der hinzugefügte Hinweis auf das anhängige Klageverfahren enthält ebenfalls keine Ablehnung. In beiden Schreiben kündigte die Beklagte vielmehr lediglich an, sie werde sich unaufgefordert beim Kläger melden, nachdem der Antrag abschließend bearbeitet worden sei. Die Beklagte hat dem Kläger auch nicht gemäß Satz 5 des § 13 Abs. 3a SGB V unter Darlegung von Gründen mitgeteilt, dass sie die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht einhalten könne.

30

Rechtsfolge der Fristversäumnis ist nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V, dass die beantragte Leistung als genehmigt gilt (fingierter Verwaltungsakt). Dies hat zur Folge, dass die Beklagte die Sachleistung nunmehr auch zu gewähren hat (wie hier zuletzt Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.01.2016 – L 5 KR 238/15 B ER – und LSG Saarland vom 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 -, laut Pressemitteilung Nr. 6/2016 vom 08.03.2016 mittlerweile bestätigt durch BSG, Urteil 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, dessen Entscheidungsgründe allerdings noch nicht vorliegen). Aufgrund der (fiktiven) Genehmigung kann der Kläger von der Beklagten die begehrte Versorgung beanspruchen (vgl. nur SG für das Saarland, Gerichtsbescheid vom 11.08.2014 – S 23 KR 563/14 –, Rn. 28; LSG für das Saarland, Urteil vom 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 –, Rn. 22 mit Nachweisen zur der hierzu ergangenen Rechtsprechung).

31

Der Auffassung, § 13 Abs. 3a SGB V regele ausschließlich einen Kostenerstattungsanspruch (Helbig in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 71: „Die Genehmigungsfiktion kann nur eintreten, wenn die Leistung nach dem Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V beschafft worden ist“; dem folgend Hessisches LSG, Urteil vom 10.12.2015 – L 1 KR 413/14 –, Revision derzeit noch anhängig beim BSG - B 3 KR 4/16 R -), steht der Wortlaut des Satz 6 erkennbar entgegen. Ob dieser „schlicht missglückt“ ist (so Hessisches LSG, Urteil vom 10.12.2015 – L 1 KR 413/14 –, Rn. 34; Helbig a.a.O.) kann ebenso dahinstehen, wie die Frage, ob die Fiktion einer Ablehnungsentscheidung (etwa „gilt als abgelehnt“) zur Eröffnung des Beschaffungsweges oder sonst eine andere Regelung naheliegender gewesen wäre. Der wirksam in Kraft gesetzte Gesetzestext ist verbindlich und von den Gerichten bei ihrer Entscheidung zu beachten. Welche Motive bei der Entstehung der Norm eine Rolle gespielt haben, kann allenfalls ergänzend bei der Auslegung des geltenden Normtextes berücksichtigt werden, wenn und soweit der Wortlaut dem nicht entgegensteht. Insofern ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm lediglich, dass zwar zunächst im Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 15.08.2012 (BT-Drucks. 17/10488, S. 7) lediglich ein Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen nach Fristsetzung und Selbstbeschaffung durch den Patienten vorgesehen war (vergleichbar den im SGB IX enthaltenen Regelungen, vgl. BT-Drucks. 17/10488 S, 32). Bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfs im Gesundheitsausschuss wurde dann mit dem Satz 6 die Genehmigungsfiktion bei Nichteinhaltung der Fristen neben der nun in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen (BT-Drucks. 17/11710, S. 11). Der Satz 6 enthält die ausdrückliche Formulierung „gilt die Leistung ... als genehmigt“. Eine abweichende Auslegung ist ungeachtet möglicher gesetzgeberischer Intentionen für die Einfügung dieses Satzes nicht möglich. Sollte eine gesetzliche Regelung die Regelungsabsicht nicht zutreffend zum Ausdruck bringen („missglücken“), ist sie durch die gesetzgebenden Organe zu korrigieren, nicht mittels einer für besser gehaltenen, abweichenden Anwendung durch Behörden und Gerichte „umzudeuten“. Gerade eine konsequente Anwendung der (wenn auch für missglückt gehaltenen) Norm ruft den Gesetzgeber auf den Plan, falls hierbei ungewünschte Ergebnisse eintreten.

32

Die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V begründet ausdrücklich eine gesetzliche Genehmigungsfiktion und führt damit dem „reinen Wortlaut nach“ zu einer Sachleistungspflicht, die die Selbstbeschaffung mit Kostenerstattungsfolge obsolet macht. Dies räumt auch das Hessische LSG im Urteil vom 10.12.2015 (– L 1 KR 413/14 –, Rn. 34) ein. Solange diese Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nicht aufgehoben oder geändert wird, ist sie mit dem in Kraft gesetzten Inhalt anzuwenden. Die Leistung gilt demnach als genehmigt und ist zu erbringen, als wäre sie tatsächlich durch Verwaltungsakt genehmigt worden, solange die (fiktive) Genehmigung von der Behörde nicht nach den Vorschriften des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückgenommen oder aufgehoben wurde (so wohl nunmehr laut Pressemitteilung Nr. 6/2016 auch BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -).

33

Hieraus folgt zugleich, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V unabhängig davon eintritt, ob die Voraussetzungen der als genehmigt geltenden Leistung im konkreten Fall vorliegen. Nach Ablauf der Frist ist der geltend gemachte Anspruch von der Krankenkasse ohne weitere Prüfungen zu erfüllen (vgl. nur LSG für das Saarland, Urteil vom 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 –, Rn. 22f. mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung und unter Berufung auf die mit der Einführung des Abs. 3a bezweckte Verfahrensbeschleunigung im Wege einer schnellen Klärung von Leistungsansprüchen mit der Folge des Erhalts der Leistungen in kurzer Zeit; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.01.2016 – L 5 KR 238/15 B ER –, Rn. 27; a.A. vor allem LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.05.2014 – L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B –, Rn. 26, SG Würzburg, Urteil vom 15.01.2015, S 11 KR 100/14, Rn. 37 ff.).

34

Ob von der Fiktionswirkung nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V von vornherein nur solche Leistungen erfasst werden, die die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zur Erbringen haben (so im Ausgangspunkt SG Dortmund, Beschlüsse vom 16.07.2014 - S 40 KR 742/14 ER, Rn. 19 sowie vom 31.01.2014 - S 28 KR 1/14 ER -, Rn. 22) oder die grundsätzlich von der Kasse innerhalb des Systems der GKV geschuldet werden (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.05.2014 – L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B –, Rn. 26) bzw. die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen (so BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R - laut Pressemitteilung Nr. 6/2016), kann vorliegend offengelassen werden, da die regelmäßig als Sachleistung zu erbringende wasserfeste Oberschenkelprothese fraglos zum Leistungsspektrum der Krankenkassen gehört. Der Wortlaut des § 13 Abs. 3a SGB V (Antrag auf „Leistung“) legt jedenfalls eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Norm nicht nur auf Sach- oder Dienstleistungen (§ 13 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 SGB V), sondern daneben auf die in § 11 SGB V aufgeführten Leistungsarten nahe.

35

Die Beklagte hat die in Form eines fiktiven Verwaltungsaktes vorliegende Genehmigung nicht gemäß § 45 SGB X zurückgenommen oder nach § 48 SGB X aufgehoben, so dass offenbleiben kann, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen würden.

36

Da die Klage im Hauptantrag erfolgreich war, bedurfte es einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag nicht.

37

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

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