Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 1 K 523/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d :
2Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Klägers als Kriegsdienstverweigerer.
3Der 1988 geborene Kläger erwarb im Juni 2008 die allgemeine Hochschulreife. In der Zeit vom 1. Juli 2008 bis 31. März 2009 absolvierte er den Grundwehrdienst und war nach Abschluss der Grundausbildung als Sanitätssoldat eingesetzt. Im Rahmen seiner Grundausbildung erhielt er u.a. eine Schießausbildung an diversen Waffen und schloss mit der Ausbildungs- und Tätigkeitsbezeichnung "Sicherungs- und Wachsoldat" ab. Nach einem freiwilligen Krankenpflegepraktikum bewarb er sich im Dezember 2008 für die Übernahme in die Laufbahn der Sanitätsoffiziere zum 1. Juli 2009, um Medizin zu studieren. Die Verpflichtungszeit sollte 17 Jahre betragen. Mit Bescheid vom 12. Mai 2009 teilte das Personalamt der Bundeswehr mit, dass beabsichtigt sei, ihn zum 1. Juli 2009 als Sanitätsoffiziersanwärter einzustellen und in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zu berufen; weiter sei beabsichtigt, ihn zur Aufnahme eines Studiums an einer deutschen Hochschule zu beurlauben. Unter dem 12. Mai 2009 verpflichtete der Kläger sich, 18 Jahre Wehrdienst in der Bundeswehr zu leisten. Zum 1. Juli 2009 wurde er unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Sanitätsoffiziersanwärter ernannt. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf fünf Jahre - beginnend mit dem 1. Juli 2009 und endend mit Ablauf des 30. Juni 2013 - festgesetzt.
4Unter dem 22. Juli 2009 beurlaubte das Personalamt der Bundeswehr den Kläger unter Fortfall der Geld- und Sachbezüge ab dem 1. Oktober 2009 (Beginn des Wintersemesters 2009/2010) zum Studium der Medizin und teilte ihm mit, dass er während der Beurlaubungszeit Anspruch auf Zahlung von Ausbildungsgeld, unentgeltliche truppenärztliche Versorgung und Beihilfe habe. Zugleich wurde er unter Hinweis auf § 56 Abs. 4 SG darüber belehrt, dass ein Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden sei, die hierdurch entstandenen Kosten u.a. dann erstatten müsse, wenn er auf seinen Antrag entlassen werde.
5In der Folgezeit wurde der Kläger nacheinander zum Fahnenjunker, zum Fähnrich, zum Oberfähnrich und zum Leutnant ernannt. Studienbegleitend absolvierte er die Offiziersausbildung an der Sanitätsakademie in München, im Rahmen derer er auch an Schusswaffen (weiter) ausgebildet wurde.
6Unter dem 15. Januar 2014 beantragte der Kläger, der nunmehr im 9. Semester Medizin studierte, die Zuweisung eines Zweitstudiums (Zahnmedizin), um die erforderliche Doppelapprobation für die von ihm anvisierte Facharztausbildung für Mund-, Kiefer‑, und Gesichtschirurgie zu erhalten. Im Falle der Genehmigung wäre die Dienstzeit auf insgesamt 23 Jahre festzusetzen gewesen.
7Unter dem 27. Januar 2014 teilte das Personalamt der Bundeswehr dem Kläger mit, dass seine Dienstzeit aufgrund seiner Verpflichtungserklärung vom 12. Mai 2009 nunmehr auf 18 Jahre festgesetzt werde; die Dienstzeit werde mit Ablauf des 30. Juni 2026 enden.
8Mit Bescheid vom 5. Juni 2014 wurde der klägerische Antrag auf Zuweisung eines Zweitstudiums abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die gewünschte Weiterbildung setze eine Doppelapprobation als Arzt und Zahnarzt voraus, ein Zweitstudium sei für Sanitätsoffiziersanwärter jedoch nicht per se zulässig. Eine grundsätzlich mögliche Ausnahmegenehmigung habe nicht erteilt werden können, da der Kläger sich im Leistungsvergleich nicht durchgesetzt habe.
9Unter dem 15. Oktober 2014 erklärte der Kläger, gemäß Art. 4 Abs. 3 GG den Kriegsdienst zu verweigern.
10Mit Schreiben vom 14. November 2014 führte der Leiter des Sanitätszentrums Aachen gegenüber dem Karrierecenter der Bundeswehr aus, der Kläger habe im Rahmen seiner Ausbildung wenig Kontakt zu Waffen und Waffensystemen gehabt, eine Schießausbildung habe so gut wie nicht stattgefunden. Aufgrund der entsprechenden Werbung der Bundeswehr und seiner bisherigen positiven Erfahrungen habe der Kläger sich als Sanitätsoffiziersanwärter beworben. Er kenne ihn erst seit kurzer Zeit persönlich, allerdings seien in mehreren Gesprächen deutlich bestehende Gewissenskonflikte zu Tage getreten. In der Zusammenschau der Biografie sowie der Erläuterung der Entscheidungsgründe könne der bestehende Gewissenskonflikt vollumfänglich nachvollzogen werden. Dieser zeige sich auch daran, dass er den Antrag noch vor Beendigung des Studiums (im 11. von 12 Fachsemestern) gestellt habe.
11Zur Begründung seines Antrags führte der Kläger unter dem 29. Oktober 2014 u.a. aus, die Entscheidung für eine Kriegsdienstverweigerung sei für ihn ein langer und schmerzhafter Prozess gewesen. Nach Gesprächen mit den für ihn wichtigen Menschen habe er sich eingestehen müssen, dass er den Beruf des Soldaten nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne. Sein Gewissen habe sich als eine Art innere Instanz über die Jahre (weiter-)entwickelt. Neben sozialen Interaktionen hätten auch die gesellschaftlichen Normen zu seiner Verfestigung beigetragen. Hinzu komme seiner Meinung nach ein gewisses Ur-Gefühl, das besage, wie er sich ethisch und moralisch korrekt verhalte. Eine bestimmte Zeit könne man wohl versuchen, Entscheidungen, die man gegen dieses Gefühl getroffen habe, zu rechtfertigen. Auf lange Sicht sei dies jedoch Selbstbetrug. Eine wesentliche Grundlage seines Gewissens seien die Erziehung und die Wertvermittlung durch die Familie gewesen. Seine Eltern hätten Wert auf eine gewaltfreie Erziehung gelegt, so sei es ihm beispielsweise nicht erlaubt gewesen, mit Spielzeugpistolen zu spielen. Insbesondere sein Vater und dessen Eltern hätten seine religiöse Erziehung geprägt. Er identifiziere sich mit den christlichen Wertvorstellungen. Während seines Auslandsaufenthalts in der 11. Klasse sei der Vater eines Klassenkameraden erschossen worden. In diesem Zusammenhang habe er erkannt, dass er niemals in einer Familie eine solche Verzweiflung auslösen wolle. Daher habe für ihn auch festgestanden, dass er sich eine Zivildienststelle suchen werde.
12Um Zeit und Geld für die berufliche Orientierung zu haben, habe er sich letztlich doch gegen den Zivildienst und für die Bundeswehr entschieden. Dabei sei ihm auch das Gefühl der Kameradschaft reizvoll erschienen. Während der Grundausbildung als Sanitätssoldat habe er dann zunehmend sein Talent und seine Leidenschaft für die Medizin entdeckt. Den militärischen Aspekt der Grundausbildung habe er sportlich gesehen und als notwendiges Übel hingenommen. Zu dieser Zeit habe er sich keine Gedanken darüber gemacht, welche realen Ziele die Bundeswehr mit der Ausbildung verfolgt. Dann habe er erfahren, dass man auch bei der Bundeswehr Medizin studieren könne. Dass sein Abiturdurchschnitt in den nächsten Jahren kein ziviles Studium der Medizin ermöglichen würde, habe seine Bereitschaft, seine Bedenken in den Hintergrund zu drängen, erhöht. Damals habe er es auch vermieden, nach Hause zu fahren, da er sich nicht mit seinen Eltern über die Verpflichtung und die damit einhergehende Möglichkeit eines militärischen Einsatzes habe auseinandersetzen wollen. Erst im Rahmen des Auswahlverfahrens sei er über die Möglichkeit von späteren Auslandseinsätzen informiert worden. Bis dahin seien seine Vorstellungen vom Arzt bei der Bundeswehr von seinem begrenzten Erleben im Koblenzer Bundeswehrkrankenhaus geprägt gewesen. Die tatsächlichen Tätigkeitsbereiche eines Arztes bei der Bundeswehr seien nebulös gewesen. Daher habe er sich auch nicht damit auseinandergesetzt, als Arzt einmal zur Waffe greifen zu müssen. Ferner habe er sich zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Eindruck beruhigt, dass der Afghanistan-Einsatz der dortigen Bevölkerung zugutekomme. Die Vorfreude auf das Medizinstudium habe letztlich die Bedenken überwogen. Allerdings sei das ungute Gefühl, nicht die richtige Entscheidung getroffen zu haben, geblieben.
13Seine Verpflichtung empfinde er retrospektiv als unreife, planlose und durch Zeitdruck sowie Bequemlichkeit verursachte Kurzschlusshandlung. Aufgrund des zeitaufwändigen Medizinstudiums mit Famulaturen, seines Einsatzes für die Fachschaft und des Studentenjobs habe er keine Zeit gehabt, sich mit seinem Gewissen auseinanderzusetzen. Da die Ärzte in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz erzählt hätten, dass sie nicht in Militäreinsätze geschickt würden, sowie aufgrund seines handwerklichen Geschicks sei ihm dieses Fachgebiet als Ausweg aus seiner Gewissensnot erschienen.
14Während des Studiums und des zunehmenden Patientenkontakts sei ihm klar geworden, welche moralischen Anforderungen an einen Arzt zu stellen seien. Mit der Zeit habe er erkannt, wie sehr der Dienst an der Waffe gegen diese Werte verstoße. Bei den Pflicht-Schießterminen habe er sich jedes Mal nach dem Sinn dieser Ausbildung gefragt. Er habe sich wiederkehrend die Frage gestellt, ob er mit der Konfliktsituation, auf der einen Seite Leben zu retten und auf der anderen Seite Menschen zu töten, leben könne. Seine innere Überzeugung, nicht töten zu sollen, sei so stark, dass er im Ernstfall zu einer Gefahr für seine Kameraden und sich selbst werden könne.
15Während der Prüfungsvorbereitung habe er sich oft nicht richtig konzentrieren können. Er habe seine Entscheidung zunehmend bereut und sei letztlich zu dem Schluss gelangt, dass er die Konsequenzen ziehen und den Kriegsdienst verweigern müsse. Seine bisherigen Erfahrungen ließen ihn deutlich an dem geforderten Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit von politisch und militärisch verantwortlichen zweifeln. Wenn er weiterhin Soldat bliebe, müsse er sein Gewissen und sein "Ich" verleugnen. Das Risiko eines Bundeswehreinsatzes erscheine ihm aufgrund des veränderten Aufgabenspektrums besonders hoch. Zu dieser Erkenntnis sei er verstärkt durch Erzählungen und Vorträge anderer Sanitätsoffiziere, die über ihre Erlebnisse bei Auslandseinsätzen berichtet hätten, verstärkt worden. Er gehöre zu den Menschen, die die Veränderungen in der politischen Entwicklung besonders intensiv verfolgten. Ständig täten sich neue Krisenherde auf, wobei viele militärische Einsätze nicht die erhoffte Wirkung gebracht hätten. Die Konfrontation mit den weltweiten Krisenherden und die damit verbundene Forderung nach einem größeren Engagement der Bundeswehr habe ihm vor Augen geführt, dass ein bewaffneter Einsatz nur eine Frage der Zeit sei und er als Sanitäter und bewaffneter Soldat ein Teil davon sein könnte. Nun sei ihm auch bewusst geworden, dass seine damalige Entscheidung von den ihm nahestehenden Personen mitgetragen werden müsse, was er zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung nicht bedacht habe. Er wisse jetzt, dass er mit seiner Verpflichtung gegen seine eigentliche Überzeugung gehandelt und seitdem versucht habe, sein Gewissen zu betrügen.
16Unter dem 17. November 2014 nahm das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr gegenüber dem Karrierecenter der Bundeswehr Stellung. In der Stellungnahme wird ausgeführt, der Kläger sei im Rahmen seiner Offiziersausbildung auch an der Waffe ausgebildet worden. In Anbetracht der Tatsache, dass er zunächst freiwillig Wehrdienstleistender gewesen sei und sich anschließend freiwillig verpflichtet habe sowie des Einsatzes in der höchsten Kommandobehörde des zentralen Sanitätsdienstes während des Grundwehrdienstes sei davon auszugehen, dass sowohl die Aufgaben des Dienstherrn im allgemeinen wie auch die Vielfältigkeit in Bezug auf die mögliche Verwendung als Sanitätsoffizier hinlänglich bekannt gewesen seien. Für Sanitätsoffiziere bestehe keine gesetzliche Verpflichtung und auch keinen Befehl zum Gebrauch von Schusswaffen. Allerdings liege nahe, dass der Kläger sich bereits vor seiner Bewerbung mit der Wirkung von Waffen auseinandergesetzt habe, da er im Rahmen seiner Bewerbung berichtet habe, seinen Großvater auf die Jagd zu begleiten. Bei der Eignungsfeststellung in der Offiziersbewerberprüfzentrale (OPZ) sei er ferner darüber belehrt worden, dass auch ein Sanitätsoffizier in die Lage kommen könne, zum Eigen- und Patientenschutz Waffen einsetzen zu müssen. Auch habe er im Rahmen der Grundausbildung und des Offizierslehrgangs die zu erfüllenden Schießübungen mit Erfolg absolviert, wobei ihm im Dezember 2008 sogar die Schützenschnur in Gold verliehen worden sei. Weder zum Zeitpunkt dieser Ausbildung noch während der späteren Schießübungen habe ein Konflikt mit dem Gebrauch von Schusswaffen festgestellt werden können.
17Seit seiner Einstellung im Januar 2008 und der Übernahme in die Laufbahn der Offiziere im Sanitätsdienst habe sich der Dienst für Sanitätsoffiziere nicht grundlegend geändert. Vielmehr seien bereits zum Zeitpunkt der Bewerbung die Auslandseinsätze der Bundeswehr hinlänglich bekannt gewesen. Insbesondere der ISAF-Einsatz in Afghanistan seit dem Jahr 2001 sei in den Medien sehr präsent. Aufgrund des Bildungsstands des Klägers sei zu erwarten, dass er diese Berichterstattung intensiv verfolgt habe. Ein einschneidendes Schlüsselerlebnis sei nicht festzustellen. Darüber hinaus habe der Kläger bereits im Rahmen seines Krankenpflegepraktikums Gelegenheit gehabt, sein bisheriges Berufsbild bestätigt zu sehen. Vor diesem Hintergrund sei eine Umkehr aus Gewissensgründen "nicht wirklich glaubhaft".
18Es sei ferner darauf hinzuweisen, dass der Kläger mit einer Abiturnote von 1,9 im Falle einer zivilen Bewerbung um einen Studienplatz für Humanmedizin nicht mit einer direkten Studienplatzzuweisung habe rechnen können. Ferner sei er in den Genuss diverser finanzieller Vorteile gekommen. Der Zeitpunkt der Antragstellung ein Jahr vor Ende des Studiums lasse ernsthafte Zweifel an dem behaupteten Gewissenskonflikt aufkommen, insbesondere da der Kläger noch im Januar 2014 einen Antrag auf die Zusage eines Zweitstudiums gestellt und in diesem Rahmen eine Weiterverpflichtungserklärung über eine Mindestdienstzeit von 23 Jahren abgegeben habe.
19Unter dem 21. Januar 2015 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sein Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer noch nicht habe beschieden werden können, da seine Begründung noch diverse Fragen aufwerfe.
20Unter dem 29. Januar 2015 ergänzte der Kläger unter Berücksichtigung der aufgeworfenen Fragen seine Antragsbegründung. Hinsichtlich der Problematik, ob er sich nicht vor seiner Verpflichtung Gedanken über das Berufsbild des Berufssoldaten gemacht habe, führte er u.a. aus, dass er seine Entscheidung nur auf Basis der damals vorhandenen Kenntnisse habe treffen können. Nach dem Abitur sei er orientierungslos gewesen und habe nach einem strukturierten weiteren Lebensweg gesucht. Obwohl er tief in seinem Inneren stets Zweifel gehabt habe, hätten die vermeintlichen Vorteile überwogen. Die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Verpflichtung habe er auf die Zeit nach dem Studium verschoben. Ein ausführliches Beratungsgespräch habe er nicht erhalten, insbesondere habe er keinen Kontakt zu Personen gehabt, die für längere Zeit im Auslandseinsatz gewesen seien. Daher sei ihm die Vielfalt der möglichen Einsätze auch nicht hinlänglich bekannt gewesen. Hätte er damals schon seinen späteren Kenntnisstand gehabt, hätte er sich niemals verpflichtet. Erst nach seiner Verpflichtung habe er im Rahmen eines Pflegepraktikums in der Mund- Kiefer- und Gesichtschirurgie gearbeitet und dabei u.a. Patienten betreut, die mit Kriegsverletzungen (Verbrennungen/Granatsplitterverletzungen) aus dem Einsatz heimgekehrt seien.
21Hinsichtlich seiner Erfahrungen beim Umgang mit Waffen führte er u.a. aus, er habe zuletzt im Juni 2014 an einer Schießübung teilgenommen, wobei er sich erhofft habe, dass dies die Stattgabe seines Antrags auf ein Zweitstudium begünstigen könne. Zudem sei die Teilnahme an den Schießübungen zum Erwerb von Creditpoints erforderlich gewesen. Er habe stets die Hoffnung gehabt, durch die Wahl eines bestimmten Facharztes einem Auslandseinsatz entgehen zu können. Er trage weder das Leistungsabzeichen noch die Schützenschnur an der Uniform. Am 8. Dezember 2014 habe er einen Antrag auf Befreiung vom Dienst an der Waffe gestellt.
22Bezüglich der Frage, ob seine Verpflichtung nicht von Beginn an in Widerspruch zu seiner Erziehung gestanden habe, erläuterte er, dass ihm eine Ausbildung bei der Bundeswehr im Alter von 19 Jahren als schnellster Weg in die persönliche und finanzielle Unabhängigkeit erschienen sei. Heute wisse er, dass es sich hierbei auch um einen Akt der Rebellion gehandelt habe. Der tatsächliche Einsatz von Waffen sei ihm immer unvorstellbar erschienen.
23Auf den Vorhalt des sog. Karfreitagsgefechts im Jahr 2010 erwiderte der Kläger, dass er sich nach seiner Verpflichtung im Jahr 2009 vollständig seinem Studium zugewendet habe. Erst mit zunehmender Sicherheit im Studium habe er sich vermehrt mit der Entwicklung internationaler Militäreinsätze auseinander gesetzt. Er habe das Ereignis 2010 mit Schrecken verfolgt und sei entsetzt gewesen, dass auch Angehörige der Sanität in Situationen kommen könnten, in denen der Einsatz von Waffen unumgänglich werde. Dieses Ereignis sei für ihn ein Grund mehr gewesen, seine Haltung zu überdenken. Hierdurch sei ihm aufgefallen, dass er bisher davon ausgegangen sei, sich als Arzt im Feldlager um seine Patienten kümmern zu können. Zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung habe er auch nicht gewusst, dass frisch ausgebildete Ärzte erneut militärische Grundlagen erlernten. Er habe sich die Entscheidung, einen KDV-Antrag zu stellen, nicht leicht gemacht, da er grundsätzlich zuverlässig sei und zu seinen Entscheidungen und Zusagen stehen wolle. Er sei froh, dass seine Bewerbung für die Zweitausbildung abgelehnt worden sei, da somit verhindert wurde, dass er sich noch weiter "hineinreite".
24Zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung sei er davon ausgegangen, kurativ tätig zu sein und nie in die Lage zu kommen, die im Rahmen der Schießausbildung erworbenen Fähigkeiten einsetzen zu müssen. Dass er u.U. mit rausfahren und zur Waffe greifen müsse, sei ihm nicht bewusst gewesen. Die Art der Auslandeinsätze habe sich in den letzten fünf Jahren jedoch erheblich in diese Richtung verändert. Ihm sei schon klar gewesen, dass er eventuell an einem Auslandseinsatz teilnehmen müsse, jedoch sei ihm nicht bewusst gewesen, was das tatsächlich bedeute. Er habe inzwischen viele Dokumentationen über den Afghanistan-Einsatz gesehen, in denen u.a. Heimkehrer mit Posttraumatischer Belastungsstörung und Bundeswehrärzte, die bewaffnet die Quick Reaction Force oder Patrouillen begleitet hätten, gezeigt worden seien. Aus persönlichen Erzählungen wisse er, dass es sich hierbei nicht um abstrakte oder seltene Vorkommnisse handle.
25Auf den Hinweis, dass er bereits im Rahmen der Einstellung als Offiziersanwärter darauf hingewiesen worden sei, dass auch Sanitätsoffiziere u.U. Gebrauch von Schusswaffen machen müssten, führt er aus, dass in dieser Situation wohl jeder Bewerber alles unterschreibe, was ihm vorgelegt werde. Die Belehrung sei zu diesem Zeitpunkt viel zu theoretisch und unwirklich gewesen. Hätte man ihn damals näher mit den Folgen eines Auslandseinsatzes konfrontiert, hätte er sich hiervon einen differenzierteren Eindruck verschaffen können.
26Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 wurde der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden Zweifel an der Wahrheit der gemachten Angaben. Diese seien unkonkret und oberflächlich. Im Rahmen der Einstellung der Offiziersanwärter würde insbesondere die charakterliche Reife überprüft, sodass im Falle der Einstellung davon ausgegangen werden könne, dass diese vorliege. Der Sinn des Schießtrainings dürfe sich jedem Soldaten innerhalb weniger Wochen erschließen. Dass durch Schusswaffengebrauch Menschen getötet werden könnten, sei ebenfalls bekannt und hätte dem Kläger nicht erst im Laufe des Studiums auffallen dürfen. Spätestens nach dem Karfreitagsgefecht 2010 wäre zu erwarten gewesen, dass er sich mit seiner Berufswahl auseinandersetzt. Auch vor dem Hintergrund der geschilderten Gespräche und Erfahrungen im Rahmen des Pflegepraktikums im Jahr 2009 erschließe sich der späte Zeitpunkt des Antrags nicht.
27Hiergegen erhob der Kläger unter dem 3. März 2015 Widerspruch. Er habe seine Gewissensentscheidung plausibel dargelegt und sämtliche Fragen beantwortet. Zur Ergänzung fügte er neben weiteren eigenen Ausführungen, die im Wesentlichen die vorherigen Erläuterungen wiederholten, eine Stellungnahme seiner Mutter, seiner Lebensgefährtin sowie des katholischen Militärpfarramtes Aachen vom 25. Februar 2015 bei, in denen der Gewissenswandel aus Sicht der betreffenden Personen geschildert wurde.
28Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
29Der Kläger hat am 18. März 2015 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, die Ablehnung seines Antrags berücksichtige seine Ausführungen nicht, sondern bestehe im Wesentlichen aus Textbausteinen. Ferner habe die Beklagte den Beschleunigungsgrundsatz verletzt, da Anträge infolge einer Erkrankung der beiden zuständigen Sachbearbeiter teilweise über zwei Monate überhaupt nicht bearbeitet worden seien. In der mündlichen Verhandlung ergänzt er, er habe im Laufe des (zivilen) Studiums gemerkt, dass das, was er als Mediziner und Soldat mache, nicht richtig sei und dass er diesen Konflikt kommunizieren müsse. Während des Wehrdienstes, den er zunächst als Abenteuer und Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen, angesehen habe, habe er festgestellt, dass die Medizin seine Berufung sei. Vor seiner Verpflichtung habe er eine Pro- und Contra-Liste erstellt, auf der jedoch ‑ im Nachhinein für ihn völlig unverständlich - das Schießen auf andere Menschen nicht berücksichtigt worden sei. Soweit ihm der Antrag auf Genehmigung eines Zweitstudiums vorgehalten werde, sei auch ihm mittlerweile bewusst, dass es sich hierbei nur um eine scheinbare Lösung seines Problems gehandelt hätte. Er habe diesen Antrag gestellt, weil Kollegen ihm gesagt hätten, dass ein Auslandseinsatz bei einer derart speziellen Ausbildung wie der zum Facharzt für Mund-, Kiefer-, und Gesichtschirurgie unwahrscheinlicher sei. Hinsichtlich des Vorhalts, dass er auf die Jagd gehe, müsse man wissen, dass er seinen Jagdschein bereits im Jahr 2007 auf Wunsch und auf Kosten seines Großvaters gemacht habe, um diesen zur Jagd begleiten zu können. Ein prägender Impuls sei der Tod seiner Großmutter 2013 gewesen. Diesen habe er zum Anlass genommen, sich mit den Briefen der anderen Großmutter - insbesondere mit den darin enthaltenen Schilderungen des Krieges - auseinanderzusetzen. Im Sommer 2014 habe er sich auch mit seinem Großvater über dessen Kriegserlebnisse und die damit verbundenen Schuldgefühle unterhalten. Während des 10. Semesters sei u.a. Medizinethik gelehrt worden, wobei er erneut gesehen habe, dass er ein Doppelleben führe. Auch habe er zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung ein anderes Bild von der Tätigkeit bei der Bundeswehr gehabt; er habe gedacht, er warte in Sicherheit auf die verwundeten Kameraden, um diese anschließend zu versorgen. Tatsächlich würden die Ärzte und Sanitäter jedoch auch auf Patrouille geschickt. Aus Erzählungen wisse er, dass man für diesen Fall angehalten werde, gezielt auf den Kopf eines Angreifers zu schießen. Im Rahmen eines Semestertreffens im späteren Verlauf seines Studiums habe er sich mit einer Truppenärztin unterhalten, die berichtet habe, dass sie im Falle eines Angriffs so schnell wie möglich weggefahren seien; Einheimische würden andere Personen vor die Fahrzeuge stoßen, um im Nachhinein Schadenersatzforderungen zu stellen. Sie habe auch berichtet, dass man sich im Angriffsfall verschanzen und die amerikanischen Streitkräfte verständigen müsse, damit diese die betreffende Gegend bombardierten.
30Der Kläger beantragt,
31die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2015 zu verpflichten, ihn als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen.
32Die Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen.
34Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
36E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
37Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
38Der Zulässigkeit der Klage steht insbesondere kein fehlendes Rechtsschutzinteresse entgegen. Aus den gesetzlichen Bestimmungen der § 2 Abs. 6 Satz 3 KDVG, § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, § 55 Abs. 1 Satz 1 SG ergibt sich, dass nicht nur gediente und ungediente Wehrpflichtige, sondern auch Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragen können. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung unter Verweis auf die freiwillige Verpflichtung des betreffenden Soldaten für den Sanitätsdienst der Bundeswehr davon ausgegangen war, dass Berufs- und Zeitsoldaten im Sanitätsdienst der Bundeswehr aus Rechtsgründen kein Rechtsschutzinteresse für ein auf ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gerichtetes Verfahren zuzubilligen sei, hat es diese Rechtsprechung aufgegeben. Das Bundesverwaltungsgericht geht nunmehr davon aus, dass auch für die freiwillig dienenden Angehörigen des (waffenlosen) Sanitätsdienstes die Rechtsposition als anerkannter Kriegsdienstverwieger nicht nutzlos sei, und die Betroffenen mithin nicht auf ein vorrangig zu betreibendes Dienstentlassungsverfahren verwiesen werden dürften.
39Vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2012 - 6 C 11/11 -, BVerwGE 142, 48, juris Rn. 20 ff., und - 6 C 31/11 -, juris Rn. 11 ff.
40Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer; die diesbezügliche Ablehnung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
42Nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Wer aus Gewissensgründen unter Berufung auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, wird gemäß § 1 Abs. 1 KDVG als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und ist als Zeitsoldat gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SG zu entlassen. Nach § 5 KDVG ist eine Person auf Antrag hin als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen, wenn der Antrag vollständig ist, die dargelegten Beweggründe das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen geeignet sind und das tatsächliche Gesamtvorbringen und die dem Bundesamt bekannten sonstigen Tatsachen keine Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers begründen oder die Zweifel aufgrund einer Anhörung nicht mehr bestehen.
43Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Nach Würdigung aller Umstände kann die Kammer nicht feststellen, dass der Kläger im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine verbindliche und unbedingte Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen hat.
44Für eine verbindliche Gewissensentscheidung müssen konkrete Anhaltspunkte festgestellt werden. Eine Gewissensentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jede ernste, sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne schwere seelische Not bzw. nicht ohne ernstliche Gewissensnot handeln kann.
45Vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 1960 -1 BvL 21/60 -, BVerfGE 12, 45, juris Rn. 30.
46Voraussetzung für die Annahme einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht das „Zerbrechen der Persönlichkeit“ oder der Eintritt eines „schweren seelischen Schadens“, sondern es genügt eine schwere Gewissensnot des Betreffenden, die im Einzelfall zu einem schweren seelischen Schaden führen kann, aber nicht muss.
47Vgl. VG Minden, Urteil vom 27. November 2015 - 10 K 759/14 -, juris Rn. 34 ff.; VG Aachen, Urteil vom 20. November 2014 - 1 K 3143/13 -, juris Rn. 29; VG Würzburg, Urteil vom 29. April 2014 - W 1 K 13.898 ‑, juris Rn. 29, jeweils m.w.N.
48Handelt es sich um Personen, die - wie der Kläger - aufgrund ihres Antrags in das Dienstverhältnis eines Zeitsoldaten eingetreten sind und schon mehrere Jahre in diesem Dienstverhältnis Wehrdienst geleistet haben, ohne einen Konflikt mit dem Gewissen zu empfinden, kann von einer Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung nur bei einer „Umkehr“ der früheren Einstellung gegenüber dem Kriegsdienst mit der Waffe ausgegangen werden. Eine solche Umkehr kann nicht nur durch ein „Schlüsselerlebnis“ oder entsprechend schwerwiegende Umstände herbeigeführt werden, sondern auch das Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses sein.
49Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 1991 - 6 B 9/91 -, juris Rn. 2, und Urteil vom 2. März 1989 - 6 C 10/87 - BVerwGE 81, 294, juris Rn. 13.
50Das Vorliegen einer solchen Gewissensentscheidung lässt sich vielfach nicht in vollem Umfang beweisen. Vielmehr gilt der Maßstab eines hohen Grades von Wahrscheinlichkeit bzw. der Überzeugung, dass eine solche Entscheidung hinreichend sicher angenommen werden kann. Ist dieser letztgenannte Maßstab nicht erfüllt, bestehen Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers im Sinne des § 5 Nr. 3 KDVG. Kann sich das Gericht auch bei wohlwollender Beurteilung des Sachverhalts nicht dazu entschließen, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der erforderlichen Gewissensentscheidung abschließend zu bejahen, so muss dies nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zu Lasten des seine Anerkennung begehrenden Betroffenen gehen.
51Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2014 - 6 B 17/14 -, juris Rn. 6 ff., und Urteil vom 18. Oktober 1972 - VIII C 46.72 -, BVerwGE 41, 53, juris, Rn. 17.
52Gemessen an diesen Grundsätzen konnte das Gericht keine innere „Umkehr“ beim Kläger feststellen.
53Bereits die Schilderung des Klägers, er habe sich überstürzt und unwissend für den Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet, ist nicht glaubhaft. Dies steht zunächst in Widerspruch zur Stellungnahme seiner Mutter vom 2. März 2015, die ausführt, er habe nie leichtfertige Entscheidungen getroffen, und passt auch nicht zum weiteren Vortrag des Klägers, wonach er sich doch bereits zum Zeitpunkt der Verpflichtung bestimmte Gedanken gemacht bzw. Zweifel gehegt habe. Vor seiner Verpflichtung hat er sogar eine Pro- und Contra-Liste angelegt, was zeigt, dass er durchaus reflektiert an die Sache herangegangen ist. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich auch nicht, wieso der Kläger, der über einen hohen Bildungsstand verfügt und sich nach eigenen Angaben intensiv mit dem politischen Geschehen auseinandersetzt, nicht spätestes die Gelegenheit während seines ersten Pflegepraktikums (vor seiner Verpflichtung) genutzt hat, um Patienten und Ärzte im Bundeswehrkrankenhaus aufzusuchen und sich die tatsächlichen Verhältnisse während eines Auslandseinsatzes schildern zu lassen. Bei seinem Eintritt in die Bundeswehr im Jahr 2009 befand sich diese bereits seit mehreren Jahren in Auslandseinsätzen, so etwa seit dem Jahr 2001 im ISAF-Einsatz in Afghanistan. Gerade bei dem Bildungshintergrund des Klägers, der auch in der mündlichen Verhandlung einen bedachten und reflektierten Eindruck hinterlassen hat, ist daher davon auszugehen, dass er sich schon beim Eintritt in die Bundeswehr als Soldat auf Zeit vertieft mit der Rolle von Sanitätsoffizieren und auch mit ihrem Einsatz im Rahmen von Auslandsmissionen hätte auseinandersetzen können. Eine entsprechende Auseinandersetzung kann auch bereits von einem 20-jährigen erwartet werden.
54Vgl. zur geistigen Reife auch: VG München, Urteil vom 13. Juni 2013 - M 15 K 13.572 -, juris Rn. 40.
55Dass der Kläger - wie von ihm sinngemäß dargestellt - gleichsam unwissend und angezogen durch die Werbung der Bundeswehr sowie seine positiven Erfahrungen in den militärischen Dienst hineingeraten sein will, ohne vorher seine (mögliche) Rolle als Sanitätsoffizier zu reflektieren, erscheint nach alledem nicht glaubhaft. Dies gilt umso mehr, als er sich im Dezember 2009 verpflichtet hat, 17 Jahre Dienst in der Bundeswehr zu leisten. Dass eine Person mit dem Bildungshintergrund, der Persönlichkeit und der Intelligenz des Klägers sich angesichts der Bedeutung und Tragweite einer solchen Erklärung nicht intensiv mit seinen künftigen Aufgaben als Sanitätsoffizier auseinandersetzt und dabei nicht auch in Rechnung stellt, möglicherweise im Ausland eingesetzt und damit weitergehenden Gefahren ausgesetzt zu werden als bei einer Verwendung an einem deutschen Standort, erscheint geradezu abwegig. Zudem hat der Kläger mehrfach sein Pflichtbewusstsein und seine Zuverlässigkeit betont und herausgestellt, dass er sich mit den Konsequenzen des eigenen Tuns befasse. Dass sich eine Person mit solchen Eigenschaften bei einer derart gravierenden Entscheidung wie dem Eintritt in die Bundeswehr als Zeitsoldat mit langer Verpflichtungszeit nicht eingehend mit den Inhalten des künftigen Berufs auseinandersetzt, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Dass er möglicherweise erst im Laufe seiner Tätigkeit als Soldat die exakte Bedeutung eines Auslandseinsatzes erfasst hat, begründet vor diesem Hintergrund keine nachvollziehbare Gewissensentscheidung. Auch die Ausbildung an der Waffe in der dem Studium vorangegangenen Grundausbildung hätte ihm - unabhängig von der Qualität und Tiefe dieser Ausbildung - bereits im Jahre 2008 grundsätzlich vor Augen führen können und müssen, dass er als Sanitätsoffizier durchaus in eine Lage geraten kann, in der er über den Einsatz der Schusswaffe entscheiden muss. Insofern kann die von ihm bekundete "Blauäugigkeit", mit der er die Ausbildung bei der Bundeswehr begonnen haben will, nicht nachvollzogen werden.
56Des Weiteren deckt sich die sinngemäße Behauptung des Klägers, er habe im Rahmen eines Wandlungsprozesses seine Gewissensnot erkannt, nicht mit dem äußeren Geschehensablauf.
57Es ist nicht erklärlich, wieso der Kläger, dessen Gewissenskonflikt bis zum Zeitpunkt der Antragstellung keinen Eingang in sein dienstliches Leben gefunden hat, seinen KDV-Antrag nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt gestellt hat.
58Ausweislich seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2015 und den Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er das sog. Karfreitagsgefecht im Jahr 2010 verfolgt und dieses Geschehen als einen der Gründe für seinen Gesinnungswandel genannt. Wenn dieses Ereignis jedoch einer der wesentlichen äußeren Beweggründe für seinen inneren Wandel gewesen sein soll, hätte es nahe gelegen, dieses Ereignis nicht erst auf Vorhalt, sondern bereits im Rahmen der sehr ausführlichen Antragsbegründung zu nennen. Ferner führte der Kläger in diesem Zusammenhang aus, dass im Nachgang geführte Gespräche ihn in seiner Entscheidung bestärkt hätten. Wenn diese Gespräche kurz nach dem Karfreitagsgefecht im Jahr 2010 stattgefunden haben sollten, ist nicht erklärlich, wieso der Kläger seinen KDV-Antrag erst im Jahr 2014 - nachdem er beabsichtigt hatte, sich im Falle der Zweitausbildung noch länger zu verpflichten - gestellt hat. Sollten dieses Gespräche erst kurz vor Stellung des Antrags stattgefunden haben, erschließt sich auch diese Vorgehensweise nicht, da der Kläger spätestens nach diesem (auch nach eigenen Angaben) aufrüttelnden Ereignis Anlass gehabt hätte, schnellstmöglich weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Verwendung im Auslandseinsatz einzuholen.
59Soweit der Kläger meint, die veränderte Rolle von Sanitätsoffizieren in Auslandseinsätzen - dort werden sie auch für militärische Aufgaben wie z.B. Wachdienste bei Patrouillen eingesetzt - sei ihm zuvor nicht bewusst gewesen und insbesondere auch nicht Gegenstand der Berichterstattung in den Medien gewesen, ist dies nicht nachvollziehbar. Spätestens im Zusammenhang mit der geänderten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rechtsschutzinteresse für Klagen von Sanitätsoffizieren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer im Jahre 2012 sind die betreffenden Gegebenheiten Gegenstand der öffentlichen Diskussion gewesen und sogar in allgemeinen Zeitschriften (u.a. "Der Spiegel", "Bundeswehr: Chirurg an der Panzerfaust", Heft 9/2012, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-84162306.html) thematisiert worden. Spätestens dies hätte dem Kläger Anlass geben können, den Kriegsdienst zu verweigern, zumal davon ausgegangen werden darf, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in den Kreisen des Klägers (sowohl im Rahmen der Semestertreffen im Soldatenkreis als auch durch die Kommilitonen) eingängig diskutiert wurde. Warum er nicht schon anlässlich der entsprechenden Berichterstattung die Konsequenzen zog, sondern zunächst weiter seine Ausbildung auf Kosten der Beklagten betrieben hat, erschließt sich nicht.
60Auch wenn der Kläger seine Tätigkeit in der Bundeswehr nunmehr möglicherweise anders einordnen würde als früher, nämlich auch als Waffen- und Soldatendienst verbunden mit einem etwaigen Auslandseinsatz und nicht (nur) als Arzt, so würde dies für sich genommen lediglich einen bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum und keine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe begründen.
61Vgl. auch VG Augsburg, Urteil vom 19. März 2015 - Au 2 K 14.833 -, juris Rn 35, m.w.N..
62Soweit der Kläger meint, er habe während des Studiums weitestgehend verdrängt, Angehöriger der Bundeswehr zu sein, ist auch dies nicht nachvollziehbar. Einer Person mit dem Bildungshintergrund und der Persönlichkeit des Klägers, die zudem monatlich ein auskömmliches Ausbildungsgeld von der Bundeswehr erhält sowie auf soldatenversorgungsrechtliche Leistungen im Krankheitsfall zurückgreifen kann, wird unter normalen Umständen ständig bewusst sein, dass sie der Bundeswehr angehört und diese die Ausbildung in der Erwartung ermöglicht und finanziert, dass der Betroffene die langjährige Dienstleistungspflicht, die er eingegangen ist, auch erfüllt. Warum dies gerade im Falle des Klägers anders sein sollte, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Vielmehr hat er selbst geschildert, dass seine Bundeswehrzugehörigkeit gerade zu Beginn des Studiums und auch im späteren Verlauf - insbesondere während der Veranstaltung zur Medizinethik - häufig unter den Kommilitonen thematisiert worden sei.
63Besondere Zweifel an der Glaubhaftigkeit des geschilderten Gewissenskonflikts bestehen schließlich aufgrund des Antrags auf Genehmigung eines Zweitstudiums aus Januar 2014 und der damit einhergehenden Bereitschaft, sich für insgesamt 23 Jahre zu verpflichten. Auch wenn der Kläger schildert, er habe gehofft, auf diese Weise einem Auslandseinsatz zu entgehen, hätte dies - unterstellt, der von ihm geschilderte Gesinnungswandel, der auf ersten Zweifeln zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung beruhte und sich spätesten seit Ostern 2010 verschärft haben müsste, sei wahr - irrelevant sein müssen, da die grundsätzliche Gewissensproblematik blieb. Angesichts des Bildungsstands des Klägers und der von ihm geschilderten (jahrelangen) Selbstreflektion sowie der Auseinandersetzung mit seinem Umfeld und der bereits "enttäuschten Erwartungen" an die Bundeswehr muss man davon ausgehen, dass ihm bewusst war, dass er selbst als Facharzt in die Verlegenheit kommen könnte, Waffen einsetzen zu müssen. Wenn der geschilderte Gewissenskonflikt tatsächlich bestünde, dürfte man erwarten, dass der Kläger jeden Einsatz von Waffen, ungeachtet der Wahrscheinlichkeit, ablehnt und nicht in Erwägung zieht, sich für noch längere Zeit dieser Problematik auszusetzen.
64Es kommt hinzu, dass der Kläger zur Begründung seines Antrags wesentlich auf die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen und die angeblich veränderte, einem "normalen" Soldaten stark angenäherte Rolle der Sanitätsoffiziere bei solchen Einsätzen abhebt. In diesem Zusammenhand schilderte er auch die während seiner Pflegepraktika bzw. Famulaturen gemachten Erfahrungen mit verletzten Rückkehrern. Soweit danach die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen und die vielfältige Rolle der Sanitätsoffiziere hierbei einen erheblichen Teil des klägerischen Vorbringens bildet, kann damit auch deshalb keine die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und des § 1 KDVG erfüllende Gewissensentscheidung begründet werden, weil durch diese Bestimmungen eine Gewissensentscheidung lediglich gegen die Teilnahme an bestimmten Einsätzen und Kriegen oder unter bestimmten Bedingungen nicht geschützt ist. Eine an den Charakter von Auslandseinsätzen anknüpfende und insofern situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung stellt keine absolute Entscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe dar, die allein durch Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und § 1 KDVG erfasst wird.
65Vgl. VG Minden, Urteil vom 27. November 2015 - 10 K 759/14 -, juris Rn. 60 f.; VG Augsburg, Urteil vom 19. März 2015 - Au 2 K 14.833 -, juris Rn. 38; BVerwG, Beschluss vom 08. November 1993 - 6 B 48/93 -, juris Rn. 2.
66Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
67Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 10 Abs. 2 KDVG i.V.m. §§ 135, 132 VwGO nicht vorliegen.
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Referenzen
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- VwGO § 132 1x
- SG § 55 Entlassung 1x
- § 1 KDVG 2x (nicht zugeordnet)
- § 5 Nr. 3 KDVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 135 1x
- § 1 Abs. 1 KDVG 1x (nicht zugeordnet)
- 10 K 759/14 2x (nicht zugeordnet)
- 6 B 17/14 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 6 Satz 3 KDVG 1x (nicht zugeordnet)
- 6 B 48/93 1x (nicht zugeordnet)
- 6 C 11/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 3143/13 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvL 21/60 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- SG § 56 Folgen der Entlassung und des Verlustes der Rechtsstellung eines Soldaten auf Zeit 1x
- § 10 Abs. 2 KDVG 1x (nicht zugeordnet)
- 6 C 10/87 1x (nicht zugeordnet)
- 6 C 31/11 1x (nicht zugeordnet)