Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 1 L 29/22.A
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden, als Gesamtschuldner.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus Nachstehendem ergibt - nicht die nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3Der sinngemäße Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 1 K 137/22.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. Dezember 2021 anzuordnen,
5bleibt ohne Erfolg. Der Antrag ist unbegründet.
6Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes des Bundesamtes bestehen.
7Mit dem streitgegenständlichen Bescheid lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab. Auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt; zudem stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Gleichzeitig forderte es die Antragsteller zur Ausreise binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte ihnen für den Fall der Nichteinhaltung der gesetzten Ausreisefrist die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina oder in einen anderen aufnahmebereiten oder ‑verpflichteten Staat an. Ferner wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 10 Monate festgesetzt, und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate befristet.
8Ernstliche Zweifel an diesen Entscheidungen lägen nur vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprächen, dass sie einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhalten. Dies ist nicht der Fall. Das Gericht folgt der überzeugenden Begründung des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid und sieht in analoger Anwendung des § 77 Abs. 2 AsylG zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
9Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
10Die Antragsteller stammen aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG, § 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. der Anlage II zum AsylG. Stammt ein Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat, besteht die gesetzliche Vermutung, dass ihm dort keine Verfolgung droht. Die Antragsteller haben keine Anhaltspunkte im Sinne von Art. 16a Abs. 3 Satz 2 GG i.V.m. § 29a Abs. 1 2. Halbsatz AsylG glaubhaft gemacht, die die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung im konkreten Einzelfall rechtfertigen könnten.
11Die Ablehnung der Anträge als offensichtlich unbegründet ist zudem auch auf der Grundlage von § 30 AsylG gerechtfertigt. Die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen offensichtlich nicht vor.
12Die Antragsteller haben schon kein relevantes individuelles Verfolgungsschicksal oder eine relevante Gefährdung vorgetragen, sondern allein auf Übergriffe durch Kriminelle verwiesen.
13Soweit die Antragsteller zu 1. und 2. davon berichtet haben, der Täter, der ihre Tochter vergewaltigt habe und zu einer geringen Strafe verurteilt worden sei, bedrohe sie nunmehr, habe sie mit einem Messer verletzt und habe das Haus der Familie in Brand gesteckt, bestehen - wie das Bundesamt zutreffend ausgeführt hat - erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit aufgrund widersprechender Aussagen. Zudem ist nicht erkennbar, dass diese Vorfälle im Zusammenhang mit einem asylrelevanten Merkmal stehen. Auch konnten sich die Antragsteller an die Polizei wenden; der Täter wurde nach den Angaben der Antragsteller zweimal in Gerichtsverhandlungen verurteilt. Selbst wenn der Täter weiter übergriffig werden würde, müsste sich die Antragsteller insoweit auf die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes (§ 3 d AsylG) sowie inländische Fluchtalternativen (§ 3 e AsylG) verweisen lassen. Weder das Asylrecht noch die Vorschriften über Abschiebungshindernisse bieten ihrem Zweck nach allgemeinen Schutz vor kriminellen Handlungen. Staatsangehörige vor nach nationalem Recht strafbaren Übergriffen Dritter auf seinem Staatsgebiet zu schützen, ist Aufgabe des jeweiligen Staates. Gegen kriminelle Übergriffe ist deshalb Schutz durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte des Heimatlandes zu suchen. Anhaltspunkte dafür, dass der bosnische Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, seine Bürger vor Verbrechen zu schützen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist vorliegend die Polizei gegen den Täter vorgegangen, Ermittlungsverfahren wurden geführt und er wurde verurteilt. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die geschilderte etwaige Bedrohung im gesamten Staatsgebiet des Heimatstaates droht.
14Als Angehörige der Volksgruppe der Roma unterliegen die Antragsteller in Bosnien-Herzegowina auch keiner Gruppenverfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure. Trotz immer noch vorkommender staatlicher Diskriminierungen erreichen diese nicht die erforderliche Verfolgungsdichte, die ausreichen würde, um eine Gruppenverfolgung der Roma als zahlenmäßig stärkste Minderheit in Bosnien und Herzegowina annehmen zu müssen. Ebenso verhält es sich mit den ethnisch motivierten Übergriffen nichtstaatlicher Akteure auf Angehörige der Volksgruppe der Roma.
15Vgl. VG Aachen, Gerichtsbescheide vom 27. Dezember 2018 - 1 K 3480/19.A und vom 20. April 2018 - 1 K 1216/18.A -, beide n.v., sowie Urteile vom 29. Oktober 2015 - 1 K 898/15.A -, n.v., und vom 30. Januar 2014 - 1 K 2865/13.A -, juris; VG München, Urteile vom 5. März 2018 - M 2 S 18.30968 u.a. - und vom 16. Juni 2015 - M 2 K 15.30222 -, beide juris; VG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2017 - A 2 K 583/16 -, juris; siehe auch die Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 16. April 2018 und 23. Mai 2019 sowie vom 5. April 2021.
16Soweit in den Erkenntnismitteln allgemein ausgeführt wird, das weiterhin vorhandene und wieder stärker werdende Misstrauen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen spiegele sich, je nach örtlicher ethnischer Konstellation, auch im Verhältnis der Staatsgewalt zu den Bürgern in Bosnien-Herzegowina wieder; dies könne im Verwaltungsalltag zu gezielten Benachteiligungen in den Bereichen Beschäftigung, Erziehung, Eigentum sowie Gesundheitsversorgung führen; betroffen seien in erster Linie Angehörige der konstitutiven Volksgruppen, die am Ort jeweils nicht die Mehrheit stellten, insbesondere zurückkehrende Flüchtlinge, fehlt es an der erforderlichen Verfolgungsintensität und -dichte.
17Vgl. VG Wiesbaden, Beschluss vom 27. Februar 2014 - W 1 S 14.30167 -, juris.
18Das Vorbringen der Antragsteller enthält keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine andere Bewertung.
19Abschiebungsverbote, die zur subsidiären Schutzgewährung führen würden, liegen ebenfalls nicht vor. Unionsrechtliche Abschiebungsverbote nach § 4 AsylG sind offenkundig nicht gegeben. Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG bestehen nicht.
20Die allgemein schwierigen Lebensbedingungen aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Bosnien und Herzegowina begründen nach Auffassung des Gerichts im Fall der Antragsteller kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln geht das Gericht davon aus, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Heizmaterial und Strom landesweit sichergestellt, der Lebensstandard der Gesamtbevölkerung jedoch niedrig ist. Die durchschnittliche Rentenhöhe von 195 Euro in der Republika Srpska und ca. 240 Euro in der Föderation ist beispielsweise für eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln für eine Einzelperson nicht ausreichend. Der durchschnittliche monatliche Nettolohn in Bosnien und Herzegowina liegt bei umgerechnet rund 465 Euro. Die Arbeitslosigkeit liegt bei ca. 15,7 % (2019) und dürfte durch die COVID–19-Pandemie noch gestiegen sein.
21Vgl. hierzu VG Bremen, Beschluss vom 15. Dezember 2021 - 7 V 2359/21 -, juris, Rn. 27, m.w.N.; AA, Lagebericht vom 5. April 2021, Seite 18; VG München, Beschluss vom 5. März 2018 - M 2 S 18.30968, M 2 S 18.30970 -, juris, Rn. 27.
22Die Gesetzgebung in Bosnien und Herzegowina garantiert Sozialhilfe. Über die Empfänger und die Höhe der Unterstützungsgelder wird im Einzelfall entschieden. Die Höhe der jeweiligen Unterstützung (z.B. monatliche Geldbeträge) bzw. Qualität der Einrichtungen für Unterbringung, falls notwendig, hängt auch von den Möglichkeiten der jeweiligen administrativen Einheit (z.B. Kanton) ab. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass örtliche NGOs (kirchliche, humanitäre etc.) verschiedene Hilfeleistungen für Bedürftige zur Verfügung stellen. Die Höhe der Sozialhilfe ist nicht einheitlich geregelt. In der Föderation Bosnien und Herzegowina beträgt sie 20 % des Durchschnittslohns im jeweiligen Monat, in der Republika Srpska 15 % des Durchschnittslohns. Sie kann jedoch oftmals nicht ausgezahlt werden. Laut dem Zentrum ziviler Initiativen leben 20 % der Bevölkerung in absoluter Armut.
23Vgl. VG Bremen, Beschluss vom 15. Dezember 2021 - 7 V 2359/21 -, a.a.O., Rn. 29, m.w.N.; AA, Lagebericht vom 5. April 2021, Seite 18.
24Auch wenn das Vorgenannte vielfach ein Leben unter schwierigen Umständen bedeutet, so lässt sich hieraus nicht ohne Weiteres für jeden Asylantragsteller eine extreme existenzielle Gefahrenlage ableiten. Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragsteller ist davon auszugehen, dass diese bei einer Rückkehr in der Lage sein würden, ihre elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Vor der Ausreise hat der Antragsteller zu 1. durch gelegentliche Berufstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen können. Bislang konnten die Antragsteller ihren Lebensunterhalt auch sichern, zudem lebt die Großfamilie in der Heimat. Als bosnische Staatsangehörige können sie ergänzend hierzu ggf. Sozialleistungen und andere Hilfen in Anspruch nehmen.
25An dieser Bewertung wird auch unter Berücksichtigung der aktuellen Lage
26- vgl. hierzu die Artikel in der FAZ vom 6. Oktober 2018 "Bosnien-Herzegowina läuft die Jugend davon", vom 24. Oktober 2019 "Mit ein wenig Gewalt", vom 12. Juli 2021 "Historische Wahrheit per Dekret" und vom 23. Dezember 2021 "Krieg und Kastanien" -
27festgehalten.
28Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO und § 83 b AsylG.
29Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
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Referenzen
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- VwGO § 159 1x
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- § 83 b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 80 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 11 Abs. 7 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 11 Abs. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
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- 1 K 3480/19 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 1216/18 1x (nicht zugeordnet)
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