Beschluss vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 6 L 792/21
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 2350/21 gegen die Beschränkungen in Ziffer II. 1. (Verlegung des Versammlungsorts) und Ziffer II. 12. (Untersagung der Verwendung von Regenbogenfahnen, soweit diese als Wischmopp o.ä. zur Reinigung des Straßenbelages eingesetzt werden) des Bescheides des Landrats als Kreispolizeibehörde P. vom 2. September 2021 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Kammer legt den schriftsätzlichen Antrag des Antragstellers nach §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Sinne des Tenors aus, d.h., dass er sich hinsichtlich der Auflagen Ziffer I. 12. des angegriffenen Bescheids nicht gegen das ebenfalls dort verfügte Verbot wendet, die Regenbogenfahnen „in sonstiger diffamierender Weise“ einzusetzen, da sich seine diesbezügliche Argumentation allein gegen das Verbot der Verwendung der Fahne als „Putzlumpen“ o.ä. richtet.
3Der so verstandene Antrag hat Erfolg.
4Er ist als solcher nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig sowie begründet.
5Nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen, in denen eine Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet, weil – wie hier – dessen sofortige Vollziehung durch die erlassende Behörde angeordnet wurde, auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherstellen. Dies kommt aber nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Antragstellers, von Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Bei der insoweit gebotenen Interessenabwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Wird der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, spricht dies für ein vorrangiges Vollziehungsinteresse, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall eine andere Entscheidung erfordern. Bei Versammlungen müssen die Verwaltungsgerichte wegen der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zudem schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zu einer endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt.
6Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 21. April 1998 – BvR 2311/94 –, und vom 24. März 2001 – 1 BvQ 13/01 –, juris.
7Die danach vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier hinsichtlich der angegriffenen beschränkenden Verfügung zu Gunsten des Antragstellers aus, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit dieser Auflagen spricht.
8Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
9Ist die versammlungsbehördliche Verfügung auf eine solche unmittelbare Gefahr gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten anzustellende Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Prüfung der Voraussetzungen eines Versammlungsverbots und von Auflagen hat dabei grundsätzlich von den Angaben der Anmeldung auszugehen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.
10Vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 26. Mai 2020 – 15 B 773/20 – mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
11Dabei ist zu berücksichtigen, dass vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nach Art. 8 Abs. 1 GG prinzipiell auch die Auswahl des Ortes und der Hilfsmittel umfasst ist. Die Behörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsorts bzw. –bereichs sowie der Hilfsmittel Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Ist dies der Fall, kann der Veranstalter die Bedenken durch eine Modifikation des geplanten Ablaufs ausräumen oder aber die Modalitäten der Versammlungsdurchführung können durch versammlungsrechtliche Auflagen verändert werden, um einen Interessenausgleich zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Positionen im Sinne der praktischen Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen. Die Abwägung, ob und inwieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten.
12Art. 8 Abs. 1 GG und dem aus ihm abgeleiteten Grundsatz versammlungsfreundlichen Verhaltens der Versammlungsbehörde entspricht es, dass auch bei Auflagen das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters im Rahmen des Möglichen respektiert wird. Ferner ist von Bedeutung, ob durch die Auflage die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden kann, ohne den durch das Zusammenspiel von Motto und geplantem Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung – ein Anliegen ggf. auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen möglichst wirksam zur Geltung zu bringen – erheblich zu verändern.
13Vgl. auch insoweit OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2020, a.a.O. mit weiteren Nachweisen.
14Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit, den § 15 Abs. 1 VersammlG verwendet, umfasst die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, sowie der staatlichen Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstigen Träger der Hoheitsgewalt.
15Vgl. nur: BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 und 1 BvR 341/81 –, juris.
16Die ebenfalls in § 15 Abs. 1 VersammlG erwähnte öffentliche Ordnung ist hingegen betroffen, sofern es um die ungeschriebenen Regeln geht, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.
17Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Februar 2014 – 6 C 1.13 –, juris, Rn. 15.
18Das für beschränkende Verfügungen in der Ermächtigungsnorm vorausgesetzte Erfordernis einer „unmittelbaren“ Gefährdung stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad in dem Sinne, dass ein zum Eingriff berechtigender Sachverhalt (erst) vorliegt, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit, d.h. „fast mit Gewissheit"
19– vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 – 6 C 21.07 –, juris –
20der Eintritt eines Schadens für die zu schützenden Rechtsgüter zu erwarten ist.
21Die die Gefahrprognose stützenden „erkennbaren Umstände“ müssen in dem die Beschränkungsverfügungen enthaltenden Bescheid Erwähnung finden, sollen sie bei einer gerichtlichen Überprüfung als Grundlage für beschränkende Verfügungen dienen (können).
22Hiervon ausgehend erweisen sich die angegriffenen beschränkenden Verfügungen bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, sodass die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners ausfällt.
23Das gilt zunächst für die Auflage unter Ziffer II. 1. des angegriffenen Bescheids.
24Der Antragsteller beabsichtigt ausweislich des von ihm der Versammlungsanmeldung beigefügten Lageplans, die Standkundgebung auf dem Fußweg der X. Straße in Höhe des B.-platzes durchzuführen. Als Alternativstandorte bot er den Fußweg Ecke G. Straße/L.----gasse oder die Ecke X Straße/Am N. an.
25Der Antragsgegner hat in der Begründung seiner Verfügung nicht nachvollziehbar gemacht, dass durch den gewählten Standort (und auch hinsichtlich der angebotenen Alternativen) eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit verursacht würde. Es ist bereits nicht plausibel, dass es bei dem Zusammentreffen der auf dem B.-platz stattfindenden Standkundgebung des „Christopher Street Day P. e.V.“ (i.F.: CSD) und derjenigen des Antragstellers an dem von ihm hierfür vorgesehenen Standort aller Voraussicht nach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer weitgehend auf die Begründung ihres Eilbeschlusses gleichen Rubrums vom heutigen Tage im Verfahren 6 L 791/21. Dort ist ausführlich dargelegt, dass die Kreispolizeibehörde hinsichtlich der für 12.00 Uhr desselben Tages während und nahe des Aufzugs des CSD geplanten Standkundgebung der Partei „Y.“ keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die behördliche Gefahrenprognose gewalttätiger Eskalationen zwischen Teilnehmern beider Versammlungen angeführt hat. Die in dem o.g. Verfahren von der Kammer gegebene Begründung beansprucht auch hier Geltung. Ohne dass es danach noch hierauf ankäme, sei angemerkt, dass behördlich auch nicht hinreichend dargelegt worden ist, dass die Standkundgebung des CSD mit erwarteten 300 Teilnehmern tatsächlich den gesamten B-platz in Anspruch nehmen wird, sodass schon nicht plausibel ist, dass die voraussichtlich zehn Versammlungsteilnehmer der Partei „Y.“ an dem von ihnen begehrten Versammlungsort in einer Distanz von nur ca. 5 m auf die Versammlungsteilnehmer des CSD treffen werden. Zudem ist die Versammlungsbehörde eine Begründung dafür schuldig geblieben, warum die Standkundgebung des Antragstellers nicht auch gefahrlos an einem der von ihm benannten Alternativstandorte, etwa vor dem Geschäftslokal „F. “, durchgeführt werden können sollte. Gerade hinsichtlich des benannten Ladengeschäfts befände sich zwischen dem B-platz und dem Standort der Versammlung der Partei „Y.“ die Straße „Am N. “, die – soweit ersichtlich – ausreichenden Abstand zwischen den Versammlungen herstellen würde und auch nötigenfalls durch Polizeikräfte gesichert werden könnte.
26Auch die beschränkende Verfügung in Ziffer II. 12. des angegriffenen Bescheides stellt sich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig dar, sodass die vorzunehmende Interessenabwägung wiederum zu Lasten des Antragsgegners ausfällt.
27Der Antragsteller plant, während der Standkundgebung im Rahmen einer „szenischen Darstellung“ mittels wasserlöslicher Straßenkreide einzelne Schlagworte, die –seiner Auffassung nach – im Zusammenhang mit der LGBTQ-Bewegung stehen (wie z.B. „Frühsexualisierung“ oder „Gendersprache“) auf den Boden zu schreiben und diese sodann mit einer wassergetränkten und um einen Besen gewickelten Regenbogenfahne wegzuwischen. Die Aktion soll mittels eines Hinweisschildes mit dem Inhalt „Die Regenbogenfahne zum Wohle der Kinder verwenden“ für Passanten erläutert werden.
28Diese „szenische Darstellung“ stellt nach summarischer Prüfung (noch) keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit dar.
29Die beabsichtigte Verwendung der Regenbogenfahne verstößt nicht gegen die öffentliche Ordnung, d.h. die herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens.
30Hierbei ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die Versammlungsbehörde keine von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsinhalte mit einer Bezugnahme auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung beschränken darf. Die Meinungsinhalte können lediglich durch die allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt werden, Art. 5 Abs. 2 GG. § 15 Abs. 1 VersammlG ist daher hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung gegenüber kommunikativen Äußerungen insoweit einschränkend auszulegen, als zur Abwehr entsprechender Rechtsgüterverletzungen besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Die darin vorgesehenen Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen sind jedenfalls im Hinblick auf seit langem bekannte Gefahrensituationen abschließend und verwehren deshalb einen Rückgriff auf die in § 15 Abs. 1 VersammlG enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit kein Straftatbestand erfüllt ist. Der Gesetzgeber hat durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen grundsätzlich keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes gegenüber Meinungsäußerungen anzuerkennen.
31Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 – 1 BvQ 17/01 –, juris, Rn. 33.
32Soweit sich die beschränkende Verfügung jedoch nicht gegen den Inhalt einer Meinungsäußerung als solchen, sondern gegen die Art und Weise der Kundgabe richtet, kann sie auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt werden. Eine solche Gefahr besteht insbesondere dann, wenn auf Grund provokativer oder sonst wie aggressiver Vorgehensweisen ein Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird.
33Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001, a.a.O., Rn. 35.
34Die von dem Antragsteller beabsichtigte Verwendung der Regenbogenfahne stellt sich zwar als in erheblichem Maße provokativ und polemisch dar. Losgelöst von etwaigen in der Verwendung der Fahne transportierten Meinungsinhalten kann in dem Vorgehen aber nicht die Erzeugung eines Klimas der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erkannt werden. Im Gegensatz zu der von der Kreispolizeibehörde im Rahmen der Begründung ihres Bescheides herangezogenen Vorfälle in der Vergangenheit (Betreten der Regenbogenfahne durch Passanten während des CSD 2019, Zerreißen der Regenbogenfahne am 3. Juli 2021) sowie im Unterschied zu einem etwaigen Betreten der Regenbogenfahne mit mehreren Personen
35– wie dies in dem von dem Antragsgegner in Bezug genommenen Verfahren der Kammer zu dem Aktenzeichen 6 L 631/21 Gegenstand war –
36stellt sich die vorliegend beabsichtigte Verwendung der Regenbogenfahne als „Putzlumpen“ nicht als aggressives Vorgehen dar, das ein gewalttätiges Gesamtgepräge erzeugen könnte. Das Wischen eines (Straßen-)Bodens stellt sich als neutrale Handlung dar. Zwar zielt dieses Wischen des Bodens durch die Verwendung der Regenbogenfahne hierzu – einem Symbol (auch) der zeitgleich stattfindenden Standkundgebung des CSD – auf eine Provokation der Gegenseite. Allein eine solche Provokation genügt jedoch nicht, um eine Gewaltbereitschaft der Versammlungsteilnehmer selbst anzunehmen oder von durch die Provokation ausgelösten Gewalttätigkeiten der Teilnehmer der anderen Versammlung auszugehen. Die Versammlungsfreiheit schützt – in Grenzen, die hier noch nicht überschritten sind – auch eine provokante Form der Meinungsäußerung.
37Ferner besteht in der beabsichtigten Verwendung der Regenbogenfahne keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
38Es ist nach summarischer Prüfung nicht erkennbar, dass die Benutzung der Fahne als „Putzlappen“ einen Straftatbestand erfüllen könnte. Insbesondere dürfte damit nicht der Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) erfüllt werden. Hierbei kann offen bleiben, ob sich die „szenische Darstellung“ und die hiermit etwaig verbundene Äußerung der Missachtung oder Nichtachtung als Reaktion auf die zeitgleich stattfindende CSD-Versammlung gegen hinreichend individualisierbare Rechtsgutsinhaber richtet. Jedenfalls werden durch die „szenische Darstellung“ von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Meinungsinhalte im Rahmen der Versammlung transportiert.
39Eine im Rahmen einer Versammlung getätigte – wenngleich auch möglicherweise lediglich bildhafte – Meinungsäußerung ist dann nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst, wenn sie sich als Schmähung darstellt. Eine Schmähung stellt eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – jedoch nur dann dar, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Handelt es sich um Äußerungen in einer öffentlichen Auseinandersetzung, liegt dagegen nur ausnahmsweise eine Schmähung vor.
40Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. Mai 2018 – 1 BvR 1149/17 –, juris, Rn. 7.
41Das ist hier nicht der Fall. Die Versammlungsbehörde hat nicht aufgezeigt, dass mit der beabsichtigten Verwendung der Regenbogenfahne als „Putzlappen“ im Vordergrund allein die Diffamierung der Versammlungsteilnehmer der CSD-Versammlung beabsichtigt ist. Der Antragsteller hat im Rahmen seiner mit E-Mail vom 31. August 2021 vorgenommenen Ergänzung zu der Versammlungsanmeldung angegeben, dass mittels der „szenischen Darstellung“ die Ablehnung der – aus seiner Sicht – „aggressiven LQBTQ-Propaganda, welche sich insbesondere in der Gendersprache, der Frühsexualisierung von Kindern und letztlich auch der Verharmlosung von Pädophilie“ zeige, sowie der „Missbrauch der Regenbogenfahne“ verdeutlicht werden solle. Diese Meinungsinhalte, die – unabhängig davon, ob man sie teilt – nach summarischer Prüfung vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst sein dürften, prägen nicht unwesentlich das Gesamtbild der „szenischen Darstellung“. Der Antragsteller beschränkt sich eben nicht etwa auf eine bloße Verwendung der Regenbogenfahne als „Putzlappen“ zur Säuberung des Straßenbodens und auf ein – symbolisches – „durch den Dreck ziehen“ Andersdenkender. Vielmehr wird durch die zunächst erfolgende Beschriftung des Bodens sowie mit dem Vorzeigen des Schilds mit der Aufschrift „Die Regenbogenfahne zum Wohle der Kinder verwenden“ auch nach außen hin ausreichend deutlich, dass sie sich jedenfalls thematisch mit der (vermeintlich die benannten Gegenpositionen vertretenden) Gegenversammlung auseinandersetzen wollen, sodass der gesamten Aktion nicht abgesprochen werden kann, dass sie vornehmlich der inhaltlichen Meinungskundgabe dient.
42Sollte das Gesamtgepräge während der Durchführung der „szenischen Darstellung“ jedoch einen solchen Verlauf nehmen, dass die Diffamierung von Personen in den Vordergrund gerät, bleibt es der Versammlungsbehörde unbenommen, vor Ort weitere Auflagen zu erteilen oder nötigenfalls sogar die Versammlung aufzulösen.
43Ferner ist nicht ersichtlich, dass die beabsichtigte Verwendung der Regenbogenfahne den Tatbestand des § 118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) erfüllen könnte. Ordnungswidrig handelt hiernach, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Da der Begriff der öffentlichen Ordnung hier jedoch genauso auszulegen ist wie in § 15 Abs. 1 VersammlG,
44vgl. Ridder/Breitbach/Deiseroth, Kommentar zum Versammlungsrecht, 2. Auflage, Versammlungsgesetz, § 15, Rn. 132,
45gilt nichts anderes, als bereits hierzu ausgeführt.
46Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.
47Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 S. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und erfolgt wegen der der Sache nach begehrten Vorwegnahme der Hauptsache in Höhe des Auffangstreitwertes von 5.000,- EUR.
48Rechtsmittelbelehrung:
49Gegen die Entscheidung mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg; Postanschrift: Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Sofern die Begründung nicht mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, ist sie bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster; Postanschrift: Postfach 6309, 48033 Münster) einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
50Die Beschwerde und deren Begründung können in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden.
51Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen vor dem Oberverwaltungsgericht als Bevollmächtigte zugelassen.
52Gegen die Streitwertfestsetzung können die Beteiligten auch persönlich Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft. Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR nicht überschreitet.
53Die Beschwerde kann schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV eingereicht werden.
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