Die Kläger bilden zusammen mit ihrem jüngsten, am ... 2018 in ... geborenen Kind, der Klägerin im Parallelverfahren (Au 6 K 18.31132), eine Familie türkischer Staatsangehöriger türkischer (Kläger zu 1) bzw. kurdischer Volkszugehörigkeit (Klägerin zu 2) und alevitischer Religionszugehörigkeit. Der am ... 1980 in ... in der Türkei geborene Kläger zu 1 ist der Vater, seine am ... 1979 in ... in der Türkei geborene Ehefrau und Klägerin zu 2 ist die Mutter der am ... 2006 und am ... 2010 jeweils in ... in der Türkei geborenen Klägerinnen zu 3 und 4, ihrer gemeinsamen Kinder im hiesigen Klageverfahren. Sie begehren die Flüchtlingsanerkennung und subsidiären Schutz sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten.
In seiner auf Türkisch geführten Erstbefragung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 9. August 2017 gab der Kläger zu 1 zum Reiseweg im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 11 ff.), er und seine Familie seien am 24. Januar 2017 mit dem Flugzeug aus der Türkei ausgereist und am selben Tag über Deutschland nach Österreich eingereist sowie von dort am 4. Juli 2017 an Deutschland rücküberstellt worden. In Österreich hätten sie Schutz beantragt. Er und seine Ehefrau sind durch Nüfus (türkischer Personalausweis) ausgewiesen. Ausweislich eines Datenbankeintrags wurde festgestellt, dass der Kläger am 6. Dezember 2016 für sich sowie zeitlich zusammenhängend für seine Kinder Visa für Deutschland beantragt hatte. Die Kläger wurden nach Deutschland rücküberstellt und am 31. Juli 2017 als asylsuchend erfasst.
In seiner auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 25. August 2017 gab der Kläger zu 1 im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 112 ff.), er habe mit seiner Familie mit Reisepässen und deutschem Visum am 24. Januar 2017 die Türkei verlassen, sie seien nach ... geflogen und von dort nach Österreich zu Verwandten gefahren. Dort hätten sie Asyl beantragt und seien nach Deutschland zurückgeschoben worden (ebenda Bl. 113). Seine Eltern lebten beide in ihrer Heimatstadt, wo sich die Kläger bis zu ihrer Ausreise aufgehalten hätten (ebenda Bl. 113). Auch drei Schwestern und die Großfamilie lebten noch in der Türkei. Er habe Abitur gemacht und ein Busunternehmen mit zwei Bussen und einem angestellten Fahrer gehabt; ihre wirtschaftliche Lage sei durchschnittlich gewesen (ebenda Bl. 114). Den Militärdienst habe er absolviert. Zur Finanzierung der Ausreise habe er die beiden Busse verkauft; die von ihnen bewohnte Eigentumswohnung gehöre immer noch seiner Frau (ebenda Bl. 114).
Zu seinen Ausreisegründen gab er an, er habe mit seinen Bussen Schüler zu Gülen-Schulen gefahren; er habe dort keine Möglichkeit mehr gehabt zu arbeiten. Zahlungen seien über die ... Bank erfolgt, er habe dort aber kein Konto gehabt. Nach dem Putschversuch seien sie ausgegrenzt und beleidigt worden; er habe nicht einmal mehr die Möglichkeit gehabt, seinen Minibus reparieren zu lassen, sie hätten ihm dies verweigert (ebenda Bl. 114). Er habe als Alevit besondere Benachteiligung erfahren und Angst gehabt, dass ihm oder seiner Familie oder ihrem Besitz etwas zustoße (ebenda Bl. 115).
Seine Ehefrau sei wegen seiner Gülen-Verbindungen am Arbeitsplatz entlassen worden; er sei als Staatsfeind abgestempelt worden, da er an seinen Bussen Werbung für Schulen und Nachhilfeeinrichtungen der Gülen-Bewegung gehabt habe. In ... kenne jeder jeden und ihm sei von dem Volk, den Menschen in ihrer Umgebung und den Erdogan-Anhängern vorgeworfen worden, für den Putsch mit verantwortlich gewesen zu sein. Nach dem Referendum hätte er wohl nicht mehr ausreisen können (ebenda Bl. 115). Sie seien im eigenen Wohnblock ausgegrenzt und beleidigt worden, auch seine Frau beim Einkaufen; sie würden wie Terroristen behandelt (ebenda Bl. 115). Seine Eltern hätten auch eine Wohnung in, trauten sich aber nicht mehr, dort zu leben und lebten in ihrem alevitischen Dorf (ebenda Bl. 115). Auf Nachfrage räumte der Kläger ein, es habe immer wieder Streit und Anschuldigungen gegeben, aber passiert sei ihm und seiner Familie direkt nichts (ebenda Bl. 115). Auf Frage, ob es eine Anklage, ein Urteil oder eine Fahndung gegen sie gebe, verneinte er, nur Vorwürfe aus der Bevölkerung und die normale Ausgrenzung als Aleviten (ebenda Bl. 115). Bei der Ausreise hätten sie Angst, aber keine Probleme gehabt (ebenda Bl. 115).
In ihrer auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 25. August 2017 bestätigte die Klägerin zu 2 im Wesentlichen die Angaben ihres Ehemanns zum Reiseweg (BAMF-Akte Bl. 163 ff.). Sie stamme aus ...; ihre Eltern lebten in, zwei Schwestern und die restliche Großfamilie lebten in der Türkei (ebenda Bl. 164 f.). Sie habe Abitur und Betriebswirtschaft studiert und abgeschlossen (ebenda Bl. 165). Zuletzt habe sie in einer Möbelfirma in der Buchhaltung gearbeitet (ebenda Bl. 165).
Zu ihren Ausreisegründen gab sie an, ihr Ehemann habe sechs oder sieben Jahre für Gülen Schüler mit Bussen gefahren; sie seien Kurden und als Aleviten durch die Gesellschaft unterdrückt worden (ebenda Bl. 165). Nach dem Putschversuch sei alles schlimmer geworden; ihr Mann sei erniedrigt und beleidigt worden; sie seien innerhalb von ... umgezogen, aber die Situation habe sich nicht verbessert. Zwei Monate nach dem Putschversuch sei ihr wegen der Geschäftskontakte ihres Ehemanns zur Gülen-Bewegung gekündigt worden (ebenda Bl. 166). Sie habe Angst vor einer Verhaftung ihres Ehemannes wegen der ständigen Streitereien und vor weiteren Problemen gehabt. Überall in der Türkei bekämen sie die gleichen Probleme, da Kurden und Aleviten nirgends akzeptiert würden; durch die Verbindung zur Gülen-Bewegung würden die Probleme noch schlimmer. Auch ihre Kinder hätten unter der Situation gelitten; sie hätten bereits in der ersten Klasse beten müssen, was in der Familie nicht üblich gewesen sei; ihre ältere Tochter hätten sie dann auf eine Privatschule geschickt, da die Gülen-Schulen bereits geschlossen gewesen seien (ebenda Bl. 166). Auf Nachfrage räumte sie ein, sie hätten nur Anfeindungen und Druck gehabt; aber passiert sei ihnen nichts (ebenda Bl. 166). Auf Frage, ob es eine Anklage, ein Urteil oder eine Fahndung gegen sie gebe, verneinte sie; bei einer Rückkehr habe sie Angst, dass ihr Mann auf unbestimmte Zeit inhaftiert werde oder sie irgendwann durch die Regierung getötet würden; bei der Ausreise hätten sie keine Probleme gehabt, nur Angst davor (ebenda Bl. 166).
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 29. September 2017 für alle Kläger den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Die Abschiebung in die Türkei wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen, weil die Kläger eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht hätten glaubhaft machen können. Eine konkrete Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal hätten sie nicht erlitten. Zwar stünden Gülen-Anhänger unter Druck, sie würden auch systematisch verfolgt, aber Handlungen von erheblicher Schwere seien den Klägern gegenüber nicht erfolgt; so habe der Kläger nach der Aufgabe seines Busbetriebs doch eine weitere Anstellung als Busfahrer gefunden. Seitens des türkischen Staats sei ihnen nichts passiert, sie hätten lediglich pauschale Probleme mit der Bevölkerung vorgetragen. Auch als Aleviten seien sie diskriminiert gegenüber der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit z.B. bei Bau und Finanzierung von Moscheen und Imamen, aber nicht verfolgt. Aber die Diskriminierung betreffe nicht den Kern der Religionsfreiheit, sie seien lediglich rechtlich nicht gleichgestellt. Gleiches gelte für sie auch als Kurden, zumal ihnen in der Westtürkei sichere Zuflucht offen stehe. Die Kläger zu 1 und zu 2 seien auch überdurchschnittlich gebildet und daher auch in der Westtürkei erwerbsfähig. Im Fall einer Rückkehr drohe ihnen keine menschenrechtswidrige Behandlung, auch nicht bei der Einreise oder wegen eines Aufenthalts in Deutschland. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Im Gegenteil seien die Kläger zur Finanzierung ihrer Ausreise im Stande gewesen und hätten auch ihre Großfamilien vor Ort; zudem seien die Kläger zu 1 und zu 2 erwerbsfähig. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei angemessen. Schutzwürdige Belange seien nicht vorgetragen worden.
Gegen diesen ihnen am 4. Oktober 2017 zugestellten Bescheid ließen die Kläger am 12. Oktober 2017 Klage erheben mit dem Antrag:
1. Der Bescheid des Bundesamts vom 29. September 2017 wird mit Ausnahme der Ziffer 2 aufgehoben.
2. Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, bei den Klägern das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 AsylG festzustellen und sie als Flüchtlinge anzuerkennen.
3. Weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 4 AsylG vorliegen und subsidiären Schutz zu gewähren.
4. Weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben sind.
5. Weiter hilfsweise wird beantragt, die Befristungsentscheidung aufzuheben, soweit mit ihr eine 12 Monate übersteigende Frist festgesetzt ist.
Weiter ließen sie Prozesskostenhilfe beantragen, über die erst nach Vorlage der erforderlichen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 23. Juli 2018 entschieden werden konnte, sowie mit Telefax am Tage der mündlichen Verhandlung zur Begründung ausführen, die Kläger hätten ihre wirtschaftliche Existenz wegen ihrer Nähe zur Gülen-Bewegung verloren, Angst vor Denunziation und Verhaftung sowie vor Tötung. Auch als Aleviten hätten sie Ausgrenzung erfahren und Ablehnung auf sich gezogen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Die Regierung von ... als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.
Mit der Ladung übersandte das Gericht eine aktuelle Erkenntnismittelliste.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 29. September 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassen-den Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25). Die vorgenannte Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377/382 Rn. 18) droht.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Die Kläger haben keine staatliche Verfolgung in der Türkei als Individualverfolgung geltend gemacht.
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten zu folgen, wonach die Kläger keine an sie individuell gerichteten Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert haben, sondern lediglich Diskriminierungen durch Nachbarn und Umfeld befürchten. Das aber führt nicht zur Annahme, dass ihnen im Fall ihrer Rückführung in die Türkei Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die Kläger haben keine staatliche oder staatliche zu verantwortende Verfolgung in der Türkei als Individualverfolgung geltend gemacht, denn ihnen gegenüber sind keine staatlichen Maßnahmen ergangen. Soweit der Kläger zu 1 seine wirtschaftliche Betriebsgrundlage als Fuhrunternehmer durch die Schließung der Gülen Schule verloren haben will, richtete sich die Schließung an den Träger der Schule, nicht an den personenverschiedenen Kläger zu 1. Er ist lediglich reflexhaft wirtschaftlich betroffen. Gleiches gilt für die Klägerin zu 2, die ihre Arbeitsstelle in einer privaten Firma verloren hat, die nach ihren Angaben einer Alevitin wie ihr und Ehefrau eines der Tätigkeit für die Gülen-Bewegung bekannten Ehemanns fehlende Vaterlandsliebe unterstellt und sie deswegen entlassen habe. Ein staatliches oder quasistaatliches zielgerichtetes Handeln bzw. eine unmittelbare staatliche Verantwortung hierfür ist nicht erkennbar.
Gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse spricht maßgeblich auch die von den bekanntermaßen strengen Kontrollen auf türkischen Flughäfen unbehelligte Ausreise der Kläger mit ihren eigenen Reisepässen. Dass im Vergleich zum Zeitpunkt ihrer Ausreise nun ein staatliches Verfolgungsinteresse entstanden wäre, ist weder substantiiert vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Die Kläger machen insoweit nur eine allgemeine Angst vor Denunziationen und Verhaftung geltend, die subjektiv bestehen mag, objektiv aber keine Grundlage im bisherigen Geschehen findet.
b) Die Kläger haben keine staatliche Verfolgung als Gruppenverfolgung in der Türkei geltend gemacht. Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung liegen auch sonst nicht vor.
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
aa) Die Kläger haben keine Gruppenverfolgung als ethnische Kurden als Vorverfolgung erlitten bzw. im Fall einer Rückkehr zu befürchten.
Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der Türkei und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 13 – im Folgenden: Lagebericht); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 13). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 13 f.). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender, darunter auch IMC TV und die Tageszeitung „Özgür Gündem“ unter dem Vorwurf, „Sprachrohr der PKK“ zu sein (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 14).
Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in der Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.). Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399, alle juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK etwa höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht ebenda S. 22).
Dies gilt auch für die nicht ortsgebundenen Kläger, wie sie durch ihren Umzug innerhalb von ... bzw. den Umzug ihrer Eltern ins alevitische Heimatdorf gezeigt haben. Sie waren zu keinem Zeitpunkt Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen, sondern machen eine allgemeine Diskriminierung in ihrem sozialen Umfeld geltend.
bb) Die Kläger haben keine Gruppenverfolgung als Angehörige der Religionsgruppe der Aleviten als Vorverfolgung erlitten bzw. im Fall einer Rückkehr zu befürchten.
Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten mit schätzungsweise 15–20 Mio. Menschen nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Sie werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Seit einem Parlamentsbeschluss im Februar 2015 sind alevitische Gebetsstätten namens „Cem-Haus“ (Cem Evi) mit Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise mit Moscheen gleichzustellen. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser als religiöse Stätten an. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten nach Anerkennung und Gleichstellung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, nach Abschaffung der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde („Diyanet“), nach Einführung einer Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen Unterrichtsfach „Religions- und Gewissenskunde“ sowie nach Beendigung der Sunnitisierungspolitik wurden bislang noch nicht erfüllt. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde lediglich ausgeweitet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 15 – im Folgenden: Lagebericht).
Soweit die Kläger geltend machen, es gebe gegen sie Vorwürfe aus der Bevölkerung und die normale Ausgrenzung als Aleviten (BAMF-Akte Bl. 115), kann darin nach Intensität und Häufigkeit keine Verfolgung gesehen werden. Eine Ablehnung aus dem sozialen Umfeld bedeutet noch keine Verfolgungshandlung; zudem sind ihre Eltern in ihr alevitisch geprägtes Heimatdorf zurückgekehrt, wodurch sie sich solcher sozialer Ablehnung offenbar entzogen haben.
Dem bedingten Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten war nicht zu entsprechen, da dieser formell bereits (weit) außerhalb der mit der Ladung nach § 87b Abs. 3 VwGO gesetzten Frist erst angekündigt wurde und die gewünschte Beweiserhebung das Klageverfahren erheblich verzögert hätte. Darüber hinaus war dem Antrag auch materiell nicht zu entsprechen, da die – in Frageform – zum Beweis gestellten Tatsachen bereits auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnismittel geklärt oder nicht entscheidungserheblich sind:
Ob die Kläger als Aleviten in der Türkei ihren Glauben ungehindert ausüben können, ob die Unterweisung der alevitischen Lehre offiziell in privaten oder öffentlichen Schulen möglich ist und ob es ein anerkanntes Priesterseminar für Aleviten in der Türkei gibt, ist nicht entscheidungserheblich, da die Kläger keine konkreten Behinderungen ihrer Glaubensausübung, geschweige denn ihres religiösen Existenzminimum, geltend gemacht haben. Da sie ihr Kind wegen des Drucks einer Teilnahme am Schulgebet auf eine Privatschule geschickt haben, wie sie bereits beim Bundesamt erklärt haben (BAMF-Akte Bl. 166), stellt sich die Frage einer allgemeinen und offiziellen Unterweisung der alevitischen Lehre in privaten oder öffentlichen Schulen im vorliegenden Verfahren nicht. Nach den Erkenntnismitteln ist die Forderung von Aleviten nach einer Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen Unterrichtsfach „Religions- und Gewissenskunde“ bislang noch nicht erfüllt, nur die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde ausgeweitet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht S. 15). Dass die Kläger für sich oder für ihre noch jungen Kinder eine Priesterausbildung in einem Priesterseminar anstrebten, ist nicht ersichtlich und damit nicht fallerheblich.
Gleiches gilt für die Fragen, ob Aleviten ungehindert zu ihrer Glaubensüberzeugung in der Öffentlichkeit stehen können, ob Aleviten alle beruflichen Laufbahnen, wie Beamtenlaufbahn und Militär offen stehen, ob es Übergriffe auf Aleviten und ihre Einrichtungen gibt und wie solche Übergriffe staatlicherseits verfolgt werden und welche Hintergründe solche Anschläge hätten, da diese Fragen keine entscheidungserheblichen und beweisbedürftigen Tatsachen benennen, sondern lediglich pauschale Fragen stellen. Dass die Situation für rückkehrende Aleviten aus dem Bundesgebiet abwiche von jener anderer türkischer Staatsangehöriger, ist nicht aufgezeigt; ob das Existenzminimum für mutmaßliche „Anhänger“ der Gülen-Bewegung gewährleistet sei, ist nicht entscheidungsrelevant sondern einzelfallbezogen zu prüfen (zur Würdigung mit Blick auf § 60 Abs. 5 AufenthG unten). Eine Beweiserhebung „ins Blaue hinein“ ist schließlich nicht Aufgabe der Gerichte.
cc) Die Kläger haben keine Gruppenverfolgung als (vermeintliche) Gülen-Anhänger als Vorverfolgung erlitten bzw. im Fall einer Rückkehr zu befürchten.
Aktuell liegen auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amts deutliche Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung vermeintlicher Anhänger der Gülen-Bewegung vor, welcher von türkischer Regierungsseite her der Putschversuch im Juli 2016 zur Last gelegt wird (vgl. oben). Unklar ist dabei, nach welchen Kriterien türkische Behörden eine Person als „Anhänger“ einstuften. Türkische Behörden und Gerichte können eine Person bereits dann als solchen „FETÖ“-Terrorist einordnen, wenn diese Mitglied der Gülen-Bewegung ist oder persönliche Beziehungen zu den Mitgliedern der Bewegung unterhält, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht hat oder im Besitz von Schriften Gülens ist. Als besonders starkes Indiz werden finanzielle Beziehungen von Personen zu Einrichtungen gewertet, die der Gülen-Bewegung nahe stehen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 9 – im Folgenden: Lagebericht). „FETÖ“ sei die Abkürzung für „Fethullah Gülen Terrororganisation“ und als Ausdruck ab dem Jahr 2013 aufgekommen, als die bis dahin eng mit der regierenden AKP zusammenarbeitende Gülen-Bewegung den ersten Aufstand geprobt und durch der Gülen-Bewegung angehörende Staatsanwälte und Richter gegen mehrere amtierende Minister wegen Bestechung und Bestechlichkeit Strafverfahren eingeleitet habe, was das große Zerwürfnis zwischen Gülen und dem damaligen Vorsitzenden der AKP Erdoğan hervorrief (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 8 f.).
Zum Stand August 2016 seien 35 Gesundheitseinrichtungen, 1.045 Bildungsinstitutionen, 104 Stiftungen, 1.125 Vereine, 15 Universitäten sowie 29 Gewerkschaften wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung geschlossen worden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – im Folgenden: BFA, Kurzinformation vom 4.8.2016, S. 1 m.w.N.).
Daher kann davon ausgegangen werden, dass eine Person, welche der türkische Staat der Gülen-Bewegung zurechnet, in der Türkei mit asylerheblichen Verfolgungshandlungen rechnen muss, auch ohne dass sie eine führende Stellung in der Gülen-Bewegung innehatte bzw. noch innehat. Bereits eine vermutete Gülen-Anhängerschaft reicht aus, wegen Terrorverdachts inhaftiert zu werden (vgl. VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 36).
Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass der türkische Staat die Kläger zu 1 und zu 2 der Gülen-Bewegung zurechnet. Der Kläger zu 1 hat zwar durch Schließung der Gülen-Schulen die wirtschaftliche Grundlage seines Busunternehmens verloren, mit seinen Bussen Schüler zu Gülen-Schulen zu fahren; er habe dort keine Möglichkeit mehr gehabt zu arbeiten wie er angibt (BAMF-Akte Bl. 114 f.). Zahlungen seien über die ... Bank erfolgt, er habe dort aber kein Konto gehabt. Nach dem Putschversuch seien sie ausgegrenzt und beleidigt worden; er habe nicht einmal mehr die Möglichkeit gehabt, seinen Minibus reparieren zu lassen, sie hätten ihm dies verweigert (ebenda Bl. 114). Er sei als Staatsfeind abgestempelt worden, da er an seinen Bussen Werbung für Schulen und Nachhilfeeinrichtungen der Gülen-Bewegung gehabt habe. Wie er aber angibt, hat er diese Diskriminierung im sozialen und wirtschaftlichen Umfeld durch die Bevölkerung erlitten, nicht durch staatliche Maßnahmen. Von einer Einbeziehung des Klägers in ein staatliches oder staatlich zu verantwortendes Verfolgungsprogramm als Kennzeichen einer Gruppenverfolgung kann daher keine Rede sein.
Im vorliegenden Fall ist auch nicht ersichtlich, dass der türkische Staat die Klägerin zu 2 der Gülen-Bewegung zurechnet. Sie hat zwar durch ihre Entlassung – ihrem Vortrag nach wegen der Gülen-Verbindungen des Klägers zu 1 – ihren Arbeitsplatz verloren. Aber auch hier ist eine Einbeziehung der Klägerin zu 2 in ein staatliches oder staatlich zu verantwortendes Verfolgungsprogramm als Kennzeichen einer Gruppenverfolgung nicht ersichtlich. Zuletzt habe sie in einer Möbelfirma in der Buchhaltung gearbeitet, gab sie an (ebenda Bl. 165), also in einem Privatunternehmen, wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigte. Eine staatliche Verantwortung hierfür ist nicht erkennbar.
Auf Nachfrage räumte der Kläger zu 1 ein, es habe immer wieder Streit und Anschuldigungen von Nachbarn oder Mitbewohnern sowie Beleidigungen gegeben, aber passiert sei ihm und seiner Familie direkt nichts (ebenda Bl. 115). Auf Frage, ob es eine Anklage, ein Urteil oder eine Fahndung gegen sie gebe, verneinte er, nur Vorwürfe aus der Bevölkerung und die normale Ausgrenzung als Aleviten (ebenda Bl. 115). Bei der Ausreise hätten sie Angst aber keine Probleme gehabt (ebenda Bl. 115). Dies spricht gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse, denn die Kläger sind nach ihren Angaben auf dem besonders streng kontrollierten Luftweg mit ihren eigenen Reisepässen ausgereist. Stünden sie auf einer Fahndungsliste, wäre ihnen diese Ausreise nicht ermöglicht worden.
Dem bedingten Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten war aus o.g. formellen und materiellen Gründen nicht zu entsprechen, da die – in Frageform – zum Beweis gestellten Tatsachen bereits auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnismittel geklärt oder nicht entscheidungserheblich sind:
Wie sich die allgemeine Situation von „Anhängern“ der Gülen-Bewegung darstellt, ist für die von § 3 AsylG vorgegebene einzelfallbezogene Würdigung unerheblich. Ob ein Schulbus-Fahrer für die Schulen der Gülen-Bewegung, der gezwungenermaßen auch Kontakt zu Mitgliedern und Anhänger der Gülen-Bewegung hatte, aufgrund dieser Kontakte als Anhänger angesehen und verfolgt werden, ist nicht entscheidungserheblich, da der Kläger zu 1 deswegen nicht verfolgt worden ist. Konkrete Nachstellungen oder Übergriffe in staatlicher Verantwortung hat er verneint, ebenso Probleme bei der Ausreise. Selbst wenn die Kläger sich selbst also für der Gülen-Bewegung zuschreibbar halten, bedarf es für einen Flüchtlingsschutz nicht nur einer möglichen sondern einer tatsächlichen Zuschreibung durch den Verfolger nach § 3b Abs. 2 AsylG („zugeschrieben werden“), die hier fehlt.
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Sie haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
a) Die Kläger haben eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 24 – im Folgenden: Lagebericht). Für extralegale Hinrichtungen liegen keine Anhaltspunkte vor. Etwaige Tötungen durch Private wie Familienangehörige stellen keine „Todesstrafe“ hierzu berechtigter Institutionen dar und stehen auch in der Türkei als Kapitaldelikt unter Strafe.
b) Die Kläger haben eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG eine absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden zu verstehen, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (vgl. nur EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N.; EGMR U.v. 25.7.2006 – 54810/00 – NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.), Eine erniedrigende Behandlung setzt als Schweregrad eine Demütigung oder Herabsetzung voraus, die im Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht und geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
Für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen ernsthaften Schadens gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit („real risk“) unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erlitten hat; eine solche Vorschädigung stellt aber einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, (erneut) ernsthaften Schaden zu erleiden (zur Vermutungswirkung vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit sich nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung zu bilden. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen VGH BW, U.v. 25.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 32 ff.). Es ist daher zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgeklärt werden (vgl. zum Maßstab bereits oben zu § 3 AsylG).
Eine solche Gefahr besteht im Fall der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit; auf die Würdigung ihres Vorbringens zu § 3 AsylG wird insoweit verwiesen.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Den Klägern steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.25.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
aa) Der erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Kläger zu 1 würde mit seiner Familie im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären (vgl. bereits oben zur zumutbaren inländischen Fluchtalternative).
Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert.
In der Türkei gibt es zwar keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden aber über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt und von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besonderen Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 26 f. – im Folgenden: Lagebericht).
Die medizinische Versorgung durch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert, vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite vor allem in ländlichen Provinzen bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es im Jahr 2013 1.517 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 202.031 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden. Durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen (vgl. Lagebericht ebenda S. 27). Psychiater praktizieren und zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 standen im Jahr 2011 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen einiger Regionalkrankenhäuser. Auch sind therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige vorhanden (vgl. Lagebericht ebenda S. 27; zur Behandlung psychischer Erkrankungen auch S. 34 f.).
Zum 1. Januar 2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt für alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei mit Ausnahmen u.a. für Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u. a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich. Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und dem doppelten Mindestlohn gelten ermäßigte Beitragssätze. Bis Mitte des Jahres 2014 haben sich rund 12 Mio. Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen, für rund 8 Mio. von ihnen hat der Staat die Zahlung der Beiträge übernommen (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).
Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden „Grünen Karten“ (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
Die Kläger zu 1 und zu 2 sind erwerbsfähig und waren in der Türkei auch lange Jahre erwerbstätig; sie verfügen mit der im Eigentum der Klägerin zu 2 stehenden Eigentumswohnung in ... auch über Wohnraum und Vermögen in der Türkei, so dass ihnen die Sicherung des Lebensunterhalts für sich und ihre Kinder möglich und zumutbar ist.
Dass ihnen etwa erforderliche öffentliche Hilfen als Aleviten oder vermeintliche Gülen-Anhänger verweigert würden, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass es auch auf die begehrte Beweiserhebung zur Rückkehrsituation für Aleviten und zum Existenzminimum für Gülen-Anhänger nicht ankommt. Den Klägern wurde dieses Merkmal schon bisher nicht vom türkischen Staat zugeschrieben (vgl. oben).
bb) Die Kläger würden im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen einer Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums dürfen keine Suchvermerke (insbesondere für Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen) mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden; vorhandene Suchvermerke sollen Angaben türkischer Behörden zufolge im Jahr 2005 gelöscht worden sein (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
Unbegleitet zurückkehrende Minderjährige finden in der Regel Aufnahme bei Verwandten, sonst im Einzelfall ggf. in einem Waisenhaus oder Kinderheim. in letzterem Fall sollten die zuständigen türkischen Behörden rechtzeitig informiert werden (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
In der Türkei finden Einreisekontrollen für alle Personen statt. Bei dieser Personenkontrolle können türkische Staatsangehörige mit einem gültigen türkischen, sie zur Einreise berechtigenden Reisedokument die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen auch auf Inlandsflügen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier (vgl. Lagebericht ebenda S. 29). Die Einreisekontrollen wurden bereits im Zuge der Flüchtlingskrise verstärkt, nicht erst seit dem Putschversuch (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3), nun aber gezielter mit Listen mutmaßlicher Gülen- oder PKK-Anhänger (Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 2). Ein abgelehnter kurdischer Asylbewerber läuft bei der Rückkehr nicht Gefahr, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit verhaftet zu werden, außer er hat sich für kurdische Rechte oder Organisationen aktiv eingesetzt oder z.B. an pro-kurdischen Demonstrationen teilgenommen (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3 f., 28 f.; auch SFH ebenda S. 2, 3, 10 f.).
Da die Kläger zwar nach dem Putsch aber auf dem Luftweg streng kontrolliert die Türkei verlassen haben, ist nicht damit zu rechnen und auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie bisher mit dem Putsch in Verbindung gebracht wurden oder künftig würden. Die Einreisekontrollen als solche stellen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
b) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Kläger nicht vor.
4. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG – mangels gegenläufiger schutzwürdiger Belange der Kläger – als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.