Urteil vom Verwaltungsgericht Augsburg - Au 6 K 17.34088

Tenor

I. Unter Aufhebung von Ziffer 6 ihres Bescheids vom 26. Juli 2017 wird die Beklagte verpflichtet, eine erneute Ermessensentscheidung über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Kläger nach § 11 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zu treffen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger hat von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens fünf Sechstel zu tragen, die Beklagte ein Sechstel.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der seinem wegen einer Eheschließung im Bundesgebiet nachträglich vorgelegten Reisepass (VG-Akte Bl. 55 ff.) zu Folge am ... 1995 in ... in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit alevitischer Religionszugehörigkeit und hielt sich vor seiner Ausreise zuletzt in ... auf (BAMF-Akte Bl. 46). Er reiste nach eigenen Angaben am 29. April 2017 auf dem Luftweg von ... aus der Türkei aus und über ... unerlaubt nach Deutschland ein, wo er Asyl beantragte.

In seinem am 16. April 2015 ausgestellten und bis zum 15. März 2020 gültigen Reisepass befinden sich folgende Ein- und Ausreisestempel (VG-Akte Bl. 59 ff.):

Datum

Ort

Datum

Ort

06.09.2016

Ausreise ...

07.09.2016

Einreise ...

19.09.2016

Ausreise ...

19.09.2016

Einreise ...

23.01.2017

Ausreise ...

23.01.2017

Einreise ...

30.01.2017

Ausreise ...

30.01.2017

Einreise ...

29.04.2017

Ausreise ...

29.04.2017

Einreise ...

In seiner auf Türkisch geführten Dublin-Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Kläger im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 28 ff.), er habe Onkel und Tante in Deutschland und sei am 29. April 2017 auf dem Luftweg nach Deutschland gekommen.

In seiner auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Juni 2017 gab der Kläger im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 45 ff.), er habe einen Reisepass und einen Personalausweis gehabt, den Ausweis habe er nicht mitgenommen und den Reisepass habe er, aufgrund von Streitigkeiten mit seinem Onkel in Deutschland, selbst vernichtet (ebenda Bl. 46). Sein Vater lebe noch an seiner Heimatsadresse in, seine Mutter sei verstorben; weitere Verwandte im Heimatland seien Großeltern und die Familie, ein Bruder lebe in England (ebenda Bl. 47). Der Kläger habe das Abitur gemacht und Maschinenbau studiert, das Studium aber nicht abgeschlossen und auch nicht gearbeitet, er sei Schüler und Student gewesen (ebenda Bl. 47). Wehrdienst habe er nicht geleistet (ebenda Bl. 47). Als Gründe für seine Ausreise gab er an, er stamme aus ... und sei ab 2014 im 1. Jahr an der Universität Mitglied der HDP geworden. Er habe einige Probleme mit den Lehrern und der Verwaltung an der Schule gehabt, die Lehrer hätten ihm gesagt, dass er die Schule nicht absolvieren könne, da sie seine Aktivitäten sähen (ebenda Bl. 47). Mit einem Abteilungsleiter der Universität habe es bereits im Juni 2014 ein Vorkommnis gegeben, der einen Student mit längeren Fingernägeln angesprochen habe, nach seiner Herkunft gefragt habe, als Staatsfeind bezeichnet und auch dem Kläger vorgeworfen habe, Kommunist zu sein, da er aus ... komme (ebenda Bl. 48). Er habe seinen Namen nach der Demonstration an die Polizei gemeldet und auch den Lehrern gesagt, dass sie von der Universität geschmissen werden müssten; ein anderer Lehrer habe im Unterricht auf den Kläger gezeigt und gesagt, dass sie solche Schüler, solche Terroristen, nicht duldeten (ebenda Bl. 48). Am 10. Oktober 2015 habe es einen Anschlag in Ankara gegeben, am 12. Oktober 2015 hätten sie eine Demonstration gemacht, weswegen er von Lehrern der Schule bedroht worden sei. Es seien auch Spezialeinheiten der Polizei in die Schule gekommen und hätten ihn ebenso wie der Abteilungsleiter der Universität der Beihilfe zum Terrorismus beschuldigt, als der Kläger festgenommen worden sei (ebenda Bl. 48). Mit dem Kläger sei noch ein anderer Student festgenommen worden, er sei mittags festgenommen und nach seiner Familie gefragt worden. Sein Vater und sein Onkel seien bereits in den achtziger Jahren wegen politischer Aktivitäten eingesperrt worden, sein Vater 18 Monate, sein Onkel 24 Monate, (ebenda Bl. 48). Onkel seines Vaters seien seit dieser Zeit als Flüchtlinge in Deutschland, wegen seines Nachnamens mache man ihm extra Schwierigkeiten, obwohl er seine Onkel in Deutschland nur namentlich kenne (ebenda Bl. 48). Seit seiner Festnahme sei der Kläger an der Universität bekannt gewesen, beleidigt und unterdrückt worden; wenn er kein Student gewesen wäre, hätte er auf jeden Fall Wehrdienst leisten müssen und wolle auf keinen Fall dem türkischen Staat dienen (ebenda Bl. 48). Nach dem Putsch im Juli 2016 habe es bei der Verwaltung und an der Universität nur Anhänger der Regierung gegeben (ebenda Bl. 48). Der Kläger gab weiter an, es habe auch immer wieder Schwierigkeiten mit anderen Schülern, nationalistischen Türken, und Lehrern gegeben; in letzter Zeit sei nur noch zu Universität gegangen, um die Prüfungen abzulegen, da in jeder dort kannte; es sei auch in ... bei der HDP tätig gewesen (ebenda Bl. 48). Im September 2015 habe er auch die HDP-Zeitung verteilt; auf dem Rückweg habe jemand versucht, ihn mit dem Auto zu überfahren; er sei sicher, dass der Fahrer einer der anderen Studenten, ein Nationalist, gewesen sei (ebenda Bl. 48). Nach dem Putschversuch habe die Regierung sie auch für Gülen-Anhänger gehalten, sein Vater habe vorzeitige Rente beantragt aus Angst, sonst entlassen zu werden; ein beim Zoll beschäftigter Onkel sei wegen des Vorwurfs terroristischer Aktivitäten entlassen worden (ebenda Bl. 48). Der Kläger legte hierzu eine Veröffentlichung der Regierungsseite mit einer Entlassungsliste vor (ebenda Bl. 48). Der Kläger gab weiter an, seine Familie werde vom Staat als Terroristen betrachtet, weil sie aus ... kämen, alle von dort stammenden „...“ würden von der Meldebehörde dort besonders gekennzeichnet (ebenda Bl. 48). Bei seiner Festnahme im Oktober 2015 habe er gesehen, dass sie besonders verfolgt würden, da er nach seinem Onkel, seinem Bruder und seinem Vater gefragt worden sei und daher wisse, dass die ganze Familie unter Beobachtung stehen (ebenda Bl. 49). Als am 16. April 2017 das Referendum stattgefunden habe, sei er an der Uni bzw. in ... gewesen. Er habe für die HDP gearbeitet, in seinem Wohnviertel in ... sei die Mehrheit HDP-Anhänger. Am 1. April 2017, einem Samstag, hätten sie einen Stand mit „Nein“ gegen das Referendum aufgebaut; die Polizei habe sie aufgefordert, den Stand abzubauen, sein Vater sei auch dabei gewesen, sie hätten ihren Stand verteidigt, dann seien Spezialeinheiten gekommen und hätten 5 Personen, darunter den Kläger und seinen Vater, festgenommen (ebenda Bl. 49). Sie seien bis Dienstag in Polizeigewahrsam gewesen, er habe in seiner Zelle nicht einmal einen Stuhl gehabt, was für ihn schon Teil der Schikane oder Folter sei. Als er das den Polizisten gesagt habe, hätten sie eingefangen, ihn zu beleidigen. Am Dienstag hätten sie ihn um Mitternacht freigelassen. Er habe dort 3 Tage unschuldig verbringen müssen, zweimal hätten sie ihn verhört, während des Verhörs habe er gehört, wie sie einem anderen sagten, sie könnten ihn jederzeit erschießen, was für ihn hörbar gewesen sei. So gingen Polizisten mit ihnen um und betrachteten seine Familie als Landesverräter (ebenda Bl. 49). Am 4. April seien sie entlassen worden, der Kläger meine, schuld zu sein, dass auch sein Vater festgenommen wurde, er habe sich deshalb schlecht gefühlt und sein Vater habe ihm geraten, nach Deutschland zu gehen und Asyl zu beantragen (ebenda Bl. 49). Er sei dann am 29. April nach Deutschland geflogen und habe seinen Onkel in ... kennengelernt. Auf Frage, weshalb er den Pass vernichtet habe, gab er an, er habe den Pass beim Gespräch mit seinem Onkel in der Hand gehabt und sei sehr aufgeregt gewesen. Sein Onkel habe gemeint, er könne nach einiger Zeit zurück in die Türkei. Der Kläger habe ihm vorgeworfen, dass er auch wegen ihm schikaniert werde, aus Ärger und Enttäuschung habe den Pass einfach zerrissen, da eine Rückkehr für ihn nicht infrage gekommen sei (ebenda 49). Auf Frage nach seiner Funktion in der HDP gab er an, er sei Mitglied in der Jugendabteilung, hätte einige Aufgaben zugeteilt bekommen, aber keinerlei Führungsposition (ebenda Bl. 49). Auf Frage, ob ihm sonst in der Türkei etwas passiert sei, gab er allgemeine Beleidigungen und Schwierigkeiten für kurdische Aleviten aus ... an, auch wegen seiner Familienzugehörigkeit (ebenda Bl. 50). Auf Nachfrage nach Vater und Onkel gab er an, sein Vater leide darunter, dass der Kläger hatte fliehen müssen; sein Onkel sei entlassen worden und sein Verfahren laufen noch (ebenda Bl. 50). Auf Nachfrage, ob es gegen ihn eine Anklage, ein Urteil oder eine Fahndung in der Türkei gebe, gab der Kläger an, nicht zu wissen, ob er gesucht werde (ebenda Bl. 50). Auf Nachfrage, wie er denn sonst normal mit seinem Pass hätte ausreisen können, wenn er gesucht würde, gab er an, er sei sich nicht sicher, er wolle sein Glück versuchen, es könne sein, dass mittlerweile etwas gegen ihn laufe (ebenda Bl. 50). Für den Fall der Rückkehr in die Türkei fürchte er seine Einberufung, denn sein Studium dort sei vorbei. Er wolle aber dem türkischen Staat auf keinen Fall als Soldat dienen, er könne während der Wehrdienstzeit aufgrund seiner Volkszugehörigkeit auch leicht beseitigt werden (ebenda Bl. 50). Auf einem Kontrollbogen bestätigte er, die Anhörung sei in türkischer Sprache durchgeführt worden; es habe keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben und das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben, diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (ebenda Bl. 4).

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 26. Juli 2017 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Die Abschiebung in die Türkei wurde androht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen, weil der Kläger eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Eine Gruppenverfolgung als Alevit oder Kurde liege nicht vor; zudem stehe in der Westtürkei eine inländische Fluchtalternative offen. Eine konkrete Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal habe er nicht erlitten. Als einfaches Mitglied der HDP ohne herausgehobene Funktion erfülle er kein Verfolgungsmuster des türkischen Staats. Die Wehrpflicht als solche und die Wehrpflichtpraxis der Türkei stellten grundsätzlich keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei angemessen. Schutzwürdige Belange seien nicht vorgetragen worden.

Gegen diesen ihm am 27. Juli 2017 zugestellten Bescheid erhob der Kläger am 28. Juli 2017 Klage mit dem Antrag:

I.

Der Bescheid des Bundesamts vom 26. Juli 2017 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verpflichtet, mich als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft festzustellen.

III.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei vorliegen.

Weiter ließ er zur Begründung ausführen, er sei Kurde, Mitglied der PKK, man habe ihn in die Berge entführt, ein detaillierter Brief liege beim Dolmetscher und werde nachgereicht (VG-Akte Bl. 24). Er ließ dann einen türkischen Brief mit Übersetzung vorlegen, der zu entnehmen ist, seine Familie gehöre zu den nach dem Militärputsch 1980 zwangsdeportierten Familien, sei nach 1999 von türkischen Behörden übergeben worden, zum Dorf zurückgekehrt und hätte die zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Der Kläger und sein Vater gingen jedes Jahr im Sommer für 3 Monate ins Dorf. Ab dem 15. Juli 2017 habe sich das normale Leben auf einmal verändert, am 25. Juli 2017 habe die Jandarma ihr Haus gestürmt und von ihnen verlangt, das Dorf zu verlassen; am 1. September 2016 sei das Haus erneut gestürmt worden und der Kläger und sein Vater festgenommen und zum Berg ... gebracht worden, bis fast an die Bergspitze hätten sie aufsteigen müssen. Auf einer Berg-Ebene hätten sie ihn und seinen Vater auf den Boden gelegt, Ihnen den Gewehrlauf in den Mund gesteckt und gesagt: „jeder aus ... ist ein Organisationsmitglied. In welcher Organisation seid ihr Mitglied? Sagt uns, weshalb ihr von ... hergekommen seid und was ihr hier machen wolltet.“ Der Kläger und sein Vater hätten die Soldaten angefleht, diese hätten sie losgelassen und aufgefordert, die Gegend zu verlassen, ansonsten würden sie umgebracht. Am 15. September 2016, nachdem seine Großeltern und Onkel unter dem Druck der Jandarma den Wohnort beim Heimatdorf verlassen hätten, seien ihre Winter-Brennholzvorräte mit Petroleum und ihrem Haus in Brand gesteckt worden; sie hätten nach Revolutionären aus der Familie des Klägers gefragt. Später hätten sie ihr Haus in ... gestürmt, auch hätten sie sein Haus [des Klägers] in ... gestürmt und ihn dabei festgenommen, 2 Tage sei er auf der Polizeiwache festgehalten worden, die Polizei habe ständig Druck auf ihn ausgeübt, er denke das sie erfahren hätten von festgenommenen Freunden, dass er mit der PKK zusammenarbeite (ebenda Bl. 26). Dieses Jahr sei eine Frau gleichen Nachnamens in ... am Flughafen vernommen und nach dem Kläger befragt worden, was zeige, dass der Kläger in der PKK-Sache gesucht werde. Diese Rechtsanwältin sei mit seinem Cousin verheiratet und wohne in .... Der Kläger sei in der Türkei Mitglied der PKK gewesen und habe 3 Jahre lang Mitgliedsbeitrag von 25 TRY bezahlt. In ... habe er Verantwortungen gehabt und sei der Verantwortliche in ... und in ... gewesen; alle 2 Wochen habe er eine Versammlung einberufen, um die Situation zu bewerten (ebenda Bl. 26). Seine Familie sei revolutionär und werde daher von türkischen Reaktionären und Faschisten angegriffen (ebenda Bl. 26). Mit einem weiteren Schreiben ließ er mitteilen, er sei seit 2014 offiziell in der HDP und gleichzeitig Unterstützer der PKK und an der Universität sei er Vorsitzender der Jugendorganisation HDP/PKK gewesen und habe Aktivitäten durchgeführt, Spenden zu sammeln, Propagandaschriften zu verteilen, sich an Versammlungen, Protesten und Demonstrationen zu beteiligen (ebenda Bl. 32). In den Sommermonaten sei er mit seinem Vater nach, in die Kreisstadt ... in das Heimatdorf gefahren und habe bei seinen Großeltern gewohnt. Er habe sich auch an den Aktivitäten seiner Partei in ... beteiligt. Deswegen sei er mit seinem Vater von den Soldaten misshandelt worden. Nach dem versuchten Militärputsch sei ihr Haus am 1. September 2016 von der Jandarma gestürmt worden, sie hätten von ihnen verlangt, das Dorf zu verlassen, sonst würden sie zwangsweise deportiert. Danach hätten sie das Haus durchsucht und sie beide mitgenommen und auf einen Berg geführt, sie auf den Boden gelegt und ihnen den Gewehrlauf in den Mund gesteckt [er wiederholte die Schilderung aus dem ersten Schreiben]. Jetzt sei ihr Haus abgebrannt und habe im September 2016 an der Universität eine Zeitschrift verteilt, danach hätten Faschisten auf der Straße versucht, ihn mit dem Auto umzubringen. Bei der 1. Anhörung sei seine Antwort zur Funktion in der Partei missverstanden und falsch protokolliert worden, der Dolmetscher habe falsch übersetzt (ebenda Bl. 33). Bei einer Protestaktion am 12. Oktober 2015 gegen das Massaker am Bahnhof in Ankara sei er mit einem Freund festgenommen und von der Polizei gefoltert worden; dies habe er auch bei der ersten Anhörung gesagt (ebenda Bl. 33). Auf Hinweis seiner Ausreise auf dem Luftweg gab er an, wäre er noch ein paar Tage dortgeblieben, wäre er sicher verhaftet worden.

Am 1. Februar 2018 übernahm der Bevollmächtigte die Vertretung des Klägers im Verfahren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Die Regierung von ... als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.

Die Ausländerbehörde übersandte die Niederschrift einer Vorsprache des Klägers, der eine Verlobte in Deutschland heiraten wolle und hierzu seinen Reisepass vorgelegt habe. Kopien des Reisepasses wurden vorgelegt (ebenda 55 f.). Der Kläger galt in der Folgezeit als untergetaucht, war tatsächlich aber unerlaubt zu seiner Verlobten umgezogen und hatte sich dort angemeldet.

Mit Beschluss vom 11. Juli 2019 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht eine aktuelle Erkenntnismittelliste.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur in geringem Umfang begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 26. Juli 2017 ist daher bis auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt bis auf diese Ausnahme den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG.

Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung und sie ist politisch, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Allgemein liegt dem Asylgrundrecht die von der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zugrunde, dass kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche Merkmale); von dieser Rechtsüberzeugung ist das grundgesetzliche Asylrecht maßgeblich bestimmt. Eine notwendige Voraussetzung dafür, dass eine Verfolgung sich als eine politische darstellt, liegt darin, dass sie im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen steht, also - im Unterschied etwa zu einer privaten Verfolgung - einen öffentlichen Bezug hat, und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist, sowie wegen des asylerheblichen Merkmals erfolgt (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 38 f., 44). Auch eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, kann grundsätzlich politische Verfolgung sein, und zwar auch dann, wenn der Staat hierdurch das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt. Es bedarf einer besonderen Begründung, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 52 f.). Voraussetzung für eine vom Staat ausgehende oder ihm zurechenbare Verfolgung ist die effektive Gebietsgewalt des Staates im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit. Verfolgungsmaßnahmen Dritter sind dem Staat daher zuzurechnen, wenn er schutzfähig, aber er nicht bereit oder nicht in der Lage ist, mit den ihm verfügbaren Mitteln Schutz zu gewähren (vgl. BVerfG, U.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 46). Ist politische Verfolgung hiernach grundsätzlich staatliche Verfolgung, so steht dem nicht entgegen, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung dem Staat solche staatsähnlichen Organisationen gleichstellt, die den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen (vgl. BVerfG, U.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 40 a.E.). Daher fehlt es an der Möglichkeit politischer Verfolgung, solange der Staat bei offenem Bürgerkrieg im umkämpften Gebiet faktisch nur mehr die Rolle einer militärisch kämpfenden Bürgerkriegspartei einnimmt, als übergreifende effektive Ordnungsmacht aber nicht mehr besteht. Gleiches gilt in bestimmten Krisensituationen eines Guerilla-Bürgerkriegs. In allen diesen Fällen ist politische Verfolgung allerdings gegeben, wenn die staatlichen Kräfte den Kampf in einer Weise führen, die auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können oder an dem militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind, vollends wenn ihre Handlungen in die gezielte physische Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität eines nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Bevölkerungsteils umschlagen (vgl. BVerfG, U.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 56 ff.).

Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann (inländische Fluchtalternative). Eine inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass der Asylsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (vgl. grundlegend BVerfG, U.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 ff., juris Rn. 61 f., 66).

a) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keine politische Verfolgung erlitten oder zu befürchten. Er hat beim Bundesamt hinsichtlich des Verbleibs seines Reisepasses offensichtlich gelogen, was er in der mündlichen Verhandlung auch einräumte, und sich weiter derart in Widersprüche zu seiner Schilderung angeblicher fluchtauslösender Ereignisse verstrickt, dass er mit seinem gesamten Vorbringen als unglaubwürdig und letztlich nicht schutzbedürftig einzustufen ist.

Hinsichtlich seines Reisepasses hat der Kläger beim Bundesamt gesagt, den Reisepass habe er, aufgrund von Streitigkeiten mit seinem Onkel in Deutschland, selbst vernichtet (ebenda Bl. 46). Für die Heirat aber hat er ihn unversehrt wieder vorgelegt (VG-Akte Bl. 55). Dass er aus Angst und Unsicherheit beim Bundesamt nicht die Wahrheit gesagt, aber den Pass dabei gehabt hatte, wie er in der mündlichen Verhandlung einräumte (Protokoll vom 27.8.2019, S. 2 f.), erklärt nicht, dass er beim Bundesamt auf Frage, weshalb er den Pass vernichtet habe, angab, er habe den Pass beim Gespräch mit seinem Onkel in der Hand gehabt und sei sehr aufgeregt gewesen. Sein Onkel habe gemeint, er könne nach einiger Zeit zurück in die Türkei. Der Kläger habe ihm vorgeworfen, dass er auch wegen ihm schikaniert werde, aus Ärger und Enttäuschung habe den Pass einfach zerrissen, da eine Rückkehr für ihn nicht infrage gekommen sei (BAMF-Akte Bl. 49). Der Kläger hat nicht einfach über den Verbleib seines Passes geschwiegen oder gelogen, sondern sich eine Geschichte hierfür ausgedacht und zurecht gelegt, letztlich eine glatte Lüge. Dazu war er offensichtlich trotz Angst oder Aufregung im Stande, so dass ihm diese Erklärung für seine Falschangaben nicht abgenommen werden kann.

Auch dass er beim Bundesamt nicht gesagt hatte, dass er - wie in seinen Schreiben an das Verwaltungsgericht angegeben, bei der PKK gewesen sei, dass am 1. September 2016 ein Haus erneut gestürmt worden und der Kläger und sein Vater festgenommen und zum Berg ... gebracht worden seien, bis fast an die Bergspitze hätten aufsteigen müssen, dass auf einer Ebene er und sein Vater auf den Boden gelegt, ihnen der Gewehrlauf in den Mund gesteckt und gesagt worden sei: „Jeder aus ... ist ein Organisationsmitglied. In welcher Organisation seid ihr Mitglied? Sag uns, weshalb ihr von ... hergekommen seid und was ihr hier machen wolltet.“ (VG-Akte Bl. 25) -, obwohl er nach seinen Schilderungen beim Bundesamt auf Frage, ob im sonst in der Türkei etwas passiert sei, nur allgemeine Beleidigungen und Schwierigkeiten für kurdische Aleviten aus ... angab auch wegen seiner Familienzugehörigkeit (BAMF-Akte Bl. 50), spricht gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers. Er hat sein Vorbringen so wesentlich gesteigert und nicht nur ergänzt, dass ihm dieses Geschehen einschließlich einer Entführung auf den Berg nicht geglaubt werden kann. Dass er in der mündlichen Verhandlung einräumte (Protokoll vom 27.8.2019, S. 3), er habe sich nicht getraut und nicht gewusst, was er sagen solle, erklärt nicht, dass er nach der Anhörung beim Bundesamt ausdrücklich auf einem Kontrollbogen bestätigte, das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben, diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 4).

Eine wesentliche Steigerung liegt auch vor bei seinen Angaben zu seiner Funktion bei der HDP. Beim Bundesamt gab er auf Frage nach seiner Funktion in der HDP gab an, er sei Mitglied in der Jugendabteilung, hätte einige Aufgaben zugeteilt bekommen, aber keinerlei Führungsposition (BAMF-Akte Bl. 49). Dem gegenüber teilte er dem Verwaltungsgericht mit, er sei in der Türkei Mitglied der PKK gewesen und habe 3 Jahre lang einen Mitgliedsbeitrag von 25 TRY bezahlt. In ... habe er Verantwortungen gehabt und sei der Verantwortliche in ... und in ... gewesen; alle 2 Wochen habe er eine Versammlung einberufen, um die Situation zu bewerten (VG-Akte Bl. 26). In einem weiteren Schreiben ließ er mitteilen, er sei seit 2014 offiziell in der HDP und gleichzeitig Unterstützer der PKK und an der Universität sei er Vorsitzender der Jugendorganisation HDP/PKK gewesen und habe Aktivitäten durchgeführt, Spenden zu sammeln, Propagandaschriften zu verteilen, sich an Versammlungen, Protesten und Demonstrationen zu beteiligen (VG-Akte Bl. 32). Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 27.8.2019, S. 4), er habe sich nicht getraut und egal in welcher Funktion, er habe mit anderen gemeinsam mitgearbeitet, erklärt auch diese Steigerung des Vorbringens nicht.

Schließlich spricht gegen einen fluchtauslösenden Zusammenhang der angeblichen Entführung auf den Berg am 1. September 2016, dass der Kläger kurz danach am 6. September 2016 von ... aus nach ... gereist und danach in die Türkei zurückgekehrt ist, statt in Europa Asyl zu beantragen, hätte er eines Schutzes bedurft. Gleiches gilt für die Rückkehr in die Türkei nach dem Aufenthalt in Deutschland vom 23. Januar 2017 bis 30. Januar 2017, den er nach seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 27.8.2019, S. 4) nur zum Familienbesuch und zu Treffen mit Freunden aus der alevitischen Gemeinde genutzt habe, aber nicht zur Asylantragstellung.

b) All dies sowie die zweimalige unbehelligte Ausreise auf dem Luftweg trotz der bekannt strengen Kontrollen an türkischen Flughäfen (vgl. unten) spricht deutlich gegen eine vom Kläger als beachtlich empfundene Verfolgungsfurcht. Für seine letztliche Ausreise mit Asylantragstellung im April 2017 fehlt zudem der fluchtauslösende Zusammenhang zu den von ihm geschilderten, angeblich zuvor stattgefundenen Ereignissen, da er jeweils danach wieder in die Türkei als angeblichen Verfolgerstaat zurückgekehrt ist. Da er legal auf dem Luftweg ausgereist ist, hat er unbehelligt die staatlichen Kontrollen passieren können, was zusätzlich gegen eine staatliche Verfolgung bzw. überhaupt ein Interesse am Kläger spricht, insbesondere eine landesweite Verfolgung. Schließlich hätte der Kläger, wie von der Beklagten erkannt, eine inländische Fluchtalternative in der Westtürkei (dazu unten).

2. Der Kläger hat aus diesen Gründen auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

a) Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden hat der Kläger nicht zu befürchten. Er gehört zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.

Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der Türkei und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 12 f. - im Folgenden: Lagebericht); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel - sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden - nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3.8.2018, S. 15). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 13; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 68). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender, darunter auch IMC TV und die Tageszeitung „Özgür Gündem“ unter dem Vorwurf, „Sprachrohr der PKK“ zu sein (vgl. Lagebericht vom 3.8.2018, S. 15).

Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in der Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 - 1 B 31/14 - juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, U.v. 5.3.2018 - 6 K 3554/17.A - juris Rn. 51 m.w.N.). Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 - 3 A 557/13.A; BayVGH, B.v. 22.9.2015 - 9 ZB 14.30399, alle juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK etwa höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht ebenda S. 20).

Dies gilt auch für den nicht ortsgebundenen Kläger (vgl. oben).

b) Eine Verfolgung wegen einer Zugehörigkeit/Zurechnung zur PKK oder HDP hat der Kläger nicht zu befürchten. Seine Schilderungen sind hierzu völlig unglaubwürdig (vgl. oben).

c) Eine Verfolgung wegen einer alevitischen Religionszugehörigkeit hat der Kläger nicht zu befürchten.

Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten mit schätzungsweise 15-20 Mio. Menschen nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Sie werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Seit einem Parlamentsbeschluss im Februar 2015 sind alevitische Gebetshäuser namens „Cem-Haus“ (Cem Evi) mit Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise mit Moscheen gleichzustellen. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gebetshäuser als religiöse Stätten an. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten nach Anerkennung und Gleichstellung der Gebetshäuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, nach Abschaffung der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde („Diyanet“), nach Einführung einer Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen Unterrichtsfach „Religions- und Gewissenskunde“ sowie nach Beendigung der Sunnitisierungspolitik wurden bislang noch nicht erfüllt. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde lediglich ausgeweitet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 14. - im Folgenden: Lagebericht). Die Glaubensgemeinschaft der Aleviten hat zwar in der Türkei - wie jene der katholischen und evangelischen Christen - keinen eigenen Rechtsstatus. Die individuelle Religionsfreiheit ist jedoch weitgehend gewährleistet (vgl. Lagebericht ebenda S. 13). Sachbeschädigungen z.B. durch Beschmieren alevitischer Gebetshäuser werden von alevitischer Seite immer wieder beklagt, ebenso Repressionen in ihrer öffentlichen Darstellung durch Schließung z.B. ihres Fernsehsenders „TV10“ mit dem Vorwurf der Terrorpropaganda (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 61 f.). Eine Verfolgung alevitischer Gläubiger allgemein ist aber auch nicht in der Provinz Dersim (Tunceli) als ihrem Kernland zu befürchten (vgl. VG München, B.v. 5.4.2018 - M 1 S 17.46575 - juris Rn. 14 m.w.N.).

Dass dies im Fall des Klägers anders wäre, ist nach seinen unglaubhaften Schilderungen nicht anzunehmen.

d) Der Kläger konnte auch mit seinem individuellen Vortrag sonst nicht glaubhaft machen, dass ihm in der Türkei eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.

aa) Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten zu folgen, wonach der Kläger keine an ihn individuell gerichteten Bedrohungen oder gar Übergriffe glaubhaft und fluchtauslösend geschildert hat.

Solche Verfolgungsmaßnahmen drohen ihm im Fall seiner Rückführung in die Türkei auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus den o.g. Gründen.

Gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse spricht die unbehelligte Ausreise mit eigenem Reisepass. Da in der Türkei strenge Ausreisekontrollen stattfinden, wird türkischen Staatsangehörigen, gegen welche ein vom türkischen Innenministerium oder von einer Staatsanwaltschaft verhängtes Ausreiseverbot vorliegt und die auf einer entsprechenden Liste stehen, bereits die Erteilung eines Reisepasses versagt oder sie werden bei Besitz eines Reisepasses an der Ausreise gehindert (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 11.6.2018, S. 1 f.). Eine unbehelligte Ausreise ist daher ein Indiz gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse.

bb) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht nicht.

Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden.

Zwar unterliegt ein Mann grundsätzlich der gesetzlichen Wehrpflicht, die in der Türkei ab dem 20. Lebensjahr beginnt. Der Wehrdienst wird in den Streitkräften oder der Jandarma abgeleistet. Söhne und Brüder gefallener Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden; im Ausland lebende Türken können sich gegen ein Entgelt freikaufen, das mit Änderung des Wehrgesetzes im Januar 2016 von 6.500 Euro auf 1.000 Euro gesenkt und 2018 auf 2.000 Euro erhöht wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 17 - im Folgenden: Lagebericht), und sogar eine bis zum 3. November 2018 befristete Freikaufsmöglichkeit für in der Türkei lebende Türken eröffnete (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 41). Insgesamt werden jährlich etwa 300.000 Wehrpflichtige eingezogen; rund 1,9 Mio. Wehrpflichtige haben wegen Studiums und weitere rund 3 Mio. Wehrpflichtige aus anderen Gründen den Wehrdienst aufgeschoben; ca. 650.000 Wehrpflichtige entziehen sich der Dienstpflicht (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 27 f.).

Wer wehrpflichtig ist, aber sich der Musterung entzieht, gilt als „Musterungsflüchtiger“, was eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird. Die Verjährung richtet sich nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht und greift proportional zur Höhe der Geldbuße nach drei, vier oder fünf Jahren Verjährungsfrist. Wer sich nach erfolgter Musterung und Einberufung dem Wehrdienst entzieht, gilt als „Wehrdienstflüchtiger“, was eine Straftat darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird, die in der Höhe von der Dauer der Wehrdienstentziehung sowie davon sind, ob der Wehrdienstflüchtige sich stellt oder gefasst wird. Die Verjährung richtet sich nach Art. 66 tStGB und greift, wenn der Wehrdienstflüchtige sich stellt oder gefasst wird (zum Ganzen Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 1.6.2017 an das BAMF, S. 2).

In der Türkei gibt es kein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder einen Anspruch auf Ableistung eines Ersatzdienstes. Musterungsverweigerer, Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Wehrdienstpflichtige werden im zentralen elektronischen Fahndungsregister (GBT) erfasst; Sicherheitsbeamte an der Grenze und im Inland können an Hand der Identitätsnummer des Betroffenen einen Eintrag im GBT prüfen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Wehrdienstentziehung wird in der Türkei zunächst mit einer Geldbuße geahndet unter Berücksichtigung der Zeitspanne des Wehrdienstentzugs sowie ob sich der Betroffene selbst bei den Wehrbehörden gemeldet hat oder festgenommen wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Wird ein erlassener Bußgeldbescheid bestandskräftig und meldet sich der Betroffenen danach nicht bei der Wehrbehörde zum Dienstantritt, können auch Freiheitsstrafen zwischen 2 und 36 Monaten verhängt werden; in der Regel wird von der Mindeststrafe Gebrauch gemacht und können kurzzeitige Gefängnisstrafen nach Art. 50 tStGB u.a. auch in Geldstrafen umgewandelt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich, insbesondere nach Art. 67 tStGB bei Flucht ins Ausland. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (vgl. Lagebericht ebenda S. 18; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 44). Die Vollstreckung solcher Haftstrafen wurde wegen Platzmangels in den Haftanstalten regelmäßig aufgeschoben, so dass fast niemand eine solche Haftstrafe verbüßen musste; auch nach einer Gesetzesänderung, dass Haftstrafen über drei Monaten verbüßt werden müssten, wird der Haftantritt aus demselben Gründen aufgeschoben (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 10). Die Haftbedingungen in Militärhaftanstalten unterscheiden sich nach Kenntnis des Auswärtigen Amts grundsätzlich nicht von jenen in anderen Haftanstalten; das türkische Wehrrecht sieht eine Haft in einer Militärhaftanstalt jedoch erst vor, wenn ein Wehrpflichtiger während des Ableistens des Wehrdienstes wegen einer Straftat verurteilt wird (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Wehrdienstflüchtige werden auch nicht per Hausdurchsuchung am Wohnort sondern per GBT gesucht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6) und dürften daher beim Grenzübertritt auffallen sowie - im Falle eines Haftbefehls - in Untersuchungshaft genommen werden (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 12).

Soweit bis zum Jahr 2009 Personen die türkische Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, die sich dem Wehrdienst entzogen hatten, können sie mittlerweile durch Novellierung des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes unabhängig von ihrem Wohnsitz wieder die Staatsangehörigkeit erhalten (vgl. Lagebericht ebenda S. 18) und unterliegen dann weiterhin der Wehrpflicht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Nach der Verbüßung einer wegen Wehrdienstverweigerung verhängten Haftstrafe erfolge normalerweise die Befreiung von der Dienstpflicht (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 43).

aa) Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für das türkische System, das keinen Ersatzdienst und kein Verfahren vorsieht, in dem dargelegt werden kann, ob die Voraussetzungen einer Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vorliegen, eine Verletzung der von Art. 9 EMRK garantierten Gewissensfreiheit angenommen, weil es keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigern trifft (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2018 - 1 VR 12/17 - juris Rn. 87 unter Verweis auf EGMR, U.v. 12.6.2012 - 42730/05). Allerdings bezog sich diese Bewertung eines angemessenen Ausgleichs auf die Strafpraxis vor der Reform der Wehrstrafverfolgung mit einer deutlichen Milderung der vormals strengeren Strafen (vgl. oben).

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verhängung einer Geldbuße oder Geldstrafe oder im Wiederholungsfall einer Haftstrafe, die regelmäßig nicht vollstreckt sondern umgewandelt oder aufgeschoben wird, keinen angemessenen Ausgleich zwischen der Durchsetzung des staatlichen Dienstanspruchs einerseits und der privaten Gewissensentscheidung des Betroffenen andererseits darstellte. Anhaltspunkte für eine im vorliegenden Fall abweichende Bewertung sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.

bb) Soweit im vorliegenden Fall eine Strafverfolgung wegen Wehrdienstentziehung möglich ist, droht jedoch keine Beteiligung an Kriegsverbrechen; besondere Umstände, aus denen sich ergibt, dass Strafmaßnahmen nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht gelten, sind nicht ersichtlich (vgl. EuGH, U.v. 20.11.2013 - C-472/13; BVerwG, U.v. 24.4.1990 - 9 C 4/89 - NVwZ 1990, 876). Insbesondere gibt es keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen bzw. persönlichen Merkmalen i.S.v. § 3b AsylG oder an der Volkszugehörigkeit (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7) orientiert ist. Im Gegenteil können homosexuelle Wehrpflichtige auf Antrag und nach Begutachtung grundsätzlich als für den Wehrdienst untauglich eingestuft werden; die aktuelle Handhabung ist offen (vgl. Lagebericht ebenda S. 18 f.). Die Heranziehung zum Wehrdienst und die Bestrafung wegen seiner Verweigerung stellen daher keine politische Verfolgung dar (wie hier VG München, B.v. 5.4.2018 - M 1 S 17.46575 - juris Rn. 13 m.w.N.).

cc) Kurden werden bei der Heranziehung zum Militärdienst ebenso wie bei einer Bestrafung wegen Militärdienstentziehung nicht aufgrund ihres Volkstums in asylerheblicher Weise benachteiligt. Die Heranziehung zum Militärdienst in der Türkei und die Bestrafung ihrer Nichtbefolgung stellen keine Form politischer Verfolgung dar, da sie allgemein gegenüber allen männlichen Staatsangehörigen ausgeübt werden. Auch eine Militärdienstverweigerung durch Flucht ins Ausland wird ohne weitere Verdachtsmomente nicht als Sympathie für separatistische Bestrebungen ausgelegt. Es liegen schließlich auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass Militärdienstpflichtige, die ihre Strafe wegen Dienstentziehung oder Fahnenflucht verbüßen, misshandelt werden oder in der vorausgehenden Polizei- oder Militärhaft generell Folter zu erleiden haben. Das gilt sowohl dann, wenn sich ein Militärdienstflüchtiger im Inland stellt oder er ergriffen wird, als auch insbesondere dann, wenn er bei der Einreise aus Deutschland von den Sicherheitsbeamten an der Grenze als solcher erkannt und festgenommen wird (zum Ganzen VG Aachen, U.v. 5.3.2018 - 6 K 3554/17.A - juris Rn. 44 m.w.N.). Die türkischen Wehrrechtsbestimmungen treffen keine Unterschiede wegen ethnischer Zugehörigkeiten türkischer Staatsbürger (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 6.3.2019 an das VG Augsburg zu Frage 7).

Die türkischen Streitkräfte setzen Wehrpflichtige gezielt in anderen Landesteilen als ihrer Herkunftsregion ein; nach kurdischen Angaben würden kurdischstämmige Rekruten gezielt in den Konfliktgebieten im Südosten eingesetzt, um den Alleinvertretungsanspruch der PKK für Kurden zu diskreditieren; für eine systematische Diskriminierung kurdischer oder alevitischer Minderheitenangehöriger in der Armee fehlten aber Anhaltspunkte (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 42 f.).

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.

Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 - 41738/10 - NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).

a) Der Kläger hat eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.

Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 21, 236 - im Folgenden: Lagebericht). Für extralegale Hinrichtungen liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor.

b) Der Kläger hat eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen würde, nicht glaubhaft gemacht (vgl. oben).

c) Der Kläger hat eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts darstellte, nicht glaubhaft gemacht.

4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Der Kläger würde im Fall seiner Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen seiner Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 28; a.A. allerdings unter Verweis auf Quellen lediglich zum Risiko von Festnahmen und nicht von Folter VG Freiburg, U.v. 13.6.2018 - A 6 K 4635/17 - juris Rn. 28 ff.). Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums dürfen keine Suchvermerke (insbesondere für Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen) mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden; vorhandene Suchvermerke sollen Angaben türkischer Behörden zufolge im Jahr 2005 gelöscht worden sein (vgl. Lagebericht ebenda S. 28). Unbegleitet zurückkehrende Minderjährige finden in der Regel Aufnahme bei Verwandten, sonst im Einzelfall ggf. in einem Waisenhaus oder Kinderheim. In letzterem Fall sollten die zuständigen türkischen Behörden rechtzeitig informiert werden (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).

In der Türkei finden strenge Ausreisekontrollen für alle Personen statt. Ein- und Ausreisedaten werden genauestens erfasst und die Reisenden in den entsprechenden türkischen Fahndungssystemen überprüft. Türkischen Staatsangehörigen, gegen welche ein vom türkischen Innenministerium oder von einer Staatsanwaltschaft verhängtes Ausreiseverbot vorliegt und die auf einer entsprechenden Liste stehen, wird die Erteilung eines Reisepasses versagt oder sie werden bei Besitz eines Reisepasses an der Ausreise gehindert. Bei bestehendem Ausreiseverbot kann ein Reisepass auch durch Bestechung kaum erlangt werden, denn seine Ausstellung erfordert, dass ein vorhandener Listeneintrag zuvor auf amtliche Veranlassung durch richterlichen Beschluss oder Beschluss des Innenministeriums gelöscht wird (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 11.6.2018, S. 1 f.) sowie der Antragsteller zwecks Abnahme von Fingerabdrücken persönlich vorspricht (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.10.2018 an das BAMF, S. 1). Nach Regierungsangaben seien im Zuge der Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung über 234.000 Reisepässe annulliert worden für dieser Bewegung zugerechnete Personen und ihre Ehepartner; für einen Teil der Betroffenen sei die Annullierung nach Ende des Ausnahmezustandes widerrufen worden (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 18.10.2018, S. 79). Ausreisesperren wurden im Juli 2016 für rund 200.000 Personen verhängt und im Juli 2018 für rund 150.000 Personen unter ihnen wieder aufgehoben; Auskünfte über bestehende Ausreisesperren können über die Datenbanken eDevlet des türkischen Innenministeriums und UYAP des türkischen Justizministeriums vom Betroffenen oder einem von diesem bevollmächtigten Rechtsanwalt sowie sogar durch Nachfragen bei der örtlichen Polizeistation durch bevollmächtigte Verwandte ersten Grades erlangt werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.10.2018 an das BAMF, S. 2; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2018 an das BAMF, S. 2). An Grenzübergängen werden im Rahmen der allgemeinen und erkenntnisbasierten Fahndung der türkischen Polizei mobile Kommunikationsendgeräte (Handy, Tablet, Laptop) von Reisenden ausgelesen, um insbesondere regierungskritische Beiträge / Kommentare auf Facebook, WhatsApp, Instagram etc. festzustellen, die wiederum in Maßnahmen wie z.B. Einreiseverweigerung, Vernehmung, Mitnahme zur Dienststelle, Festnahme, Strafanzeige usw. münden können (vgl. Lagebericht ebenda S. 32).

Bei dem eDevlet System (e-Devlet Sistemi) handelt es sich um ein staatlich betriebenes Online-Portal, in das staatliche Institutionen mit ihren Datenbanken integriert sind. Türkische Staatsbürger erhalten, nachdem sie sich durch Hinterlegung ihrer persönlichen Daten zur Teilnahme am System angemeldet haben, durch Einloggen mit einem Passwort Zugang zu allen freigegebenen Daten, die die eigene Person betreffen. Mit Hilfe des e-Devlet Systems können türkische Staatsbürger u.a. diverse behördliche Dienstleistungen im Online-Verfahren in Anspruch nehmen, ohne persönlich bei den Behörden vorsprechen zu müssen. Haftbefehle und andere Eintragungen aus dem Justizbereich sind im sog. UYAP-System erfasst. Über einen Link im eDevlet System kann sich jeder türkische Staatsbürger - nach Hinterlegung seiner persönlichen ID-Daten für die Zugangsberechtigung - auch im UYAP-System anmelden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2018 an das BAMF, S. 1 f.) und dort als Privatnutzer allerdings nur schlagwortartig Übersichten einsehen, via Internet sogar aus dem Ausland (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 13.2.2019 an das BAMF, S. 2).

Das UYAP-System ist eine vom Justizministerium betriebene Online Plattform, zu der jeder türkische Staatsbürger den Zugang beantragen kann. In diesem System kann der Privatnutzer schlagwortartig seine eigene Person betreffende Übersichten aus dem justiziellen Bereich, z.B. Art der (Straf)-Verfahren, Aktenzeichen, Gerichtsbezeichnung, Verhandlungstage einsehen. Zugang zu (Volltext-)Akteninhalten der einzelnen Verfahren wie z.B. Anklageschriften, Urteile u.a., besteht für Privatnutzer nicht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 27.9.2018 an das BAMF, S. 2 f.). Eingesehen und ausgedruckt werden kann von Privatnutzern lediglich die o. g. Kurzübersicht. Einträge über ihre Mandanten sind für Anwälte, die den Justizbehörden die Bevollmächtigung ihrer Mandatsgeber nachgewiesen haben, auch auf elektronischen Weg zugänglich. Die Justizbehörden erteilen bevollmächtigten Rechtsanwälten den Zugang auf die im UYAP-System erfassten Eintragungen ihrer Mandanten. Bevollmächtigte Rechtsanwälte haben außer auf die oben beschriebenen Kurzübersichten dann auch Zugriff auf Volltexte und können diese herunterladen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11.10.2018 an das BAMF, S. 2). Dazu zählen grundsätzlich auch in e-Devlet und UYAP hinterlegte Informationen über Ermittlungsverfahren und Haftbefehle selbst in Verfahren mit Bezug zur Gülen-Bewegung („FETÖ“), lediglich im Ermittlungsstadium, für als „geheim“ eingestufte Ermittlungen ist der anwaltliche Anspruch auf Einsicht oder ist ein Herunterladen der Aktenbestandteile nicht oder nur eingeschränkt möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 27.9.2018 an das BAMF, S. 1 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 13.2.2019 an das BAMF, S. 3; auch SFH, Türkei: Zugang zu verfahrensrelevanten Akten vom 1.2.2019, S. 5 f., 7 f.). Art und Umfang der Beschränkung der Akteneinsicht variieren von Fall zu Fall (so Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Türkei: Zugang zu verfahrensrelevanten Akten vom 1.2.2019, S. 6 f.). Sind die Ermittlungen abgeschlossen und wird ein Gerichtsverfahren eingeleitet, bestehen solche Einschränkungen in der Regel nicht mehr; im Stadium des Gerichtsverfahrens haben der Angeklagte bzw. sein Bevollmächtigter - seit ca. Oktober 2018 auch online über UYAP - Zugriff auf die zu den Verfahrensakten gehörenden Schriftstücke und Beweismittel (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 13.2.2019 an das BAMF, S. 3). Teilweise abweichend wird berichtet, Akten der Staatsanwaltschaft in abgeschlossenen oder nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahren seien seit Frühjahr 2018 nicht mehr über UYAP zugänglich (so SFH, Türkei: Zugang zu verfahrensrelevanten Akten vom 1.2.2019, S. 5); gleichwohl wird in derselben Quelle ausgeführt, dass ein Zugriff über UYAP nach Anklageerhebung üblicherweise und erst recht nach Annahme der Anklage durch das Gericht sowie nach Abschluss des Verfahrens möglich sei (so SFH, Türkei: Zugang zu verfahrensrelevanten Akten vom 1.2.2019, S. 8 f.).

In der Türkei finden Einreisekontrollen für alle Personen statt. Bei dieser Personenkontrolle können türkische Staatsangehörige mit einem gültigen türkischen, sie zur Einreise berechtigenden Reisedokument die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen auch auf Inlandsflügen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 28 f.). Die Einreisekontrollen wurden bereits im Zuge der Flüchtlingskrise verstärkt, nicht erst seit dem Putschversuch (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3), nun aber gezielter mit Listen mutmaßlicher Gülen- oder PKK-Anhänger (Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 2). Ein abgelehnter kurdischer Asylbewerber läuft bei der Rückkehr nicht Gefahr, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit verhaftet zu werden; hat er sich in Deutschland für kurdische Rechte oder Organisationen aktiv eingesetzt oder z.B. regelmäßig an pro-kurdischen Demonstrationen teilgenommen, erhöht dies das Risiko (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3 f., 28 f.; auch SFH ebenda S. 2, 3, 10 f.).

Angesichts der offiziellen Denunziationsaufrufe amtlicher türkischer Stellen auch in Deutschland in Tageszeitungen und DITIB-Moscheen ist aber damit zu rechnen, dass türkische Staatsangehörige in der Türkei und auch in Deutschland ihren Heimatbehörden Personen gemeldet haben, denen sie eine Nähe zur PKK oder zur Gülen-Bewegung nachsagen (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 25 ff.; AI, Stellungnahme an das VG Karlsruhe vom 9.3.2017, S. 1; AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 1.3.2018, S. 3). Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Wenn festgestellt wird, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person ebenfalls in Polizeigewahrsam genommen (vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 17.10.2016, S. 2). Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter mit dem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls. Bei der Befragung durch den Richter ist der Anwalt ebenfalls anwesend. Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Ein Anwalt wird hinzugezogen und eine ärztliche Untersuchung vorgenommen. Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den Amnestiebestimmungen der Jahre 1991 oder 2000 profitieren kann oder ob Verjährung eingetreten ist, dann wird der Festgenommene freigelassen (vgl. Lagebericht ebenda S. 29; zur Verjährungsprüfung auch Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach vom 20.5.2016, S. 1 f. zu Aktivist für „ATIF“, „Partizan“ und TKP-ML; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach vom 4.4.2017, S. 2). Verurteilungen wegen im Ausland begangener Straftaten ziehen nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts keine Sanktionen türkischer Behörden nach sich (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach vom 4.4.2017, S. 2), soweit es sich nicht um eine politisch motivierte Straftat handele (vgl. SFH ebenda S. 10).

4. Lediglich die Entscheidung über den Erlass und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG erweist sich wegen stärker zu berücksichtigender schutzwürdiger Belange des Klägers - zwischen dem Erlass des Bescheids und dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt nach § 77 Abs. 2 AsylG hat er seine Ehefrau in Deutschland geheiratet und lebt mit ihr in ehelicher Lebensgemeinschaft - als ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO - Ermessensdefizit), damit nicht rechtmäßig und ist daher aufzuheben; im Übrigen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen