Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 17 L 3827/15.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Antragsteller.
1
Gründe:
2Der am 25. November 2015 wörtlich gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (Aussetzung und Aufhebung der sofortigen Vollziehung) gegen den Zuweisungsbescheid des Antragsgegners vom 17. November 2015 anzuordnen bzw. wiederherzustellen,
4hat keinen Erfolg.
5Den wörtlich gestellten Antrag des Antragstellers legt das Gericht gemäß § 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend aus, dass der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel begehrt, dem Antragsgegner gemäß § 123 Abs. 1 VwGO im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihn vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache (17 K 7881/15.A) umzuverteilen und der Stadt C. zuzuweisen.
6I. Der Antrag ist bereits unzulässig.
71. Zwar ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft, da keiner der Fälle des §§ 80 und 80a VwGO vorliegt (§ 123 Abs. 5 VwGO). Der Antragsteller kann das von ihm geltend gemachte Umverteilungsbegehren gegenüber dem Antragsgegner im Hauptsacheverfahren nur im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzen, weshalb vorläufiger Rechtsschutz allein nach § 123 Abs. 1 VwGO und nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden kann.
82. Allerdings fehlt es für den gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an dem erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis. Dieses ist für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO regelmäßig dann zu verneinen, wenn der gerichtlich in Anspruch genommene Rechtsträger zuvor vom Antragsteller mit der Sache noch nicht befasst worden ist,
9vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2001 – 13 B 566/01 –, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 2004 – 6 S 19/04 –, juris Rn. 2; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Juli 1990 – NC 9 S 58/90 –, juris Rn. 2; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Oktober 1995 – 4 K 9/95 –, juris Rn. 92; VGH Hessen, Beschluss vom 28. Juni 1989 ‑ 8 Q 2809/88 –, juris Rn. 80; Puttler, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage 2014, § 123 VwGO, Rn. 70.
10Insoweit ist das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung letztlich nicht anders zu beurteilen als das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Verpflichtungsklage, die voraussetzt, dass der Kläger zuvor bei der zuständigen Behörde einen entsprechenden Antrag gestellt hat,
11vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Juli 1990 – NC 9 S 58/90 –, juris Rn. 2.
12An der vorherigen Antragstellung bei der zuständigen Behörde fehlt es hier. Ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge hat der Antragsteller bei dem Antragsgegner vor Anrufung des Gerichts keinen Antrag auf Umverteilung und Zuweisung vom Kreis L. in die Stadt C. gemäß § 50 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) gestellt. Die zuständige Behörde (hier: Bezirksregierung B. ) war mit dem Begehren des Antragstellers, der Stadt C. zugewiesen zu werden, vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zu keinem Zeitpunkt befasst.
13II. Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankommt weist das Gericht aus Gründen der Klarstellung darauf hin, dass der Antrag auch unbegründet wäre.
14Nach der einschlägigen Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur erlassen werden, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Dabei ist das Gericht entsprechend dem Sicherungszweck des Anordnungsverfahrens grundsätzlich auf den Ausspruch einer vorläufigen Regelung beschränkt, die der Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren grundsätzlich nicht vorgreifen darf.
15Hier fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches.
16Der Antragsteller hat in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf landesinterne Umverteilung und Zuweisung vom Kreis L. in die Stadt C. bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Umverteilungsbegehren gemäß § 50 Abs. 4 AsylG,
17vgl. zu den Voraussetzungen der landesinternen Umverteilung: VG Düsseldorf, Urteil vom 13. März 2013 – 17 K 1356/13.A –, juris Rn. 7; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 ‑ 17 L 3365/15.A –, n.v.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3370/15.A –, n.v.
181. Ein (gebundener) Anspruch auf Umverteilung besteht nicht.
19Die Entscheidung über einen Umverteilungsantrag steht ebenso wie die erste Zuweisungsentscheidung gemäß § 50 Abs. 4 AsylG im weiten Ermessen der zuständigen Behörde,
20vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 13. März 2013 – 17 K 1356/13.A –, juris Rn. 7; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3365/15.A –, n.v.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3370/15.A –, n.v.
21Mit den Regelungen über die Verteilung und Zuweisung trägt das Gesetz dem regelmäßig besonders gewichtigen öffentlichen Interesse Rechnung, die Lasten, die mit der Aufnahme von Asylbewerbern etwa hinsichtlich der Unterbringung, Verpflegung und Überwachung verbunden sind, gleichmäßig auf die Bundesländer und Kommunen zu verteilen (vgl. § 45 AsylG). Insoweit steht einem Asylbewerber – wie dem Antragsteller – weder ein Anspruch auf eine bestimmte Zuweisung (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG) noch eine Einflussnahme auf die Auswahl der Zuweisungsgemeinde zu,
22vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. März 1992 – 17 B 305/92.A –, juris Rn. 9 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 13. März 2013 – 17 K 1356/13.A –, juris Rn. 7; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3365/15.A –, n.v.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 ‑ 17 L 3370/15.A –, n.v.
232. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Umverteilung.
24a. Die zuständige Behörde ist verpflichtet, das ihr durch § 50 Abs. 4 AsylG eingeräumte Ermessen pflichtgemäß entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Dieser Verpflichtung steht ein Anspruch des Asylbewerbers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Zuweisung und Umverteilung gegenüber. Hierbei hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG eine gesetzliche Wertentscheidung getroffen, die es der Zuweisungsbehörde grundsätzlich ermöglicht, in weitem Umfang die Belange der Asylbewerber dem öffentlichen Interesse an einer möglichst raschen und reibungslosen Verteilung des Asylbewerbers unterzuordnen. Nach § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG sind bei der Zuweisung lediglich die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG enthält damit eine einfachgesetzliche Bindung des Entscheidungsspielraums der Behörde zugunsten der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern (sog. „Kernfamilie“). Darüber hinaus können nach § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG in besonders gelagerten Einzelfällen humanitäre Gesichtspunkte, die ein ähnlich hohes Gewicht wie der Schutz der Familie haben, zu einer Ermessensreduktion führen,
25vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 13. März 2013 – 17 K 1356/13.A –, juris Rn. 7; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3365/15.A –, n.v.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3370/15.A –, n.v.
26b. Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsgegner sein Ermessen im Rahmen der – in Ermangelung eines vorherigen Antrags auf Umverteilung hier maßgeblichen – erstmaligen Zuweisungsentscheidung vom 17. November 2015 fehlerfrei ausgeübt.
27Für eine Umverteilung und Zuweisung in die Stadt C. sprechende humanitäre Gesichtspunkte, die zu einer Ermessensreduktion führen könnten, sind nicht gegeben.
28aa. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, dass der in C. lebende Cousin des Antragstellers bzw. weitere dort lebende Verwandte zur „Kernfamilie“ im Sinne von § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG gehören. Die behaupteten Verwandtschaftsbeziehungen erreichen kein derartiges Gewicht, um dem Schutz der in § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG privilegierten „Kernfamilie“ gleichgestellt werden zu können und das öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber zurücktreten zu lassen. Gerade bei Großfamilien mit oft weitverzweigten verwandtschaftlichen Seitensträngen ist eine Trennung Asylsuchender von ihren Verwandten kaum vermeidbar. Dies geschieht jedoch lediglich für die Dauer des Asylverfahrens und ist grundsätzlich zumutbar, um eine schnelle und gleichmäßige Verteilung der Asylbewerber zu ermöglichen,
29vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 13. März 2013 – 17 K 1356/13.A –, juris Rn. 13; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3365/15.A –, n.v.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – 17 L 3370/15.A –, n.v.
30bb. Auch die vom Antragsteller behaupteten psychischen Erkrankungen (posttraumatische Angst- und Panikzustände, Anpassungsstörungen, paranoide Schizophrenie, schwerwiegende psychische Störung, Ängste, innere Unruhe, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen) und der geltend gemachte Betreuungsbedarf durch seine Verwandten begründen keinen, dem Schutz der „Kernfamilie“ vergleichbaren humanitären Gesichtspunkt im Sinne von § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG, der zu einer Ermessensreduktion bezüglich einer Umverteilung führen könnte. Insoweit fehlt es schon an der Glaubhaftmachung eines konkreten psychischen Krankheitsbildes und eines daraus resultierenden dringenden familiären Betreuungsbedarfs durch ein aussagekräftiges fachärztliches Attest.
31Das vorgelegte Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. (Syr.) G. L1. vom 14. Januar 2016 enthält schon keine eindeutige und nachvollziehbare Diagnose, so dass es an der Glaubhaftmachung einer konkreten Erkrankung fehlt. Es wird lediglich ausgeführt, der Antragsteller sei in L. isoliert und leide dort unter „erheblichen Konflikten zwischen anderen Asylbewerbern“. Darüber hinaus leide er an „Ängsten, innerer Unruhe, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen“. Ferner wird undifferenziert von einer „schwerwiegenden psychischen Störung“ gesprochen, ohne dies in irgendeiner Weise nachvollziehbar zu konkretisieren. Folglich kann dem Attest mangels eindeutiger Diagnose nicht entnommen werden, an welcher konkreten Erkrankung der Antragsteller leidet. Dessen ungeachtet ist nicht ersichtlich anhand welcher Befundtatsachen und vorgenommener Untersuchungen die undifferenzierten Diagnosen gestellt wurden. Es fehlen hinreichend konkrete Angaben dazu, seit wann und wie häufig sich der Antragsteller in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren gibt das Attest keinen hinreichenden Aufschluss über die Schwere der behaupteten Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie),
32vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei psychischen Erkrankungen: BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8.07 –, juris Rn. 15.
33Das ebenfalls vorgelegte Attest des Facharztes für Innere Medizin U. F. vom 1. Dezember 2015, wonach der Antragsteller an „posttraumatischen Angst- und Panikzuständen, Anpassungsstörungen und paranoider Schizophrenie“ leiden soll, ist von vornherein ungeeignet für die Glaubhaftmachung eines psychischen Krankheitsbildes. Einem Facharzt für Innere Medizin fehlt es an der erforderlichen Fachkompetenz für die gesicherte Diagnostik der behaupteten komplexen psychischen Erkrankungen. Ungeachtet der fehlenden Fachkompetenz lässt das vorgelegte Attest den Schluss auf eine (schwere) psychische Erkrankung des Antragstellers nicht zu. Es nennt lediglich die Diagnosen ohne Benennung ausreichender Befundtatsachen und vorgenommener Untersuchungen sowie der im Einzelnen erforderlichen (medikamentösen) Behandlung. Es fehlen hinreichend konkrete Angaben dazu, seit wann und wie häufig sich der Antragsteller in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren gibt das Attest keinen hinreichenden Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie).
34Schließlich ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen – ein Vorliegen der behaupteten Erkrankungen unterstellt – eine fachärztliche Betreuung und Behandlung des Antragstellers im Kreis L. nicht möglich sein soll. Etwaige zwischenmenschliche Konflikte zwischen dem Antragsteller und anderen in seiner Einrichtung lebenden Asylbewerbern sind für die Dauer des Asylverfahrens hinzunehmen und rechtfertigen grundsätzlich keine Umverteilung und Zuweisung des Asylbewerbers in eine andere Stadt.
35III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
36Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
37Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.
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