Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 12 K 5861/19.A
Tenor
Die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. August 2019 und vom 18. Dezember 2019 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Die aus Syrien stammenden Eltern der Klägerinnen reisten mit den beiden älteren Geschwistern aus Rumänien kommend am 11. Februar 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 1. März 2017 einen Asylantrag, den das Bundesamt mit Bescheid vom 13. März 2017 unter Hinweis auf den ihnen durch Rumänien gewährten internationalen Schutz als unzulässig ablehnte (Gz.: 0000000-475). Die hiergegen erhobene Klage (8 K 5202/17.A) und der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (8 L 1423/17.A) waren erfolgreich.
3Das Bundesamt lehnte den Asylantrag der Eltern der Klägerinnen mit Bescheid vom 15. Juli 2019 (erneut) als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Zugleich forderte es sie auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen, drohte ihnen die Abschiebung nach Rumänien oder einen anderen aufnahmebereiten oder aufnahmeverpflichteten Staat an, verbot ihre Abschiebung nach Syrien und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt. Das Klageverfahren ist unter dem Aktenzeichen 8 K 5520/19.A anhängig.
4Die Eltern der Klägerinnen stellten für die am 00.00.2017 geborene Klägerin zu 1. am 9. März 2018 einen Asylantrag. Für die am 00.00.2019 geborene Klägerin zu 2. stellten sie am 28. Februar 2019 einen Asylantrag.
5Das Bundesamt lehnte den Asylantrag der Klägerinnen mit Bescheid vom 2. August 2019 (Klägerin zu 1.) bzw. mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 (Klägerin zu 2.) jeweils als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Zugleich forderte es die jeweilige Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen, drohte ihnen die Abschiebung nach Rumänien oder einen anderen aufnahmebereiten oder aufnahmeverpflichteten Staat an, verbot ihre Abschiebung nach Syrien und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
6Zur Begründung seiner jeweiligen Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylgesuchs der jeweiligen Klägerin verwies das Bundesamt darauf, dass den Eltern der Klägerinnen in Rumänien internationaler Schutz gewährt worden sei. Für die Klägerinnen gelte: Nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III‑Verordnung sei für Kinder, die in einem Mitgliedstaat geboren werden, die Frage der Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags untrennbar mit der Situation ihrer Familienangehörigen, namentlich ihrer Eltern, verbunden.
7Die Klägerin zu 1. hat am 5. August 2019 Klage erhoben (12 K 5861/19.A) und die Klägerin zu 2. hat am 30. Dezember 2019 Klage erhoben (13 K 9070/19.A). Das Gericht hat die Verfahren verbunden und unter dem Aktenzeichen 12 K 5861/19.A fortgeführt.
8Die Klägerinnen beantragen sinngemäß,
9die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. August 2019 und vom 18. Dezember 2019 aufzuheben,
10hilfsweise,
11festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (auch) hinsichtlich Rumäniens vorliegen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakten 13 K 9070/19.A und 8 K 5520/19.A sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Das Gericht kann durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 16. März 2020 zur Entscheidung übertragen worden ist (vgl. § 76 Abs. 1 AsylG). Die Entscheidung kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
17Der Klageantrag in Bezug auf die Ziffern 2 bis 4 des Bescheides ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass Satz 4 der Ziffer 3 nicht umfasst sein soll. Die Feststellung, dass die jeweilige Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe, stellt für sie nämlich keinerlei Beschwer dar.
18Die so verstandene Klage hat mit dem Hauptantrag Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
19Die Bescheide des Bundesamtes vom 2. August 2019 und vom 18. Dezember 2019 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20Die Ablehnung des Asylantrags unter Ziffer 1 der angefochtenen Bescheide als unzulässig ist rechtswidrig, da es für diese Unzulässigkeitsentscheidung an einer tragfähigen Rechtsgrundlage fehlt. Nach der Rechtsprechung der Kammer gilt: Eine unmittelbare oder analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. dem Rechtsgedanken des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-Verordnung kommt angesichts des klaren Gesetzeswortlauts des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht in Betracht. Gegen eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG spricht außerdem, dass an das Zurückweisen eines Asylantrags als unzulässig angesichts des hohen Schutzes des Grundrechts auf Asyl sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Vor diesem Hintergrund und als Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Asylantrag inhaltlich zu prüfen ist, sind die Unzulässigkeitstatbestände des § 29 Abs. 1 AsylG grundsätzlich restriktiv auszulegen.
21Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 28. Februar 2020 – 12 K 6830/19.A -, vom 9. Dezember 2019 – 12 K 1942/19.A – und vom 30. Oktober 2019 – 12 K 2800/19.A -; VG Hamburg, Urteil vom 20. März 2018 – 9 A 7382/16 -, juris; nunmehr auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 7. November 2019 – 1 LB 5/19 –, juris, Rn. 72 ff.; a.A. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22. November 2018 – 21 ZB 18.32867 –, juris.
22Unabhängig davon ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass – wie in Art. 20 Dublin III-Verordnung vorgesehen – eine Überstellung der Klägerinnen nach Rumänien dem Wohl der Minderjährigen dient.
23Ist die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides folglich rechtswidrig und damit aufzuheben, sind auch die übrigen Regelungen in Ziffern 2 bis 4 des angefochtenen Bescheides rechtswidrig, so dass diese ebenfalls aufzuheben sind.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 - 1 C 51/18 -, juris, Rn. 20; Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4/16 -, juris, Rn. 21.
25Eine Entscheidung über den Hilfsantrag war vorliegend nicht geboten, da die Klägerinnen mit dem Hauptantrag Erfolg haben.
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
27Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Satz 1 ZPO.
28Rechtsmittelbelehrung:
29Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung beantragt werden. Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster.
30Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
311. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
322. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
333. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
34Der Antrag ist schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
35Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.
36In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
37Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
38Die Antragsschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
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