Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 40 K 2997/19.PVL
Tenor
Es wird festgestellt, dass
- 1.
die Entscheidung des Beteiligten, zur betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung der Dienststelle einen überbetrieblichen Dienst entsprechend § 19 ASiG zu verpflichten und
- 2.
die Festlegung der Anforderungen an die Fachkunde, Ausstattung und Arbeitsweise des überbetrieblichen Dienstes in den Ausschreibungsunterlagen (Leistungsverzeichnis/Leistungsbeschreibung)
der Mitbestimmung des Antragstellers nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW unterliegen.
1
Gründe
2I.
3Nach § 1 Satz 1 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) hat der Arbeitgeber Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Diese Verpflichtung kann er durch eigenes Personal erfüllen (§§ 2, 5 ASiG), freiberuflich tätige Betriebsärzte bzw. Fachkräfte für Arbeitssicherheit als freie Mitarbeiter einsetzen (vgl. § 9 Abs. 3 Satz 3 ASiG) oder gemäß § 19 ASiG einen überbetrieblichen Dienst betrauen. Das ASiG gilt zwar für den öffentlichen Dienst nicht unmittelbar. § 16 ASiG verlangt aber, dass auch im öffentlichen Dienst ein gleichwertiger arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Arbeitsschutz gewährleistet wird. Die Landesregierung NRW entschied sich im Jahr 1999 vor allem aus Kostengründen dafür, in allen Verwaltungsbereichen ihre Verpflichtungen nach dem ASiG durch überbetriebliche Dienste erfüllen zu lassen.
4Dementsprechend schloss die damalige Ministerin für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen für den Bereich der Schulverwaltung mit Wirkung vom 1. Februar 2000 einen Vertrag mit einem überbetrieblichen Dienst. Auch in der Folgezeit wurden solche Verträge abgeschlossen, die regelmäßig eine Laufzeit von fünf Jahren hatten. Zuletzt übertrug das beteiligte Ministerium die Aufgaben nach dem ASiG für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis zum 31. Januar 2024 einem überbetrieblichen Dienst.
5Der antragstellende Hauptpersonalrat will sicherstellen, dass der überbetriebliche Dienst, der voraussichtlich für die Jahre 2024 bis 2029 bestellt werden wird, spezifische Kenntnisse über das Arbeitsfeld der rund 430 Förderschulen und der Schulen für Kranke mit ihren mehr als 16.000 Beschäftigten besitzt. Wegen der erforderlichen europaweiten Ausschreibung werde die Ausschreibung Mitte oder Ende des Jahres 2022 beginnen. Der Dienst solle mit den Verhältnissen in Förderschulen und Schulen für Kranke hinreichend vertraut sein. Nur dann könne er sachgerecht beraten. Aus der Sicht des Antragstellers bestehen unter arbeitsmedizinischen und -sicherheitstechnischen Aspekten besondere Anforderungen an die Fachkunde, die Ausstattung und die Arbeitsweise des überbetrieblichen Dienstes. Hierzu verweist der Antragsteller beispielhaft auf die Aspekte Raumakustik, Ruheräume, verbale und körperliche Gewalt gegen Lehrkräfte, Unterrichtsstörungen, emotionale Anforderungen sowie mangelnde Unterstützung durch die Eltern. Diese Anforderungen sollen nach dem Willen des Antragstellers ausdrücklich und im Einzelnen in die vergaberechtlich erforderliche Ausschreibung, insbesondere in das Leistungsverzeichnis/die Leistungsbeschreibung aufgenommen werden. Das beteiligte Ministerium lehnt das ab.
6Der Antragsteller wendet ein, dass er die als erforderlich erkannten Anforderungen an den überbetrieblichen Dienst im Rahmen der beiderseits anerkannten Mitbestimmung auf dem Feld der Arbeitssicherheit nicht wirkungsvoll zur Geltung bringen könne. Weder im Mitbestimmungsverfahren darüber, welcher Dienst aus dem Kreis der Bieter ausgewählt und bestellt werden solle noch im Verfahren über die jährliche Arbeitsplanung spielten die von ihm angeführten Belange eine Rolle.
7Der Antragsteller meint, dass die Entscheidung des beteiligten Ministeriums, seine Verpflichtungen nach dem ASiG auch im Bereich der Förderschulen und Schulen für Kranke von einem überbetrieblichen Dienst erfüllen zu lassen, nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW seiner Mitbestimmung als Hauptpersonalrat unterliege. Er sieht im Aufbau einer Expertenorganisation durch den Einsatz der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit eine Maßnahme im personalvertretungsrechtlichen Sinne. Der Maßnahmebegriff des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW erfasse auch das Treffen von organisatorischen Vorkehrungen.
8Weitergehend ist der Antragsteller der Ansicht, dass aus Gründen der Effektivität der Mitbestimmung nicht nur die Entscheidung für oder gegen die Einschaltung eines externen Dienstleisters der Mitbestimmung unterliegt, sondern auch die Ausschreibungs- und Vertragsbedingungen. Diese müssten Regelungen zur Frage enthalten, welche Ausrüstungsgegenstände der Dienst bereithalten müsse, wie die Betreuungsanteile zwischen betriebsärztlichem und sicherheitstechnischem Personal zu verteilen seien, wie das Schulpersonal Beratungsleistungen abrufen könne und wie Regelbegehungen stattfinden könnten. Ohne die vom Antragsteller geforderten spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten bleibe die Betreuungs- und Beratungsleistung des überbetrieblichen Dienstes unzureichend.
9Der Antragsteller vertritt diese Rechtsauffassung zumindest seit dem Jahr 2017. Er hat davon abgesehen, gegen die damals ohne seine Mitbestimmung in Gang gesetzte Ausschreibung des Übertragungsvertrages für die Jahre 2019 bis 2024 vorzugehen, weil ihm an der Fortsetzung der arbeitssicherheitsrechtlichen Maßnahmen gelegen war, mögen sie seiner Meinung nach auch in der gerügten Hinsicht unzureichend sein.
10Der Antragsteller beantragt
11festzustellen, dass
12- 1.13
die Entscheidung des beteiligten Ministeriums, zur betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung der Dienststelle einen überbetrieblichen Dienst nach § 19 ASiG zu verpflichten und
- 2.14
die Festlegung der Anforderungen an die Fachkunde, Ausstattung und Arbeitsweise des überbetrieblichen Dienstes
der Mitbestimmung und Zustimmung des antragstellenden Hauptpersonalrats nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW unterliegen.
16Das beteiligte Ministerium beantragt,
17die Anträge abzulehnen.
18Es vertritt seit 2017 und bis heute die Ansicht, nur der eigentliche Vorgang der Bestellung des Dienstes aus dem Kreis der Bieter als solcher sei nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG NRW mitbestimmungspflichtig. Der Gesamtvorgang der Bestellung eines überbetrieblichen Dienstes könne nicht in einzelne Handlungsschritte aufgeteilt und diese jeweils für sich genommen der Mitbestimmung unterworfen werden. Die Schritte, die der Bestellungsentscheidung vorher gingen, nämlich die Organisationsentscheidung, die Pflichten aus dem ASiG nicht mit eigenem Personal oder freiberuflichen Kräften zu erfüllen, sondern einen überbetrieblichen Dienst zu beauftragen, und die Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen, unterlägen nicht der Mitbestimmung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW. Denn der speziellere § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG NRW regele die Mitbestimmung in diesem Bereich abschließend und verdränge den allgemeineren Mitbestimmungstatbestand der Nr. 7. Das Ministerium stützt seine Rechtsauffassung tragend auf den Beschluss des Fachsenats des OVG NRW vom 6. März 1996 – 1 A 3846/94.PVL, NWVBl 1996, 351. Höchstens bei einer (Teil-) Privatisierung käme aus der Sicht des beteiligten Ministeriums eine Mitbestimmung in Betracht, allerdings dann nach dem Tatbestand des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 22 LPVG NRW. Eine solche Privatisierung sei aber im Schulbereich weder gegeben noch vorgesehen.
19II.
20Der Antrag hat Erfolg.
211. Das Begehren des Antragstellers ist als abstrakter Feststellungsantrag zulässig.
22Hat sich ein konkretes Feststellungsbegehren erledigt, kann der Antragsteller einen vom konkreten Fall losgelösten abstrakten Feststellungsantrag zu den Rechtsfragen stellen, die hinter dem anlassgebenden Vorgang stehen, dem konkreten Vorgang zugrunde liegen oder durch den konkreten Anlass als entscheidungserheblich aufgeworfen werden. Der abstrakte Feststellungsantrag muss sich auf künftige Sachverhalte beziehen, die in ihren Grundzügen dem Sachverhalt des anlassgebenden konkreten Vorgangs entsprechen und im Wesentlichen dieselben Rechtsfragen aufwerfen. Es können nur solche Rechtsfragen einer Klärung zugeführt werden, die sich an dem konkreten Vorgang ausrichten, durch ihn ausgelöst und auch begrenzt werden.
23StRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – 5 P 9.15, BVerwGE 157, 117 m.w.N. der Rspr. des vormals zuständigen 6. Senats.
24Diesen Anforderungen genügt der Antrag des Antragstellers. Die seit dem Jahr 2017 reklamierte Mitbestimmung an der Organisationsentscheidung, wie die aus dem ASiG folgenden Pflichten erfüllt werden, und der Beauftragung eines überörtlichen Dienstes für die Jahre 2019 bis 2024 ist durch den Abschluss des Übertragungsvertrags erledigt. Da § 11 Abs. 2 des Vertrags die ordentliche Kündigung ausschließt, kann die Mitbestimmung nicht wirkungsvoll nachgeholt werden. Der Antrag ist überdies abstrakt und unabhängig von dem zugrunde liegenden Streitfall formuliert und zielt darauf, die aufgeworfenen beiden Rechtsfragen in allgemeingültiger Weise auch für künftige Fälle klären zu lassen.
25Der Antragsteller hat ein berechtigtes Interesse an der so konkretisierten Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO). Die mit den Anträgen aufgeworfenen Rechtsfragen sind zwischen den Verfahrensbeteiligten nach wie vor streitig und werden sich auch künftig mit einiger, mehr als nur geringfügiger Wahrscheinlichkeit zwischen ihnen stellen.
26Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 5 PB 16.14, juris Rn. 12 ff. m.w.N.
27Die Fachkammer muss davon ausgehen, dass auch für die Zeit ab Februar 2024 so verfahren wird wie in den zurückliegenden 21 Jahren. Denn das beteiligte Ministerium hat nichts dazu vorgetragen, dass es in Erwägung zieht, die grundlegende Organisationsentscheidung, einen überbetrieblichen Dienst zu beauftragen, in Zukunft zu ändern. Es hat vielmehr in der mündlichen Anhörung erklärt, an der seit dem Jahr 2000 geübten Praxis festzuhalten; so werde auch in anderen Zweigen der Landesverwaltung (Justiz, Inneres) seit Jahren verfahren.
28Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 1 A 556/02.PVL, PersV 2004, 469 (= juris Rn. 22).
29Die Streitfrage wird sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch künftig stellen. Denn das beteiligte Ministerium hat nicht zu erkennen gegeben, dass es den antragstellenden Hauptpersonalrat künftig bei der Organisationsentscheidung oder bei der Abfassung der Ausschreibungsunterlagen (Leistungsbeschreibung/Leistungsverzeichnis) mitbestimmen lassen will.
302. Der Antrag ist begründet.
31a) Die grundlegende Organisationsentscheidung des beteiligten Ministeriums, einen überbetrieblichen Dienst und weder eigene Kräfte noch freiberuflich Tätige einzusetzen, um seine Pflichten nach dem ASiG zu erfüllen (§§ 16, 19 ASiG),
32zur Anwendbarkeit des ASiG auf den öffentlichen Dienst: BAG, Urteil vom 15. Dezember 2009– 9 AZR 769/08, BAGE 133, 1; BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1995 – 6 P 19.93, BVerwGE 97, 316; OVG LSA, Beschluss vom 27. August 2014 – 3 M 77/14, juris Rn. 16, VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11. März 2010 – PL 15 S 1773/08 –, juris Rn. 22, sowie BT-Drucks. 7/260 S. 16; Schleicher, PersV 2014, 444, 445 ("Fürsorgepflicht"),
33unterliegt der Mitbestimmung des zuständigen Personalrats – hier der Hauptpersonalräte unter Einschluss des Antragstellers (§§ 78 Abs. 1, 50 Abs. 1 LPVG NRW) – nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW – Mitbestimmungstatbestand "Maßnahme vorbereitender Art". Für die Beteiligung der Stufenvertretungen gelten die §§ 62 bis 66 und 68 bis 77 LPVG NRW entsprechend, § 78 Abs. 5 LPVG NRW. Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen über Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen einschließlich Maßnahmen vorbereitender und präventiver Art.
34§ 9 Abs. 3 Satz 3 ASiG stellt keine vorrangige gesetzliche Regelung dar, obwohl die Norm verlangt, den Betriebsrat u.a. vor der Verpflichtung eines überbetrieblichen Dienstes zu hören. Die Norm ist nicht anwendbar. Denn das für den öffentlichen Dienst lediglich geltende Gleichwertigkeitsgebot des § 16 ASiG gebietet zwar eine Vergleichbarkeit im Ergebnis, aber nicht im Verfahren.
35Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1995 – 6 P 19.93, BVerwGE 97, 316.
36Die organisatorische Entscheidung, einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten oder Fachkräften für Arbeitssicherheit zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 3 oder § 6 ASiG einzusetzen, dient hauptsächlich "zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen", weist also die von § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW vorausgesetzte Finalität auf.
37Unter den Begriff der "Maßnahmen vorbereitender Art" fallen alle Handlungen der Dienststelle, die sich als Vorbereitung einer Maßnahme zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen oder sonstigen Gesundheitsschädigungen darstellen, auch wenn sie für sich allein betrachtet noch nicht die Voraussetzungen einer Maßnahme im Sinne des § 66 Abs. 1 LPVG NRW erfüllen. Der Mitbestimmung unterliegen damit bereits Handlungen und Entscheidungen, die weder den Rechtsstand der oder eines Beschäftigten berühren (§ 66 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW) noch eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme vorwegnehmen oder festlegen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW).
38Zur Herleitung dieser Definition: OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2016 – 20 A 2364/14.PVL, PersV 2017, 141; Cecior u.a., Das Personalvertretungsrecht in NRW (Stand: April 2021), § 72 Rn. 958a f.
39Der Gesetzgeber hat den Mitbestimmungstatbestand des § 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW bei der LPVG-Novelle des Jahres 2011 um "Maßnahmen vorbereitender Art" erweitert. Damit wollte er die Mitbestimmung des Personalrats im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorverlagern. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Norm, sondern aus der gesamten Zielrichtung der Gesetzesneufassung von 2011. Sie verfolgte die allgemeine Leitlinie, die Personalräte frühzeitiger als bisher bei wichtigen Maßnahmen der Dienststelle einzubeziehen, ihre Einflussmöglichkeiten unter anderem durch eine Verpflichtung zur frühzeitigen Einbindung in Beteiligungsverfahren zu erweitern und die prozessbegleitende Mitbestimmung zu stärken.
40Vgl. LT-Drucks. 15/1644, S. 2 und 73, sowie LT- Drucks. 15/2218, S. 53.
41§ 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW – Mitbestimmungstatbestand "Maßnahmen vorbereitender Art" verlangt demnach eine eigenverantwortliche Vorbereitungshandlung oder -entscheidung sowie einen hinreichenden Sachzusammenhang. Eine Vorbereitungshandlung oder -entscheidung setzt voraus, dass sie eine hinreichende Eigenständigkeit und Abgeschlossenheit in Bezug auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz besitzt. Diese sind gegeben, wenn die Handlung bzw. Entscheidung als deutliche Zäsur in der Planungsphase einzustufen ist, weil sie richtungsweisend oder vorentscheidend wirkt. Die Vorbereitungshandlung muss zudem in einem hinreichenden Sachzusammenhang mit der Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen oder sonstigen Gesundheitsschädigungen stehen.
42Dieses Normverständnis zugrunde gelegt, handelt es sich bei der Entscheidung, die den Dienstherrn nach dem ASiG treffenden Pflichten nicht durch eigenes Personal oder Freiberufler, sondern durch einen überbetrieblichen Dienst erledigen zu lassen, um eine "Maßnahme vorbereitender Art" im Sinne von § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW.
43Bei der Systementscheidung über die Organisationsform handelt es sich um eine Entscheidung, die das beteiligte Ministerium in eigener Verantwortung trifft, und zwar nach bisheriger Verwaltungspraxis alle fünf Jahre neu. Wie die vorgelegten Vertragsmuster zeigen, beauftragt das Ministerium den überbetrieblichen Dienst für die nordrhein-westfälischen Schulen in einem Fünf-Jahres-Rhythmus.
44Diese Entscheidung stellt eine Vorbereitungshandlung im Sinne der Norm dar. Sie besitzt hinreichende Eigenständigkeit und Abgeschlossenheit, um ein Mitbestimmungsrecht daran anzuknüpfen. Die Entscheidung, einen überbetrieblichen Dienst nach § 19 ASiG einzuschalten, schließt die Phase der Vorüberlegungen darüber ab, welcher der drei organisatorischen Wege eingeschlagen werden soll, die das ASiG erlaubt. Sie markiert eine richtungsweisende Zäsur in der Planung. Die Phase der mitbestimmungsfreien Vorüberlegungen, die die vom beteiligten Ministerium eingeführte Kabinettvorlage des Innenministers aus dem Jahr 1999 beispielhaft illustriert, und in der noch keine Vorbereitungshandlungen stattfinden, wird mit der Organisationsentscheidung zugunsten eines überbetrieblichen Dienstes verlassen. Diese bezeichnen die Verfahrensbeteiligten zu Recht als "grundlegende Organisationsentscheidung". Denn die Entscheidung über die Organisationsform determiniert sämtliche Folgeentscheidungen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen der Dienststelle sowie die Art und Weise, wie sie den Pflichten aus dem ASiG nachkommt.
45Unabhängig davon, ob diese Entscheidung im Ausgangspunkt auf dem Kabinettsbeschluss des Jahres 1999 beruht, folgt die Zäsurwirkung auch aus Rechtsgründen daraus, dass die Dienststelle vor jeder neuerlichen Entscheidung über die externe Erledigung der Aufgaben nach den aktuellen tatsächlichen Umständen feststellen muss, dass die Aufgaben nicht mit eigenen Kräften zu erledigen sind. Denn Art. 7 Abs. 3 der EU-Richtlinie vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (89/391/EWG, ABl. L 183 vom 29.6.1989, S. 1) sieht vor, dass "außerbetriebliche Fachleute (Personen oder Dienste)", also überbetriebliche Dienste i.S.d. § 19 ASiG, nur subsidiär eingesetzt werden dürfen. Den Vorrang des innerbetrieblichen Arbeitsschutzes hebt der EuGH seit dem Jahr 2003 hervor.
46Vgl. EuGH, Urteile vom 22. Mai 2003 – C-441/01, BeckRS 2004, 77278, und vom 6. April 2006– C-428/04, Slg. I 2006, 3351; Lützeler/Wasser öAT 2018, 162, 163.
47Erst wenn die Dienststelle im laufenden Beauftragungszeitraum feststellt, dass die Aufgaben nach dem ASiG auch künftig nicht mit eigenen Kräften erledigt werden können, darf sie die Grundsatzentscheidung treffen, einen überbetrieblichen Dienst zu beauftragen.
48Die Entscheidung für einen überbetrieblichen Dienst weist als Vorbereitungshandlung auch einen hinreichenden Zusammenhang mit der Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen auf. Mit der Übertragungsentscheidung legt die Dienststelle fest, dass sie weder eigene Kräfte noch freiberuflich Tätige einsetzt. Sie entscheidet sich vielmehr dafür, die eigentliche Aufgabenerfüllung vor Ort einem privaten Unternehmen zu übertragen. Das steht mit der Unfallverhütung und dem Gesundheitsschutz in hinreichendem Zusammenhang, weil sich die Dienststelle hiermit in weitem Umfang der Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten begibt, die sie hätte, wenn sie ihre ASiG-Pflichten anders erfüllen würde. Anders als bei eigenen Kräften oder freiberuflich Tätigen verfügt die Dienststelle bei der Beauftragung eines privaten Unternehmens lediglich noch über allgemeine Aufsichts-, Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten. Die Art und Weise der vom ASiG gebotenen Pflichterfüllung im Einzelfall wird dagegen hauptsächlich durch den beauftragen Dienst gesteuert.
49Wird ein überbetrieblicher Dienst von der Dienststelle verpflichtet, hat er als Auftragnehmer die Aufgaben nach § 3 oder § 6 ASiG mit eigenem Personal wahrzunehmen. Dem Dienst werden dadurch die Funktionen „Betriebsarzt“ und „Fachkraft für Arbeitssicherheit“ grundsätzlich zur selbständigen Aufgabenerfüllung insgesamt übertragen.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 1 A 556/02.PVL, PersV 2004, 469.
51Der Zusammenhang wird auch dadurch begründet, dass die Bestellung im engeren bzw. im eigentlichen Sinne der Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit in diesem Fall durch den überbetrieblichen Dienst erfolgt, nicht durch den Arbeitgeber bzw. Dienststellenleiter.
52OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 18. April 2013 – OVG 60 PV 5.12, PersV 2013, 423; Schleicher, PersV 2014, 444, 447 f.
53b) Auch die Festlegung der Anforderungen an die Fachkunde, Ausstattung und Arbeitsweise des überbetrieblichen Dienstes in den Ausschreibungsunterlagen Leistungsverzeichnis/Leistungsbeschreibung ist nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW mitbestimmungspflichtig.
54Die – vom beteiligten Ministerium eigenverantwortlich zu treffende – Entscheidung über die Leistungsanforderungen stellt ebenfalls eine hinreichend eigenständige und abgeschlossene Vorbereitungshandlung dar. Mit ihr wird die Phase der Vorüberlegungen abgeschlossen, welche Leistungen in welcher Form der überbetriebliche Dienst zur Erfüllung der ASiG-Pflichten erbringen soll. Während der Vorüberlegungsphase muss das Ministerium zunächst den Bedarf ermitteln und das fachlich Wünschbare zusammenstellen. In einem weiteren Schritt bringt es diesen Befund mit dem in Einklang, was der Markt anbietet und was nach den Vorgaben des Landeshaushalts finanziell realisierbar ist. Dieser Abgleich- und Abwägungsvorgang findet seinen Abschluss und endgültigen Ausdruck in der Entscheidung über das Leistungsverzeichnis bzw. die Leistungsbeschreibung. Es ist gegenständliches Abbild der Abwägungsentscheidung der Dienststelle, welche Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen Vorrang haben, wie sie realisiert werden sollen und welche die Dienststelle im Vergleich als weniger gewichtig einstuft, so dass sie zurücktreten müssen.
55Die Abfassung der Leistungsbeschreibung bildet auch unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten eine richtungsweisende und vorentscheidende Zäsur, weil die Leistungsbeschreibung Teil der verbindlichen Vergabeunterlagen ist.
56Nach der gemeinsamen Auffassung der Verfahrensbeteiligten muss der Auftrag für den überbetrieblichen Dienst gem. § 19 ASiG für die gesamte Schulverwaltung von Nordrhein-Westfalen in einem förmlichen Vergabeverfahren vergeben werden. Die Fachkammer findet keinen Anlass, dem zu widersprechen: Es handelt sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 1 und 4 GWB, dessen Auftragswert die Dienststelle erkennbar so hoch ansetzt (vgl. § 3 VgV), dass er den Schwellenwert des § 106 Abs. 2 GWB i.V.m. Art. 4 RL 2014/24/EU i.V.m. Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 2019/1828 der Kommission von 214.000 Euro überschreitet und deswegen nach §§ 97 ff. GWB ein Vergabeverfahren erfordert.
57Das beteiligte Ministerium bestimmt als Auftraggeber gem. § 121 Abs. 1 GWB den Auftragsgegenstand. Danach ist in der Leistungsbeschreibung der Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben. Die Leistungsbeschreibung enthält die Funktions- oder Leistungsanforderungen sowie die Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung. Mit anderen Worten legt das beteiligte Ministerium im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts bereits damit im Einzelnen und mit bindender Wirkung fest, wie es zur Erfüllung seiner Pflichten nach dem ASiG tätig werden wird.
58Die Festlegung der Leistungsbeschreibung wirkt abschließend. Denn die Leistungsbeschreibung (vgl. § 31 VgV) ist nach § 121 Abs. 3 GWB als "Kernstück"
59vgl. Kling, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht (2021), § 121 GWB Rn. 3,
60zwingender Bestandteil der Vergabeunterlagen. Von ihr darf bei der späteren Vergabeentscheidung nicht abgewichen werden. Nach den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen, denen das beteiligte Ministerium nicht entgegengetreten ist, wird der Dienstleistungsauftrag im einstufigen Verfahren vergeben, also im offenen Verfahren nach § 119 Abs. 3 GWB. In diesem herrscht nach § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV ein Nachverhandlungsverbot.
61Aus denselben Gründen steht die Festlegung der Leistungsbeschreibung als Vorbereitungshandlung in einem hinreichenden Zusammenhang mit der Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen. Denn sie legt in allen Einzelheiten und bindend fest, welche Leistungen in welcher Art und Weise der überbetriebliche Dienst während der Vertragslaufzeit erbringen wird, um die Schutzpflicht der Dienststelle nach dem ASiG zu verwirklichen.
623. Das Mitbestimmungsrecht aus § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW wird bei Maßnahmen vorbereitender Art nicht durch das besondere Beteiligungsrecht der Hinzuziehung nach § 77 Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW verdrängt. Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW ist die Dienststelle verpflichtet, den Personalrat bei allen mit dem Arbeitsschutz im Zusammenhang stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen. In der Rechtsprechung des Fachsenats des OVG NRW, der die Fachkammer folgt und auf die es verweist, ist geklärt, dass das besondere Beteiligungsrecht und das Mitbestimmungsrecht selbstständig nebeneinander stehen, um die vom Gesetzgeber bezweckte Vorverlagerung der Beteiligung der Personalvertretung nicht zu unterlaufen.
63Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2016 – 20 A 2364/14.PVL, PersV 2017, 141; zur abweichenden Rechtslage in Berlin, wo § 77 Abs. 6 PersVG Bln die Beteiligung der Personalvertretung an der Verpflichtung eines überbetrieblichen Dienstes ausdrücklich regelt, vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 18. April 2013 – OVG 60 PV 5.12, PersV 2013, 423.
644. Die Mitbestimmungspflicht nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW wird hinsichtlich der Organisationsentscheidung für einen überbetrieblichen Dienst und hinsichtlich der Entscheidung über die Leistungsbeschreibung nicht von § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG NRW verdrängt. Hiernach unterliegen die Bestellung und Abberufung von Vertrauens- und Betriebsärztinnen und Vertrauens- und Betriebsärzten sowie Sicherheitsfachkräften und die Bestellung der oder des Datenschutzbeauftragten der Mitbestimmung.
65Die Organisationsentscheidung für einen überbetrieblichen Dienst anstatt für eigene Kräfte oder Freiberufler ist weder bereits dessen Bestellung noch mit dieser gleichzusetzen.
66Vgl. Schleicher, PersV 2014, 444, 448.
67Wie sich aus § 2 Abs. 1 i. V. m. § 3 bzw. § 5 Abs. 1 i. V. m. § 6 ASiG ergibt, bedeutet "Bestellung" die Übertragung der Funktion eines Betriebsarztes bzw. einer Sicherheitsfachkraft zur Wahrnehmung der in § 3 bzw. § 6 ASiG beschriebenen Aufgaben. Damit kann allenfalls der Vertragsschluss gemeint sein, aber nicht die dem vorgelagerte grundlegende Organisationsentscheidung, überhaupt einen externen Dienstleister zu beauftragen.
68Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 1 A 556/02.PVL, PersV 2004, 227; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 18. April 2013 – OVG 60 PV 5.12, PersV 2013, 423; Kaiser/Annuß, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 75 BPersVG Rn. 417 zum Betriebs- oder Vertrauensarzt.
69Anders als das beteiligte Ministerium meint, lässt sich hinsichtlich der hiesigen Streitgegenstände auch kein Spezialitätsverhältnis zwischen beiden Mitbestimmungstatbeständen feststellen. Zwar mag die Bestellung des überbetrieblichen Dienstes für sich genommen, also die Auswahlentscheidung unter den Bietern ("Zuschlag"), von der Mitbestimmungspflicht des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG NRW erfasst sein.
70Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 1 A 556/02.PVL, PersV 2004, 469.
71Weiter mag § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 LPVG NRW in der im Jahre 1996 geltenden Fassung des LPVG NRW hinsichtlich bestimmter Maßnahmen tatsächlich im Verhältnis einer Spezialregelung (Nr. 6) zu einem Auffangtatbestand (Nr. 7) gestanden haben.
72Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. März 1996 – 1 A 3846/94.PVL, NWVBl. 1996, 351.
73Weder die Rechtslage des Jahres 1996 noch die dazu ergangene Rechtsprechung des Fachsenats lassen sich jedoch auf den hiesigen Streitgegenstand übertragen. In den damaligen Verfahren war die Entscheidung über die Bestellung als solche streitgegenständlich. Um den Akt der Bestellung an sich geht es hier jedoch nicht, sondern um Entscheidungen in deren Vorfeld.
74Zwar ließ sich unter Geltung des LPVG NRW des Jahres 1996 die Bestellung von Betriebsärzten nicht in eine personelle Einzelmaßnahme und eine gleichsam vorausliegende und ihrerseits selbstständig mitbestimmungspflichtige organisatorische Entscheidung über die für das Tätigwerden von Betriebsärzten zu wählende Rechtsform (gemeint: eigenes Personal, beauftragte Freiberufler und überbetrieblicher Dienst) aufspalten.
75Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. März 1996 – 1 A 3846/94.PVL, NWVBl. 1996, 351 (= juris Rn. 7).
76Dieser Rechtsbefund lässt sich jedoch unter dem heute geltenden LPVG NRW nicht fortschreiben. Denn § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW sah in der damals geltenden Fassung noch nicht vor, dass – wie heute – auch "vorbereitende Maßnahmen" im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Mitbestimmung unterliegen sollten. Hierin liegt nach Auffassung der Fachkammer eine wesentliche Änderung der entscheidungserheblichen Norm. Das LPVG NRW in der heutigen Fassung verlagert die Mitbestimmung im Entscheidungsprozess deutlich nach vorne und weitet sie zugleich aus. Durch die Besonderheit, dass Nr. 7 auch "vorbereitende Maßnahmen" der Mitbestimmung unterstellt, ist dieser Mitbestimmungstatbestand nicht mehr Auffangtatbestand im Vergleich zu Nr. 6, sondern regelt qualitativ etwas anderes ("aliud").
77Insofern würde eine enge Auslegung, die die Bestellung in Nr. 6 so versteht, dass sie den Bereich der Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz abschließend regelt und die Mitbestimmung auf den Akt der Bestellung beschränkt, sowohl der mitbestimmungserweiternden Intention des thematisch einschlägigen § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG NRW als auch des seit dem Jahr 2011 geltenden LPVG NRW insgesamt zuwiderlaufen. Die Organisationsentscheidung für einen überbetrieblichen Dienst und auch die Abfassung des Leistungsverzeichnisses lässt sich zwar so auffassen, dass sie (auch) der Bestellung von Betriebsärzten und Sicherheitskräften dient und damit die nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG NRW mitbestimmungspflichtige Maßnahme vorbereitet. Sie dient aber zugleich als vorbereitende Maßnahme der Gesundheits- und Sicherheitsvorsorge im Sinne der Nr. 7.
78Zwar trifft es zu, dass § 66 Abs. 7 Satz 3 LPVG NRW der Einigungsstelle bei der Bestellung von Betriebsärzten und Sicherheitskräften nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG NRW nur ein Empfehlungsrecht, aber kein Letztentscheidungsrecht einräumt. Diese Regelung ist jedoch lediglich Ausfluss der Rechtsprechung des BVerfG zum damaligen Mitbestimmungsgesetz in Schleswig-Holstein,
79vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37.
80Danach setzt das Erfordernis einer demokratischen Legitimation der Mitbestimmung und damit dem Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle v.a. in Personalangelegenheiten Grenzen. Zu diesen zählt der Gesetzgeber in NRW auch die Bestellung von Betriebsärzten und Sicherheitskräften.
81Diese Beschränkung der Mitbestimmung im Tatbestand der Nr. 6 wird durch die uneingeschränkte Mitbestimmung bei vorbereitenden Maßnahmen im Sinne der Nr. 7 jedoch nicht unterlaufen. Denn vorbereitende Maßnahmen ändern den Rechtszustand bereits nach ihrem Wesen nicht, sondern finden in dessen Vorfeld statt. Sie stellen noch keine Entscheidungen dar, die besonders strikte Anforderungen an das Erfordernis einer demokratischen Legitimation stellen würden. Verlagert der einfache Gesetzgeber die Mitbestimmung wie bei Nr. 7 in das Vorfeld der eigentlichen Maßnahme "Bestellung" und eröffnet der Einigungsstelle damit die abschließende Entscheidungskompetenz über Vorfragen, unterläuft er damit das verfassungsmäßig gebotene Letztentscheidungsrecht des Dienstherrn über die Bestellung selbst nicht.
82Eine Kostenentscheidung unterbleibt im personalvertretungsrechtlichen Beschluss-verfahren, dessen Gegenstandwert auf 10.000 Euro festzusetzen wäre.
83Rechtsmittelbelehrung:
84Gegen diesen Beschluss kann binnen eines Monats durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster) Beschwerde eingelegt werden. Die Beschwerde ist binnen zwei Monaten zu begründen.
85Die Einlegung und die Begründung können schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
86Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Bekanntgabe (§§ 87 Abs. 1, 2; 66 Abs. 1 ArbGG). Bei der Einlegung und Begründung der Beschwerde müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwälten Personen mit der Befähigung zum Richteramt zugelassen, sofern sie einer der in § 11 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 4 und 5 des ArbGG bezeichneten Organisationen angehören oder von dieser beauftragt sind. Ein vertretungsberechtigter Beteiligter kann sich selbst vertreten. Für Richter und ehrenamtliche Richter als Bevollmächtigte gilt § 11 Abs. 5 ArbGG. Die Beschwerdeschrift muss den Beschluss bezeichnen, gegen den die Beschwerde gerichtet ist und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss die Beschwerde eingelegt wird. Die Beschwerdebegründung muss angeben, auf welche im einzelnen anzugebenden Beschwerdegründe sowie auf welche neuen Tatsachen die Beschwerde gestützt wird (§ 89 ArbGG).
87Die Beschwerdeschrift soll möglichst einfach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 4 RL 2014/24 1x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG 12x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 1 Satz 1 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 VO (EU) 2019/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 31 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 22 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- BPersVG § 75 1x
- § 66 Abs. 1 Satz 2 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 97 ff. GWB 1x (nicht zugeordnet)
- § 6 ASiG 4x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 5 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 16 ASiG 2x (nicht zugeordnet)
- 1 A 556/02 4x (nicht zugeordnet)
- § 9 Abs. 3 Satz 3 ASiG 2x (nicht zugeordnet)
- § 19 ASiG 6x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- 15 S 1773/08 1x (nicht zugeordnet)
- § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 119 Verfahrensarten 1x
- GWB § 121 Leistungsbeschreibung 3x
- § 77 Abs. 2 Satz 1 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 7 Satz 3 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvF 1/92 1x (nicht zugeordnet)
- 9 AZR 769/08 1x (nicht zugeordnet)
- § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 LPVG 6x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 1 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 78 Abs. 1, 50 Abs. 1 LPVG 2x (nicht zugeordnet)
- 20 A 2364/14 2x (nicht zugeordnet)
- GWB § 103 Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 1x
- 3 M 77/14 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 62 bis 66 und 68 bis 77 LPVG 12x (nicht zugeordnet)
- 1 A 3846/94 3x (nicht zugeordnet)
- § 77 Abs. 6 PersVG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 16, 19 ASiG 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 2, 5 ASiG 2x (nicht zugeordnet)