Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 5 K 2096/16

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13.06.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige. Sie reiste eigenen Angaben zufolge am 21.01.2016 in die Bundesrepublik ein und stellte am 04.02.2016 bei der Außenstelle Ellwangen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung am selben Tag gab sie an: Sie sei am 01.01.1994 in Damaskus geboren. Sie habe Syrien am 06.01.2016 verlassen und sei über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich nach Deutschland gereist.
Eine Eurodac-Abfrage vom 21.01.2016 ergab, dass die Klägerin auch in Griechenland um Asyl nachgesucht hat.
In einer weiteren Anhörung am 17.05.2016 gab die Klägerin an: Sie sei Araberin und Sunnitin. Sie habe bis zu ihrer Ausreise in Damaskus gemeinsam mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern gelebt. Sie habe als Grundschullehrerin im Stadtteil Mazzeh gearbeitet. Etwa einen Monat vor der Ausreise habe sie aufgehört zu arbeiten. Sie sei aufgrund des Kriegs ausgereist. Alles sei sehr teuer geworden. Ihr Vater habe keine Arbeit gehabt. Sie sei aufgrund der allgemeinen Lage in Syrien geflohen. Pro-bleme mit staatlichen oder nicht-staatlichen Organisationen habe sie keine gehabt. Sie befürchte bei einer Rückkehr abgesehen von den Folgen des Kriegs keine persönlichen Schwierigkeiten.
Mit Bescheid vom 13.06.2016 erkannte die Beklagte der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1). Im Übrigen lehnte sie den Antrag der Klägerin ab (Nr. 2). Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Klägerin habe individuelle Verfolgungsgründe nicht geltend gemacht, solche Gründe seien auch sonst nicht ersichtlich.
Die Klägerin hat am 24.06.2016 Klage erhoben. Sie führt aus: Syrischen Staatsangehörigen drohten bei einer Rückkehr in ihr Heimatland aufgrund der Asylantragstellung und eines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland Verfolgungsmaßnahmen durch die syrische Regierung. Ihr werde allein aufgrund der Ausreise, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im Ausland eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13.06.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Dem Gericht liegt ein Ausdruck aus der elektronischen Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (ein Heft) vor.

Entscheidungsgründe

 
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Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet.
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Nummer 2 des Bescheids der Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 13.06.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn diese hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG).
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Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 - Genfer Flüchtlingskonvention -, wenn er sich unter anderem aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung - und sei es auch nur einer ihm zugeschriebenen Überzeugung, § 3b Abs. 2 AsylG - außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
16 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet ist, gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dabei ist eine bereits erlittene Vorverfolgung oder ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU).
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Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin nicht vorverfolgt ausgereist ist. Sie hat bei ihrer Anhörung bei dem Bundesamt angegeben, Grund ihrer Ausreise sei die allgemeine Lage in Syrien gewesen. Dort herrsche Krieg und alles sei sehr teuer geworden. Die ausdrückliche Nachfrage, ob Schwierigkeiten mit staatlichen oder nicht-staatlichen Organisationen bestanden hätten, hat die Klägerin verneint. Im Klagverfahren hat sie eine Vorverfolgung ebenfalls nicht geltend gemacht.
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Der Klägerin ist die Flüchtlingseigenschaft jedoch deshalb zuzuerkennen, weil Nachfluchtgründe vorliegen, die nach gegenwärtiger Erkenntnislage bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründen.
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Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, wobei beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung auch anzunehmen ist, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Eine Rückkehr in den Heimatstaat kann auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die reale Möglichkeit (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (Zum Ganzen: BVerwG, EuGH Vorlage v. 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, DVBl 2008, 1255).
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Die Kammer ist in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Urt. v. 18.09.2013 - A 5 K 491/13; Urt. v. 13.03.2014 - A 5 K 2131/13; Urt. v. 13.08.2014 - A 5 K 2409/13) davon ausgegangen, dass jedenfalls illegal ausgereisten und sich längere Zeit im Ausland aufhaltenden Asylantragstellern aus Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung - unabhängig von einer etwaigen Vorverfolgung - droht. Dabei hat sie darauf abgestellt, dass die syrische Regierung zurückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine regimefeindliche Haltung zuschreiben (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) und daran anknüpfend Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG vornehmen wird.
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Die derzeitige Lage in Syrien rechtfertigt nach den vorliegenden Erkenntnismitteln keine abweichende Beurteilung. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass Rückkehrer im Fall einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch die Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben. Dabei ist beachtlich wahrscheinlich, dass bereits diese Befragung eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter und dem völligen Verschwindenlassen auslöst. Diese Auffassung entspricht der weit überwiegenden aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (siehe auch VG Regensburg, Urt. v. 06.07.2016 - Rn 11 K 16.30889; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 22.10.2015 - VG 3 K 474/13.A; VG Trier, Urt. v. 16.06.2016 - 1 K 157603.TR; VG Köln, Urt. v. 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A; Saarl. VG, Urt. v. 11.11.2016 - 2 K 583/16; VG Münster, Urt. v. 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A; VG München, Urt. v. 25.10.2016 - M 13 K 16.32208; VG Oldenburg, Urt. v. 18.11.2016 - 2 A 5162/16; VG Düsseldorf, Urt. v. 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, jeweils juris; Schlesw.-Holst. VG, Gerichtsbescheid vom 15.08.2016 - 12 A 149/16; VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1372/16; VG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2016 - A 8 K 3877/16; VG Köln, Urt. v. 06.12.2016 - 20 K 4917/16.A -, juris; a.A. allerdings OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris).
22 
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Mit dem in Syrien herrschenden innerstaatlichen Konflikt wurden Abschiebungen - jedenfalls von der überwiegenden Zahl der Staaten - nach Syrien zuletzt nicht durchgeführt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich an der Verfolgungslage in Syrien etwas Grundlegendes geändert hätte. Die Beklagte selbst hat bis Anfang des Jahres 2016 syrischen Antragstellern die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Noch mit Aktenvermerk vom 13.06.2016 (VAS 56) führt die Beklagte aus, in allen Landesteilen Syriens könne Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG in hohem Maße stattfinden. Auch sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Rückkehrern nach längerem Auslandsaufenthalt grundsätzlich eine oppositionelle, regimefeindliche Haltung unterstellt werde. Gründe, weshalb diese Annahme nicht mehr gelten sollte oder warum diese tatsächlichen Feststellungen nicht die Gewährung des Flüchtlingsschutzes rechtfertigen, hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren und, soweit bekannt, auch in sonstigen Verfahren nicht geltend gemacht.
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Die Einschätzung, dass in Syrien Rückkehrern politische Verfolgung droht, wird sowohl durch die Erkenntnislage bis zum allgemeinen Abschiebungsstopp im April 2011, die den bisherigen Entscheidungen der Kammer zugrunde lag, als auch durch die aktuelle Erkenntnislage gestützt. Dazu hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 29.11.2016, a.a.O.) festgestellt:
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„...
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Das US State Department führt in seinem jüngsten Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016 aus, dass bei ihrer Rückkehr in das Land Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht haben, Verfolgung ausgesetzt waren. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung inhaftiere regelmäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Verbindungen, die nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten des selbstgewählten Exils versuchten, in das Land zurückzukehren (vgl. United States Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, Syria 2015 Human Rights Report, S.34).
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Das Immigration and Refugee Board of Canada stellt in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 fest, dass Personen, die erfolglos im Ausland um Asyl nachgesucht hätten, im Falle ihrer Rückkehr regelmäßig inhaftiert würden. Nach Aussage des geschäftsführenden Direktor des „Zentrums für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit“ in Syrien werde ein abgewiesener Asylbewerber mit Sicherheit festgenommen und gefangengesetzt. Er oder sie würde der Verbreitung falscher Nachrichten im Ausland beschuldigt und dementsprechend als Regierungsgegner und Oppositioneller behandelt werden. Er oder sie wäre der Folter ausgesetzt, da die Behörden versuchen würden, auf diese Art Informationen über andere Asylbewerber oder über die Opposition zu erlangen. Der abgewiesene Asylbewerber laufe Gefahr, zu Tode gefoltert oder aber gefoltert und anschließend zu einer sehr langen Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Der als Gast anwesende Senior Research Fellow sagte, dass ein abgewiesener Asylbewerber verhaftet und gefangen gesetzt werden könne, weil er im Ausland einen Asylantrag gestellt habe; er war aber im weiteren der Auffassung, dies sei „kein Automatismus" (15.12.2015). Er stellte fest, dass die eher traditionell eingestellten syrischen Amtsträger alle Asylsuchenden als Regierungsgegner betrachteten. In einem solchen Fall könnten diese verhaftet, gefangen gesetzt und gefoltert werden; aber es gebe auch Amtsträger, die anerkennen würden, dass einige der Betreffenden möglicherweise aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen haben. Nichts gehe automatisch, nichts sei vorhersehbar. Die Zuspitzung des Bürgerkrieges habe jedoch die Schwelle für Verdächtigungen erheblich gesenkt (vgl. Immigration an Refugee Board of Canada [IRB], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014- December 2015]).
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Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in ihrem Bericht vom 11. August 2016 das Vorliegen zehntausendfacher Fälle des Verschwindenlassens von Personen seitens der syrischen Regierung festgestellt. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals aufgetaucht sei und bis heute anhalte, würden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwänden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige hätten regelmäßig über verschwundene Verwandte zwischen 2011 und 2015 berichtet. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfänden, gehörten Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen. Während des gesamten Bestehens der Kommission hätten Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu verschwinden, wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen hätten darauf hingewiesen, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin liege, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt gewesen seien, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Der massenhafte und systematische Charakter der Todesfälle in staatlich kontrollierten Haftanstalten habe sich zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und einem Kriegsverbrechen entwickelt. Der Gebrauch von Folter durch Regierungskräfte, besonders durch die Geheimdienste und die Sicherheitskräfte, sei von der Kommission seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit festgestellt worden. Es sei sehr selten, dass eine Person gefunden werde, die von der Regierung verhaftet wurde und nicht massive Folter erlitten habe. Die Mehrzahl der Opfer seien Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Dennoch würden Regierungsbeamte auch Frauen und Kinder, die in ihrem Gewahrsam sind, foltern (Human Rights Council, 33rd session, Report of the Independent International Commission Inquiry on the Syrian Arab Republic, August 11th, 2016, Rn. 70, 75, 77f., 93 f.).
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Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. In diesem „Ad hoc-Bericht“ vom Februar 2012 wird ausgeführt, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige zu haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterlägen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. Seit März 2011 seien zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen infolge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gebe es nicht. Fälle von Verschwindenlassen hätten seit März 2011 erheblich zugenommen. Menschenrechtsverteidiger schätzen, dass ca. 20.000 Menschen verschwunden seien (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S.10 f.).
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Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International führt im jüngsten Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass ihre Untersuchungen seit Beginn der Krise im Jahr 2011 darauf hindeuteten, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe, willkürlich verhaftet zu werden und gewaltsam zu verschwinden und Folter oder anderer Misshandlung ausgesetzt zu werden und möglicherweise zu sterben. Fast jeder von ihnen befragten 65 früheren Häftlinge habe beschrieben, dass er Zeuge einer Art „Willkommensparty“ wurde. Dieser Begriff werde benutzt, um die brutalen Schläge zu bezeichnen, die die Häftlinge bei ihrer Ankunft in einer Haftanstalt oder bei einer Verlegung in eine andere Haftanstalt von den Wächtern erhielten. Jeder befragte Häftling habe berichtetet, dass er während mindestens eines Verhörs gefoltert oder anderweitig misshandelt wurde, meistens bei nahezu jedem Verhör. Alle ehemaligen Häftlinge berichtet von langer Einzelhaft, extremer Überbelegung der Zellen, dem fehlenden Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung, sanitären Einrichtungen, Nahrungsmitteln und Wasser, extremen Temperaturen, und dass sie Stunden oder Tage in Zellen mit Leichen von verstorbenen Häftlingen verbringen mussten. Nach vorsichtigen Schätzungen seien mindestens 17.723 Menschen zwischen dem 15. März 2011 und dem 31. Dezember 2015 in der Haft getötet worden (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 16, 22, 24, 35).
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In einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch aus dem Dezember 2015 heißt es, dass alle von Human Rights Watch befragten ehemaligen Häftlinge zahlreiche Gefangene in ihren Zellen sterben sahen und Zustände in ihren Zellen beschrieben, die das Recht der Inhaftierten auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzten. In einigen Fällen habe eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Folter vorgelegen. Nach der Auskunft von Gefangenen, die nach verbesserten Haftbedingungen fragten, und eines Deserteurs, der als Gefängniswärter arbeitete, hätten die Behörden von diesen Bedingungen gewusst und sie durch die Verweigerung von angemessener Nahrung, gesundheitlicher Versorgung, Hygieneartikeln, ausreichender Durchlüftung und ausreichend Raum verstärkt (vgl. Human Rights Watch, If the Dead could speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Deten-tion Facilities, Dezember 2015, S. 60).
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Inhaftierungen nach freiem Ermessen der Sicherheitsbehörden werden dadurch gefördert, dass der syrische Staat mit dem „Gesetz Nr. 55“ vom 21. April 2011 regelt, dass eine Inhaftierung ohne konkreten Vorwurf oder gar eine förmliche Anklage für eine Dauer von bis zu 60 Tagen möglich ist (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’sprisons, 2016, S. 14, Fn. 23). Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste vom Regime eine carte blanche erhalten hätten (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S.10 f.).
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Die Gesamtschau dieser Erkenntnisse führen im vorliegenden Fall im Wege einer Prognoseentscheidung zu der Überzeugung des Gerichts, dass aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen bei einer (unterstellten) Rückkehr nach Syrien die Furcht vor Inhaftierung und einer anschließenden Behandlung durch syrische Staatsorgane hervorgerufen wird, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Es besteht für ihn die berechtigte Furcht vor einer Verhaftung und anschließender schwerer Folter, vor einem „Verschwindenlassen“ und vor Haftbedingungen, die für sich genommen eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen. Angesichts der Schwere der berechtigt zu befürchtenden Verfolgungshandlungen, die bis hin zu Tötungen durch Folter oder als Folge der Haftbedingungen reichen, ändert sich an dieser Prognose einer „realen Möglichkeit“ einer Verfolgung nichts dadurch, dass es auch Amtsträger gibt, die es anerkennen, dass einige Rückkehrer Syrien aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen haben und diese in der Folge keiner Behandlung unterziehen, die deren grundlegende Menschenrechte schwerwiegend verletzt...“
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Dieser Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel schließt sich die Kammer uneingeschränkt an. Diese Einschätzung wird auch gestützt durch den Bericht des britischen Home Office (Country Information and Guidance, Syria: the Syrian Civil War, August 2016, S. 8). Unter Hinweis auf die Feststellungen des UNHCR (vgl. dazu UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update IV, November 2015) weist das britische Innenministerium darauf hin, dass Rückkehrer, die im Ausland vergeblich um Asyl nachgesucht haben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgenommen und gefoltert werden, da ihnen eine (oppositionelle) politische Gesinnung unterstellt werde.
34 
Der Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016, den auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (VG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2016, a.a.O.), verweist zudem auf Ausführungen eines visiting senior research fellows am Kings College London, der in Großbritannien als Sachverständiger in Asylverfahren aufgetreten ist. Danach können die Sicherheitsbehörden bei jeglichem Verdacht gegen den Rückkehrer „tun, was sie wollten“. Ihnen sei insoweit eine „carte blanche“ ausgestellt. Insbesondere könnten die Sicherheitsbehörden eine Person unmittelbar bei der Einreise festnehmen. In diesem Falle sei es auch möglich, dass die Person verschwinde und Opfer von Folter werde. Es sei ebenso möglich, dass dem Rückkehrer aufgegeben werde, zu einem späteren Zeitpunkt Angaben gegenüber den Behörden zu machen; auch dann sei es möglich, dass die Person später verschwinde. Das System sei insgesamt vollkommen unvorhersehbar. Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist ferner auf Berichte eines aus Australien zurückgekehrten syrischen Asylbewerbers aus dem Jahr 2015, der nach seiner Rückkehr am Flughafen Damaskus festgenommen und während 20 Tagen gefoltert worden sei. Es weist zudem auf Berichte syrischer Palästinenser hin, die nach ihrer Rückkehr unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen festgenommen worden seien.
35 
Auch der Bericht des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, stützt diese Bewertung (UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update IV, November 2015). Dieses vom Amt des UNHCR herausgegebene Dokument ist angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.2013 - C-528/11 -, NVwZ-RR 2013, 660). Danach ist es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention haben. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig von dem Ort, aus dem die Betroffenen stammten, sowie davon, welche Konfliktpartei diesen Ort bzw. die Nachbarschaft kontrolliere.
36 
Die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 07.11.2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht steht dieser Erkenntnislage nicht entgegen. Darin weist das Auswärtige Amt darauf hin, keine Kenntnisse darüber zu besitzen, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wären. Das Fehlen von Referenzfällen (jedenfalls im Hinblick auf die Kenntnislage des Auswärtigen Amts) lässt jedoch, wie auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe zutreffend dargelegt hat (VG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2016, a.a.O), keinen Rückschluss auf eine fehlende Gefahrendichte zu (vgl. hierzu auch zu einer älteren Erkenntnislage OVG Sachs.-Anh., Urt. v. 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; a.A. OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16). Denn es ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des innerstaatlichen Konflikts in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 jedenfalls aus dem westlichen Ausland keine abgelehnten Flüchtlinge aus Syrien mehr in ihre Heimat abgeschoben wurden. Im Übrigen hat das Auswärtige Amt unter dem 03.02.2016 berichtet, dass Fälle bekannt seien, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind, wobei diese „überwiegend“ in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst standen (Auskunft des Auswärtigen Amts - Botschaft Beirut - an das Bundesamt vom 03.02.2016).
37 
Das Fehlen einer größeren Zahl von (aktuellen) Referenzfällen von Rückkehrern kann darüber hinaus auch im Hinblick auf die aufgeführten Berichte zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation zu einer beachtlichen Gefahrprognose führen. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. v. 29.11.1991 - A 16 S 1731/89 -, juris Rn. 55 zu Tamilen aus Sri Lanka) festgestellt:
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„...
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Angesichts der in weiten Teilen außerhalb rechtsstaatlicher Normen operierenden Verfolgungspraxis srilankischer Sicherheitsbehörden und Armee-Einheiten liegt es in der Natur der Sache, daß Fälle von Folterungen etwa von zurückkehrenden jungen Tamilen nach außen hin nicht vollständig und zuverlässig dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt in einer Art Grauzone abspielen (AA, 29.11.1990, S. 3 und 14.12.1990, S. 3). (...) Unter diesen Umständen kommen den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation von Sri Lanka besondere Bedeutung zu, aus denen Schlußfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen sind. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl dokumentierter Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlußfolgerung rechtfertigen, daß in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für die Zeit nach der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Nicht dagegen kann eine Asylanerkennung ausschließlich von einer nach Namen und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, daß eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, deren konkrete Opfer nach Namen und Zahl jedoch deshalb weitgehend unbekannt bleiben müssen, weil sich die betreffenden Unterdrückungsstaaten nach außen hin so gut wie vollständig abschirmen. Daß eine solche Konsequenz mit der humanen Intention des Asylrechts unvereinbar ist, liegt auf der Hand. Entsprechendes gilt für eine Auffassung, nach der erst in Form einer Art "Lebendversuch" aufgrund von Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und der sich daran anschließenden Fälle politischer Verfolgung das "statistische Material" zur Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit gewonnen werden muß. Vielmehr ist es gerade vornehmste Pflicht der Gerichte, aufgrund einer verläßlichen, mit Überzeugungsgewißheit gewonnenen Verfolgungsprognose unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation im Lande zu verhindern, daß infolge der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern neue Verfolgungsfälle auftreten.
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...“
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Nach vorstehenden Grundsätzen muss vor dem Hintergrund der in den vorliegenden Erkenntnismitteln aufgeführten konkreten Berichte über einzelne aktuelle Verfolgungsschicksale von Rückkehrern bzw. den in jüngerer Vergangenheit festgestellten Verfolgungsmaßnahmen (zu den Erkenntnissen für die Jahre 2010 bis 2012 vgl. nur OVG Sachs.-Anh., Urt. v. 18.07.2012, a.a.O.) und der dargelegten allgemeine Menschenrechtssituation in Syrien, die durch die Willkür des Regimes und dessen unnachgiebiges Vorgehen gegen (vermeintlich) Oppositionelle geprägt ist, auch ohne eine genau spezifizierte Auflistung einer größeren Zahl von Referenzfällen bei Rückkehrern von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden.
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Vor dem Hintergrund der aufgeführten Erkenntnismittel, welche die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer allgemeinen Rückkehrergefährdung stützen, vermag auch die Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom November 2016 keine andere Bewertung der Sachlage rechtfertigen (a.A. OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16). Diese Auskunft verhält sich vornehmlich zur besonderen Gefährdung wehrdienstfähiger männlicher Syrer sowie der Gruppe der in Syrien ansässigen Kurden. Mit Blick auf Rückkehrer im Allgemeinen führt das Institut aus, dass Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung derzeit nicht in allen Landesteilen realistisch seien, weil die Regierung nicht sämtliche Landesteile kontrolliere. Die derzeit fehlende Gebietskontrolle in einigen Landesteilen lässt jedoch die Gefährdungslage für Rückkehrer nicht entfallen (a.A. VG Magdeburg, Urt. v. 18.10.2016 - 9 A 444/16 -, juris). Dies ließe außer Acht, dass zwangsweise Rücküberstellungen derzeit nur über den Flughafen Damaskus denkbar sind, der unter der Kontrolle des Assad-Regimes steht.
43 
Auch im Falle einer freiwilligen Rückkehr, die - jedenfalls wenn dadurch die Gefahr politischer Verfolgung abgewendet werden kann - ebenfalls in den Blick zu nehmen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.02.2006 - 1 B 107.05 -, juris m.w.N. ), ist beachtlich wahrscheinlich, dass die Betroffenen den Gefahren einer politischen Verfolgung nicht entgehen können. So unterscheiden auch die vorliegenden Erkenntnismittel im Hinblick auf die dort zum Ausdruck gebrachte Rückkehrergefährdung nicht zwischen zwangsweise erfolgter und freiwilliger Rückkehr. Rückkehrmöglichkeiten existieren darüber hinaus faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen, sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben (VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 - m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, juris). Eine illegale Rückkehr kann den Betroffenen nicht angesonnen werden. Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien Auskunft des Auswärtigen Amts an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 - m.w.N.).
44 
Soweit die Beklagte sich in anderen Verfahren darauf beruft, die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien sei stark gestiegen und der syrische Staat habe durch die Ausstellung einer großen Zahl von Reisepässen zu erkennen gegeben, dass eine Ausreise nicht geahndet werde, folgt daraus keine abweichende Einschätzung der Verfolgungsgefahr. Zur großen Anzahl ausgereister syrischer Staatsangehöriger hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - (juris) ausgeführt:
45 
„...
46 
Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
47 
...“
48 
Diese Ausführungen hält die Kammer auch im Hinblick auf die seither noch gestiegene Zahl an Flüchtlingen weiterhin für zutreffend. Auch den zuvor im zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und in diesem Urteil ausgewerteten Erkenntnismitteln aus den Jahren 2015 und 2016 liegt die bekannte Tatsache der massenhaften Ausreise aus Syrien zugrunde. Aufgrund der Zuspitzung des in Syrien herrschenden innerstaatlichen Konflikts ist davon auszugehen, dass das syrische Regime mit unverminderter Härte gegen tatsächlich oder unterstellt oppositionell tätige Personen vorgeht. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die in den Erkenntnismitteln aufgezeigte erhebliche Zahl an Zivilisten, die seit Beginn des Bürgerkriegs inhaftiert und schwerster Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzten wurden (dazu auch UN Human Rights Council, Out of sight, out of mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 03.02.2016, S. 2, 5; Süddeutsche Zeitung Online: UN: Regimetreue Truppen erschießen 82 Zivilisten in Aleppo, 13.12.2016; Men fleeing E Aleppo forced to fight with Assad, Al Arabiya Online, 12.12.2016; vgl. VG Köln, Urt. v. 25.08.2016 - 20 K 6664/15.A). Auch weist der Bericht des Verfassungsschutzes des Bundes (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.) darauf hin, dass die syrischen Nachrichtendienste weiterhin Regimegegner im Ausland beobachteten und es gerade im Zusammenhang mit den anhaltenden Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland im Jahr 2015 eine Vielzahl von Hinweisen auf bundesweite Aufklärungsbemühungen syrischer Dienste im Flüchtlingsumfeld gegeben habe. Die syrischen Nachrichtendienste verfügten ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparats unverändert über leistungsfähige Strukturen (vgl. hierzu - ausführlich - VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - 5 K 1372/16 - m.w.N.).
49 
Dass die syrische Regierung in absehbarer Zeit die Macht über die von ihr beherrschten Landesteile verlieren könnte, ist - auch im Hinblick auf die militärische Unterstützung Russlands, des Iran und des Libanon - nicht absehbar. Vielmehr ist festzustellen, dass die Regierung zuletzt Gebiete zurückerobern konnte (dazu: ZEIT ONLINE, Armee erobert größtes Rebellenviertel Aleppos, 27.11.2016). Im Hinblick auf diese politische und militärische Lage in Syrien ist nicht erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des mit allen Mitteln um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte (so auch VG Münster, Urt. v. 13.10.2016, a.a.O.).
50 
Die Praxis der bereitwilligen Passausstellung dürfte im Übrigen vornehmlich finanzielle bzw. politische Gründe haben. Die wirtschaftliche Situation des syrischen Regimes hat sich im Hinblick auf den innerstaatlichen Konflikt verschlechtert, so dass zu vermuten ist, dass insbesondere Einnahmen aus den Passgebühren (400 $ für die Ausstellung eines neues Passes außerhalb Syriens) der syrischen Staatskasse zu Gute kommen sollen. Dafür spricht auch, dass selbst oppositionsnahe Syrer einen neuen syrischen Pass erhalten konnten (Auskunft des Auswärtigen Amts - Botschaft Beirut - an das Bundesamt vom 03.02.2016).
51 
Die zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen knüpfen an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgeführte flüchtlingsrelevante Merkmale an. Denn es ist, wie dargelegt, nach den vorliegenden Erkenntnismitteln beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte Rückkehrern eine oppositionelle Gesinnung jedenfalls unterstellen und deswegen die beschriebenen Eingriffe vornehmen würden.
52 
Die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Anknüpfung ist im Übrigen bereits durch die besondere Intensität der zu befürchtenden Eingriffe in Form von Festnahmen und Folter indiziert (BVerfG, Beschl. v. 12.02.2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, 643, Rn. 29). Eine abweichende Beurteilung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg führt in seinem Beschluss vom 29.10.2013 aus:
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„...
54 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (...) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
55 
...“
56 
Dem folgend sind für die Kammer keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die beschriebenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Eingriffe „lediglich“ der Gelderpressung oder der Erfüllung von Machtphantasien dienten. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die geschilderten Maßnahmen, die Rückkehrer zu befürchten haben und die zur Gewinnung von Informationen über die Exilszene bzw. die Opposition dienen, deswegen vorgenommen werden, weil das syrische Regime davon ausgeht, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakt zur Exilszene gehabt bzw. gehörten einer der oppositionellen Gruppen an. Ohne diese jedenfalls zugeschriebenen Eigenschaften ist nicht vorstellbar, dass das Regime überhaupt ein Interesse an den Betroffenen haben könnte (so auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.06.2013, a.a.O.).
57 
Eine interne Schutzalternative (§ 3e AsylG) besteht nicht. Dies gilt namentlich für die Klägerin, die aus einem seit jeher bis heute von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiet stammt. Abgesehen davon ist die Bewegungsfreiheit in Syrien erheblich eingeschränkt. Dass auch die Beklagte von einer fehlenden Schutzalternative ausgeht, ergibt sich bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG) und steht mit der aktuellen Auskunftslage in Einklang (Auskunft des Auswärtigen Amts - Botschaft Beirut - an das Bundesamt vom 03.02.2016).
58 
Im Falle der Klägerin treten zu dieser allgemeinen Feststellung individuelle gefahrerhöhende Umstände hinzu.
59 
In seinen aktuellen Erwägungen zum Schutzbedarf hat der UNHCR Risikoprofile beschrieben, bei deren Erfüllung die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Konvention benötige (UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, a.a.O., S. 22). So drohe eine asylrelevante Verfolgung unter anderem Personen, die Mitglied religiöser Gruppen seien, aber auch Wehrdienstverweigerern und Deserteuren der Streitkräfte der Regierung. Gefährdet seien auch Frauen, insbesondere ohne Schutz durch Männer, und Kinder.
60 
Im Hinblick hierauf ist von Bedeutung, dass die Klägerin bei einer Rückkehr mit einer individuell erhöhten Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, von den syrischen Sicherheitskräften als Regimegegnerin angesehen und verfolgt zu werden. Denn die Klägerin gehört zum einen als (alleinstehende) Frau einer der vom UNHCR ausdrücklich benannten besonders gefährdeten sozialen Gruppe an. Darüber hinaus ist sie als Sunnitin Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, die in Syrien den größten Teil der Regimegegner ausmacht (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien, 2016, S. 14 f). Die Zugehörigkeit zu dieser - wenngleich in Syrien die Mehrheit bildende - religiösen Gruppe führt auch der UNHCR ausdrücklich als weiter gefahrerhöhend an.
61 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Gründe

 
12 
Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet.
14 
Nummer 2 des Bescheids der Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 13.06.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn diese hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG).
15 
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 - Genfer Flüchtlingskonvention -, wenn er sich unter anderem aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung - und sei es auch nur einer ihm zugeschriebenen Überzeugung, § 3b Abs. 2 AsylG - außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
16 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet ist, gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dabei ist eine bereits erlittene Vorverfolgung oder ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU).
17 
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin nicht vorverfolgt ausgereist ist. Sie hat bei ihrer Anhörung bei dem Bundesamt angegeben, Grund ihrer Ausreise sei die allgemeine Lage in Syrien gewesen. Dort herrsche Krieg und alles sei sehr teuer geworden. Die ausdrückliche Nachfrage, ob Schwierigkeiten mit staatlichen oder nicht-staatlichen Organisationen bestanden hätten, hat die Klägerin verneint. Im Klagverfahren hat sie eine Vorverfolgung ebenfalls nicht geltend gemacht.
18 
Der Klägerin ist die Flüchtlingseigenschaft jedoch deshalb zuzuerkennen, weil Nachfluchtgründe vorliegen, die nach gegenwärtiger Erkenntnislage bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründen.
19 
Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, wobei beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung auch anzunehmen ist, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Eine Rückkehr in den Heimatstaat kann auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die reale Möglichkeit (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (Zum Ganzen: BVerwG, EuGH Vorlage v. 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, DVBl 2008, 1255).
20 
Die Kammer ist in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Urt. v. 18.09.2013 - A 5 K 491/13; Urt. v. 13.03.2014 - A 5 K 2131/13; Urt. v. 13.08.2014 - A 5 K 2409/13) davon ausgegangen, dass jedenfalls illegal ausgereisten und sich längere Zeit im Ausland aufhaltenden Asylantragstellern aus Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung - unabhängig von einer etwaigen Vorverfolgung - droht. Dabei hat sie darauf abgestellt, dass die syrische Regierung zurückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine regimefeindliche Haltung zuschreiben (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) und daran anknüpfend Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG vornehmen wird.
21 
Die derzeitige Lage in Syrien rechtfertigt nach den vorliegenden Erkenntnismitteln keine abweichende Beurteilung. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass Rückkehrer im Fall einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch die Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben. Dabei ist beachtlich wahrscheinlich, dass bereits diese Befragung eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter und dem völligen Verschwindenlassen auslöst. Diese Auffassung entspricht der weit überwiegenden aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (siehe auch VG Regensburg, Urt. v. 06.07.2016 - Rn 11 K 16.30889; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 22.10.2015 - VG 3 K 474/13.A; VG Trier, Urt. v. 16.06.2016 - 1 K 157603.TR; VG Köln, Urt. v. 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A; Saarl. VG, Urt. v. 11.11.2016 - 2 K 583/16; VG Münster, Urt. v. 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A; VG München, Urt. v. 25.10.2016 - M 13 K 16.32208; VG Oldenburg, Urt. v. 18.11.2016 - 2 A 5162/16; VG Düsseldorf, Urt. v. 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, jeweils juris; Schlesw.-Holst. VG, Gerichtsbescheid vom 15.08.2016 - 12 A 149/16; VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1372/16; VG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2016 - A 8 K 3877/16; VG Köln, Urt. v. 06.12.2016 - 20 K 4917/16.A -, juris; a.A. allerdings OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris).
22 
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Mit dem in Syrien herrschenden innerstaatlichen Konflikt wurden Abschiebungen - jedenfalls von der überwiegenden Zahl der Staaten - nach Syrien zuletzt nicht durchgeführt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich an der Verfolgungslage in Syrien etwas Grundlegendes geändert hätte. Die Beklagte selbst hat bis Anfang des Jahres 2016 syrischen Antragstellern die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Noch mit Aktenvermerk vom 13.06.2016 (VAS 56) führt die Beklagte aus, in allen Landesteilen Syriens könne Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG in hohem Maße stattfinden. Auch sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Rückkehrern nach längerem Auslandsaufenthalt grundsätzlich eine oppositionelle, regimefeindliche Haltung unterstellt werde. Gründe, weshalb diese Annahme nicht mehr gelten sollte oder warum diese tatsächlichen Feststellungen nicht die Gewährung des Flüchtlingsschutzes rechtfertigen, hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren und, soweit bekannt, auch in sonstigen Verfahren nicht geltend gemacht.
23 
Die Einschätzung, dass in Syrien Rückkehrern politische Verfolgung droht, wird sowohl durch die Erkenntnislage bis zum allgemeinen Abschiebungsstopp im April 2011, die den bisherigen Entscheidungen der Kammer zugrunde lag, als auch durch die aktuelle Erkenntnislage gestützt. Dazu hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 29.11.2016, a.a.O.) festgestellt:
24 
„...
25 
Das US State Department führt in seinem jüngsten Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016 aus, dass bei ihrer Rückkehr in das Land Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht haben, Verfolgung ausgesetzt waren. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung inhaftiere regelmäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Verbindungen, die nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten des selbstgewählten Exils versuchten, in das Land zurückzukehren (vgl. United States Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, Syria 2015 Human Rights Report, S.34).
26 
Das Immigration and Refugee Board of Canada stellt in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 fest, dass Personen, die erfolglos im Ausland um Asyl nachgesucht hätten, im Falle ihrer Rückkehr regelmäßig inhaftiert würden. Nach Aussage des geschäftsführenden Direktor des „Zentrums für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit“ in Syrien werde ein abgewiesener Asylbewerber mit Sicherheit festgenommen und gefangengesetzt. Er oder sie würde der Verbreitung falscher Nachrichten im Ausland beschuldigt und dementsprechend als Regierungsgegner und Oppositioneller behandelt werden. Er oder sie wäre der Folter ausgesetzt, da die Behörden versuchen würden, auf diese Art Informationen über andere Asylbewerber oder über die Opposition zu erlangen. Der abgewiesene Asylbewerber laufe Gefahr, zu Tode gefoltert oder aber gefoltert und anschließend zu einer sehr langen Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Der als Gast anwesende Senior Research Fellow sagte, dass ein abgewiesener Asylbewerber verhaftet und gefangen gesetzt werden könne, weil er im Ausland einen Asylantrag gestellt habe; er war aber im weiteren der Auffassung, dies sei „kein Automatismus" (15.12.2015). Er stellte fest, dass die eher traditionell eingestellten syrischen Amtsträger alle Asylsuchenden als Regierungsgegner betrachteten. In einem solchen Fall könnten diese verhaftet, gefangen gesetzt und gefoltert werden; aber es gebe auch Amtsträger, die anerkennen würden, dass einige der Betreffenden möglicherweise aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen haben. Nichts gehe automatisch, nichts sei vorhersehbar. Die Zuspitzung des Bürgerkrieges habe jedoch die Schwelle für Verdächtigungen erheblich gesenkt (vgl. Immigration an Refugee Board of Canada [IRB], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014- December 2015]).
27 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in ihrem Bericht vom 11. August 2016 das Vorliegen zehntausendfacher Fälle des Verschwindenlassens von Personen seitens der syrischen Regierung festgestellt. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals aufgetaucht sei und bis heute anhalte, würden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwänden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige hätten regelmäßig über verschwundene Verwandte zwischen 2011 und 2015 berichtet. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfänden, gehörten Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen. Während des gesamten Bestehens der Kommission hätten Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu verschwinden, wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen hätten darauf hingewiesen, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin liege, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt gewesen seien, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Der massenhafte und systematische Charakter der Todesfälle in staatlich kontrollierten Haftanstalten habe sich zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und einem Kriegsverbrechen entwickelt. Der Gebrauch von Folter durch Regierungskräfte, besonders durch die Geheimdienste und die Sicherheitskräfte, sei von der Kommission seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit festgestellt worden. Es sei sehr selten, dass eine Person gefunden werde, die von der Regierung verhaftet wurde und nicht massive Folter erlitten habe. Die Mehrzahl der Opfer seien Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Dennoch würden Regierungsbeamte auch Frauen und Kinder, die in ihrem Gewahrsam sind, foltern (Human Rights Council, 33rd session, Report of the Independent International Commission Inquiry on the Syrian Arab Republic, August 11th, 2016, Rn. 70, 75, 77f., 93 f.).
28 
Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. In diesem „Ad hoc-Bericht“ vom Februar 2012 wird ausgeführt, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige zu haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterlägen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. Seit März 2011 seien zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen infolge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gebe es nicht. Fälle von Verschwindenlassen hätten seit März 2011 erheblich zugenommen. Menschenrechtsverteidiger schätzen, dass ca. 20.000 Menschen verschwunden seien (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S.10 f.).
29 
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International führt im jüngsten Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass ihre Untersuchungen seit Beginn der Krise im Jahr 2011 darauf hindeuteten, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe, willkürlich verhaftet zu werden und gewaltsam zu verschwinden und Folter oder anderer Misshandlung ausgesetzt zu werden und möglicherweise zu sterben. Fast jeder von ihnen befragten 65 früheren Häftlinge habe beschrieben, dass er Zeuge einer Art „Willkommensparty“ wurde. Dieser Begriff werde benutzt, um die brutalen Schläge zu bezeichnen, die die Häftlinge bei ihrer Ankunft in einer Haftanstalt oder bei einer Verlegung in eine andere Haftanstalt von den Wächtern erhielten. Jeder befragte Häftling habe berichtetet, dass er während mindestens eines Verhörs gefoltert oder anderweitig misshandelt wurde, meistens bei nahezu jedem Verhör. Alle ehemaligen Häftlinge berichtet von langer Einzelhaft, extremer Überbelegung der Zellen, dem fehlenden Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung, sanitären Einrichtungen, Nahrungsmitteln und Wasser, extremen Temperaturen, und dass sie Stunden oder Tage in Zellen mit Leichen von verstorbenen Häftlingen verbringen mussten. Nach vorsichtigen Schätzungen seien mindestens 17.723 Menschen zwischen dem 15. März 2011 und dem 31. Dezember 2015 in der Haft getötet worden (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 16, 22, 24, 35).
30 
In einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch aus dem Dezember 2015 heißt es, dass alle von Human Rights Watch befragten ehemaligen Häftlinge zahlreiche Gefangene in ihren Zellen sterben sahen und Zustände in ihren Zellen beschrieben, die das Recht der Inhaftierten auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzten. In einigen Fällen habe eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Folter vorgelegen. Nach der Auskunft von Gefangenen, die nach verbesserten Haftbedingungen fragten, und eines Deserteurs, der als Gefängniswärter arbeitete, hätten die Behörden von diesen Bedingungen gewusst und sie durch die Verweigerung von angemessener Nahrung, gesundheitlicher Versorgung, Hygieneartikeln, ausreichender Durchlüftung und ausreichend Raum verstärkt (vgl. Human Rights Watch, If the Dead could speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Deten-tion Facilities, Dezember 2015, S. 60).
31 
Inhaftierungen nach freiem Ermessen der Sicherheitsbehörden werden dadurch gefördert, dass der syrische Staat mit dem „Gesetz Nr. 55“ vom 21. April 2011 regelt, dass eine Inhaftierung ohne konkreten Vorwurf oder gar eine förmliche Anklage für eine Dauer von bis zu 60 Tagen möglich ist (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’sprisons, 2016, S. 14, Fn. 23). Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste vom Regime eine carte blanche erhalten hätten (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S.10 f.).
32 
Die Gesamtschau dieser Erkenntnisse führen im vorliegenden Fall im Wege einer Prognoseentscheidung zu der Überzeugung des Gerichts, dass aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen bei einer (unterstellten) Rückkehr nach Syrien die Furcht vor Inhaftierung und einer anschließenden Behandlung durch syrische Staatsorgane hervorgerufen wird, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Es besteht für ihn die berechtigte Furcht vor einer Verhaftung und anschließender schwerer Folter, vor einem „Verschwindenlassen“ und vor Haftbedingungen, die für sich genommen eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen. Angesichts der Schwere der berechtigt zu befürchtenden Verfolgungshandlungen, die bis hin zu Tötungen durch Folter oder als Folge der Haftbedingungen reichen, ändert sich an dieser Prognose einer „realen Möglichkeit“ einer Verfolgung nichts dadurch, dass es auch Amtsträger gibt, die es anerkennen, dass einige Rückkehrer Syrien aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen haben und diese in der Folge keiner Behandlung unterziehen, die deren grundlegende Menschenrechte schwerwiegend verletzt...“
33 
Dieser Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel schließt sich die Kammer uneingeschränkt an. Diese Einschätzung wird auch gestützt durch den Bericht des britischen Home Office (Country Information and Guidance, Syria: the Syrian Civil War, August 2016, S. 8). Unter Hinweis auf die Feststellungen des UNHCR (vgl. dazu UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update IV, November 2015) weist das britische Innenministerium darauf hin, dass Rückkehrer, die im Ausland vergeblich um Asyl nachgesucht haben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgenommen und gefoltert werden, da ihnen eine (oppositionelle) politische Gesinnung unterstellt werde.
34 
Der Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016, den auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (VG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2016, a.a.O.), verweist zudem auf Ausführungen eines visiting senior research fellows am Kings College London, der in Großbritannien als Sachverständiger in Asylverfahren aufgetreten ist. Danach können die Sicherheitsbehörden bei jeglichem Verdacht gegen den Rückkehrer „tun, was sie wollten“. Ihnen sei insoweit eine „carte blanche“ ausgestellt. Insbesondere könnten die Sicherheitsbehörden eine Person unmittelbar bei der Einreise festnehmen. In diesem Falle sei es auch möglich, dass die Person verschwinde und Opfer von Folter werde. Es sei ebenso möglich, dass dem Rückkehrer aufgegeben werde, zu einem späteren Zeitpunkt Angaben gegenüber den Behörden zu machen; auch dann sei es möglich, dass die Person später verschwinde. Das System sei insgesamt vollkommen unvorhersehbar. Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist ferner auf Berichte eines aus Australien zurückgekehrten syrischen Asylbewerbers aus dem Jahr 2015, der nach seiner Rückkehr am Flughafen Damaskus festgenommen und während 20 Tagen gefoltert worden sei. Es weist zudem auf Berichte syrischer Palästinenser hin, die nach ihrer Rückkehr unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen festgenommen worden seien.
35 
Auch der Bericht des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, stützt diese Bewertung (UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update IV, November 2015). Dieses vom Amt des UNHCR herausgegebene Dokument ist angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.2013 - C-528/11 -, NVwZ-RR 2013, 660). Danach ist es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention haben. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig von dem Ort, aus dem die Betroffenen stammten, sowie davon, welche Konfliktpartei diesen Ort bzw. die Nachbarschaft kontrolliere.
36 
Die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 07.11.2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht steht dieser Erkenntnislage nicht entgegen. Darin weist das Auswärtige Amt darauf hin, keine Kenntnisse darüber zu besitzen, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wären. Das Fehlen von Referenzfällen (jedenfalls im Hinblick auf die Kenntnislage des Auswärtigen Amts) lässt jedoch, wie auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe zutreffend dargelegt hat (VG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2016, a.a.O), keinen Rückschluss auf eine fehlende Gefahrendichte zu (vgl. hierzu auch zu einer älteren Erkenntnislage OVG Sachs.-Anh., Urt. v. 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; a.A. OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16). Denn es ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des innerstaatlichen Konflikts in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 jedenfalls aus dem westlichen Ausland keine abgelehnten Flüchtlinge aus Syrien mehr in ihre Heimat abgeschoben wurden. Im Übrigen hat das Auswärtige Amt unter dem 03.02.2016 berichtet, dass Fälle bekannt seien, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind, wobei diese „überwiegend“ in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst standen (Auskunft des Auswärtigen Amts - Botschaft Beirut - an das Bundesamt vom 03.02.2016).
37 
Das Fehlen einer größeren Zahl von (aktuellen) Referenzfällen von Rückkehrern kann darüber hinaus auch im Hinblick auf die aufgeführten Berichte zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation zu einer beachtlichen Gefahrprognose führen. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. v. 29.11.1991 - A 16 S 1731/89 -, juris Rn. 55 zu Tamilen aus Sri Lanka) festgestellt:
38 
„...
39 
Angesichts der in weiten Teilen außerhalb rechtsstaatlicher Normen operierenden Verfolgungspraxis srilankischer Sicherheitsbehörden und Armee-Einheiten liegt es in der Natur der Sache, daß Fälle von Folterungen etwa von zurückkehrenden jungen Tamilen nach außen hin nicht vollständig und zuverlässig dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt in einer Art Grauzone abspielen (AA, 29.11.1990, S. 3 und 14.12.1990, S. 3). (...) Unter diesen Umständen kommen den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation von Sri Lanka besondere Bedeutung zu, aus denen Schlußfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen sind. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl dokumentierter Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlußfolgerung rechtfertigen, daß in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für die Zeit nach der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Nicht dagegen kann eine Asylanerkennung ausschließlich von einer nach Namen und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, daß eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, deren konkrete Opfer nach Namen und Zahl jedoch deshalb weitgehend unbekannt bleiben müssen, weil sich die betreffenden Unterdrückungsstaaten nach außen hin so gut wie vollständig abschirmen. Daß eine solche Konsequenz mit der humanen Intention des Asylrechts unvereinbar ist, liegt auf der Hand. Entsprechendes gilt für eine Auffassung, nach der erst in Form einer Art "Lebendversuch" aufgrund von Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber und der sich daran anschließenden Fälle politischer Verfolgung das "statistische Material" zur Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit gewonnen werden muß. Vielmehr ist es gerade vornehmste Pflicht der Gerichte, aufgrund einer verläßlichen, mit Überzeugungsgewißheit gewonnenen Verfolgungsprognose unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation im Lande zu verhindern, daß infolge der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern neue Verfolgungsfälle auftreten.
40 
...“
41 
Nach vorstehenden Grundsätzen muss vor dem Hintergrund der in den vorliegenden Erkenntnismitteln aufgeführten konkreten Berichte über einzelne aktuelle Verfolgungsschicksale von Rückkehrern bzw. den in jüngerer Vergangenheit festgestellten Verfolgungsmaßnahmen (zu den Erkenntnissen für die Jahre 2010 bis 2012 vgl. nur OVG Sachs.-Anh., Urt. v. 18.07.2012, a.a.O.) und der dargelegten allgemeine Menschenrechtssituation in Syrien, die durch die Willkür des Regimes und dessen unnachgiebiges Vorgehen gegen (vermeintlich) Oppositionelle geprägt ist, auch ohne eine genau spezifizierte Auflistung einer größeren Zahl von Referenzfällen bei Rückkehrern von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden.
42 
Vor dem Hintergrund der aufgeführten Erkenntnismittel, welche die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer allgemeinen Rückkehrergefährdung stützen, vermag auch die Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom November 2016 keine andere Bewertung der Sachlage rechtfertigen (a.A. OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16). Diese Auskunft verhält sich vornehmlich zur besonderen Gefährdung wehrdienstfähiger männlicher Syrer sowie der Gruppe der in Syrien ansässigen Kurden. Mit Blick auf Rückkehrer im Allgemeinen führt das Institut aus, dass Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung derzeit nicht in allen Landesteilen realistisch seien, weil die Regierung nicht sämtliche Landesteile kontrolliere. Die derzeit fehlende Gebietskontrolle in einigen Landesteilen lässt jedoch die Gefährdungslage für Rückkehrer nicht entfallen (a.A. VG Magdeburg, Urt. v. 18.10.2016 - 9 A 444/16 -, juris). Dies ließe außer Acht, dass zwangsweise Rücküberstellungen derzeit nur über den Flughafen Damaskus denkbar sind, der unter der Kontrolle des Assad-Regimes steht.
43 
Auch im Falle einer freiwilligen Rückkehr, die - jedenfalls wenn dadurch die Gefahr politischer Verfolgung abgewendet werden kann - ebenfalls in den Blick zu nehmen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.02.2006 - 1 B 107.05 -, juris m.w.N. ), ist beachtlich wahrscheinlich, dass die Betroffenen den Gefahren einer politischen Verfolgung nicht entgehen können. So unterscheiden auch die vorliegenden Erkenntnismittel im Hinblick auf die dort zum Ausdruck gebrachte Rückkehrergefährdung nicht zwischen zwangsweise erfolgter und freiwilliger Rückkehr. Rückkehrmöglichkeiten existieren darüber hinaus faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen, sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben (VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 - m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, juris). Eine illegale Rückkehr kann den Betroffenen nicht angesonnen werden. Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien Auskunft des Auswärtigen Amts an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 - m.w.N.).
44 
Soweit die Beklagte sich in anderen Verfahren darauf beruft, die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien sei stark gestiegen und der syrische Staat habe durch die Ausstellung einer großen Zahl von Reisepässen zu erkennen gegeben, dass eine Ausreise nicht geahndet werde, folgt daraus keine abweichende Einschätzung der Verfolgungsgefahr. Zur großen Anzahl ausgereister syrischer Staatsangehöriger hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - (juris) ausgeführt:
45 
„...
46 
Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
47 
...“
48 
Diese Ausführungen hält die Kammer auch im Hinblick auf die seither noch gestiegene Zahl an Flüchtlingen weiterhin für zutreffend. Auch den zuvor im zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und in diesem Urteil ausgewerteten Erkenntnismitteln aus den Jahren 2015 und 2016 liegt die bekannte Tatsache der massenhaften Ausreise aus Syrien zugrunde. Aufgrund der Zuspitzung des in Syrien herrschenden innerstaatlichen Konflikts ist davon auszugehen, dass das syrische Regime mit unverminderter Härte gegen tatsächlich oder unterstellt oppositionell tätige Personen vorgeht. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die in den Erkenntnismitteln aufgezeigte erhebliche Zahl an Zivilisten, die seit Beginn des Bürgerkriegs inhaftiert und schwerster Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzten wurden (dazu auch UN Human Rights Council, Out of sight, out of mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 03.02.2016, S. 2, 5; Süddeutsche Zeitung Online: UN: Regimetreue Truppen erschießen 82 Zivilisten in Aleppo, 13.12.2016; Men fleeing E Aleppo forced to fight with Assad, Al Arabiya Online, 12.12.2016; vgl. VG Köln, Urt. v. 25.08.2016 - 20 K 6664/15.A). Auch weist der Bericht des Verfassungsschutzes des Bundes (Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.) darauf hin, dass die syrischen Nachrichtendienste weiterhin Regimegegner im Ausland beobachteten und es gerade im Zusammenhang mit den anhaltenden Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland im Jahr 2015 eine Vielzahl von Hinweisen auf bundesweite Aufklärungsbemühungen syrischer Dienste im Flüchtlingsumfeld gegeben habe. Die syrischen Nachrichtendienste verfügten ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparats unverändert über leistungsfähige Strukturen (vgl. hierzu - ausführlich - VG Sigmaringen, Urt. v. 23.11.2016 - 5 K 1372/16 - m.w.N.).
49 
Dass die syrische Regierung in absehbarer Zeit die Macht über die von ihr beherrschten Landesteile verlieren könnte, ist - auch im Hinblick auf die militärische Unterstützung Russlands, des Iran und des Libanon - nicht absehbar. Vielmehr ist festzustellen, dass die Regierung zuletzt Gebiete zurückerobern konnte (dazu: ZEIT ONLINE, Armee erobert größtes Rebellenviertel Aleppos, 27.11.2016). Im Hinblick auf diese politische und militärische Lage in Syrien ist nicht erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des mit allen Mitteln um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte (so auch VG Münster, Urt. v. 13.10.2016, a.a.O.).
50 
Die Praxis der bereitwilligen Passausstellung dürfte im Übrigen vornehmlich finanzielle bzw. politische Gründe haben. Die wirtschaftliche Situation des syrischen Regimes hat sich im Hinblick auf den innerstaatlichen Konflikt verschlechtert, so dass zu vermuten ist, dass insbesondere Einnahmen aus den Passgebühren (400 $ für die Ausstellung eines neues Passes außerhalb Syriens) der syrischen Staatskasse zu Gute kommen sollen. Dafür spricht auch, dass selbst oppositionsnahe Syrer einen neuen syrischen Pass erhalten konnten (Auskunft des Auswärtigen Amts - Botschaft Beirut - an das Bundesamt vom 03.02.2016).
51 
Die zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen knüpfen an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgeführte flüchtlingsrelevante Merkmale an. Denn es ist, wie dargelegt, nach den vorliegenden Erkenntnismitteln beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte Rückkehrern eine oppositionelle Gesinnung jedenfalls unterstellen und deswegen die beschriebenen Eingriffe vornehmen würden.
52 
Die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Anknüpfung ist im Übrigen bereits durch die besondere Intensität der zu befürchtenden Eingriffe in Form von Festnahmen und Folter indiziert (BVerfG, Beschl. v. 12.02.2008 - 2 BvR 2141/06 -, NVwZ-RR 2008, 643, Rn. 29). Eine abweichende Beurteilung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg führt in seinem Beschluss vom 29.10.2013 aus:
53 
„...
54 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (...) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
55 
...“
56 
Dem folgend sind für die Kammer keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die beschriebenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Eingriffe „lediglich“ der Gelderpressung oder der Erfüllung von Machtphantasien dienten. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die geschilderten Maßnahmen, die Rückkehrer zu befürchten haben und die zur Gewinnung von Informationen über die Exilszene bzw. die Opposition dienen, deswegen vorgenommen werden, weil das syrische Regime davon ausgeht, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakt zur Exilszene gehabt bzw. gehörten einer der oppositionellen Gruppen an. Ohne diese jedenfalls zugeschriebenen Eigenschaften ist nicht vorstellbar, dass das Regime überhaupt ein Interesse an den Betroffenen haben könnte (so auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.06.2013, a.a.O.).
57 
Eine interne Schutzalternative (§ 3e AsylG) besteht nicht. Dies gilt namentlich für die Klägerin, die aus einem seit jeher bis heute von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiet stammt. Abgesehen davon ist die Bewegungsfreiheit in Syrien erheblich eingeschränkt. Dass auch die Beklagte von einer fehlenden Schutzalternative ausgeht, ergibt sich bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG) und steht mit der aktuellen Auskunftslage in Einklang (Auskunft des Auswärtigen Amts - Botschaft Beirut - an das Bundesamt vom 03.02.2016).
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Im Falle der Klägerin treten zu dieser allgemeinen Feststellung individuelle gefahrerhöhende Umstände hinzu.
59 
In seinen aktuellen Erwägungen zum Schutzbedarf hat der UNHCR Risikoprofile beschrieben, bei deren Erfüllung die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Konvention benötige (UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, a.a.O., S. 22). So drohe eine asylrelevante Verfolgung unter anderem Personen, die Mitglied religiöser Gruppen seien, aber auch Wehrdienstverweigerern und Deserteuren der Streitkräfte der Regierung. Gefährdet seien auch Frauen, insbesondere ohne Schutz durch Männer, und Kinder.
60 
Im Hinblick hierauf ist von Bedeutung, dass die Klägerin bei einer Rückkehr mit einer individuell erhöhten Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, von den syrischen Sicherheitskräften als Regimegegnerin angesehen und verfolgt zu werden. Denn die Klägerin gehört zum einen als (alleinstehende) Frau einer der vom UNHCR ausdrücklich benannten besonders gefährdeten sozialen Gruppe an. Darüber hinaus ist sie als Sunnitin Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, die in Syrien den größten Teil der Regimegegner ausmacht (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien, 2016, S. 14 f). Die Zugehörigkeit zu dieser - wenngleich in Syrien die Mehrheit bildende - religiösen Gruppe führt auch der UNHCR ausdrücklich als weiter gefahrerhöhend an.
61 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

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