Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 6 K 5424/17

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts vom 14.06.2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wird verpflichtet,

die Kläger Ziffern 1 und 2 als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sowie ferner

unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Rechtskraft der vorgenannten Verpflichtung, die Kläger Ziffern 3 und 4 als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die X geborenen Kläger, türkische Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit reisten am 28.12.2016 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 31.01.2017 Asylanträge.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - gab der Kläger Ziffer 1 am 03.04.2017 an, sie stammten aus X in der Provinz Gaziantep und hätten zuletzt in X in G. gewohnt. Dort habe er als Lehrer an einer Gülen-Schule gearbeitet. Nach dem Putschversuch in der Türkei am 15.07.2016 sei die Schule in G. auf Druck der türkischen Regierung geschlossen worden. Das türkische Konsulat in X habe am 18.07.2016 eine Erklärung abgegeben, der zufolge die Lehrer einer Terror-Organisation angehören würden. Eine Woche vor Beginn des Schuljahres in G. am 19.09.2016 habe seine Mutter telefonisch die Familie gebeten, wegen der Ermittlung von Polizisten in der Türkei nicht zurückzukehren. Im September und Oktober 2016 hätten drei russisch-sprachige Personen die Aufenthaltskarten kontrolliert und gefordert, dass die Beziehung zur Schule abgebrochen werde. Am 03.10.2016 sei der linke Außenspiegel und die linke Tür des Autos beschädigt worden. Die Kläger Ziffern 1 und 2 verwiesen auf die Befürchtung, dass ihre Namen dem Geheimdienst genannt worden wären, dass sie in der Türkei beschuldigt werden könnten, Terroristen zu sein, und dass sie deswegen bei Rückkehr verhaftet werden könnten. Die Klägerin Ziffer 2 bestätigte, dass ihr Ehemann Lehrer an einer Gülen-Schule gewesen sei. Wegen des Putsches habe sie nicht zu der Hochzeit ihrer Schwester fahren können. Ein Lehrer der Schule, der sein neugeborenes Kind habe besuchen wollen, sei schon im Februar 2016 an der Grenze zur Türkei festgenommen worden. Nach diesem Vorfall hätten sie ihren Urlaub, an dem die geplante Hochzeit der Schwester ausgerichtet gewesen sei, nicht in der Türkei verbringen können, sodass sie auch nicht an der Hochzeitsfeier habe teilnehmen können.
Mit Bescheid vom 14.06.2017 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 1 und 2) ebenso ab, wie die Zuerkennung subsidiären Schutzes (Nr. 3). Ferner wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Nr. 4) und den Klägern die Abschiebung in die Türkei angedroht (Nr. 5).
Auf diesen am 19.06.2017 als Einschreiben abgesandten Bescheid haben die Kläger am 03.07.2017 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;
weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt,
und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.06.2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Klage abzuweisen,
12 
und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
13 
Die Berichterstatterin hat die Kläger Ziffern 1 und 2 in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2017 angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
14 
Dem Gericht liegt ein Ausdruck aus der elektronischen Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (ein Heft) vor. Diese Akten waren ebenso wie die in der mit der Ladung übersandten Erkenntnismittelliste aufgeführten Auskünfte und Berichte Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hierauf wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl nicht sämtliche Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung vertreten waren, denn auf diese Möglichkeit ist in den ordnungsgemäß bewirkten Ladungen hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
16 
Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger Ziffern 1 und 2 haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Abs. 1 S. 1 GG; §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 31 Abs. 2 S. 1 AsylG) und auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG). Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger Ziffern 1 und 2 in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
17 
Der begehrten Asylanerkennung steht die Drittstaatenregelung (Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG) nicht entgegen, da die behauptete Einreise der Kläger auf dem Luftweg ins Bundesgebiet über den Flughafen Frankfurt aus G., das keinen sicheren Drittstaat darstellt (§ 26a Abs. 2 und Anlage 1 zum AsylG), belegt ist. In den Akten ist dazu vermerkt, dass sie mit einem Visum für einen Kurzaufenthalt von maximal 15 Tagen, ausgestellt von der Botschaft X, ausgereist sind. Ihre Pässe wurden am 28.12.2016 im Flughafen Frankfurt/Main abgestempelt.
18 
Schutz nach Art. 16a Abs. 1 GG wird gewährt, wenn dem Betroffenen bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Rechtsverletzungen durch seinen Herkunftsstaat drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG vom 10.07.1989, NVwZ 90, 151 f; BVerwG vom 29.11.1987, BVerwGE 55, 82,83).
19 
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 - Genfer Flüchtlingskonvention -, wenn er sich unter anderem aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung - und sei es auch nur einer ihm zugeschriebenen Überzeugung, § 3b Abs. 2 AsylG - außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
20 
Für die Beurteilung der Frage, ob einem Asylbewerber die Rückkehr in den Herkunftsstaat zumutbar und die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet ist, gilt sowohl hinsichtlich der Asylanerkennung als auch bezüglich der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dabei ist eine bereits erlittene Vorverfolgung oder ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95 EU).
21 
Davon ausgehend sind die Kläger Ziffern 1 und 2 vorverfolgt ausgereist. Aufgrund ihrer Angaben bei der Anhörung vor dem erkennenden Gericht und des Eindrucks, den die Berichterstatterin in der mündlichen Verhandlung von ihnen gewonnen hat, sowie den Einlassungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist das Gericht davon überzeugt, dass sie vorverfolgt aus G. ausgereist sind und die Vermutung für sie spricht, dass sich im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei die frühere Verfolgung wiederholen wird. Stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
22 
Für das Gericht steht ohne Zweifel fest, dass der Kläger Ziffer 1 wegen seiner Tätigkeit als Lehrer an einer Gülen-Schule der Gülen-Bewegung zugerechnet wird und bereits in G. aus diesem Grunde unmittelbar zu befürchten hatte, verhaftet und an die Türkei ausgeliefert zu werden, wo ihm wiederum Verhaftung wegen seiner Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung droht und er mit einem rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht genügenden Strafverfahren verbunden mit asylrelevanten Maßnahmen im Strafvollzug rechnen muss. Auch der Klägerin Ziffer 2 droht Entsprechendes. So ist der Direktor der Schule, an welcher der Kläger Ziffer 1 in G. unterrichtet hatte, dort inhaftiert worden und die Türkei begehrt seine Auslieferung (vgl. den von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht X. Insofern hat der Kläger Ziffer 1 glaubhaft bekundet, dass er, nachdem er in einem Einkaufszentrum von russisch sprechenden Personen bedroht und zum Verschwinden aufgefordert worden war, um Rat bei dem Direktor seiner Schule nachgesucht hat, worauf ihm dieser mitgeteilt hat, dass auch er sowie andere Lehrer der Schule bedroht würden und viele schon das Land verlassen hätten.
23 
Davon unabhängig liegen aufgrund des gescheiterten Putschversuchs im Juli 2016 im Falle der Kläger Ziffern 1 und 2 auch Nachfluchtgründe vor, die nach gegenwärtiger Erkenntnislage bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 GG, § 3 Abs. 1 AsylG) begründen.
24 
Im Einzelnen:
25 
Die Gülen-Bewegung, benannt nach dem islamischen Prediger Fethullah Gülen, hat u.a. ein weit verzweigtes Netzwerk von Erziehungseinrichtungen mit über 200 Schulen weltweit errichtet und investiert gleichzeitig in Medienarbeit, Finanzen und Krankenhäuser. Fethullah Gülen, der derzeit im Exil in den USA lebt, war lange ein enger Verbündeter der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er überwarf sich aber Ende 2013 mit Präsident Erdogan, als Polizisten und Staatsanwälte, die der Gefolgschaft des Predigers zugerechnet werden, mit Korruptionsvorwürfen gegen den inneren Zirkel des Staatspräsidenten ermittelten. Auf Erdogans Initiative gingen Sicherheitsbehörden schon lange vor dem gescheiterten Putsch massiv gegen die Gülen-Bewegung vor. Ihr nahestehende Firmen wurden geschlossen oder übernommen, eine Bank wurde besetzt, hunderte Menschen wurden verhaftet. Erdogan warf schon damals der Gülen-Bewegung vor, in der Türkei Polizei, Justiz und Behörden unterwandert zu haben und mit einem Netzwerk von Unterstützern seinen Sturz zu betreiben. Bereits im Mai 2016 billigte das Kabinett die Entscheidung Präsident Erdogans, die Anhänger Fethullah Gülens als „Gülenistische Terror-Gruppe“ einzustufen. Damit wurde sie auf eine Stufe mit der PKK und der IS-Terrormiliz gestellt (Deutsche Welle vom 31.05.2016: „Erdogan will Gülen-Bewegung als Terror-Gruppe einstufen“). Viele Mitglieder standen seither auf einer Terror-Liste. Sogleich nach dem Putsch machte Präsident Erdogan die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den versuchten Putsch verantwortlich (Deutsche Welle vom 16.07.2016: „Die Gülen-Bewegung und die Türkei“).
26 
In dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Januar 2017) vom 19.02.2017 heißt es, nach dem Putschversuch habe die Regierung sog. ,,Säuberungsmaßnahmen" gegen Individuen und Institutionen eingeleitet, welche sie der GüIen-Bewegung zurechne oder denen eine Nähe zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderen terroristischen Vereinigungen vorgeworfen werde. Im Zuge dieser Maßnahmen seien bislang gegen 103.850 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, 86.519 Personen in Polizeigewahrsam genommen worden, davon befänden sich 41.034 in Untersuchungshaft (7.597 Polizei, 6.748 Militär, 2.433 Richter und Staatsanwälte) (Stand: 4.1.2017). 76.000 Beamte seien vom Dienst suspendiert worden, auch sei es zur Beendigung des Beamtenverhältnisses bei Militärangehörigen (7.536) gekommen. Die Maßnahmen zielten erklärtermaßen darauf ab, die Anhänger der Gülen-Bewegung aus allen relevanten Institutionen in der Türkei zu entfernen. Bei diesen ,,Säuberungen" werde nicht zwischen Personen unterschieden, denen lediglich eine Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen werde und jenen Personen, die einer aktiven Beteiligung am Putschversuch verdächtigt würden. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen habe die Regierung am 20.07.2016 den Notstand verhängt, zunächst für drei Monate. Am 19.10.2016 und am 03.01.2017 sei dieser Notstand für jeweils weitere drei Monate verlängert worden. Er gelte nun mindestens bis 19.04.2017. ....Die Regierung habe seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermaßen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationale Einheit setze. Die Atmosphäre speise sich aus den „Säuberungsmaßnahmen" und mit ihnen einhergehenden öffentlichen Aufrufen zur Denunziation, aus der Überhöhung des nationalen Widerstands, der allabendlich mit Demonstrationen auf den zentralen Plätzen der Großstädte gefeiert werde......Thematisch fahre Erdogan zur Erreichung seines Ziels seit Sommer 2015 einen verstärkt nationalistischen Kurs, dessen Kernelement das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt gegen die PKK sei. ...Viele der zunehmenden Freiheitseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen rechtfertige die Regierung mit der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Jedoch würden jenseits der Bekämpfung realer terroristischer Bedrohungen Terrorismusvorwürfe inflationär genutzt. Neben der Einstufung der GüIen-Bewegung als Terrororganisation sei u.a. 57 von 59 Abgeordneten der prokurdischen HDP die parlamentarische Immunität entzogen worden. Die Verfahren gegen die HDP-Abgeordneten stützten sich überwiegend auf angebliche Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetze. Nach Abschluss der Verfahren könnten einige dieser Abgeordneten ihr Mandat verlieren. Aktuell befänden sich 13 HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft (Stand: 30.12.2016). .....Die Meinungs- und Pressefreiheit seien akut bedroht. Seit Juli seien per Notstandsdekret rund 170 überwiegend Gülen-nahe und kurdische Print- und Bildmedien geschlossen worden; ca. 3.000 Journalisten hätten durch Schließungen ihren Job verloren und hätten - gebrandmarkt als Gülenisten oder PKK-Sympathisanten - keine Aussicht darauf, einen neuen zu finden. Als Grundlage für das strafrechtliche Vorgehen gegen diese Personen werde häufig ebenfalls der Terrorismustatbestand bzw. der Vorwurf der Propaganda für terroristische Organisationen angeführt. 140 Journalisten säßen nach Angaben von Human Rights Watch derzeit in Haft (Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei, Stand 04.01.2017; siehe auch ZEIT ONLINE, 26.12.2016: „Anti-Terror-Polizei nimmt HDP-Vizechefin fest“; ZEIT ONLINE, 30.12.2016: „Haftbefehl gegen kritischen Journalisten in der Türkei erlassen“, dieser Artikel betrifft den Journalisten und Buchautor Ahmet Sik; zur Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel: ZEIT ONLINE, 27.02.2017: „Richter ordnet Untersuchungshaft gegen „Welt“-Korrespondenten an“).
27 
Auch nach dem 04.01.2017 wurden weitere 6000 Bedienstete entlassen (ZEIT ONLINE, 07.01.2017: „Türkei entlässt weitere 6000 Bedienstete“). Betroffen seien Polizisten, Angestellte des Justiz- und Gesundheitsministeriums und Universitätslehrkräfte. Auch gegen fast 400 Unternehmer wurden Haftbefehle erlassen, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wurden (ZEIT ONLINE, 05.01.2017: „Behörden erlassen Haftbefehl gegen 380 Unternehmer“). Auch wer in der Türkei Aussagen etwa über die PKK online veröffentlicht, muss damit rechnen, verhaftet zu werden. 1.656 Menschen sind inhaftiert worden wegen Beiträgen in sozialen Medien unter anderem über die PKK, in 3700 Fällen wird ermittelt (ZEIT ONLINE, 24.12.2016: „Mehr als 1000 Festnahmen wegen Beiträgen in sozialen Medien“; ZEIT ONLINE, 28.2.2017: „Jeder kann zum Terrorverdächtigen werden“). Auch in Deutschland müssen türkische Staatsbürger damit rechnen, dass etwaige Kritik an der türkischen Regierung bzw. Aussagen zur PKK dem türkischen Generalkonsulat gemeldet werden (ZEIT ONLINE, 23.02.2017: „Türkei fordert offenbar zu Spitzelei an Schulen auf“ und SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017: „Willkommen in Istanbul, Sie sind festgenommen“ zur Festnahme von Deutschen und Österreichern mit Wurzeln in der Türkei, die nach ihrer Ankunft am Flughafen Istanbul festgenommen worden sind - wohl wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Möglicherweise wurden sie zuvor bespitzelt).
28 
Soweit es im oben erwähnten Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand 04.01.2017 im weiteren Verlauf zur Frage der Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern noch heißt, dass dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden sei. (Seite 29), kommt diesen Ausführungen nach der mittlerweile eingetretenen weiteren Verschärfung der Situation in der Türkei und der Verschlechterung des Verhältnisses zu Deutschland keine Aussagekraft mehr zu. Diese Passage stimmt wörtlich mit dem Lagebericht mit Stand August 2015 überein, der noch vor dem gescheiterten Putschversuch des Jahres 2016 erstellt worden ist, und ist nicht mehr aktuell. So berichten die Medien - wie bereits ausgeführt - sogar über Festnahmen bei der Einreise von Deutschen und Österreichern mit türkischen Wurzeln wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Laut Aussage eines westlichen Diplomaten gehe man von einer „hohen zweistelligen Zahl jeden Monat“ aus. Von einem „Spitzelwerk im Ausland“ ist die Rede und auch davon, dass es für die oben erwähnten Personen „ein unkalkulierbares Risiko“ darstelle, „in die Türkei zu reisen“(SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017, a.a.O.; vgl. zur Rückkehrgefährdung in die Türkei schon kurz vor dem Putschversuch: Nieders. OVG, Urteil vom 31.05.2016 - 11 LB 53/15 -, InfAuslR 2016, 450).
29 
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe stuft Personen, die mutmaßlich Verbindungen zur Gülen-Bewegung aufweisen und ihre Familienangehörige als besonders gefährdet ein. Sie sind das Hauptziel staatlicher Verfolgung und laufen Gefahr, verhaftet zu werden (SFH vom 19.05.2017, Gefährdungsprofile, S. 4 ff m.w.N.). Damit im Einklang steht auch der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auszug aus dem Internet über die Fernsehsendung vom 11.12.2017 des AKP-nahen Senders TGRT. Dort heißt es in der Überschrift: „Aufruf zum Völkermord an den Gülen-Anhängern. Lasst uns ihre Familien umbringen und es wie Selbstmorde aussehen lassen“. Die Moderatoren der Sendung Fuat Ugur und Cem Kükük waren der Ansicht, dass die Sanktionen wie Gefängnis, nicht ausreichten und jeder, der nicht kooperiert, umgebracht werden sollte, ebenso wie deren Familien. Diese Personen müsse man mit Handtüchern erwürgen. Die Moderatoren kritisierten das Vorgehen der Staatsanwaltschaften und forderten ein massiveres Vorgehen und massivere Foltermethoden gegen die Gülenisten (http://romanyahaber.com/2017/12/12/televizyonda-cemaat-uyelerine-soykirim-cagrisi, Suchwort: „Ailelerini de öldürelim“ = (http://romanyahaber.com/?s=ailelerini+de+%C3%B6ld%C3%BCrelim).
30 
Davon ausgehend steht im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Gerichts fest, dass den Klägern Ziffer 1 und 2 im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Maßnahmen drohen in Anknüpfung an eine ihnen unterstellte Nähe bzw. Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung. Eine Rückkehr in die Türkei stellt für beide ein unkalkulierbares Risiko dar, denn sie müssen damit rechnen, bei der Einreise unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung festgenommen und auf unbestimmte Zeit inhaftiert zu werden. Der Klage ist danach stattzugeben.
31 
Die X geborenen Kläger Ziffern 3 und 4 haben als minderjährige Kinder der Kläger Ziffern 1 und 2 Anspruch auf Familienasyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Familienangehörige nach § 26 Abs. 2 und 5 i.V.m. Abs. 2 AsylG.
32 
Der in § 26 Abs. 2 AsylG normierten weiteren Voraussetzung, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Stammberechtigten, die Kläger Ziffern 1 und 2, unanfechtbar, d.h. im vorliegenden Fall rechtskräftig geworden sein muss, wird dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagte lediglich verpflichtet wird, die positive Entscheidung bezüglich der Kläger Ziffern 3 und 4 unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Rechtskraft des die Kläger Ziffern 1 und 2 betreffenden Teils des vorliegenden Urteils auszusprechen, um den Eintritt der Voraussetzungen des zu erteilenden Verwaltungsakts zu gewährleisten (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 22.09.2017 – A 1 K 7628/16 –, juris Rn.59, VG Freiburg, Urt. v. 19.04.2006 - A 1 K 11298/05 -, InfAuslR 2006, 433Rn. 10; VG Schwerin, Urt. v. 20.11.2015 - 15 A 1524/13 As -, juris Rn. 54; VG München, Urt. v. 22.04.2016 - M 16 K 14.30987 -, juris Rn. 40). Anders als ein auflösend bedingter Urteilstenor (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.02.2017 – 11 S 983/16 –, Rn. 53, juris; FG Düsseldorf, Urt. v. 27.03.2015 – 1 K 4001/13 U –, Rn. 52, juris), steht dies mit Prozessrecht in Einklang.
33 
Über die Hilfsanträge ist nicht mehr zu entscheiden. Aufzuheben sind neben Ziffern 1 und 2 (Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylanerkennung) gleichwohl auch die Ziffern 3 bis 6 des Bundesamtsbescheids. Da die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, bleibt für die negative Feststellung zu subsidiärem Schutz und nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten kein Raum mehr. Die Abschiebungsandrohung ist schließlich ebenfalls rechtswidrig, da die Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) vorliegen. Auch die Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG geht ins Leere.
34 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Gründe

 
15 
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl nicht sämtliche Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung vertreten waren, denn auf diese Möglichkeit ist in den ordnungsgemäß bewirkten Ladungen hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
16 
Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger Ziffern 1 und 2 haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Abs. 1 S. 1 GG; §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 31 Abs. 2 S. 1 AsylG) und auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG). Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger Ziffern 1 und 2 in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
17 
Der begehrten Asylanerkennung steht die Drittstaatenregelung (Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG) nicht entgegen, da die behauptete Einreise der Kläger auf dem Luftweg ins Bundesgebiet über den Flughafen Frankfurt aus G., das keinen sicheren Drittstaat darstellt (§ 26a Abs. 2 und Anlage 1 zum AsylG), belegt ist. In den Akten ist dazu vermerkt, dass sie mit einem Visum für einen Kurzaufenthalt von maximal 15 Tagen, ausgestellt von der Botschaft X, ausgereist sind. Ihre Pässe wurden am 28.12.2016 im Flughafen Frankfurt/Main abgestempelt.
18 
Schutz nach Art. 16a Abs. 1 GG wird gewährt, wenn dem Betroffenen bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Rechtsverletzungen durch seinen Herkunftsstaat drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG vom 10.07.1989, NVwZ 90, 151 f; BVerwG vom 29.11.1987, BVerwGE 55, 82,83).
19 
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 - Genfer Flüchtlingskonvention -, wenn er sich unter anderem aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung - und sei es auch nur einer ihm zugeschriebenen Überzeugung, § 3b Abs. 2 AsylG - außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
20 
Für die Beurteilung der Frage, ob einem Asylbewerber die Rückkehr in den Herkunftsstaat zumutbar und die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet ist, gilt sowohl hinsichtlich der Asylanerkennung als auch bezüglich der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dabei ist eine bereits erlittene Vorverfolgung oder ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95 EU).
21 
Davon ausgehend sind die Kläger Ziffern 1 und 2 vorverfolgt ausgereist. Aufgrund ihrer Angaben bei der Anhörung vor dem erkennenden Gericht und des Eindrucks, den die Berichterstatterin in der mündlichen Verhandlung von ihnen gewonnen hat, sowie den Einlassungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist das Gericht davon überzeugt, dass sie vorverfolgt aus G. ausgereist sind und die Vermutung für sie spricht, dass sich im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei die frühere Verfolgung wiederholen wird. Stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
22 
Für das Gericht steht ohne Zweifel fest, dass der Kläger Ziffer 1 wegen seiner Tätigkeit als Lehrer an einer Gülen-Schule der Gülen-Bewegung zugerechnet wird und bereits in G. aus diesem Grunde unmittelbar zu befürchten hatte, verhaftet und an die Türkei ausgeliefert zu werden, wo ihm wiederum Verhaftung wegen seiner Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung droht und er mit einem rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht genügenden Strafverfahren verbunden mit asylrelevanten Maßnahmen im Strafvollzug rechnen muss. Auch der Klägerin Ziffer 2 droht Entsprechendes. So ist der Direktor der Schule, an welcher der Kläger Ziffer 1 in G. unterrichtet hatte, dort inhaftiert worden und die Türkei begehrt seine Auslieferung (vgl. den von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht X. Insofern hat der Kläger Ziffer 1 glaubhaft bekundet, dass er, nachdem er in einem Einkaufszentrum von russisch sprechenden Personen bedroht und zum Verschwinden aufgefordert worden war, um Rat bei dem Direktor seiner Schule nachgesucht hat, worauf ihm dieser mitgeteilt hat, dass auch er sowie andere Lehrer der Schule bedroht würden und viele schon das Land verlassen hätten.
23 
Davon unabhängig liegen aufgrund des gescheiterten Putschversuchs im Juli 2016 im Falle der Kläger Ziffern 1 und 2 auch Nachfluchtgründe vor, die nach gegenwärtiger Erkenntnislage bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 GG, § 3 Abs. 1 AsylG) begründen.
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Im Einzelnen:
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Die Gülen-Bewegung, benannt nach dem islamischen Prediger Fethullah Gülen, hat u.a. ein weit verzweigtes Netzwerk von Erziehungseinrichtungen mit über 200 Schulen weltweit errichtet und investiert gleichzeitig in Medienarbeit, Finanzen und Krankenhäuser. Fethullah Gülen, der derzeit im Exil in den USA lebt, war lange ein enger Verbündeter der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er überwarf sich aber Ende 2013 mit Präsident Erdogan, als Polizisten und Staatsanwälte, die der Gefolgschaft des Predigers zugerechnet werden, mit Korruptionsvorwürfen gegen den inneren Zirkel des Staatspräsidenten ermittelten. Auf Erdogans Initiative gingen Sicherheitsbehörden schon lange vor dem gescheiterten Putsch massiv gegen die Gülen-Bewegung vor. Ihr nahestehende Firmen wurden geschlossen oder übernommen, eine Bank wurde besetzt, hunderte Menschen wurden verhaftet. Erdogan warf schon damals der Gülen-Bewegung vor, in der Türkei Polizei, Justiz und Behörden unterwandert zu haben und mit einem Netzwerk von Unterstützern seinen Sturz zu betreiben. Bereits im Mai 2016 billigte das Kabinett die Entscheidung Präsident Erdogans, die Anhänger Fethullah Gülens als „Gülenistische Terror-Gruppe“ einzustufen. Damit wurde sie auf eine Stufe mit der PKK und der IS-Terrormiliz gestellt (Deutsche Welle vom 31.05.2016: „Erdogan will Gülen-Bewegung als Terror-Gruppe einstufen“). Viele Mitglieder standen seither auf einer Terror-Liste. Sogleich nach dem Putsch machte Präsident Erdogan die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den versuchten Putsch verantwortlich (Deutsche Welle vom 16.07.2016: „Die Gülen-Bewegung und die Türkei“).
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In dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Januar 2017) vom 19.02.2017 heißt es, nach dem Putschversuch habe die Regierung sog. ,,Säuberungsmaßnahmen" gegen Individuen und Institutionen eingeleitet, welche sie der GüIen-Bewegung zurechne oder denen eine Nähe zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderen terroristischen Vereinigungen vorgeworfen werde. Im Zuge dieser Maßnahmen seien bislang gegen 103.850 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, 86.519 Personen in Polizeigewahrsam genommen worden, davon befänden sich 41.034 in Untersuchungshaft (7.597 Polizei, 6.748 Militär, 2.433 Richter und Staatsanwälte) (Stand: 4.1.2017). 76.000 Beamte seien vom Dienst suspendiert worden, auch sei es zur Beendigung des Beamtenverhältnisses bei Militärangehörigen (7.536) gekommen. Die Maßnahmen zielten erklärtermaßen darauf ab, die Anhänger der Gülen-Bewegung aus allen relevanten Institutionen in der Türkei zu entfernen. Bei diesen ,,Säuberungen" werde nicht zwischen Personen unterschieden, denen lediglich eine Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen werde und jenen Personen, die einer aktiven Beteiligung am Putschversuch verdächtigt würden. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen habe die Regierung am 20.07.2016 den Notstand verhängt, zunächst für drei Monate. Am 19.10.2016 und am 03.01.2017 sei dieser Notstand für jeweils weitere drei Monate verlängert worden. Er gelte nun mindestens bis 19.04.2017. ....Die Regierung habe seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermaßen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationale Einheit setze. Die Atmosphäre speise sich aus den „Säuberungsmaßnahmen" und mit ihnen einhergehenden öffentlichen Aufrufen zur Denunziation, aus der Überhöhung des nationalen Widerstands, der allabendlich mit Demonstrationen auf den zentralen Plätzen der Großstädte gefeiert werde......Thematisch fahre Erdogan zur Erreichung seines Ziels seit Sommer 2015 einen verstärkt nationalistischen Kurs, dessen Kernelement das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt gegen die PKK sei. ...Viele der zunehmenden Freiheitseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen rechtfertige die Regierung mit der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Jedoch würden jenseits der Bekämpfung realer terroristischer Bedrohungen Terrorismusvorwürfe inflationär genutzt. Neben der Einstufung der GüIen-Bewegung als Terrororganisation sei u.a. 57 von 59 Abgeordneten der prokurdischen HDP die parlamentarische Immunität entzogen worden. Die Verfahren gegen die HDP-Abgeordneten stützten sich überwiegend auf angebliche Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetze. Nach Abschluss der Verfahren könnten einige dieser Abgeordneten ihr Mandat verlieren. Aktuell befänden sich 13 HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft (Stand: 30.12.2016). .....Die Meinungs- und Pressefreiheit seien akut bedroht. Seit Juli seien per Notstandsdekret rund 170 überwiegend Gülen-nahe und kurdische Print- und Bildmedien geschlossen worden; ca. 3.000 Journalisten hätten durch Schließungen ihren Job verloren und hätten - gebrandmarkt als Gülenisten oder PKK-Sympathisanten - keine Aussicht darauf, einen neuen zu finden. Als Grundlage für das strafrechtliche Vorgehen gegen diese Personen werde häufig ebenfalls der Terrorismustatbestand bzw. der Vorwurf der Propaganda für terroristische Organisationen angeführt. 140 Journalisten säßen nach Angaben von Human Rights Watch derzeit in Haft (Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei, Stand 04.01.2017; siehe auch ZEIT ONLINE, 26.12.2016: „Anti-Terror-Polizei nimmt HDP-Vizechefin fest“; ZEIT ONLINE, 30.12.2016: „Haftbefehl gegen kritischen Journalisten in der Türkei erlassen“, dieser Artikel betrifft den Journalisten und Buchautor Ahmet Sik; zur Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel: ZEIT ONLINE, 27.02.2017: „Richter ordnet Untersuchungshaft gegen „Welt“-Korrespondenten an“).
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Auch nach dem 04.01.2017 wurden weitere 6000 Bedienstete entlassen (ZEIT ONLINE, 07.01.2017: „Türkei entlässt weitere 6000 Bedienstete“). Betroffen seien Polizisten, Angestellte des Justiz- und Gesundheitsministeriums und Universitätslehrkräfte. Auch gegen fast 400 Unternehmer wurden Haftbefehle erlassen, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wurden (ZEIT ONLINE, 05.01.2017: „Behörden erlassen Haftbefehl gegen 380 Unternehmer“). Auch wer in der Türkei Aussagen etwa über die PKK online veröffentlicht, muss damit rechnen, verhaftet zu werden. 1.656 Menschen sind inhaftiert worden wegen Beiträgen in sozialen Medien unter anderem über die PKK, in 3700 Fällen wird ermittelt (ZEIT ONLINE, 24.12.2016: „Mehr als 1000 Festnahmen wegen Beiträgen in sozialen Medien“; ZEIT ONLINE, 28.2.2017: „Jeder kann zum Terrorverdächtigen werden“). Auch in Deutschland müssen türkische Staatsbürger damit rechnen, dass etwaige Kritik an der türkischen Regierung bzw. Aussagen zur PKK dem türkischen Generalkonsulat gemeldet werden (ZEIT ONLINE, 23.02.2017: „Türkei fordert offenbar zu Spitzelei an Schulen auf“ und SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017: „Willkommen in Istanbul, Sie sind festgenommen“ zur Festnahme von Deutschen und Österreichern mit Wurzeln in der Türkei, die nach ihrer Ankunft am Flughafen Istanbul festgenommen worden sind - wohl wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Möglicherweise wurden sie zuvor bespitzelt).
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Soweit es im oben erwähnten Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand 04.01.2017 im weiteren Verlauf zur Frage der Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern noch heißt, dass dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gelte auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden sei. (Seite 29), kommt diesen Ausführungen nach der mittlerweile eingetretenen weiteren Verschärfung der Situation in der Türkei und der Verschlechterung des Verhältnisses zu Deutschland keine Aussagekraft mehr zu. Diese Passage stimmt wörtlich mit dem Lagebericht mit Stand August 2015 überein, der noch vor dem gescheiterten Putschversuch des Jahres 2016 erstellt worden ist, und ist nicht mehr aktuell. So berichten die Medien - wie bereits ausgeführt - sogar über Festnahmen bei der Einreise von Deutschen und Österreichern mit türkischen Wurzeln wegen ihrer Kritik an Präsident Erdogan. Laut Aussage eines westlichen Diplomaten gehe man von einer „hohen zweistelligen Zahl jeden Monat“ aus. Von einem „Spitzelwerk im Ausland“ ist die Rede und auch davon, dass es für die oben erwähnten Personen „ein unkalkulierbares Risiko“ darstelle, „in die Türkei zu reisen“(SPIEGEL ONLINE, 09.03.2017, a.a.O.; vgl. zur Rückkehrgefährdung in die Türkei schon kurz vor dem Putschversuch: Nieders. OVG, Urteil vom 31.05.2016 - 11 LB 53/15 -, InfAuslR 2016, 450).
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Die Schweizerische Flüchtlingshilfe stuft Personen, die mutmaßlich Verbindungen zur Gülen-Bewegung aufweisen und ihre Familienangehörige als besonders gefährdet ein. Sie sind das Hauptziel staatlicher Verfolgung und laufen Gefahr, verhaftet zu werden (SFH vom 19.05.2017, Gefährdungsprofile, S. 4 ff m.w.N.). Damit im Einklang steht auch der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auszug aus dem Internet über die Fernsehsendung vom 11.12.2017 des AKP-nahen Senders TGRT. Dort heißt es in der Überschrift: „Aufruf zum Völkermord an den Gülen-Anhängern. Lasst uns ihre Familien umbringen und es wie Selbstmorde aussehen lassen“. Die Moderatoren der Sendung Fuat Ugur und Cem Kükük waren der Ansicht, dass die Sanktionen wie Gefängnis, nicht ausreichten und jeder, der nicht kooperiert, umgebracht werden sollte, ebenso wie deren Familien. Diese Personen müsse man mit Handtüchern erwürgen. Die Moderatoren kritisierten das Vorgehen der Staatsanwaltschaften und forderten ein massiveres Vorgehen und massivere Foltermethoden gegen die Gülenisten (http://romanyahaber.com/2017/12/12/televizyonda-cemaat-uyelerine-soykirim-cagrisi, Suchwort: „Ailelerini de öldürelim“ = (http://romanyahaber.com/?s=ailelerini+de+%C3%B6ld%C3%BCrelim).
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Davon ausgehend steht im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Gerichts fest, dass den Klägern Ziffer 1 und 2 im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Maßnahmen drohen in Anknüpfung an eine ihnen unterstellte Nähe bzw. Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung. Eine Rückkehr in die Türkei stellt für beide ein unkalkulierbares Risiko dar, denn sie müssen damit rechnen, bei der Einreise unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung festgenommen und auf unbestimmte Zeit inhaftiert zu werden. Der Klage ist danach stattzugeben.
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Die X geborenen Kläger Ziffern 3 und 4 haben als minderjährige Kinder der Kläger Ziffern 1 und 2 Anspruch auf Familienasyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Familienangehörige nach § 26 Abs. 2 und 5 i.V.m. Abs. 2 AsylG.
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Der in § 26 Abs. 2 AsylG normierten weiteren Voraussetzung, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Stammberechtigten, die Kläger Ziffern 1 und 2, unanfechtbar, d.h. im vorliegenden Fall rechtskräftig geworden sein muss, wird dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagte lediglich verpflichtet wird, die positive Entscheidung bezüglich der Kläger Ziffern 3 und 4 unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Rechtskraft des die Kläger Ziffern 1 und 2 betreffenden Teils des vorliegenden Urteils auszusprechen, um den Eintritt der Voraussetzungen des zu erteilenden Verwaltungsakts zu gewährleisten (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 22.09.2017 – A 1 K 7628/16 –, juris Rn.59, VG Freiburg, Urt. v. 19.04.2006 - A 1 K 11298/05 -, InfAuslR 2006, 433Rn. 10; VG Schwerin, Urt. v. 20.11.2015 - 15 A 1524/13 As -, juris Rn. 54; VG München, Urt. v. 22.04.2016 - M 16 K 14.30987 -, juris Rn. 40). Anders als ein auflösend bedingter Urteilstenor (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.02.2017 – 11 S 983/16 –, Rn. 53, juris; FG Düsseldorf, Urt. v. 27.03.2015 – 1 K 4001/13 U –, Rn. 52, juris), steht dies mit Prozessrecht in Einklang.
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Über die Hilfsanträge ist nicht mehr zu entscheiden. Aufzuheben sind neben Ziffern 1 und 2 (Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylanerkennung) gleichwohl auch die Ziffern 3 bis 6 des Bundesamtsbescheids. Da die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, bleibt für die negative Feststellung zu subsidiärem Schutz und nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten kein Raum mehr. Die Abschiebungsandrohung ist schließlich ebenfalls rechtswidrig, da die Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) vorliegen. Auch die Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG geht ins Leere.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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