Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 9 K 4097/18

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der Durchsuchung der Wohnräume des Antragsgegners mit dem Zwecke der Auffindung einer Waffenbesitzkarte, der beiden in der Waffenbesitzkarte aufgeführten Schusswaffen sowie eventuell vorhandener Munition ist zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen für die begehrte Durchsuchungsanordnung sind nicht erfüllt.
Rechtsgrundlage für die von der Antragstellerin beantragte Durchsuchungsanordnung ist die hier spezielle (bundesrechtliche) Ermächtigungsgrundlage in § 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 WaffG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde Erlaubnisurkunden sowie die in § 46 Abs. 2 und 3 WaffG bezeichneten Waffen oder Munition sofort sicherstellen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Waffen oder Munition missbräuchlich verwendet werden sollen. Zu diesem Zweck sind die Beauftragten der zuständigen Behörde berechtigt, die Wohnung des Betroffenen zu betreten und diese nach Urkunden, Waffen oder Munition zu durchsuchen; Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die zuständige Behörde, angeordnet werden; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) wird insoweit eingeschränkt. Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung (§ 46 Abs. 4 Satz 3 WaffG).
Die Verfügung unter Ziff. 5 und 6 des Bescheids der Antragstellerin vom 19.6.2018 stellt eine solche waffenrechtliche sofortige Sicherstellungsanordnung dar.
Die Voraussetzungen für eine Durchsuchungsanordnung zum Zwecke der sofortigen Sicherstellung liegen hier jedoch nicht vor:
Das Verwaltungsgericht darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn es sich aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung des Sachverhalts überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist. Dies ist insbesondere dann zu verneinen, wenn eine summarische Überprüfung ergibt, dass die Sicherstellungsverfügung, deren Durchsetzung die Durchsuchungsanordnung dient, offensichtlich rechtswidrig ist. Diese Prüfung ist anzustellen, auch wenn das Gericht im Rahmen des § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG zwar im Grundsatz nur die Voraussetzungen der Durchsuchungsanordnung und daher in der Regel nicht die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden, sofort vollziehbaren, wirksamen Sicherstellungsverfügung zu prüfen hat, allerdings auch nicht eine Durchsuchung zur Durchsetzung einer offenkundig rechtswidrigen Sicherstellungsverfügung gestatten darf, da ansonsten der Richtervorbehalt nach Art. 13 Abs. 2 GG eine bloße Formsache darstellen würde (vgl. VG Freiburg, B. v. 16.1.2015 – 6 K 59/15 -, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall fehlen offensichtlich die Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine Sicherstellungsverfügung nach § 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 WaffG, die einen Widerruf der Waffenbesitzkarte i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 1 i.V.m. §§ 45 Abs. 2 S. 1, 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erfordert. Nach § 45 Abs. 2 S. 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz, darunter eine Waffenbesitzkarte (§ 10 Abs. 1 WaffG), zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Zur Versagung einer waffenrechtlichen Erlaubnis führt es, wenn ein Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen unter anderem solche Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WaffG). Missbräuchlich handelt grundsätzlich, wer von einer Waffe oder Munition einen Gebrauch macht, der vom Recht nicht gedeckt ist (vgl. BayVGH, B. v. 14.11.2016 - 21 ZB 15.648 - juris; OVG NRW, B. v. 2.5.2013 - 16 A 2255/12 - juris). Eine missbräuchliche Verwendung ist insbesondere dann zu befürchten, wenn die Gefahr besteht, dass der Erlaubnisinhaber „sein Recht“ außerhalb oder neben der bestehenden Rechtsordnung durchsetzen wird (vgl. BayVGH, U. v. 10.10.2013 - 21 B 12.964 – juris). Die dabei anzustellende Prognose muss gemäß dem ersten Halbsatz stets auf Tatsachen gestützt sein (s. ausführlich zum Ganzen: VGH Bad.-Württ., B. v. 10.10.2017 - 1 S 1470/17-, juris).
Die Antragstellerin hat im vorliegenden Fall keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen würden, dass die Waffen oder Munition missbräuchlich verwendet werden. Die Antragstellerin stützt ihren Antrag ausschließlich auf die Einstufung des Antragsgegners als „Reichsbürger“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz vom 26.4.2018 und das dieser Einschätzung zugrunde liegende Schreiben des Antragsgegners an die Bußgeldstelle der Antragstellerin vom 3.1.2018 (Hintergrund: Anhörung wegen Missachtung eines Fußgängerüberweges).
Auf den Umstand allein, dass eine Person dem Kreis der „Reichsbürger“ zugeordnet wird, kann derzeit keine abschließende Prognose zur waffenrechtlichen Zuverlässigkeit bzw. Unzuverlässigkeit dieser Person gestützt werden (hierzu und zum weiteren: VGH Bad.-Württ., B. v. 10.10.2017, a.a.O, Rn. 27 f. m.w.N.). Dem steht entgegen, dass mit dem Begriff „Reichsbürger“ gegenwärtig keine klar organisierte oder hinreichend strukturierte Personengruppe umschrieben wird. Mit dem Begriff wird eine Vielzahl von Personen schlagwortartig zusammengefasst, die sich zwar teils gleicher oder ähnlicher Argumentationsmuster bedienen, die aber dessen ungeachtet in den jeweils vertretenen Ansichten und in den nach außen gezeigten Verhaltensweisen teils unterschiedlich auftreten und die verschiedene Grade der „Zugehörigkeit“ zu der genannten Gruppe aufweisen. Erforderlich ist deshalb auch bei Personen, die aus Sicht des Antragsstellers und auch des Landesamtes für Verfassungsschutz dem Kreis der sog. Reichsbürger zuzuordnen sind, stets eine Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des konkreten Verhaltens der individuellen Person. Von den Umständen des Einzelfalls hängt es daher auch ab, welche Bedeutung „Sympathiebekundungen in Bezug auf die Reichsbürgerbewegung“ im Rahmen einer Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit beizumessen ist. Jedenfalls dann, aber auch nur dann, wenn eine Person über die reinen Sympathiebekundungen hinaus ausdrücklich oder konkludent ihre Bindung an in der Bundesrepublik geltende Rechtsvorschriften in Abrede oder unter einen Vorbehalt stellt, begründet dies Zweifel an ihrer Rechtstreue und wird infolgedessen das Vertrauen, dass die Person mit Waffen und Munition zu jeder Zeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß – d.h. vor allem im Einklang mit der Rechtsordnung – umgeht, in aller Regel zerstört. Das gilt insbesondere dann, wenn die Person eine ausdrückliche oder sinngemäße Erklärung, sich außerhalb des geltenden Rechts bewegen zu können, auch in die Tat umsetzt, wenn sie also aus Bekundungen zur vermeintlich fehlenden Verbindlichkeit der in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften praktische Konsequenzen zieht.
An diesen Maßstäben gemessen hat die Antragstellerin den Antragsgegner bei dem Erlass des Bescheides vom 19.6.2018 voraussichtlich zu Unrecht als waffenrechtlich unzuverlässig eingeordnet. Weder aus dem Schreiben des Antragsgegners vom 3.1.2018 noch aus der darauf basierenden Auskunft des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 26.4.2018 ergeben sich Tatsachen, die die von der Antragstellerin getroffene Prognose rechtfertigen. Insbesondere bestehen derzeit keine belastbaren Anhaltspunkte für einen missbräuchlichen oder leichtfertigen Umgang mit Waffen oder Munition. Anhand der von dem Antragsgegner gewählten Formulierungen in dem Schreiben vom 3.1.2018, das von der Antragstellerin dem Landesamt für Verfassungsschutz zur Überprüfung übersandt wurde, kommt das Landesamt für Verfassungsschutz zu dem Schluss der Antragsgegner sei als „Reichsbürger“ einzustufen. Dies ergebe sich daraus, dass der Antragsgegner die Rechtmäßigkeit des Schreibens zur Anhörung in einem Bußgeldverfahren der Stadtverwaltung Singen in Frage stelle. Insbesondere verlange er Auskunft über den Rechtsrahmen des Schreibens bzw. den wahren, persönlichen Haftungsträger für den Vorgang des Schreibens. Dies mag möglicherweise ausreichen um den Antragsgegner als „Reichsbürger“ einzustufen, jedoch sicherlich dann eher nur als „Mitläufer“. So fehlen beispielsweise die typischen Ausführungen zur fehlenden Legitimität der BRD u.Ä.. Dies kann jedoch dahinstehen, da jedenfalls über eine mögliche Sympathiebekundung hinaus, in dem Schreiben in keiner Weise zum Ausdruck kommt, dass der Antragsgegner die Bindung an in der Bundesrepublik geltende Rechtsvorschriften in Abrede oder unter einen Vorbehalt stellt. Im Gegenteil schildert er unter dem Punkt „Erklärung der Wahrheit“ in sachlicher Sprache, wie sich der Vorfall aus seiner Sicht ereignet hat. Insbesondere, dass er „in jeder Hinsicht vorschriftsmäßig unter 50 km/h“ gefahren sei, bzw. nach Abbiegen auch die „km/h Beschränkung mit 30 km/h“ eingehalten habe. Er habe nicht erkennen können, dass Menschen den von ihm überfahrenen Zebrastreifen benutzen wollten. Er sei als Verkehrsteilnehmer völlig unbelastet, habe „keine Bußgelder, keine Punkte in Flensburg, rein gar nichts“. Aus diesen Äußerungen ergibt sich, dass sich der Antragsgegner an die in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften (insbesondere die StVO) gebunden fühlt und diese seiner Meinung nach auch stets einhält. Auch den Tatbestand der Missachtung von Fußgängerüberwegen stellt er nicht grundsätzlich in Frage, sondern sieht ihn nur im konkreten Fall für nicht einschlägig. Dass sich der Antragsgegner in den ersten Zeilen des Schreibens als „Herausgeber“ bezeichnet, im weiteren „Rechtsvermutungen der Identifikation mit juristischen Fiktionen wie Aktenzeichen der natürlichen oder juristischen Personen“ zurückweist, um „wahre Auskünfte“ bittet und mit dem Zusatz „lebendig autographiert ohne Inanspruchnahme der Person“ unterzeichnet, mag absonderlich wirken und durchaus Bezüge zu Reichsbürgerbewegung nahelegen, belegt jedoch nicht, dass der Antragsgegner die geltende Rechtsordnung nicht anerkennt.
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Damit muss davon ausgegangen werden, dass die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für die Sicherstellungsverfügung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG hier offensichtlich fehlen, sodass auch eine Durchsuchung der Wohnung und sonstiger Räume des Antragsgegners zum Zwecke der Sicherstellung der Waffen unverhältnismäßig ist.
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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