Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 4 K 5705/18

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., Freiburg, beigeordnet.

Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.09.2018 aufschiebende Wirkung hat.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller wendet gegen die Einstellung einer Maßnahme der Hilfe zur Erziehung.
Der Antragsteller ist seit dem 29.03.2018 als Pfleger für das am ... 2010 geborene Kind ... bestellt. Dieses lebt seit längerem bei seiner Großmutter väterlicherseits .... Die Pflegschaft umfasst u.a. das Recht zur Antragstellung nach dem Sozialgesetzbuch VIII.
Mit Bescheid vom 27.04.2016 bewilligte die Antragsgegnerin - damals noch den Eltern des Kindes - Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (bei der Großmutter) bei einem monatlichen Pflegegeld von 724,53 EUR ohne zeitliche Beschränkung und unter Hinweis darauf, dass der Hilfeplan in seiner gültigen Fassung die Grundlage für die Dauer und Ausgestaltung der Hilfe bilde. Den Hilfeplan schrieb die Antragsgegnerin (nur) am 05.04.2017 fort. Mit Bescheiden vom 23.05.2016, vom 22.12.2016 und vom 21.12.2017 passte sie das Pflegegeld jeweils geänderten Umständen (bei der Altersstufe, beim Kindergeld u.a.) an.
Ende Juli 2018 hielt die Antragsgegnerin eine zusätzliche sozialpädagogische Familienhilfe für erforderlich, da das Kind im Schulalltag massiv auffalle und es Loyalitätskonflikte hinsichtlich Vater, Mutter und Großmutter gebe. Eine solche Hilfe lehnte die Großmutter des Kindes ab. Die Antragsgegnerin stellte ihr deshalb eine Einstellung der Vollzeitpflege in Aussicht. Daraufhin unterschrieb die Großmutter einen entsprechenden Antrag, erschien aber nicht zu einem Vorgespräch über die Vorbereitung und inhaltliche Ausgestaltung der Hilfe.
Mit Bescheid vom 04.09.2018 an den Antragsteller hob die Antragsgegnerin ihren „Bescheid vom 22.12.2017“ auf und stellte die Leistungen für das Kind zum 31.07.2018 ein mit der Begründung, die erforderliche sozialpädagogische Hilfe hätte notwendig am 01.08.2018 beginnen sollen. Daran habe die Großmutter aber nicht mitgewirkt, obwohl sie als Leistungserbringerin mitzuwirken und zu kooperieren habe. Gleichlautende Bescheide richtete die Antragsgegnerin an die Mutter und an den Vater des Kindes. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete die Antragsgegnerin hiervon die Großmutter des Kindes und bat um Erstattung des bereits überwiesenen Pflegegelds für August 2018.
Der Antragsteller hat am 05.10.2018 Widerspruch erhoben und bereits am 28.09.2018 vorläufigen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, der Antragsgegnerin aufzugeben, ihm vorläufig weiter Hilfe zur Erziehung zu gewähren.
Der Berichterstatter hat darauf hingewiesen, dass der Widerspruch gegen die Aufhebung der Bewilligung der Leistung aufschiebende Wirkung haben dürfte. Die Antragsgegnerin hat sich dem zunächst angeschlossen und das Verfahren für erledigt erklärt, diese Erklärung aber widerrufen, bevor sich der Antragsteller hierzu geäußert hatte. Sie ist der Auffassung, bei der Bewilligung der Hilfe zur Erziehung habe es sich nicht um einen Dauerverwaltungsakt gehandelt. Mit dem angefochtenen Bescheid habe sie deshalb nur eine Leistung für die Zukunft abgelehnt.
II.
Dem Antragsteller ist die begehrte Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil der Antrag aus den nachfolgenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die Eltern des Kindes, dessen Personensorge er wahrnimmt, und - sofern es darauf auch ankommen sollte - das Kind selbst nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung ganz, teilweise oder jedenfalls in Raten zu tragen (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).
Einer Fortführung des Verfahrens steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin den Rechtsstreit bereits für erledigt erklärt hatte. Denn sie hat diese Erklärung rechtzeitig, vor - nicht erfolgtem - Eingang einer entsprechenden Erklärung des Antragstellers widerrufen; dies ist zulässig (vgl. Bader, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 161 Rn. 9 m.w.N.).
10 
Der Antrag, der Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes aufzugeben, die mit Bescheid vom 27.04.2016 bewilligte Hilfe zur Erziehung als Vollzeitpflege vorläufig weiter zu gewähren, ist sachdienlich dahin auszulegen, dass der Antragsteller beantragt, festzustellen, dass sein Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Einstellungsbescheid der Antragsgegnerin vom 04.09.2018 aufschiebende Wirkung hat. Dabei geht die Kammer davon aus, dass dieser Bescheid zum Ziel hat, die Hilfeleistungen für das weiterhin bei der Großmutter lebende Kind insgesamt und nicht etwa nur die zur Bewilligung von Hilfe zur Erziehung erfolgende Annex-Leistung von Pflegegeld zu beenden (Anspruchsinhaber ist ebenfalls der Antragsteller, vgl. Fischer, in: Schellhorn u.a., SGB VIII, 5. Aufl., § 39, Rn. 10 m.w.N.).
11 
In dieser Fassung ist der Antrag statthaft. Denn bei dem von der Antragsgegnerin selbst so bezeichneten Aufhebungsbescheid handelt es sich um einen den Antragsteller belastenden Verwaltungsakt, gegen den vorläufiger Rechtsschutz vorrangig gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren ist (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
12 
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei der Bewilligung von Hilfe zur Erziehung als Vollzeitpflege durch den Bescheid vom 27.04.2016 nicht um eine zeitabschnittsweise Gewährung mit der Folge, dass nach Ablauf des Zeitabschnitts, für den Hilfe bewilligt worden ist, über die Hilfe jeweils neu entschieden werden muss. Dies ergibt sich aus Folgendem:
13 
Eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung enthält dieser Bewilligungsbescheid nicht. Sie ergibt sich nicht daraus, dass die Antragsgegnerin in dem Bewilligungsbescheid ausgeführt hat, dass der Hilfeplan in seiner jeweils gültigen Fassung die Grundlage für die Dauer und Ausgestaltung der Hilfe bilde. Vielmehr gibt der Verweis auf den Hilfeplan gerade einen zeitlichen Rahmen vor, der über eine zeitabschnittweise Bewilligung hinausreicht. Mit dem Hinweis wird deshalb lediglich zum Ausdruck gebracht, dass eine Änderung der Umstände, die zu einer Änderung des Hilfeplans führen kann, zur Aufhebung der Bewilligung führen könnte. Leistungen der Hilfe zur Erziehung sind auch nicht grundsätzlich, aus der Natur der Sache, rentengleichen Dauerleistungen. Die in diesem Zusammenhang genannten Entscheidungen (vgl. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., vor § 11, Rn. 30 m.w.N.) betreffen nicht die Gewährung von Hilfen zur Erziehung allgemein, sondern die Bewilligung von Pflegegeld (vgl. § 39 SGB VIII; BVerwG, Urt. v. 26.11.1981 - 5 C 56.80 -, BVerwGE 64, 224 = FEVS 31, 89; so auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.02.1993 - 7 S 2019/92 -, ESVGH 43, 164).
14 
In diesem Zusammenhang kann auch nicht ohne Weiteres - wie es die Antragsgegnerin tut - auf die Rechtsprechung zur Frage zurückgegriffen werden, in welchem zeitlichen Umfang nach Ablehnung eines Leistungsantrags durch die Behörde ein vermeintlicher Leistungsanspruch zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung gemacht werden kann (im Regelfall nur bis zum Erlass des letzten behördlichen Bescheids, also zumeist des Widerspruchsbescheids, vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.10.1995 - 7 S 1345/93 -, juris, Rn. 69 m.w.N.). Vielmehr entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass die Zulässigkeit einer Klage gegen die (Aufhebung und) Einstellung einer Jugendhilfeleistung, die für einen begrenzten, in die Zukunft reichenden Zeitraum bewilligt war, daran gerade nicht scheitert (BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 - 5 C 30.93 -, NVwZ-RR 1996, 510; ebenso Wiesner, a.a.O., Rn. 31 m.w.N.). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall, dass etwa Eingliederungshilfe mit einem Bescheid nicht zeitabschnittsweise, sondern für eine „gewisse“ Zeit in die Zukunft und damit auf eine „gewisse“ Dauer gewährt wird, entschieden, dass Änderungen der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in dieser Zeit nach den für die Aufhebung von Dauerverwaltungsakten geltenden Regeln (§ 48 SGB X) zu beurteilen sind (BVerwG, Urt. v. 28.09.1995 - 5 C 21.93 -, NVwZ-RR 1996, 446).
15 
Dementsprechend ist auch anerkannt, dass eine zeitabschnittsweise Bewilligung dann nicht vorliegt, wenn der Hilfeplan (§ 36 SGB VIII) einen weitergehenden zeitlich nicht begrenzten Rahmen vorgibt und „bis auf Weiteres“ erfolgt (Hamb. OVG, Beschl. v. 18.12.1996 - Bs IV 307/96 -, juris; Bayer. VGH, Beschl. v. 28.09.2006 - 12 CE 06.2391 -, juris).
16 
Dies ist auch hier der Fall (vgl. auch VG Karlsruhe, Urt. v. 09.12.2002 - 8 K 2358/00 -, juris; VG Saarl., Beschl. v. 18.06.2012 - 3 L 333/12 -, juris; VG Augsburg, Beschl. v. 20.08.2013 - Au 3 E 13.1145 -, juris; a.A. wohl VG Lüneburg, Beschl. v. 14.11.2017 - 4 A 16/16 -, juris). Denn an der von der Antragsgegnerin festgestellten Hilfebedürftigkeit des ... Jahre alten, schulpflichtigen Kindes hat sich ebenso wenig geändert wie an der Erforderlichkeit einer Vollzeitpflege, weil beide Eltern aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, das Kind, auch nicht mit Hilfen, zu erziehen. Zwischen den Beteiligten streitig ist allein geworden, ob es einer ergänzenden Hilfe zur Erziehung in Gestalt einer sozialpädagogischen Familienhilfe bedarf und ob die Großmutter wegen ihrer fehlenden Einsicht, an deren Bestellung mitzuwirken, nicht mehr geeignet ist, die Vollzeitpflege zu leisten (wobei die Antragsgegnerin die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme des Kindes verneint).
17 
Der mithin statthafte Antrag ist auch sonst zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller als Pfleger des Kindes, der anstelle der Eltern u.a. das Recht der Antragstellung nach dem Sozialgesetzbuch VIII wahrnimmt, befugt, sich gegen die Aufhebung von Leistungen der Hilfe zur Erziehung zu wenden (vgl. Fischer, a.a.O., § 27, Rn. 17 m.w.N.). Auch hat der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Denn die Antragsgegnerin nimmt für sich in Anspruch, dass der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung habe und hat deshalb die Leistung der Hilfe zur Erziehung eingestellt.
18 
Der Antrag ist auch begründet; denn der Widerspruch des Antragstellers hat, nachdem die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Aufhebungsbescheids nicht angeordnet hat, aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO).
19 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 188 Satz 1 VwGO.

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