Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 4 K 276/19

Tenor

Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Die Erinnerungsführerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
Über die Erinnerung entscheidet das Gericht in derselben Besetzung wie im Erkenntnisverfahren; dort haben die Beteiligten einer Entscheidung durch den Vorsitzenden bzw. Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 2, 3 VwGO zugestimmt.
Die Erinnerung ist statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§§ 165 151 VwGO). Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle auch eine Terminsgebühr gemäß Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG festgesetzt.
Nach dieser Vorschrift entsteht eine (sogenannte fiktive) Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Kammer hat durch Gerichtsbescheid entschieden und die Beteiligten konnten dagegen gegen den Gerichtsbescheid - innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids (§ 78 Abs. 7 AsylG) - die Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin fällt eine fiktive Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG auch dann an, wenn der von einem Rechtsanwalt vertretene Beteiligte voll obsiegt und sein Antrag auf mündliche Verhandlung deshalb mangels Beschwer keinen Erfolg haben könnte (wie schon VG Freiburg, Beschl. v. 05.12.2017 - A 4 K 7542/17 -).
Soweit dies in der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt anders gesehen wird (Bayer. VGH, Beschl. v. 24.10.2018 - 5 C 18.1932 -, juris, Rn. 11 ff. m.w.N.), folgt dem die Kammer nicht (offen gelassen bei VG Karlsruhe, Beschl. v. 29.11.2018 - A 12 K 16238/17 -, juris, Rn. 8).
Schon der Wortlaut des Vergütungstatbestands spricht eher für die Auffassung der Kammer. Denn wenn der Gesetzgeber auf die Statthaftigkeit und Zulässigkeit eines Antrags auf mündliche Verhandlung im Einzelfall hätte abstellen wollen, hätte er dies ohne weiteres zum Ausdruck bringen können etwa durch die Formulierung: „wenn ... durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung zulässig beantragt werden kann ...“.
Auch die Gesetzesmaterialien stützen die hier vertretene Auffassung eher, als dass sie Zweifel insoweit erwecken. Dort heißt es (BT-Drucks. 17/11471 (neu), zitiert bei VG Karlsruhe a.a.O.:
„Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist. Im Fall des Gerichtsbescheids sowohl im Verfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als auch im Verfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt es allein in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu beenden. Die Beteiligten können in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. Das Entstehen der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat, soll daher auf diese Fälle beschränkt werden.“
Diese Ausführungen können zwanglos dahin verstanden werden, dass dem Gesetzgeber allein daran lag, die Unstimmigkeit zu beseitigen, dass auch in den Fällen, in denen ein Antrag auf mündliche Verhandlung gar nicht statthaft ist (§ 84 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) eine fiktive Terminsgebühr zu zahlen ist. Das schlägt sich insbesondere im Wortlaut des vorletzten Satzes nieder: „Die Beteiligten können in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist“. Der letzte Satz nimmt darauf lediglich Bezug („... auf diese Fälle beschränkt werden). Etwas anderes folgt nicht daraus, dass eingangs geäußert wird, die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr solle „konsequent“ auf die Fälle beschränkt werden, in denen „der Anwalt“ durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig sei. Denn aus dieser Formulierung wird nicht deutlich, wie weit der Entwurfsverfasser die von ihm in Anspruch genommene „Konsequenz“ treiben will.
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Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof demgegenüber für maßgeblich hält, dass ein im Einzelfall mangels Beschwer unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung mit Sinn und Zweck der mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergänzten „Ausnahmevorschrift“ nicht vereinbar sen, vermengt er systematische und teleologische Gesichtspunkte.
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Dabei greift die systematische Erwägung schon im Ansatzpunkt nicht. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Vergütungstatbestand der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG um eine „Ausnahmeregelung“ handelte. Vielmehr ist die Gewährung einer fiktiven Terminsgebühr in den verschiedenen Gebührentatbeständen der Nummer 3104 Abs. 1 VV RVG als Regelfall ausgestaltet. Demgegenüber ist die hier zu beurteilende Beschränkung in der Nummer 2 der Vorschrift die Ausnahme von dieser Regel, beschränkt auf den Fall, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung, nämlich in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO und § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, schon nicht statthaft ist. Aus dem Umstand, dass die Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren weitgehend ohne Zulassung statthaft ist, ergibt sich im Übrigen auch, dass dort die vom Gesetzgeber vorgenommene Beschränkung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VVG von ganz erheblicher Bedeutung ist und sich die Bundesrechtsanwaltskammer deshalb auch im Gesetzgebungsverfahren mit ihrer Stellungnahme vom 22.03.2012, wie von der Erinnerungsführerin zitiert, vehement dagegen ausgesprochen hat.
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Dass Sinn und Zweck der Regelung es erforderten, die nachträglich eingefügte Beschränkung weit auszulegen, kann die Kammer nicht erkennen. Es mag zwar sein, dass es angemessen sein könnte, eine fiktive Terminsgebühr nur dem Rechtsanwalt zuzuerkennen, dessen Mandant durch den Gerichtsbescheid tatsächlich beschwert wird, weil nur dann ein Anreiz für den Rechtsanwalt bestehen kann, auf einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu verzichten und stattdessen, etwa im Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die Zulassung der Berufung zu beantragen. Es fehlt jedoch - wie bereits ausgeführt - ein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass dies nach dem Willen des Gesetzgebers Sinn und Zweck der nachträglich eingeführten Beschränkung sein sollte.
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Entsprechende Anhaltspunkte wären umso mehr erforderlich, als - wie die Kammer in ihrem Beschluss vom 05.12.2017 a.a.O. aufgezeigt hat - eine entsprechende Beschränkung eines Vergütungstatsbestands systemwidrig wäre; denn bislang ist kein Vergütungstatbestand im Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz so formuliert, dass der Kostenbeamte gezwungen wäre, die Zulässigkeit einer Prozesshandlung, insbesondere eines Rechtsbehelfs zu prüfen, und weil es darüber hinaus zu Wertungswidersprüchen kommen könnte.
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Vor allem aber kann die Frage, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung mangels Beschwer unzulässig ist, durchaus erhebliche Schwierigkeiten bieten. Es liegt aber fern anzunehmen, dass der Gesetzgeber das von der Anwendung stark pauschalierender Vergütungstatbestände geprägte Vergütungsfestsetzungsverfahren mit solchen Beurteilungen systemwidrig hätte belasten wollen. So kann bei einem Gerichtsbescheid, mit dem der Klage stattgegeben wird, dennoch die - grundsätzlich formell, anhand des Klagantrags zu bestimmende - Beschwer des Klägers gegeben oder jedenfalls für den Rechtsanwalt erwägenswert sein, etwa falls das Gericht Anträge des Klägers absichtlich oder unabsichtlich übergangen oder aufgrund einer unzutreffenden Auslegung des Klagebegehrens nur teilweise erschöpft hat. Größere Schwierigkeiten können sich auch bei der Frage nach einer Beschwer des Beklagten, der keinen Klagantrag gestellt hat, oder nach einer Beschwer eines Beigeladenen ergeben, die jeweils materiell zu beurteilen ist (vgl. Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124a Rn. 14).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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