Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 5 K 6214/18

Tenor

Die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 07.09.2018 - A 5 K 3071/17 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht durch den Kammervorsitzenden als Berichterstatter anstelle der Kammer, nachdem dieser bereits im vorangegangenen Urteil die Kostengrundentscheidung getroffen hat.
Die gemäß den §§ 165, 151 VwGO zulässige Erinnerung gegen den in der Beschlussformel genannten Kostenfestsetzungsbeschluss ist unbegründet. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers steht die von ihm beanspruchte Terminsgebühr entgegen der Auffassung der Beklagten zu. Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Terminsgebühr gemäß Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG festgesetzt.
Nach dieser Vorschrift entsteht eine (sogenannte fiktive) Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Gericht hat über die Klage des Klägers durch Gerichtsbescheid entschieden und die Beteiligten hätten dagegen - innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids (§ 78 Abs. 7 AsylG) - die Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen können (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das gilt auch für den Kläger. Auch der auf den ersten Blick vollumfänglich obsiegende Kläger hätte nicht daran gehindert werden können, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen.
Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, ein solcher Antrag auf mündliche Verhandlung wäre mangels (formeller) Beschwer von vornherein unzulässig gewesen und könne deshalb eine Terminsgebühr gemäß Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 VV RVG nicht auslösen (so statt Vieler: Nieders. OVG, Beschl. v. 16.08.2018, NVwZ-RR 2019, 85, und Bayer. VGH, Beschl. v. 24.10.2018 - 5 C 18.1932 -, juris), trifft das nur für den Fall zu, in dem einem Kläger durch den Gerichtsbescheid im Ergebnis tatsächlich umfassend das zugesprochen wurde, was er mit seiner Klage hatte erreichen wollen (zum Begriff der formellen Beschwer siehe Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 124a Rn. 14, m.w.N.). Ob das der Fall ist, das heißt, ob das Begehren des Klägers - gerade auch aus seiner Sicht - umfassend erfüllt worden ist, wird sich jedoch dann, wenn der Kläger davon absieht, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen, und der Gerichtsbescheid deshalb (für ihn) rechtskräftig wird, nicht mehr feststellen lassen. Die Gründe, die einen Kläger veranlasst haben können, von der Stellung eines nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 (oder § 84 Abs. 2 Nr. 4 und 5) VwGO grundsätzlich statthaften Antrags auf mündliche Verhandlung abzusehen, können vielfältig sein. Ein solcher Grund kann unter anderem darin bestehen, dass der Kläger sein Klageziel in jeglicher Hinsicht durch den Gerichtbescheid tatsächlich für erreicht hält. In diesem Fall wäre ein dennoch von ihm gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung selbstverständlich (im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung) von vornherein mangels Beschwer unzulässig. Der Grund kann aber auch darin bestehen, dass der Kläger der Auffassung ist, der Gerichtsbescheid erschöpfe sein Klagebegehren nicht vollständig, dass er aber dennoch von einer Weiterverfolgung seines Begehrens durch Stellung eines in einem solchen Fall sicherlich nicht unzulässigen Antrags auf mündliche Verhandlung u. a. deshalb absieht, weil es ihm angesichts des Erreichten der Mühe nicht wert ist. Solche Konstellationen kann es in allen Bereichen des Verwaltungsrechts geben, auch im Asylrecht. So könnte zum Beispiel ein Asylkläger, dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, der Meinung sein, seine Klage sei darüber hinaus auch auf Anerkennung als Asylberechtigter und/oder auch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gerichtet gewesen, diese Begehren habe das Gericht aber übergangen bzw. übersehen. Darauf, ob ein in einem solchen Fall gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung im Ergebnis Erfolg haben könnte, kann es für die sich im Rahmen der Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG stellende Frage, ob eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann, nicht ankommen. Jedenfalls könnte ein von einem Kläger mit der Begründung, das Gericht habe seinem Klagebegehren nicht voll entsprochen, gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung kaum wegen fehlender Beschwer als unzulässig abgelehnt werden. Das bedeutet, dass ein Beteiligter, der durch den Gerichtsbescheid „scheinbar“ umfassend obsiegt hat, durchaus behaupten kann, zumindest teilweise unterlegen zu sein, und dass er deshalb die (Wahl-)Möglichkeit hatte, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen, um sein weitergehendes Klagebegehren auf diese Weise zu verfolgen.
Ob die Entscheidung des „scheinbar“ obsiegenden Prozessbeteiligten, von dieser Wahlmöglichkeit in der Weise Gebrauch zu machen, dass er von der Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung abgesehen hat, auf den vorstehenden Erwägungen beruht, wird sich im weiteren Verlauf allenfalls im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zeigen. Dort besteht aber realistischerweise keine Möglichkeit mehr, die Frage, ob diese Erwägungen wirklich der Grund für das Absehen von einem Antrag auf mündliche Verhandlung waren, zu klären. Denn diese Erwägungen wurzeln allein in der subjektiven Entscheidungsfindung des Prozessbeteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten, der die Terminsgebühr gemäß der Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG beantragt. Darüber hinaus soll das Kostenfestsetzungsverfahren mit derart schwierigen und kontroversen Fragen nicht belastet werden. Es ist erklärtes Ziel des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, mit dem die Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG neu gefasst wurde, „die Kostenregelungen für die freiwillige Gerichtsbarkeit, für Notarinnen und Notare sowie für die Justizverwaltung transparenter und einfacher“ zu gestalten (so BT-Drs. 17/11471 [neu], S. 1). Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11471 [neu], S. 133): „Der Entwurf (Ergänzung des Verf.: dieses Gesetzes) ist somit ein wesentlicher Teil der Kostenstrukturreform, deren wichtigstes Ziel die Vereinfachung des Kostenrechts ist. Hierdurch sollen die Gerichte so weit wie möglich von der sehr umfangreich gewordenen Kostenrechtsprechung entlastet werden.“ Diesem gesetzgeberischen Ziel liefe es zuwider, die Frage der fehlenden Beschwer für einen hypothetischen, letztlich nicht gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären.
Soweit den vorstehenden Überlegungen entgegengehalten werden kann, die Figur des „lediglich scheinbar obsiegenden Prozessbeteiligten“ sei lebensfremd und sie eröffne dem (Gebühren-)Missbrauch Tür und Tor, sei darauf hingewiesen, dass es gerade im schriftlichen Verfahren wie dem Gerichtsbescheidsverfahren häufig - auch im Fall der Vertretung durch einen Rechtsanwalt - darauf ankommt, das wirkliche (subjektive) Klagebegehren durch Auslegung zu ermitteln, und dass auch ausdrücklich gestellte Klageanträge vom Gericht sachdienlich ausgelegt werden müssen (vgl. §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO; siehe u. a. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 88 Rn. 3 f., m.w.N.). In diesen Fällen ist die Möglichkeit, dass das Gericht das wirkliche Klageziel eines Prozessbeteiligten nur unzureichend ermittelt hat, nicht von der Hand zu weisen. Abgesehen davon wird es im Kostenfestsetzungsverfahren kaum möglich sein, einem Rechtsanwalt, der seinen Anspruch auf eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG in der oben dargestellten Weise begründet, Rechtsmissbrauch nachzuweisen.
Ob die Terminsgebühr gemäß Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG darüber hinaus auch dann zuzusprechen ist, wenn man den Antrag eines „scheinbar“ obsiegenden Prozessbeteiligten auf mündliche Verhandlung für unzulässig hält, weil ihm die erforderliche Beschwer fehle (so ganz aktuell VG Freiburg, Beschl. v. 18.02.2019 - A 4 K 276/19 -), kann hiernach dahingestellt bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Asylverfahren nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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