Beschluss vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 11 L 1752/14
Tenor
1. Der Antrag, der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin U. aus I. zu bewilligen, wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt
1
Gründe:
2I.
3Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114, § 115 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachfolgenden Gründen zu II. keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
4II.
5Der (sinngemäße) Antrag,
6die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, für den vollstationären Aufenthalt der Antragstellerin im F. Pflegezentrum in S. seit dem 5. September 2012 vorläufig Pflegewohngeld zu bewilligen,
7hat keinen Erfolg.
8Hinsichtlich des Zeitraums vom 5. September 2012 bis zum 2. Oktober 2012 ist der Antrag schon deshalb unzulässig, weil sich die Antragstellerin in einer Kurzzeitpflegemaßnahme befand, für die kein Anspruch auf Pflegewohngeld besteht. Vielmehr wird Kurzzeitpflegeeinrichtungen nach § 11 des damals noch geltenden Landespflegegesetzes NRW (PfG NRW) auf Antrag ein bewohnerorientierter Aufwendungszuschuss zur Finanzierung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen gewährt. Der entsprechende Anspruch kann nur durch die Pflegeeinrichtung geltend gemacht werden.
9Im Übrigen mag dahinstehen, ob im Wege der einstweiligen Anordnung in zulässiger Weise auch die Übernahme der kompletten Zahlungsrückstände verfolgt werden kann. Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
10Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Erforderlich ist die Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsanspruches als auch eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).
11Dabei soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden, wie es hier im Regelungszeitraum der Fall wäre. Wegen des Gebots des Art. 19 Abs. 4 GG, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, kommt allerdings eine Ausnahme von diesem Grundsatz in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
12Vgl. OVG NRW, zuletzt Beschluss vom 15. Januar 2014 – 12 B 1478/13 –, juris, m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, juris, m. w. N.
13Ein unzumutbarer Nachteil in diesem Sinne liegt dann vor, wenn wegen eingetretener Zahlungsrückstände der Verlust des Heimplatzes konkret droht. Dies ist nach der Rechtsprechung des OVG NRW,
14vgl. Beschluss vom 14. Juni 2012 – 12 B 433/12 –, juris; so auch LSG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 – L 20 B 51/08 SO ER –, FEVS 60, 230, juris,
15der Fall, wenn es bereits zu einer Kündigung des Heimplatzes gekommen ist.
16Einschränkend LSG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2013 – L 20 SO 447/13 B ER –, juris, jedenfalls wenn seit der Kündigung mehrere Monate vergangen sind, ohne dass das Heim eine Räumungsklage angekündigt oder erhoben hat.
17So liegt der Fall hier, nachdem das F1. Pflege- und Betreuungszentrum S. den vorliegenden Heimvertrag mit Schreiben vom 13. November 2014 gekündigt und die Antragstellerin zur Räumung bis zum 25. November 2014 aufgefordert hat.
18Die Vorwegnahme der Hauptsache stellt aber auch gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, indem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O., m.w.N.
20Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des von der Antragstellerin klageweise verfolgten Pflegewohngeldanspruchs lässt sich indes nicht feststellen. Denn nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sprechen Gründe für einen Anspruchsausschluss wegen einzusetzenden Vermögens des Ehemannes der Antragstellerin, die jedenfalls so gewichtig sind, dass keine Rede davon sein kann, ein Klageerfolg sei hochgradig wahrscheinlich.
21Die Gewährung von Pflegewohngeld setzt nach dem bis zum 15. Oktober 2014 geltenden § 12 Abs. 3 Satz 1 PflG NRW voraus, dass das Einkommen und das Vermögen des Heimbewohners im Sinne des Absatzes 2 und seines nicht getrennt lebenden Ehegatten zur Finanzierung der Aufwendungen für Investitionskosten ganz oder teilweise nicht ausreicht (Satz 1). Für die Folgezeit enthält § 14 Abs. 1 Satz 1 des am 16. Oktober 2014 in Kraft getretenen Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen (APG NRW) eine entsprechende Regelung. Die Vorschriften des Ersten bis Dritten Abschnitts des Elften Kapitels des SGB XII und die §§ 25 ff. BVG (so § 12 Abs. 3 Satz 2 PfG NRW) bzw. § 25 bis 27 j BVG (so § 14 Abs. 3Satz 1 APG NRW) zur Bestimmung des anrechenbaren Einkommens und des Vermögens bei der stationären Hilfe zur Pflege gelten entsprechend. Die Gewährung von Pflegewohngeld darf zudem nicht abhängig gemacht werden von dem Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge und sonstiger Geldwerte in Höhe von bis zu 10.000 Euro (so § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW für die Zeit bis zum 15. Oktober 2014) bzw. von bis zu 15.000 € (so § 14 Abs. 3 Satz 3 APG NRW für die Zeit ab dem 16. Oktober 2014).
22Nach Maßgabe dieser Regelungen deutet viel darauf hin, dass der Ehemann der Antragstellerin als alleiniger Inhaber des u.a. anfangs verschwiegenen Sparkontos mit der Nummer 129661640 bei der Volksbank I. sowie als alleiniger Eigentümer des mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks W. . 9 in I. über einzusetzendes Vermögen verfügt, das zur Finanzierung der Aufwendungen im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 PflG NRW bzw. des § 14 Abs. 1 Satz 1 APG NRW ausreichte und weiter ausreicht. Diese Vorschriften schreiben die vollständige Zusammenrechnung des Vermögens des Heimbewohners und des Vermögens seines Ehegatten bei nicht getrennt lebenden Ehegatten zwingend vor. Allein auf dieses Gesamtvermögen ist der in § 12 Abs. 3 Satz 4 PflG NRW bzw. § 14 Abs. 3 Satz 3 APG NRW festgelegte, ungeteilte Vermögensschonbetrag von 10.000 Euro bzw. 15.000 € in Anrechnung zu bringen,
23vgl. die ständige Rechtsprechung des OVG NRW zu § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW, zuletzt Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O, m.w.N.
24Der Umstand, dass die Antragstellerin schon seit geraumer Zeit in einem Pflegeheim lebt, führt nicht zu einem Getrenntleben der Eheleute. Denn die Tatsache der Unterbringung eines Ehegatten in einem Heim reicht allein für die Bejahung eines Getrenntlebens nicht aus, auch wenn die Unterbringung nicht nur vorübergehend ist. Für die Annahme eines Getrenntlebens ist vielmehr Voraussetzung, dass mindestens ein Ehegatte den Willen hat, sich vom anderen Ehegatten unter Aufgabe der bisherigen Lebensgemeinschaft auf Dauer zu trennen, wobei der Trennungswille nach außen erkennbar sein muss,
25vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. März 2006 – 5 B 97.05 –, juris; Urteil vom 26. Januar 1995 – 5 C 8.93 –, BVerwGE 97, 344, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Januar 2014, a.a.O., 28. Januar 2011 - 12 A 2782/10 -, juris, und vom 27. Dezember 2010 – 12 A 2494/10 – , juris; LSG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2007 – L 20 B 37/07 SO ER –, FEVS 59, 42, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. März 2013 – 11 K 3672/12 –, juris,
26Mit Blick auf die Darlegungen des Antragsgegners ist festzuhalten, dass die Annahme eines derartigen Trennungswillens gerade nicht voraussetzt, dass die Eheleute keinerlei Kontakt mehr zueinander haben,
27vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1995, a.a.O.
28Hiervon ausgehend lässt sich ein Getrenntleben der Eheleute für die Zeit seit der Heimaufnahme der Antragstellerin im Oktober 2012 nicht bzw. nicht hinreichend sicher feststellen.
29Gegen eine Trennung der Eheleute vor oder im Zusammenhang mit der Heimaufnahme der Antragstellerin spricht vielmehr, dass sich jedenfalls bis Februar 2013 weder die Antragstellerin noch ihr Ehemann auf eine vermeintliche Trennung berufen hätten. Im Gegenteil ist seit der Geltendmachung eines Pflegewohngeldanspruchs bzw. eines sozialhilferechtlichen Bedarfs auch für die Kurzzeitpflegemaßnahme der Antragstellerin Anfang September 2012 kommentarlos zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eheleute insgesamt vorgetragen worden. Insbesondere sind Unterlagen zu den Konten des Ehemannes der Antragstellerin sowie zu dessen Grundeigentum vorgelegt worden und sind Anträge und Erklärungen von diesem unterzeichnet worden, ohne dass eine angebliche Trennung auch nur angesprochen worden wäre. Dies spricht nach außen erkennbar eindeutig gegen eine Trennung der Eheleute zum damaligen Zeitpunkt. Auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 5. Februar 2013, mit dem der Antrag auf Hilfe zur Pflege zwar wegen einzusetzenden Grundvermögens des Ehemannes der Antragstellerin abgelehnt, unter der Bedingung der Bestellung einer Grundschuld aber ein Darlehen über 56.000 € bewilligt worden ist, hat die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte lediglich darauf hinweisen lassen, dass die Eheleute räumlich getrennt leben würden, so dass fraglich sei, ob noch eine Bedarfsgemeinschaft bestehe. Die durch die Heimaufnahme bedingte räumliche Trennung der Eheleute rechtfertigt aber – wie bereits oben dargelegt – allein gerade nicht die Annahme eines Getrenntlebens im Rechtssinne. Soweit die Prozessbevollmächtigte auch für den Ehemann der Antragstellerin Widerspruch gegen den genannten Bescheid erhoben und vorgetragen hat, dass dieser nicht mehr mit der Antragstellerin zusammenlebe und daher das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zu prüfen sei, ist dies im Kontext mit dem Widerspruch der Antragstellerin zu sehen und enthält ebenfalls nicht einmal eine klare Aussage zu einem Getrenntleben.
30Im zugehörigen Klageverfahren 11 K 1952/13 ist mit Schriftsatz vom 12. April 2013 schließlich vorgetragen worden, dass die Antragstellerin zurzeit nicht mehr mit ihrem Ehemann zusammenlebe und bereits vor der Heimaufnahme beabsichtigt habe, wieder in ihre alte Heimat auf den Philippinen zurückzukehren. Daher seien Pass und Flugtickets besorgt worden. Allein aus gesundheitlichen Gründen seien die Tickets nicht genutzt worden. Im Falle der Besserung ihrer gesundheitlichen Situation werde sie zu ihrer Familie auf den Philippinen ziehen. Auch dieser Vortrag gibt keinen hinreichenden Anlass, von einem Getrenntleben im oben genannten Sinne auszugehen. Denn tatsächlich ist es nicht zu einer Rückkehr der Antragstellerin auf die Philippinen gekommen und haben sich weder die Antragstellerin noch ihr Ehemann im Zusammenhang mit dem Bezug öffentlicher Mittel, der Stornierung der Flüge und der Heimaufnahme auf eine Trennung berufen oder in irgendeiner Weise dokumentiert, dass sie die eheliche Lebensgemeinschaft auf Dauer aufgehoben hätten. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht nachvollziehbar, dass der Ehemann der Antragstellerin in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 4. November 2014 ausgeführt hat, dass er und seine Ehefrau sich bereits vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit seiner Frau entschieden hätten, sich zu trennen. Ein solcher Trennungswille ist jedenfalls nicht eindeutig nach außen dokumentiert worden bzw. es ist nicht erkennbar, dass eine tatsächliche Umsetzung dieser angeblichen Entscheidung erfolgt wäre, unabhängig von der Frage, wann denn diese Entscheidung getroffen worden sein soll und der weiteren Frage, ob die Antragstellerin angesichts ihrer schweren psychischen Erkrankung zu einer solchen selbstbestimmten Entscheidung noch in der Lage gewesen ist. Im Übrigen ist es wenig nachvollziehbar, dass auch für die Antragstellerin ein Rückflugticket gebucht worden ist, wenn denn tatsächlich schon festgeständen hätte, dass sie nicht mit nach Deutschland hätte zurückkehren wollen. Der durch nichts belegte, wenn auch eidesstattlich versicherte Vortrag des Ehemannes hierzu, dass ein Hin- und Rückflugticket billiger gewesen sei als ein reines Hinflugticket ist in diesem Zusammenhang wenig glaubhaft, wobei dies letztlich im vorliegenden Eilverfahren dahinstehen mag. Nach seitens des Gerichts durchgeführten Abfragen auf einschlägigen online-Portalen waren Hinflugtickets jedenfalls immer deutlich billiger als Hin- und Rückflugtickets.
31Insgesamt kann nach den die Beziehung der Antragstellerin und ihres Ehemannes kennzeichnenden Umständen nicht hinreichend sicher von einer dauerhaften Trennung der Eheleute ausgegangen werden. Dass die Antragstellerin bzw. ihr Ehemann gegenüber einzelnen Personen geäußert haben soll, dass die Antragstellerin auf die Philippinen zurückkehren wolle, vermag an dieser Einschätzung schon angesichts der tatsächlich nicht erfolgten Rückkehr und einer im Übrigen in keiner Weise bekundeten, tatsächlich erfolgten Trennung nichts zu ändern. Auch bis heute fehlen eindeutige Erklärungen dazu, dass sich die Eheleute getrennt hätten.
32Kommt es damit aller Wahrscheinlichkeit nach während des gesamten hier in Rede stehenden Zeitraums auf die Vermögensverhältnisse der Eheleute insgesamt an, so stand einer Pflegewohngeldbewilligung bis zum 3. Dezember 2012 schon das ursprünglich auf dem Sparkonto des Ehemannes bei der Volksbank I. vorhandene Guthaben von 20.604,41 € entgegen. Erst nachdem der Ehemann hiervon letztlich am 20. November 2012 10.000 € auf sein Darlehenskonto bei der Sparkasse I. eingezahlt, mithin eine Sondertilgung vorgenommen hat, und am 3. Dezember 2012 weitere 5.070,34 € für zu Unrecht bezogene ALGII-Leistungen zurückgezahlt hat, dürfte der damals geltenden Vermögensschonbetrag für Eheleute von 10.000 € unterschritten worden sein. Im Hinblick auf den Vortrag der Antragstellerin ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass es grundsätzlich auf die tatsächlich vorhandenen und tatsächlich verwertbaren Vermögenswerte ohne Rücksicht darauf ankommt, ob ihnen Schulden oder Verpflichtungen des Hilfebedürftigen gegenüberstehen. Eine Berücksichtigung von Verbindlichkeiten durch Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva findet insoweit nicht statt.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Mai 2008 – 16 A 601/08 –, NWVBl. 2009, 29 f.; Beschluss vom 22. März 2011 – 12 A 2494/10 –, juris.
34Für die Folgezeit deutet einiges darauf hin, dass das Hausgrundstück der Ehemannes der Antragstellerin nicht angemessen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII und deshalb nach § 12 Abs. 3 Satz 2 PflG NRW bzw. § 14 Abs. 3 Satz 1 APG NRW i.V.m. § 90 Abs. 1 SGB XII als – den Schonbetrag im Wert weit übersteigendes – Vermögen einzusetzen bzw. zu verwerten sein könnte.
35Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 PflG NRW bzw. § 14 Abs. 3 Satz 1 APG NRW i. V. m. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII darf die Gewährung von Pflegewohngeld nicht abhängig gemacht werden von dem Einsatz oder der Verwertung eines angemessenen, selbstgenutzten Hausgrundstücks. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (z.B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes. Die Prüfung der Angemessenheit des Hausgrundstücks erfolgt in Anwendung der sog. Kombinationstheorie.
36Vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 7/08 R -, NVwZ-RR 2010, 152, juris; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1991 - 5 C 53/86 -, BVerwGE 87, 278, juris; Urteil vom 17. Januar 1980 - 5 C 48/78 -, BVerwGE 59, 294, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Januar 2014, a.a.O., und vom 12. September 2011 - 12 A 199/11 -, juris; Urteil vom 28. August 1997 - 8 A 631/95 -, NVwZ-RR 1998, 503, juris; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 90 Rn. 48 und 54.
37Danach ist die Angemessenheit nach Maßgabe und Würdigung aller in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII bezeichneten personen-, sach- und wertbezogenen Kriterien zu beurteilen.
38Ausgehend von diesen Grundsätzen ist zunächst festzustellen, dass die vom Antragsgegner im Rahmen der vereinfachten Grundstückswertermittlung vom 27. Juni 2014 zugrunde gelegte Wohnfläche von insgesamt rund 109 qm der hier in Rede stehenden Doppelhaushälfte nicht unbeträchtlich über den bestehenden Bedarf hinausgehen dürfte.
39Bei der Ermittlung des konkreten Wohnbedarfs ist es sachgerecht, sich an den für den öffentlich geförderten Wohnungsbau geltenden Wohnflächenobergrenzen des - außer Kraft getretenen - § 39 II. WoBauG mit hier 130 qm für ein Familienheim zu orientieren und von dieser an einem Vierpersonenhaushalt ausgerichteten Wohnfläche bei geringerer Bewohnerzahl einen Abschlag von je 20 qm pro Person bis zu einer Belegung des Hauses mit zwei Personen vorzunehmen. Diese Vorgehensweise entspricht den in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Grundsätzen zu den §§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XIII und 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II.
40Vgl. BSG, Urteile vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 7/08 R -, NVwZ-RR 2010, 152, juris, vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 34/06 R -, juris, und vom 7. November 2006 - B 7b AS 2/05R -, juris,
41Diese Grundsätze sind auch bei der entsprechenden Anwendung des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII im Pflegewohngeldrecht anzuwenden,
42vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Januar 2014, a.a.O. und vom 12. September 2011, a.a.O, m.w.N.
43Ist weiter von einer (ausschließlich) selbstgenutzten Doppelhaushälfte auszugehen, die (nur) von dem Ehemann der Antragstellerin bewohnt wird, so ergibt sich für diesen ein Wohnflächenbedarf von 90 qm, der nach den tatsächlichen Verhältnissen um rund 19 qm - also immerhin um mehr als 20 % der Bedarfsfläche - überschritten wird.
44Auch die angegebene Grundstückgröße von 700 qm spricht recht eindeutig für eine Unangemessenheit des Hausgrundstücks. In der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur werden folgende Grundstücksgrößen typisierend als angemessen angesehen: bei einem Reihenhaus bis zu 250 qm, bei einer Doppelhaushälfte oder einem Reihenendhaus bis zu 350 qm und bei einem freistehenden Haus bis zu 500 qm,
45vgl. LSG NRW, Beschluss vom 9. Oktober 2007 - L 20 B 114/07 SO ER -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2008 - 16 E 3100/07 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 2010 - 21 K 7827/09 - NRWE.; VG Münster, Urteil vom 6. Februar 2007 - 5 K 1008/05 -, juris; W. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII - Sozialhilfe, 18. Aufl. 2010, § 90 SGB XII Rdnr. 77 m.w.N.
46Hierbei handelt es sich allerdings nicht um starre Obergrenzen. Vielmehr sind insbesondere die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, was zur Folge hat, dass etwa im ländlichen Raum, wo größere bebaute Grundstücke anzutreffen sind als im innerstädtischen Bereich, eher größere, in Innenstadtlagen dagegen eher kleinere Grundstücke als angemessen gelten können.
47Eine Grundstücksfläche von 700 qm für eine Doppelhaushälfte dürfte den Rahmen der Angemessenheit indessen in jedem Fall übersteigen.
48Ob auch der Wert der Immobilie unangemessen hoch ist, lässt sich vorliegend nicht feststellen. Dies kann aber dahinstehen. Es ist weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass - die Angemessenheit des Werts des Grundstücks unterstellt - das Hausgrundstück bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Kriterien mit Blick auf die Unangemessenheit der Wohnungsgröße und der Grundstücksgröße insgesamt noch als angemessen anzusehen ist. Aus der Rechtsprechung des LSG NRW,
49vgl. Urteil vom 5. Mai 2014 – L 20 SO 58/13 –, juris,
50wonach bei einem selbst genutzten Einfamilienhaus die angemessene Wohnfläche vom 90 qm um bis zu einem Drittel überschritten werden kann, wenn das Haus nach sonstigen Kriterien angemessen ist, ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil vorliegend gerade auch die Grundstücksfläche unangemessen ist.
51Einem Einsatz bzw. einer Verwertung des Vermögens dürfte auch nicht die von der Antragstellerin geltend gemachte Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entgegenstehen. Nach dieser hier entsprechend heranzuziehenden Vorschrift darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist nach Satz 2 der Regelung bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.
52Die Härtefallregelung erfasst atypische Fälle, bei denen auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls der Vermögenseinsatz die Betroffenen ganz oder jedenfalls teilweise unbillig belasten und den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Leitvorstellungen des Gesetzgebers nicht gerecht würde.
53Vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 7/08 R -, NVwZ-RR 2010, 152, juris, m. w. N.
54Dass der Ehemann der Antragstellerin in seinem Hausgrundstück eine Alterssicherung sieht, begründet allein keine Härte i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII. Denn es fehlt schon jeglicher Vortrag dazu, wie sich seine zukünftige Alterssicherung derzeit darstellt – er angesichts seiner wohl schon seit einigen Jahren bestehenden Erwerbslosigkeit etwa überhaupt ohne Bezug öffentlicher Mittel wird leben und das Haus wird unterhalten können bzw. welche Rentenansprüche bestehen– und damit dazu, ob eine Alterssicherung im Falle des Hausverkaufs und der Verwendung jedenfalls eines Großteils des Verwertungserlöses wesentlich erschwert würde.
55Insgesamt sind unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerseite keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich, die der Antragstellerin und ihrem Ehemann im Hinblick auf die Verwertung der Doppelhaushälfte ein größeres Opfer abverlangen würden, als die stets mit der Vermögensverwertung einhergehende Härte. Dass dem Ehemann anscheinend bislang durch das jobcenter des Kreises S. ALGII-Leistungen bewilligt worden sind, steht dem nicht entgegen, weil hier nicht ersichtlich ist, warum von dort aus unter Berücksichtigung des § 90 SGB XII nicht der Einsatz der Immobilie verlangt wird und die dortige Wertung für das Gericht zudem keine durchgreifende Relevanz hat.
56Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
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