Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 5 K 3882/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheides – beschränkt auf die Zulässigkeit nach Art der baulichen Nutzung unter Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme – für die Errichtung eines Lebensmittel-Discounters mit einer Verkaufsfläche von 1.300 m² (Vorhaben).
3Das Vorhaben soll auf den an der Vierhausstraße gelegenen Grundstücken Gemarkung H. , Flur xx, Flurstücke xxx und xxx (W.-------straße xxx, xxxx C. ) errichtet werden (Vorhabengrundstücke). Auf dem Flurstück xxx befindet sich bereits ein Lebensmittel-Discounter der Klägerin mit einer zuletzt im Jahr 2011 genehmigten Verkaufsfläche von 793,5 m² (vgl. Beiakte–Heft 6). Das Flurstück xxx ist derzeit mit einer leerstehenden Lagerhalle eines ehemaligen holzverarbeitenden Betriebs bebaut. Die W.-------straße beginnt im Westen an der I. Straße und reicht im Osten bis zur C1. Straße. Nahe der Kreuzung I. Straße und W.-------straße befinden sich auf den Flurstücken xxx und xxx ein Blumen- und Gartenhandel mit einer genehmigten Verkaufsfläche von 1.230,40 m² (vgl. Beiakte–Heft 16) sowie ein Kfz-Sachverständigenbüro inklusive einer TÜV-Station für Kraftfahrzeuge. Die Grundstücke südlich der W.-------straße , einschließlich der Vorhabengrundstücke, grenzen in südlicher Richtung an die A40. Im Übrigen befinden sich südlich entlang des weiteren Verlaufs W.-------straße in Richtung Osten neben Wohngebäuden unter anderem ein Fachhandel für Sport- und Fitnessgeräte, ein Hersteller für Meß- und Regeltechnik sowie das Kupplungen produzierende Gewerbe der Firma „S. “. Nördlich der W.-------straße befinden sich Wohngebäude sowie insbesondere eine Brillenglasmanufaktur, ein Industrieanlagenanbieter und ein Teil des bereits südlich der W.-------straße errichteten Kupplungsbetriebs.
4Für das Gebiet südlich der W.-------straße zwischen W1. -F. -F1. -Straße bis C2.---straße wurde am 23. August 2005 ein Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. xxx – W.-------straße – erlassen, der am 29. September 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekanntgemacht wurde. Ziel des Bebauungsplanes ist die Sicherung von Flächen für Gewerbe und Dienstleistung unter Berücksichtigung der vorhandenen Wohnbebauung, die weitere Ansiedlung von Einzelhandel zu unterbinden und der Ausschluss von Vergnügungsstätten und Betrieben mit sexuellen Darbietungen bzw. Dienstleistungen.
5Am 11. August 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung eines Lebensmittel-Discounters für die Vorhabengrundstücke. Die genaue Fragestellung lautete: „Ist ein Lebensmittel-Discounter mit einer Verkaufsfläche von 1.300 m² unter Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme nach Art der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig?“ (Bl. 48 Beiakte–Heft 10). Dem Antragsformular fügte die Klägerin einen Auszug aus dem Liegenschaftskataster bei. Mit Bescheid vom 5. Juli 2018 lehnte die Beklagte die Erteilung des Vorbescheids nach vorheriger Anhörung ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, es sei bereits unklar, ob das Vorhaben anstelle oder neben den bereits auf den Vorhabengrundstücken errichteten Anlagen realisiert werden solle. Im Übrigen sei das Vorhaben deshalb unzulässig, weil es sich zum einen mangels eines anderen großflächigen Einzelhandelsbetriebes nicht in die als Gemengelage zu qualifizierende Eigenart der näheren Umgebung einfüge und zum anderen den Zielsetzungen des Bebauungsplans Nr. 841 respektive dem Masterplan Einzelhandel widerspreche. Der Bescheid wurde der Klägerin am 10. Juli 2018 zugestellt.
6Die Klägerin hat am 24. Juli 2018 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Bauvoranfrage sei zunächst bescheidungsfähig. Es sei in der Rechtsprechung geklärt, dass für die Beantwortung der hier gestellten Frage die Vorlage eines Auszugs aus dem Liegenschaftskataster genüge. Insoweit spiele es auch für die Bescheidung der Bauvoranfrage keine Rolle, ob das Vorhaben durch Abriss des bestehenden Marktes und Neuerrichtung oder durch entsprechende bauliche Erweiterung realisiert werden solle. Im Übrigen sei das Vorhaben nach der Art seiner baulichen Nutzung zulässig, da es sich in die als Gemengelage zu qualifizierende nähere Umgebung einfüge. Denn mit dem auf dem Flurstück xxx bereits errichteten „H1. Laden“ existiere bereits ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb, der als Vorbild fungiere. Dieser sei auch zur näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke zu zählen, weil er mit diesen in prägender Wechselwirkung stünde. Zwar liege das Flurstück xxx in nicht unerheblicher Entfernung zu den Vorhabengrundstücken, so dass es auch an einer Sichtbeziehung mangele. Diese Aspekte seien aber keine absoluten Kriterien für die Bestimmung der näheren Umgebung, die sich letztendlich allein anhand der konkreten Einzelfallumstände ermitteln ließe. Der „H2. Laden“ sei insoweit deshalb für die Vorhabengrundstücke prägend, weil zwischen ihnen zunächst keine künstliche oder natürliche Trennung mit bodenrechtlicher Wirkung bestünde. Die Grünflächen westlich der „W1. -F. -F1. -Straße“ würden durch die vorhandenen Autobahnzufahrten in solch kleine Teile mit einer maximalen Breite von 70 Metern zerlegt, dass sie allenfalls als Baulücken zu qualifizieren seien. Zudem sei die Siedlungsstruktur östlich der I. Straße – südlich der die W.-------straße verlängernden Q.---straße – mangels vorhandener Einzelhandelsbetriebe gänzlich eine andere als die Siedlungsstruktur östlich der I. Straße, die unter Einschluss des Flurstücks xxx der Siedlungsstruktur (südlich) der W.-------straße gleichkomme. Schließlich sei die prägende Wirkung des Flurstücks 644 auf die Vorhabengrundstücke mit den jeweils wechselseitig entstehenden verkehrsbezogenen Emissionen anzunehmen. Aber selbst wenn man ein Einfügen des Vorhabens verneinen würde, wäre im vorliegenden Fall eine Abweichung zuzulassen, da das Vorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche habe, wie ein entsprechendes Gutachten belegen könne.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 5. Juli 2018 (Az.: 22-VB-007016) zu verpflichten, der Klägerin den mit Formularantrag vom 3. August 2017 beantragten bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Lebensmittel-Discounters mit einer Verkaufsfläche von 1.300 m² auf dem Grundstück Gemarkung H. , Flur xx, Flurstücke xxx und xxx (W.-------straße xxx, xxxx C. ) zu erteilen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, das Vorhaben füge sich nicht hinsichtlich der Art seiner baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein. Zwar bilde die nähere Umgebung tatsächlich eine Gemengelage, für das Vorhaben lasse sich in ihr aber kein Vorbild finden, da der „H2. Laden“ als einzig in Betracht kommendes Vorbild auf dem Flurstück xxx nicht mehr zur näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke zu zählen sei. Es fehle nicht nur an Blickbeziehungen zwischen ihm und Vorhabengrundstücken, sondern eine eventuelle prägende Wirkung werde durch die Maschinenfabrik „S. “ unterbrochen. Der jeweilige An- und Abfahrtsverkehr entfalte ebenfalls keine prägende Wirkung. Dass die beiden Anlagen möglicherweise voneinander profitierten, sei ohne Relevanz. Eine Abweichung vom Gebot des Einfügens sei nicht legitim, da das Vorhaben Vorbildwirkung entfalte und die Umstrukturierung des betroffenen Gebietes einleiten könnte, was letztlich einen erheblichen Kompensationsbedarf auslöse.
12Die Örtlichkeiten sind vom Berichterstatter zusammen mit den Beteiligten am 26. Oktober 2021 in Augenschein genommen worden. Für Einzelheiten wird auf die angefertigten Lichtbilder verwiesen. Für weitere Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakte verwiesen.
13Entscheidungsgründe:
14Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene, Klage hat keinen Erfolg. Die mit Bescheid vom 5. Juli 2018 erfolgte Ablehnung der Erteilung des von der Klägerin begehrten Bauvorbescheides durch die Beklagte ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin auch nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
15Die Klägerin hat nämlich keinen Anspruch auf entsprechende Erteilung.
16Ein solcher Anspruch besteht nach § 71 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit §§ 69, 75 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der hier maßgeblichen bis zum 1. Januar 2019 geltenden Fassung (BauO NRW) dann, wenn unter Zugrundelegung eines vollständigen und hinreichend bestimmten Antrages dem genehmigungspflichtigen Vorhaben in Bezug auf die vom jeweiligen Antragsteller zuvor genau angegebene Fragestellung keine öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen. Dies ist hier nicht der Fall. Der Bauantrag ist zwar bescheidungsfähig (dazu I.). Dem Vorhaben stehen aber jedenfalls die von der konkreten Fragestellung umfassten öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen (dazu II.).
17I.
18Der Bauantrag ist gemäß § 71 Abs. 2 in Verbindung mit § 69 BauO NRW in Verbindung mit § 16 Satz 1 der Bauprüfverordnung (BauPrüfVO) vollständig und im Übrigen hinreichend bestimmt. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheides – wie hier – ausschließlich auf die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung unter Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme beschränkt werden kann.
19Vgl. nur Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 31. Oktober 2012 – 10 A 912/11 –, juris.
20Bei einer solchen Fragestellung genügt es nach § 16 Satz 1 BauPrüfVO, wonach bei einem Bauvorbescheid nur die für die Beantwortung der gewählten Fragestellung notwendigen Unterlagen erforderlich sind, einen Auszug aus dem Liegenschaftskataster als Bauvorlage einzureichen.
21Auf die wohl zwischen den Senaten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen umstrittene Frage, ob darüber hinaus zwingend Angaben zur Kostenermittlung erforderlich sind,
22bejahend: OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 2017 – 7 A 1397/15 –, juris, Rn. 113 ff., und vom 6. März 2014 - 7 A 590/12 –, juris, Rn. 52 ff.; konkludent verneinend: OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 10 A 655/14 –, juris, Rn. 39, offen lassend: OVG NRW, Urteil vom 2. März 2020 – 10 A 1136/18 –, juris, Rn. 36,
23kommt es nicht an, weil die Klägerin eine entsprechende und nach Auffassung der Kammer auch erforderliche Kostenermittlung in der mündlichen Verhandlung nachgereicht hat. Wird ein ggf. unvollständiger Bauantrag im Laufe des Klageverfahrens vervollständigt, ist dies vom Gericht auch zu berücksichtigen.
24Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2017 - 7 A 1397/15 -, juris, Rn. 42.
25Soweit die Beklagte wenigstens im Ablehnungsbescheid die Unbestimmtheit des Bauantrags andeutet, weil nicht erkennbar sei, ob für das Vorhaben die bestehenden Anlagen beseitigt würden oder ob das Vorhaben zusätzlich errichtet werden soll, kann dem nicht gefolgt werden. Weil nach den dargestellten Maßstäben für die Erteilung eines Bauvorbescheides lediglich dasjenige erforderlich ist, das für die konkret beabsichtigte Prüfung von Relevanz ist, wird ein Antrag auf Bauvorbescheid bei fehlenden Informationen erst dann unbestimmt und nicht bescheidungsfähig, wenn die Beantwortung der gestellten Frage von diesen Angaben abhängig ist, also das Ergebnis der Prüfung je nach Angabe anders auszufallen vermag. Ansonsten begründet ein Spielraum für den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung keineswegs die fehlende Bescheidungsfähigkeit des Antrags auf einen Bauvorbescheid.
26Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 3. April 1987 – 4 C 41.84 –, juris; OVG NRW, Urteile vom 27. November 2018 – 2 A 2973/15 –, juris, und vom 29. Oktober 2018 – 10 A 1403/16 –, juris.
27Demnach führt die fehlende Information zu dem „Wie“ der Realisierung des Vorhabens nicht zur Unbestimmtheit der Bauvoranfrage. Die von der Klägerin konkret eingegrenzte Fragestellung zielt ausschließlich auf die allgemeine Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nach der Art seiner baulichen Nutzung ab. Einzelfallbezogene Umstände der Ausgestaltung des Vorhabens sind gerade ausgeklammert worden und müssen einem möglichen Baugenehmigungsverfahren vorbehalten bleiben. Ob das Vorhaben anstelle der bisher errichteten Anlagen realisiert werden soll, hat gerade keine Auswirkungen darauf, ob ein Lebensmittel-Discounter mit einer Verkaufsfläche von 1.300 m² allgemein nach seiner Art bauplanungsrechtlich zulässig ist.
28II.
29Dem Vorhaben stehen aber in Bezug auf die von der Klägerin konkretisierte Fragestellung öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen. Die Errichtung eines Lebensmittel-Discounters mit einer Verkaufsfläche von 1.300 m² ist nämlich – unter Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme – nach der Art seiner baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich unzulässig. Der erforderliche Maßstab ergibt sich dabei aus § 34 Abs. 1 Satz 1 des Baugesetzbuches (BauGB; dazu 1.). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs erweist sich das Vorhaben als nicht zulässig (dazu 2.).
301.
31Der Zulässigkeitsmaßstab für das streitgegenständliche Vorhaben nach der Art seiner baulichen Nutzung ergibt aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
32a)
33Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bemisst sich zunächst nach § 34 BauGB, weil ein Bebauungsplan fehlt. Zwar existiert ein Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 841 aus dem Jahre 2005. Ein endgültiger Beschluss der Beklagten über den Bebauungsplan fehlt aber. Insoweit ist es entgegen der Ansicht der Beklagten ohne rechtliche Relevanz, ob das Vorhaben den Zielsetzungen des beabsichtigten Bebauungsplans widerspricht, zumal die Beklagten von den ihr zur Verfügung stehenden Sicherungsinstrumenten (etwa einer Veränderungssperre) keinen Gebrauch gemacht hat. Dass das Vorhabengrundstück in einem für die Anwendbarkeit des § 34 BauGB erforderlichen im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, ist offenkundig und bedarf keiner weiteren Erörterung.
34b)
35Der Zulässigkeitsmaßstab für das Vorhaben findet sich weiter in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Zwar beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß der speziellen Vorschrift des § 34 Abs. 2 BauGB nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) allgemein zulässig wäre. Dies gilt aber ausweislich des Wortlautes nur dann, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht. Dem ist hier aber nicht so. Die nähere Umgebung kann keinem der Gebiete der BauNVO zugeordnet werden.
36aa)
37Die nähere Umgebung der Vorhabengrundstücke ist wie folgt zu bestimmen: Sie reicht so weit, wie vorhandene Anlagen sowohl prägende Wirkung auf das Vorhabengrundstück entfalten als auch umgekehrt das Vorhabengrundstück zumindest städtebaulichen Einfluss auf die Anlagen in der Umgebung hat.
38Dabei darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.
39Vgl. BVerwG, Urteile 8. Dezember 2016 – 4 C 7.15 –, juris, vom 18. Oktober 1974 – IV C 77.73 –, juris, und vom 26. Mai 1978 – IV C 9.77 –, juris.
40Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist.
41Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. August 2003 – 4 B 74.03 –, juris, und vom 10. Juni 1991 – 4 B 88.91 –, juris.
42Dabei ist die nähere Umgebung für das Merkmal der Art der baulichen Nutzung gesondert und unabhängig von den übrigen Merkmalen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (Maß der baulichen Nutzung, überbaubare Grundstücksfläche und Bauweise) zu ermitteln, weil jedes Merkmal eine Prägung mit ganz unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten kann.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 –, juris, sowie Beschlüsse vom 16. Juli 2018 – 4 B 51.17 –, juris, und vom 27. März 2018 – 4 B 60.17 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 27. November 2018 – 2 A 2973/15 –, juris.
44(1)
45Nach diesen Grundsätzen wird die nähere Umgebung des Vorhabens hier nach dem Eindruck, den der Berichterstatter von der Örtlichkeit gewonnen und der Kammer anhand der Lichtbilder und dem zur Verfügung stehenden Kartenmaterial (Google-Maps, Geoportal Ruhr) vermittelt hat, aus den Anlagen entlang der W.-------straße gebildet, wobei im Osten die C2.---straße und im Westen die Grünflächen vor den Flurstücken xxx und xxx die Grenzen bilden.
46(2)
47Dabei sind – entgegen der Auffassung der Klägerin – die nördlich an der W.-------straße gelegenen Nutzungen, einschließlich der Nutzungen entlang der S1. -I1. -Straße – ebenfalls mit zur näheren Umgebung zu zählen. Denn das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass die nördlich der W.-------straße gelegenen Anlagen das südlich der W.-------straße gelegene Vorhabengrundstück nicht zu prägen imstande wären.
48Zunächst kann der W.-------straße selbst keine trennende Wirkung zuerkannt werden, da ihre Größe und Ausgestaltung als zweispurige Verbindungsstraße gerade auch vor dem Hintergrund der nicht unerheblichen Größe insbesondere der Gewerbeanlagen entlang der W.-------straße keineswegs eine solche Dimension aufweist, als dass die nördlich gelegenen Anlagen unabhängig von den südlich errichteten Anlagen, d.h. als eigenständige Anlagen, wahrzunehmen wären. Dies ist aber der maßgebliche Aspekt für die Annahme einer straßenbedingten trennenden Wirkung.
49Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 1991 – 4 B 88.91 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 29. September 2016 – 10 A 1574/14 –, juris.
50Auch kann nicht angeführt werden, die nördlich der W.-------straße vorzufindende Siedlungsstruktur erweise sich als in erheblicher Weise different zur südlichen Struktur und sei daher nicht zur näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke zu zählen. Insoweit kann die nähere Umgebung dort enden, wo eine wechselseitige Prägung dadurch unterbunden wird, dass es sich um aneinandergrenzende verschiedene und voneinander unabhängige Bau- und Nutzungsstrukturen handelt.
51Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 – 4 B 74.03 –, juris.
52Zwar befinden sich die Gewerbeanlagen nördlich der W.-------straße anders als auf dem südlichen Abschnitt nicht in erster, sondern in zweiter Gebäudereihe. Hierbei handelt es sich aber gleichwohl nicht um einen solch gewichtigen Strukturunterschied, als dass die nördliche Siedlungsstruktur erkennbar und eindeutig als eine von ihrem südlichen Gegenüber völlig unabhängige und eigenständige Struktur wahrzunehmen wäre, zumal die Gewerbebetriebe auf der nördlichen Straßenseite gleichwohl wahrnehmbar sind. Die leicht andersartige Siedlungsstruktur vermag insoweit auch angesichts der nicht erheblichen Breite der W.-------straße nichts an der prägenden Wirkung der nördlich der W.-------straße gelegenen Anlagen und Nutzungen auf das Vorhabengrundstück nichts zu ändern. Soweit die Klägerin vorträgt, auf der nördlichen Seite der W.-------straße befände sich beinahe ausschließlich Wohnbebauung, trifft dies nicht zu. Neben einem erheblichen Teil des Betriebsgeländes der Firma „S. “ finden sich auch auf der nördlichen Abschnitt der W.-------straße mit einer Brillenglasmanufaktur und einem Industrieanlagenanbieter in nicht unwesentlichem Umfang gewerblich geprägte Betriebe, wie es auch auf dem südlichen Abschnitt der Fall ist.
53(3)
54Für das Verfahren entscheidend ist weiter, dass die nähere Umgebung entgegen der Ansicht der Klägerin in westlicher Richtung jedenfalls vor dem Flurstück xxx endet und gerade nicht bis zur I. Straße reicht. Insoweit ist auch der „H2. Laden“ auf dem Flurstück xxx nicht mit in die nähere Umgebung einzubeziehen.
55Dies beruht nach Auffassung des Gerichts auf folgenden Überlegungen: Zunächst ist eine nicht unerhebliche Entfernung zwischen den Vorhabengrundstücken und dem „H1. Laden“ entlang der W.-------straße von etwa 850 Metern festzustellen, die die Annahme einer wechselseitigen Prägewirkung deutlich in Frage stellen lässt. Insoweit sind auch keinerlei Blickbeziehungen zwischen den Grundstücken feststellbar, was nicht allein an dem Straßenverlauf, sondern vorwiegend an der erheblichen Entfernung (Luftlinie ca. 700 Meter) liegt. Soweit die Klägerin an dieser Stelle einwendet, die beiden Aspekte entfalteten keinen absoluten Charakter, seien also allein genommen kein hinreichendes Abgrenzungskriterium, mag dies zutreffen. Es ist aber keineswegs – auch nicht anhand der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung – erkennbar oder einleuchtend, dass diese Kriterien generell gar keine Beachtung zu finden hätten. Gerade im Hinblick auf die Sichtbeziehungen hat das von der Klägerin angeführte Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ausdrücklich festgehalten, dass es keinen Grundsatz gibt, Sichtbeziehungen stets als unbeachtliches Kriterium für die Bestimmung der näheren Umgebung zu qualifizieren, sondern vielmehr über den – hier entgegengesetzten – Fall entschieden, dass zwar Sichtbeziehungen vorhanden sind, diese aber zwei eigenständige, weil von unterschiedlicher Bau- und Nutzungsstruktur geprägte, Komplexe umfasst, und hierbei angenommen, dass die Verschiedenheit der Struktur gegenüber dem Vorhandensein von Sichtbeziehungen jedenfalls grundsätzlich schwerer wiegt.
56Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Mai 2017 – 2 B 145/17 –, juris.
57Insoweit hängt das Kriterium des Vorhandenseins von Sichtbeziehungen maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Es soll insoweit lediglich ausgeschlossen werden, dass die nähere Umgebung im Sinne eines Automatismus mit den Sichtbeziehungen bestimmt wird. Eine von den konkreten Umständen losgelöste ausschlaggebende Bedeutung ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil je nach Gelände, Straßenverlauf und vorhandener Bebauung selbst ein vom Vorhabengrundstück sehr weit entfernt liegendes Grundstück mit dem Auge noch wahrgenommen werden kann, während der Blick auf ein nur wenige Meter entferntes Grundstück möglicherweise durch einen Straßenknick oder ein dazwischen liegendes Gebäude verstellt ist.
58Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2018 – 10 A 793/17 –, juris.
59Der Aspekt der Sichtbeziehungen ist insoweit gewichtiger, je weniger die Gegebenheiten vor Ort ihm im Hinblick auf eine prägende Wirkung Aussagekraft zukommen lassen. Angesichts dieser Bedeutung der konkreten örtlichen Verhältnisse geht auch der Verweis der Klägerin auf gerichtliche Entscheidungen, die eine prägende Wirkung trotz fehlender Sichtbeziehungen bejahen, fehl. Vorliegend mangelt es aber gerade deshalb an Sichtbeziehungen, weil der „H2. Laden“ von den Vorhaben-grundstücken erheblich entfernt gelegen ist. Die W.-------straße weist nämlich bis kurz vor den zuerst genannten Grundstücken einen geraden Verlauf und jedenfalls kein solch ab- bzw. aufsteigendes Gelände auf, als dass Sichtbeziehungen trotz gegebenenfalls vorhandener Prägung unterbunden würden. Insoweit vermag der Aspekt der Sichtbeziehungen in dem vorliegenden Fall Relevanz zu entfalten, da er gerade Anzeichen fehlender (wechselseitiger) Auswirkungen der in Betracht genommenen Grundstücke aufeinander ist und ihm insoweit – wenn auch keine ausschlaggebende, doch hinreichende – Bedeutung zukommt.
60Darüber hinaus ist aus Sicht der Kammer für das Ausklammern des „H1. Ladens“ aus dem Bereich der näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke maßgeblich, dass den Grünflächen zwischen ihm bzw. der Nachbarbebauung und der übrigen Bebauung entlang der W.-------straße eine Zäsurwirkung zukommt. Es gilt insoweit zu berücksichtigen, dass die allein anhand des Einzelfalls zu beantwortende Frage, wie weit die nähere Umgebung eines Vorhabengrundstücks reicht, auch anhand topographischer Begebenheiten beantwortet werden kann. Insoweit können die zur Feststellung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles in Bezug auf topographische Besonderheiten entwickelten Grundsätze sinngemäß auf die Bestimmung der Reichweite der näheren Umgebung übertragen werden. Das heißt, dass die nähere Umgebung ihre Grenzen je nach Lage des Einzelfalles auch in Geländehindernissen, Erhebungen oder Einschnitten (Dämme, Böschungen, Flüsse und dergleichen) finden kann.
61Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juli 2018 – 4 B 51.17 –, juris, und vom 20. August 1998 – 4 B 79.98 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 29. September 2016 – 10 A 1574/14 –, juris, sowie Beschluss vom 16. Juni 2016 – 2 A 1795/15 –, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18. Oktober 2013 – 9 K 5056/11 –, juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ u.a. (Hrsg.), BauGB, 140. Lieferung 2020, § 34 Rn. 36.
62Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass die Bestimmung der Reichweite der näheren Umgebung und des Bebauungszusammenhanges zwei gänzlich differente Fragestellungen sind: Während Ersteres auf die prägende Wirkung von Anlagen abstellt, beantwortet Letzteres die Frage nach dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit von Anlagen. Überdies ist die sinngemäße Übertragung der topographischen Besonderheiten auf die Bestimmung der näheren Umgebung – wie vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich klargestellt – kein allgemeiner Grundsatz und überdies bislang nur im Rahmen von Nachbarstreitigkeiten bejaht worden, d.h. im Zusammenhang der Frage, ob Nachbar- und Vorhabengrundstücke wechselseitige Prägungen unterliegen.
63Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juli 2018 – 4 B 51.17 –, juris.
64Allerdings können selbstverständlich unabhängig von einer dogmatischen Übertragbarkeit der im Zusammenhang mit dem Bebauungszusammenhang entwickelten Maßstäbe topographische Besonderheiten die Reichweite der näheren Umgebung mitbestimmen, wenn sie die prägende Wirkung zu unterbrechen imstande sind. Dies berücksichtigend ist davon auszugehen, dass der sich westlich der W1. -F. -F1. -Straße anschließenden Frei- bzw. Grünfläche eine trennende Funktion zukommt. Das liegt zuvörderst in ihrer Breite begründet. Zwischen der Bebauung auf dem Flurstück xxx bzw. xxx und der beiderseits der W.-------straße gelegenen Bebauung lassen sich insoweit unbebaute Flächen erheblicher Größe feststellen. Der keine Bebauung aufweisende Abstand zwischen der letzten Bebauung südlich der W.-------straße (W.-------straße xx) und der Bebauung auf dem Flurstück xxx bzw. xxx beträgt in der Luftlinie gemessen knapp 130 Meter. Der geringste Abstand zwischen der Bebauung auf dem Flurstück 644 bzw. 645 und der Bebauung nördlich der W.-------straße (W.-------straße xx) beträgt weiter knapp 80 Meter, der längste 103 Meter (W.-------straße xx). Insoweit liegt hier insgesamt ein erheblicher Abstand zwischen Bebauungskomplexen vor, der eine Eigenständigkeit beider begründen lässt. Zwar mag die Frei- und Grünfläche aus einem von einer auf der W.-------straße stehenden Person eingenommenen Betrachtungswinkel – offensichtlich auch wegen der Kurve – als weniger breit darstellen. Unabhängig davon, ob die so wahrgenommene Breite die trennende Wirkung überhaupt in Abrede zu stellen vermag, erweist sich ihr gesamtes – prägendes – Ausmaß ohnehin vornehmlich aus der Vogelperspektive, wie die Luft- und Kartenbilder anschaulich darstellen. Insoweit ist diese Betrachtung auch eine hinreichend geeignete Grundlage für die Bestimmung der näheren Umgebung.
65Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 4 B 38.13 –, juris.
66Dagegen kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg einwenden, die unbebaute Grünfläche jedenfalls südlich der W.-------straße sei viel kleiner, weil sie durch die Autobahnzufahrt zerteilt würde. Denn die Autobahnzufahrt ist keineswegs eine die Umgebung prägende Bebauung. Angrenzende Verkehrsflächen gehören nämlich grundsätzlich nicht zur näheren Umgebung. Sie stehen für eine Bebauung nicht zur Verfügung und besitzen – was offensichtlich ist – keine gerade die Art der Bebauung prägende Bedeutung, worauf es aber bei der Bestimmung der näheren Umgebung entscheidend ankommt.
67Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juli 2000 – 4 B 39.00 –, juris, und vom 11. Februar 2000 – 4 B 1.00 –, juris, mit weiteren Nachweisen.
68Anhaltspunkte für eine Ausnahme sind nicht erkennbar. Insoweit zählen auch die Autobahnauffahrten zur (unbebauten) und die prägende Wirkung unterbrechenden Freifläche. Dabei ist weiter zu beachten, dass die Freiflächen nicht nur in ihrer Breite erheblich sind, sondern auch zumindest hinsichtlich der nachfolgenden Baustruktur eine Zäsur einläuten. Befindet sich zu ihrem Beginn im Osten nördlich wie südlich von der W.-------straße Bebauung, endet dieses Strukturprinzip offenkundig mit Beginn der Freiflächen, an die sich insoweit nur südlich der W.-------straße Bebauung anschließt, während sich im Norden bis zur I. Straße gar keine (prägende) Bebauung findet. Insoweit vermag das Gericht dem Argument der Klägerin, die Bebauung auf den Flurstücken xxx und xxx erweise sich als zur W.-------straße zugehörig, nicht zu folgen. Ob sie der Bau- und Nutzungsstruktur entlang der I. Straße zuordnen lässt, spielt wegen der deutlichen Differenz zur jenen Struktur entlang der übrigen W.-------straße keine Rolle.
69Schließlich lässt sich eine prägende Wirkung des „H1. Ladens“ auf die Vor-habengrundstücke auch entgegen der Ansicht der Klägerin nicht mit den wechselseitigen emissionsbezogenen Auswirkungen begründen. Zwar können in der Tat bodenrechtliche Auswirkungen und hierbei insbesondere die durch den An- und Abfahrtsverkehr verursachten Lärmemissionen als ein Kriterium für die Bestimmung der Reichweite prägender Wirkung herangezogen werden. Aus der – auch von der Klägerin zitierten – bisherigen Rechtsprechung wird aber deutlich, dass es sich auch hier nicht um ein ausschlaggebendes Argument handelt, sondern in Relation zu den Umständen des Einzelfalles heranzuziehen ist und insoweit in Ansehung der örtlichen Begebenheiten Berücksichtigung finden muss.
70Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. Oktober 2018 – 10 A 1403/16 –, juris, und vom 29. September 2016 – 10 A 1574/14 –, juris; vgl. auch Söfker, in: Ernst/Zinkahn u.a. (Hrsg.), 140. Lieferung 2020, § 34 Rn. 36.
71Auch kann eine prägende Wirkung – wie auch die Klägerin einräumt – nicht deshalb angenommen werden, weil es sich bei dem „H1. Laden“ um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb handelt, der jedenfalls bei einer Größe der Verkaufsfläche wie im vorliegenden Fall in aller Regel erhebliche Auswirkungen auf die zentralen Versorgungsbereiche entfaltet (§ 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Denn diese Auswirkungen sind von den im Rahmen der Bestimmung der Reichweite der näheren Umgebung maßgeblichen bodenrechtlichen Aspekten zu unterscheiden. Insoweit spielt es auch keine Rolle, ob sich der Kundenverkehr des Vorhabens und des „H1. Ladens“ überschneiden sollte.
72Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 –, juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ u.a. (Hrsg.), BauGB, 140. Lieferung 2020, § 34 Rn. 36.
73Dies zugrunde gelegt vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass vor allem der An- und Abfahrtsverkehr der jeweiligen Anlagen eine wechselseitige prägende Wirkung zu begründen vermag. Dies liegt allerdings entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits darin begründet, dass der An- und Abfahrtsverkehr der räumlich gesehen zwischen Vorhabengrundstücken und „H1. Laden“ gelegenen Maschinenfabrik „S. “ entsprechende Prägungen abzubrechen imstande wäre. Vielmehr ist im vorliegenden Einzelfall zu berücksichtigen, dass der „H2. Laden“ beinahe unmittelbar an der stark frequentierten I. Straße sowie insbesondere an die Autobahnauffahrt 35 „C. -Zentrum“ der A 40 liegt und insoweit deutlich davon auszugehen ist, dass ein Großteil des Besucherverkehrs hierüber und nicht über die W.-------straße erfolgen wird. Auch die Vorhabengrundstücke sind nahe der ebenfalls nicht unbedeutenden C1. Straße und unweit der Autobahnzufahrt 36 „C. -Stadion“ der A 40 gelegen, so dass auch hier ein nicht unerheblicher Teil des zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehrs hierüber erfolgen wird. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Verkehrsauslastung der W.-------straße bereits ohnehin als hoch zu qualifizieren ist. Dies wurde nicht nur im Rahmen des Ortstermins besonders deutlich, sondern ergibt sich auch etwa aus S. 12 des im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zur Sortimentsänderung des „H1. Ladens“ eingeholten Schallgutachtens vom 24. Mai 2012 (vgl. Beiakte–Heft16). Vor diesem Hintergrund geht die Kammer im Wege einer Gesamtbetrachtung davon aus, dass der vom Vorhaben und „H1. Laden“ jeweils hervorgerufene Ab- und Anreiseverkehr gerade angesichts der ohnehin schon hohen verkehrlichen Belastung der W.-------straße wechselseitig keine solch erheblichen Auswirkungen zu entfalten vermag, als dass schon von einer hinreichenden bodenrechtlichen Prägung ausgegangen werden könnte. Jedenfalls vermögen die anzunehmenden verkehrlichen Auswirkungen nicht gegenüber den weiteren bereits dargestellten Aspekte, die gegen die Annahme einer prägenden Wirkung von „H1. Laden“ und Vorhaben sprechen, in entscheidungserheblicher Weise zu überwiegen.
74bb)
75Die so eingegrenzte Umgebung kann aber keinem Baugebiet nach den §§ 2 ff. BauNVO zugeordnet werden. Dies setzt nämlich voraus, dass die nähere Umgebung ausschließlich bauliche Elemente enthält, die nur einem der in der BauNVO geregelten Baugebiete zuzuordnen sind.
76Vgl. Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG Sachsen-Anhalt), Beschluss vom 9. April 2020 – 2 M 17/20 –, juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn u.a. (Hrsg.), BauGB, 140. Lieferung 2020, § 34 Rn. 79.
77(1)
78Ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO scheidet bereits deshalb aus, weil neben den vorhandenen Gewerbebetrieben auch Anlagen zu Wohnzwecken genutzt werden. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO sind in Gewerbegebieten aber nur Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm untergeordnet sind, ausnahmsweise zulässig. Um solche Art von Wohnnutzung handelt es sich bei den hier vorhandenen Wohngebäuden zweifelsohne nicht.
79(2)
80Das gleichzeitige Vorhandensein von Gewerbebetrieben und Wohngebäuden lässt zwar an ein Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO denken. Eine solche Zuordnung scheidet aber bereits deshalb aus, weil auf den Flurstücken 508 und 542 mit den Anlagen der Firma „S. “ ein Hersteller von Kupplungen angesiedelt ist, der sich als ein das Wohnen störender und damit nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO im Mischgebiet unzulässiger Gewerbebetrieb erweist.
81Dabei kann das Gericht offen lassen, ob es sich bei dem Betrieb der Firma „S. “ um ein der typisierenden Betrachtung (ausnahmsweise) unzugänglicher Gewerbebetrieb handelt, weil er auch bei einer Einzelfallbetrachtung als ein das Wohnen wesentlich störender Betrieb zu qualifizieren ist. Bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung, ob ein Gewerbebetrieb als im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO das Wohnen wesentlich störender und damit im Mischgebiet unzulässiger Gewerbebetrieb zu bewerten ist, ist im Ausgangspunkt eine typisierende Betrachtung anzustellen. Entscheidend ist, dass von Betrieben seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen ausgehen können. Auf das Maß der konkret hervorgerufenen oder in Aussicht genommenen Störungen kommt es grundsätzlich nicht an. Anders als etwa in reinen oder allgemeinen Wohngebieten ist die Wohnnutzung in einem Mischgebiet zwar in gewisser Weise vorbelastet, weil das Mischgebiet gerade auch einer Ansiedlung von Gewerbebetrieben offen steht, die Wohnbebauung also auch auf Gewerbebetriebe Rücksicht zu nehmen hat. Gleichwohl darf sie nicht solchen – insbesondere lärmbezogenen – Auswirkungen ausgesetzt sein, die mit ihr nicht zu vereinbaren ist.
82Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2021 – 4 C 5.20 –, juris, mit weiteren Nachweisen.
83Eine solch umfassende typisierende Betrachtungsweise ist aber gerade im Mischgebiet, in dem die Grenze einer solchen Unverträglichkeit entsprechend höher und daher nicht in jedem Einzelfall klar zu formulieren ist, nicht stets möglich. Insoweit werden anerkanntermaßen zwei Einschränkungen der Typisierungsbetrachtung angenommen: Zum einen gibt es Gewerbebetriebe, die zwar bei typisierender Betrachtungsweise mischgebietsunverträglich sind, im konkreten, hier aber offensichtlich nicht vorliegenden Einzelfall wegen einer – etwa wegen technologischer Fortschritte bestehenden – Atypik eine unzumutbare Störung der Wohnruhe sicher ausschließen.
84Vgl. Ziegler, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, 77. Lieferung 2011, § 6 BauNVO Rn. 44.
85Daneben gibt es – zweitens – Gewerbebetriebe, die keinem bestimmten Betriebstypus zugeordnet werden können oder zu einem Betriebstypus mit erheblicher Variationsbreite und damit unterschiedlichem Störpotential zuzuordnen sind. Bei diesen ist in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung, der die Kammer folgt, wegen der Unzulänglichkeit einer typisierenden Betrachtung anerkannt, dass die Frage des Störpotentials nur anhand der im Einzelfall feststellbaren konkreten Betriebsstruktur und des individuellen Betriebskonzepts beantwortet werden kann. Dabei wird die typisierende Betrachtung nicht durch eine gänzliche – dem Maßstab des § 15 Abs. 1 BauNVO entsprechende – Einzelfallbetrachtung ersetzt, sondern eine teil-typisierende Betrachtungsweise angelegt: Es kommt darauf an, ob der konkrete Gewerbebetrieb auf Grund der bei einem funktionsgerechten Ablauf in ihrem gesamten Betrieb üblicherweise anfallenden Arbeiten generell geeignet ist, eine Wohnnutzung wesentlich zu stören. Maßgeblich ist insoweit, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lässt, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben ist.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2021 – 4 C 5.20 –, juris, sowie Beschluss vom 27. Juni 2018 – 4 B 10.17 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 18. Juni 2010 – 7 A 896/09 –, juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW), Beschluss vom 15. April 2014 – 8 S 2239/13 –, juris.
87Es spricht nach Auffassung der Kammer zwar bereits viel dafür, das von der Firma „S. “ betriebene Gewerbe schon bei typisierender Betrachtung als einen das Wohnen störenden Gewerbebetrieb einzustufen. Es handelt sich nämlich hier um ein weltweit agierendes Unternehmen, das primär Antriebstechniken, speziell Kupplungen, für Verbrennungsmotoren und sonstige Antriebstechniken herstellt. Neben Gummi-Kupplungen werden dabei auch Ganzmetallkupplungen an der W.-------straße produziert, gelagert und abtransportiert. Bei einem produzierenden Gewerbe solchen Ausmaßes, wie es sich bereits anhand der Luftbilder ergibt, kann – so die Auffassung der Kammer – allgemein festgehalten werden, dass die Betriebsvorgänge, aber auch der Lieferverkehr insbesondere solch erhebliche Lärmauswirkungen auf die unmittelbare Wohnnachbarschaft haben, dass eine Wohnverträglichkeit auch unter Berücksichtigung des verminderten Schutzanspruches in Mischgebieten nicht mehr angenommen werden kann.
88Vgl. zu – dem hiesigen Betrieb ähnlichen – Schlossereibetrieben: Oberverwaltungsgericht Niedersachsen (OVG NDS), Urteil vom 27. Juni 1972 – VI A 79/71 –, juris, oder zu einem holzverarbeitenden Betrieb OVG NRW, Urteil vom 27. November 1967 – X A 1153/67 –, juris.
89Aber selbst wenn man unter Berücksichtigung dessen, dass sich insbesondere auch metallverarbeitende Betriebe wegen ihrer nicht unerheblichen Variationsbreite einer typisierenden Betrachtungsweise entziehen,
90vgl. VGH BW, Urteil vom 28. März 2001 – 8 S 2120/00 –, juris,
91eine Einzelfallbetrachtung für erforderlich hielte, ergäbe sich vor dem Hintergrund des konkreten Betriebskonzepts und der konkreten Anlage nicht die mischgebietsbezogene Zulässigkeit des Kupplungsherstellungsunternehmens. Bereits aus den von der Beklagten überwiegend den nördlich der W.-------straße gelegenen und aus benannten Gründen zur näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke zählenden Bereich des Betriebes betreffenden Hausakten ergibt sich die mischgebietsunverträgliche Eigenschaft des Betriebs. Denn nach der von der Beklagten für die Errichtung von Werkhallen auf dem nördlich der W.-------straße befindlichen Betriebsbereich erteilten Baugenehmigung vom 29. Dezember 2000 handelt es sich bei dem Gewerbe der Firma „S. “ um ein metall- und gummiverarbeitenden Betrieb, in dem tagsüber (6:00 bis 21:30 Uhr) mindestens 90 Angestellte Kupplungen aus Gummi (Kautschuk) sowie Metall (Stahl und Aluminium) produziert, d.h. etwa durch Stanzen, Drehen, Fräsen oder Feilen hergestellt (Bl. 240 Beiakte–Heft 2 Vierhausstr. 53), lackiert, gelagert und mittels Lastkraftwagen (7,5 t) abtransportiert werden. Allein auf dem nördlichen Betriebsbereich wird mit drei Lastkraftwagen pro Tag gerechnet (s. Betriebsbeschreibung 28.11.2000). Einen solch insbesondere lärmintensiven Betrieb ist auch unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung eines Mischgebiets für eine Wohnnutzung nicht zumutbar und damit in einem Mischgebiet gebietsunverträglich.
922.
93Das Vorhaben erweist sich unter Berücksichtigung des Maßstabes des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB als unzulässig. Eine Zulässigkeit hiernach setzt voraus, dass sich das Vorhaben hinsichtlich der wegen der Bauvoranfrage hier allein maßgeblichen Art seiner baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entscheidend ist unter Berücksichtigung der diffusen Nutzungsstruktur, dass das Vorhaben den von der Eigenart der näheren Umgebung gespannten Rahmen einhält, es mithin ein taugliches Vorbild für sich in der näheren Umgebung findet.
94Vgl. BVerwG, Urteile vom 3. April 1987 – 4 C 41.84 –, juris, und vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 6. November 2008 – 10 A 2601/07 –, juris.
95a)
96Gewendet auf diesen Fall bedeutet dies, dass sich das Vorhaben dann in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, sobald sich in dieser ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb befindet. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der vorhandene großflächige Einzelhandelsbetrieb eine annähernd gleich große oder gar größere Verkaufsfläche als die des Vorhabens aufweist. Denn ein vorhandener großflächiger Einzelhandelsbetrieb erweist sich gerade deshalb als Vorbild, weil er wegen seiner Großflächigkeit eine von der BauNVO gesondert vorgesehene Nutzungsart aufweist (vgl. § 11 Abs. 3 BauNVO), die der des Vorhabens entspricht. Insoweit reicht die Eigenschaft der Großflächigkeit an sich aus, um als Vorbild zu dienen, eine weitere Differenzierung – etwa nach Umfang der Großflächigkeit – ist nicht angezeigt.
97Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 1987 – 4 C 41.84 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 27. November 2018 – 2 A 2973/15 –, juris; Kuschnerus/Bischopink/Wirth, Der standortgerechte Einzelhandel, 2. Auflage 2018, Rn. 299 m.w.N.
98In der näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke findet sich unter Zugrundelegung ihrer bereits dargestellten Eingrenzung kein entsprechendes Vorbild. Insbesondere der „H2. Laden“ fungiert nicht als Vorbild, da er aus besagten Gründen nicht zur näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke zu zählen ist.
99b)
100Findet das Vorhaben der Klägerin damit in der näheren Umgebung kein Vorbild, ist gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass es sich im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügt. Das Erfordernis des Einfügens hindert nicht schlechthin daran, den vorgegebenen Rahmen zu überschreiten. Allerdings darf die Überschreitung des vorhandenen Rahmens weder zur Begründung noch zur Erhöhung ausgleichsbedürftiger bodenrechtlicher Spannungen führen. Denn stiftet es in diesem Sinne Unruhe, lassen sich die Voraussetzungen für seine Zulassung nur unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung und nicht über den Weg des § 34 BauGB schaffen.
101Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – IV C 9.77 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 1. März 2017 – 2 A 46/16 –, juris.
102Die Überschreitung des durch die Umgebung gesetzten Rahmens führt dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, nicht unbedingt, aber im Regelfall zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Denn eine Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens zieht in der Regel die Gefahr nach sich, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird. Diese Frage kann jedoch nur unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart der näheren Umgebung und der konkreten Umstände, die Spannungen hervorrufen können, beantwortet werden. Die abstrakte und nur entfernt gegebene Möglichkeit, dass ein Vorhaben Konflikte auslöst, schließt die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht aus. Bei einer Überschreitung des Rahmens muss somit konkret festgestellt werden, ob die gegebene Situation verschlechtert, gestört, belastet oder sonst in Bewegung gebracht wird.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 1994 – 4 C 13.93 –, juris, vom 22. Mai 1987 – 4 C 6.85 u.a. –, juris, und vom 18. Februar 1983 – 4 C 18.81 –, juris, sowie Beschluss vom 4. Juni 1985 – 4 B 102.85 –, juris; vgl. auch Söfker, in: Ernst/Zinkahn u.a., BauGB, 140. Lieferung 2020, § 34 Rn. 31.
104Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes und der konkreten Verhältnisse vor Ort ist davon auszugehen, dass bei Realisierung des Vorhabens bodenrechtliche Spannungen entstehen würden, die das Bedürfnis nach einer spannungsauflösenden Bauleitplanung begründen, und damit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zugelassen werden können. Denn das Vorhaben würde im Falle seiner Realisierung eine negative Vorbildwirkung für gleichartige Vorhaben begründen und damit die Struktur des Gebietes umändern können. Es entspricht stetiger höchst- sowie obergerichtlicher Rechtsprechung, eine negative Wirkung dann anzunehmen, wenn das Vorhaben Vorbildwirkung für weitere Vorhaben schafft, die in naheliegender Zukunft eine solche Verschlechterung nach sich ziehen kann. Denn der verfassungsrechtlich garantierte Gleichbehandlungsgrundsatz würde es der Beklagten verwehren, nach genehmigter Verwirklichung des streitgegenständlichen Vorhabens ein gleichartiges Vorhaben in der näheren Umgebung zu versagen, da das hiesige Vorhaben insoweit dann selbst als Vorbild fungieren würde. Dies wiederum würde aber nicht nur das betroffene Gebiet erheblich verändern können, sondern letztlich zu Konflikten führen, die (nur) über eine Bauleitplanung aufzulösen wären.
105Vgl. dazu insgesamt BVerwG, Urteile vom 3. Februar 1984 – 4 C 25.82 –, juris, vom 21. November 1980 – 4 C 30.78 –, juris, und vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 –, juris, sowie Beschluss vom 4. Juni 1985 – 4 B 202.85 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 2 A 2780/20 –, juris, mit weiteren Nachweisen.
106W1. einer solchen negativen Vorbildwirkung ist vorliegend deshalb auszugehen, weil die beachtliche Gefahr besteht, dass dem Vorhaben folgend weitere großflächige Einzelhandelsbetriebe in der näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke sich anzusiedeln versuchen und insoweit konfliktträchtig die Umgebungsstruktur negativ beeinflussen werden. Es ist dabei auch weder ersichtlich noch sonst vorgetragen, aus welchen Gründen in der näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke kein weiterer großflächiger Einzelhandelsbetrieb folgen könnte. Sowohl die Grundstückszuschnitte als auch die aktuelle Nutzung der Grundstücke schließen die Ansiedlung – wenn auch möglicherweise unter Abriss vorhandener Anlagen – weiterer großflächiger Einzelhandelsbetriebe nicht aus. Diese Gefahr wird auch dadurch sichtbar, dass der Rat der Beklagten selbst jedenfalls für ein Teilgebiet der näheren Umgebung der Vorhabengrundstücke die Ansiedlung von (großflächigen) Einzelhandelsbetrieben jedenfalls grundsätzlich für regelungsbedürftig erachtet und deshalb im Jahr 2005 einen entsprechenden Aufstellungsbeschluss erlassen hat. Dass der entsprechende Bebauungsplan bislang noch nicht beschlossen worden ist, ändert an der hinreichend konkreten Gefahr freilich nichts, zumal nicht erkennbar ist, dass das Bauleitplanverfahren mangels konkreter Anhaltspunkte für die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe unterbrochen worden ist. Dass dem auch nicht so wäre, zeigt bereits das hiesige Verfahren.
107Soweit das Verwaltungsgericht Aachen, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargestellt und aufgezeigt hat, in einem (nichtveröffentlichten) Urteil vom 6. August 2021 (Az. 5 K 2755/19) darauf abgestellt hat, dass es in dem streitgegenständlichen Gebiet keine konkreten Anhaltspunkte für einen Nachahmungseffekt gebe, vermag dies hier nichts zu ändern. Denn selbst wenn in dieser Entscheidung nicht – wie hier – ausschließlich auf die konkreten Einzelfallumstände abgestellt worden sein, sondern darüber hinaus der „Grundsatz“ verfolgt worden sein sollte, eine Vorbildwirkung könne ausschließlich dann angenommen werden, wenn es bereits konkrete Anzeichen für vergleichbare Vorhaben in der näheren Umgebung – etwa bereits gestellte Bauvoranfragen – gebe, würde dies den Maßstab, wie ihn auch das Bundesverwaltungsgericht umrissen hat und zugrunde legt, deutlich überspannen. Insoweit muss berücksichtigt werden, dass gerade erst die Zulassung eines Vorhabens Vorbildwirkung begründen und damit gleichartige Vorhaben heraufbeschwören kann. Forderte man bereits im Vorfeld bzw. im Rahmen der Prüfung der Zulassung eines Vorhabens das Vorhandensein nachahmender weiterer Vorhaben, könnte eine solche Handhabung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bodenrechtliche Spannungen begünstigen und nicht – wie eigentlich bezweckt – vermeiden. Vor diesem Hintergrund geht das Bundesverwaltungsgericht auch davon aus, dass bodenrechtliche Spannungen regelmäßig anzunehmen sind, wenn der von der Bebauung bisher eingehaltene Rahmen überschritten wird, ohne dass dies durch irgendeine Besonderheit begründet wäre, durch die sich das Baugrundstück von den Nachbargrundstücken unterscheidet.
108Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999 – 4 B 15.99 –, juris.
109Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit dahingehend zu verstehen, dass die Gefahr einer negativen Vorbildwirkung für die Annahme ausgleichsbedürftige bodenrechtliche Spannungen ausreichend ist, wenn nicht die konkreten Umstände vor Ort eine solche Wirkung ausnahmsweise als abstrakt und höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen. Von daher spricht es auch davon, dass die Unzulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bejaht werden müsse, wenn das Vorhaben die „Gefahr heraufbeschwört“, negative Auswirkungen bodenrechtlicher Natur zu entfalten.
110Vgl. BVerwG, OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 2 A 2780/20 –, juris.
111Die Erforderlichkeit einer Art sich „aufdrängenden“ Vorbildwirkung, wie die Klägerin der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen beimessen will, legt die erkennende Kammer daher ihrer Entscheidung nicht zugrunde. Insoweit lässt sie es dem Zweck des § 34 BauGB entsprechend genügen, wenn die konkreten Verhältnisse vor Ort bodenrechtliche Spannungen in Gestalt einer negativen Vorbildwirkung nicht von vorneherein auszuschließen vermögen. Dies ist hier – wie bereits dargelegt – auch der Fall.
1123.
113Entgegen der klägerischen Ansicht ist schließlich für eine Ausnahme nach § 34 Abs. 3a BauGB vorliegend kein Raum. Danach kann im Einzelfall von dem Erfordernis des Einfügens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abgewichen werden, wenn die Abweichung einem bestimmten, dort aufgezählten Vorhaben dient und unter anderem städtebaulich vertretbar ist. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Unabhängig davon, dass die Abweichung in das – wenn auch möglicherweise bei Vorliegen der Voraussetzungen an sich geschmälerte – Ermessen der Behörde gestellt ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes hier städtebaulich vertretbar ist. Die städtebauliche Vertretbarkeit setzt – ähnlich wie im Rahmen einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB – voraus, dass sie mit den Grundsätzen von § 1 und § 1a BauGB, d.h. insbesondere mit § 1 Abs. 6 und 7 BauGB vereinbar ist, also am konkreten Standort auch durch Bauleitplanung zugelassen werden könnte.
114Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 – 4 C 23.86 –, juris.
115Durch die Begrenzung der Möglichkeit auf den Einzelfall wird aber deutlich, dass es sich um eine (eng auszulegende) Ausnahmevorschrift handelt. Daher kann eine Abweichung nicht zugelassen werden, wenn das Vorhaben angesichts seiner Vorbildwirkung die planungsrechtlich relevante Umstrukturierung eines Gebiets einleiten würde. Eine Heranziehung des § 34 Abs. 3a BauGB zur Genehmigung eines nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift unzulässigen Vorhabens scheidet daher aus, wenn erkennbar ist, dass eine vergleichbare Abweichungslage noch wiederholt auftreten könnte. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Vorhaben angesichts seiner Vorbildwirkung die planungsrechtlich relevante Umstrukturierung eines Gebiets einleiten würde. Die Möglichkeit nach § 34 Abs. 3a BauGB ist kein Mittel dafür, die städtebauliche Situation in einem nicht beplanten Baugebiet umzustrukturieren.
116Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11- Juli 2017 – 2 A 471/15 –, juris; VG Köln, Urteil vom 14. September 2017 – 8 K 2916/15 –, juris.
117Würde das Vorhaben der Klägerin zugelassen, gäbe es im maßgeblichen Gebiet aus besagten Gründen erstmals einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der zum Vorbild für andere Vorhaben werden würde, so dass die den Gebietscharakter ändernden Ansiedlung weiterer großflächiger Einzelhandelsbetriebe nicht ausgeschlossen werden kann.
118III.
119Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung.
120Rechtsmittelbelehrung:
121Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1221. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1232. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1243. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1254. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1265. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
127Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
128Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
129Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
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