Beschluss vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 B 714/11
Tenor
1. Soweit die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15.07.2011 (Buchungszeichen ) wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
4. Der Streitwert wird auf 2.433,25 Euro festgesetzt.
Gründe
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1. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache wegen der Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 04.07.2011 und der gegenüber der Sparkasse ausgebrachten Pfändung übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingestellt.
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2. Die Anträge des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15.07.2011 anzuordnen und die Aufhebung der von der Antragsgegnerin gegenüber der Volksbank Wolgast e.G. ausgebrachten Pfändungen anzuordnen,
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haben nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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a) Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15.07.2011 war anzuordnen. Die grundsätzlich mit dem Widerspruch verbundene aufschiebende Wirkung aus § 80 Abs. 1 VwGO ist hier kraft Gesetzes ausgeschlossen, § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 111 Abs. 6 Verwaltungsverfahrensgesetz Mecklenburg-Vorpommern (VwVfG M-V). Das Gericht der Hauptsache kann allerdings die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen, wenn in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist vorliegend der Fall.
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Gemäß § 111 Abs. 1 VwVfG M-V gelten für öffentlich-rechtliche Geldforderungen der Landkreise die §§ 1 bis 3 und 5 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG) einschließlich der in § 5 Abs. 1 VwVG aufgeführten Vorschriften der Abgabenordnung (AO) mit Ausnahme des § 249 der Abgabenordnung. Gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG setzt die Einleitung der Vollstreckung einen Leistungsbescheid voraus, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist. Vollstreckbar sind vollziehbare Verwaltungsakte (§ 251 Abs. 1 Satz 1 AO). Daran fehlt es hier. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Höhe der nach ihrer Auffassung entstandenen Säumniszuschläge mit Schreiben vom 06.01.2011 und 04.05.2011 mitgeteilt, die Säumniszuschläge aber nicht festgesetzt.
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Die Antragsgegnerin kann dagegen nicht mit Erfolg einwenden, dass die hier allein zur Vollstreckung anstehenden Säumniszuschläge gemäß § 12 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V) i.V.m. §§ 218 Abs. 1 Satz 1, 240 Abs. 1 AO bereits ohne weitere Festsetzung kraft Gesetzes entstanden sind. Das trifft zwar zu, ersetzt außerhalb des hier nicht vorliegenden Falles des § 254 Abs. 2 Satz 1 AO jedoch nicht die erforderliche Vollstreckungsgrundlage in Gestalt eines vollziehbaren Leistungsbescheides. Besteht wie hier ein Streit über das Entstehen von Säumniszuschlägen oder über deren Höhe, hat der Abgabenschuldner einen Anspruch darauf, dass der Abgabengläubiger über diese Fragen gemäß § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid entscheidet. Dies ist notwendig, um dem Steuerpflichtigen im Bereich der Säumniszuschläge effektiven Rechtsschutz gewähren zu können. Der Abrechnungsbescheid hat in verständlicher und nachprüfbarer Weise Grund und Höhe der geltend gemachten Säumniszuschläge darzulegen. Er kann, wenn er erstmalig mit Regelungswirkung Säumniszuschläge festsetzt, mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden, auch die Aussetzung der Vollziehung kommt in Betracht (Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Auflage, § 218, Rn. 21 f., 35, § 240, Rn. 49; Klein, Abgabenordnung, 10. Auflage, § 218, Rn. 41, § 240, Rn. 43 ff.; vgl. auch VG Greifswald, Beschl. v. 29.01.2009 – 3 B 1719/08, n.v.).
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b) Der weitere Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Pfändung im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist unstatthaft und bleibt ohne Erfolg. Denn nach § 123 Abs. 5 VwGO gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO. Aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt sich der Vorrang des Verfahrens nach §§ 80, 80a VwGO, soweit es um vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der vorläufigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts geht. So liegt es hier. Die Suspendierung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung führt bereits dazu, dass die Antragsgegnerin die Kontenpfändung aufzuheben hat. Eine davon unabhängigen weiteren sicherungsfähigen Anspruch, etwa auf Pfändungsschutz, macht der Antragsteller nicht geltend.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Den Streitwert hat die Kammer mit einem Viertel des Hauptsachewertes angenommen, wobei der weitere Antrag nicht werterhöhend berücksichtigt worden ist.
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Referenzen
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- § 254 Abs. 2 Satz 1 AO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 6x
- § 5 Abs. 1 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 155 1x
- §§ 218 Abs. 1 Satz 1, 240 Abs. 1 AO 2x (nicht zugeordnet)
- 3 B 1719/08 1x (nicht zugeordnet)
- § 111 Abs. 1 VwVfG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 123 3x
- § 251 Abs. 1 Satz 1 AO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 161 1x
- § 218 Abs. 2 AO 1x (nicht zugeordnet)