Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (5. Kammer) - 5 E 6424/15
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar.
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Dem Antragsteller wurde eine Fahrerlaubnis (Klassen B, AM, L) auf Probe (bis zum 2. Oktober 2015) erteilt. Ihm wurde vorgeworfen, am 17. Juli 2015 um 21:18 Uhr in der B. Straße als Führer eines Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von dort 70 km/h um 44 km/h überschritten zu haben. Mit Bußgeldbescheid vom 2. September 2015 wurde gegen den Antragsteller eine Geldbuße von 200,-- € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde dem Antragsteller ausweislich einer Zustellungsurkunde am 4. September 2015 unter der Adresse S. 11 zugestellt. Am 29. Oktober 2015 erhob der Antragsteller Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Der Bußgeldbescheid sei ihm nicht zugestellt worden. Er habe von dem Bußgeldbescheid erst durch eine Mahnung erfahren, die er erhalten habe, weil er die Geldbuße nicht beglichen habe. Er sei wegen Sanierungsarbeiten vorübergehend nicht im S. 11 wohnhaft, sondern bei seinen Eltern; er habe seit etwa Ende Juli einen Nachsendeantrag laufen. Die Zustellung sei wohl wegen des Nachsendeantrags untergegangen. In der Regel hätte ihn Post erreicht, etliche Schriftstücke aber auch nicht. Die Bußgeldstelle der Antragsgegnerin verwarf den Einspruch sowie den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom 27. November 2015. Gegen den Verwerfungsbescheid hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung beantragt.
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Mit Bescheid vom 26. Oktober 2015 ordnete die Antragsgegnerin an, dass der Antragsteller an einem Aufbauseminar teilnehmen müsse, welches bis zum 15. Dezember 2015 abgeschlossen sein müsse. Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller mit am 24. November 2015 eingegangenem Schreiben Widerspruch: Die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar sei zu Unrecht ergangen. Der Bußgeldbescheid sei nur scheinbar rechtskräftig, denn er sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.
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Am 24. November 2015 hat der Antragsteller vorliegenden Eilantrag gestellt: Ohne die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs müsse er an dem kostenpflichtigen Aufbauseminar teilnehmen, um die Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermeiden. Bei einem Erfolg seines Einspruchs müsste er nicht an dem Aufbauseminar teilnehmen. Für die Antragsgegnerin sei es zumutbar, den Ausgang des Wiedereinsetzungs- und Einspruchsverfahrens abzuwarten.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2015 anzuordnen (nicht „wiederherzustellen“ wegen § 2a Abs. 6 StVG, § 80 Abs. 5 Satz 1, 1.Hs, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie trägt vor, an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit gebunden zu sein. Eine Fristverlängerung zur Vorlage der Teilnahmebescheinigung um sechs Wochen bis zum 26. Januar 2016 sei aber vertretbar.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21. Dezember 2015 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
II.
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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg. Nach der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das in § 2a Abs. 6 StVG zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheids das private Interesse des Antragstellers, an dem Aufbauseminar nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Wiedereinsetzungsverfahrens betreffend den Bußgeldbescheid teilnehmen zu müssen.
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Nach in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotener summarischer Prüfung dürfte der Bescheid vom 26. Oktober 2015 rechtmäßig sein.
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Ermächtigungsgrundlage ist § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG. Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde, wenn gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 Buchst. a oder c StVG in das Fahreignungsregister einzutragen ist, seine Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen, auch wenn die Probezeit zwischenzeitlich abgelaufen ist, und hierfür eine Frist zu setzen, wenn er eine schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen hat. Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein. Die ausweislich des Bußgeldbescheids vom 2. September 2015 dem Antragsteller vorgeworfene Ordnungswidrigkeit (Verstoß gegen die Vorschriften der StVO über die Geschwindigkeit, § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, Zeichen 274, § 49 StVO, §§ 24, 25 StVG) ist nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a StVG im Fahreignungsregister zu speichern. Dass es sich um eine „schwerwiegende Zuwiderhandlung“ handelt, ergibt sich aus Ziffer 2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV. Dies rechtfertigt die Fristsetzung. Die Ordnungswidrigkeit ist am 17. Juli 2015 und damit innerhalb der bis zum 2. Oktober 2015 laufenden Probezeit begangen worden.
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Ob der Bußgeldbescheid vom 2. September 2015 als „rechtskräftige Entscheidung“ i.S.v. § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG anzusehen ist, hängt davon ab, welcher Zeitpunkt für die insoweitige Beurteilung maßgeblich ist. Die Antraggegnerin stellt darauf ab, dass der Verstoß im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar im Fahreignungsregister eingetragen und für sie bindend gewesen sei. § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 StVG verlangen indes nicht die Eintragung im Fahreignungsregister, sondern allein eine „rechtskräftige Entscheidung“. Das erkennende Gericht stellt im vorliegenden Fall entsprechend der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2001 (3 B 144/00, juris Rn. 2) darauf ab, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage ankommt. Da im vorliegenden Verfahren ein Widerspruchsbescheid (noch) nicht ergangen ist, ist darauf abzustellen, wie im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 19.10.2015, 10 S 1689/15, juris Rn. 8) der Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu beurteilen ist (so konkludent auch VG Hamburg, Beschl. v. 22.7.2015, 15 E 3630/15). Ein Ausnahmefall, wie er etwa vom OVG Bautzen (Beschl. v. 15.11.2005, 3 BS 232/05, juris) in dessen Verfahren angenommen wird, ist hier nicht gegeben.
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Nach der vom hier erkennenden Gericht vertretenen Auffassung ist davon auszugehen, dass der Bußgeldbescheid eine „rechtskräftige Entscheidung“ ist:
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Die Fahrerlaubnisbehörde ist nach § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG an die rechtskräftig gewordene und gebliebene – d.h. auch nicht rückwirkend beseitigte – rechtskräftige Entscheidung über die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden (vgl. so auch VG Freiburg, Urt. v. 26.11.2008, 4 K 717/06, juris Rn. 30). Wenn bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden sein sollte, entfiele die Rechtskraft des Bußgeldbescheids (rückwirkend), sofern nicht bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig abschlägig beschieden worden sein sollte. Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt besteht Rechtskraft des Bußgeldbescheids, weil dem Wiedereinsetzungsantrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht stattgegeben worden ist und auch nicht abzusehen ist, dass eine Wiedereinsetzung bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides erfolgen wird. Insbesondere kann das hier entscheidende Gericht nach derzeitiger Aktenlage nicht erkennen, dass der Antragsteller Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hinreichend glaubhaft gemacht hat, etwa den Umstand, dass für Anfang September 2015 ein Nachsendeantrag, der auch Zustellungen erfasste, gestellt worden war und der Antragsteller trotz der von ihm beschriebenen Unzulänglichkeiten bei den Nachsendungen davon ausgehen durfte, dass er mit dem Nachsendeantrag alles Erforderliche zur Gewährleistung des Zugangs getan hatte.
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Nach allem dürfte die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar, die nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde steht, rechtmäßig, und die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren dürften gering sein. Das vom Antragsteller geltend gemachte private, insbesondere pekuniäre Interesse überwiegt das in § 2a Abs. 6 StVG zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse an der unverzüglichen Seminarteilnahme auch im Übrigen nicht. Der Besuch des Aufbauseminars soll der Verringerung von Gefahren im Straßenverkehr dienen und einer erhöhten Risikobereitschaft im Straßenverkehr entgegenwirken (vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 15.11.2005, 3 BS 232/05, juris Rn. 6 m. w. N.).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Referenzen
- StVG § 24 Verkehrsordnungswidrigkeit 1x
- StVG § 25 Fahrverbot 1x
- §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- § 49 StVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 34 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- StVG § 2a Fahrerlaubnis auf Probe 7x
- VwGO § 80 1x
- VwGO § 154 1x
- 3 B 144/00 1x (nicht zugeordnet)
- 10 S 1689/15 1x (nicht zugeordnet)
- 15 E 3630/15 1x (nicht zugeordnet)
- 3 BS 232/05 2x (nicht zugeordnet)
- 4 K 717/06 1x (nicht zugeordnet)