Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (15. Kammer) - 15 E 899/20
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Februar 2020 (15 K 898/20) gegen die Fahrerlaubnisentziehung der Antragsgegnerin vom 15. August 2019 und den Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2020 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin nach einem Streitwert von 2.500 €.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
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Der Antragsteller verfügte über eine Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, AM, B, L.
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Am Freitag, dem 26. Juli 2019 wurde das Fahrzeug des Antragstellers vor dessen Wohnung polizeilich durchsucht. Im Kofferraum des Audi wurde ein Rucksack gefunden, in dem sich drei kleine Papierumschläge befanden. In diesen wurde ein weißes Pulver festgestellt. Der hierzu befragte Antragsteller soll ausweislich der gegen ihn gestellten Strafanzeige nach rechtlicher Belehrung mitgeteilt haben, dass es sich dabei um Kokain handele, das er beim Feiern an den Wochenenden konsumiere. Das Kokain wurde sichergestellt.
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Mit Bescheid vom 15. August 2019 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis: Er habe gegenüber Polizeibeamten den Konsum von Kokain zugegeben. An diesem Erklärungsverhalten müsse er sich festhalten lassen. Bei Kokain handele es sich um eine harte Droge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes. Schon ein einmaliger Konsum schließe die Fahreignung aus. Die sofortige Vollziehung sei im Hinblick auf den Schutz von Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer angezeigt. Von ungeeigneten Fahrern gehe eine erhöhte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs aus. Bei Abwägung der Interessen der Allgemeinheit am Schutz von Leben und Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer und dem Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Entziehungsverfahrens weiterhin zu nutzen, sei dem Interesse der Allgemeinheit der Vorrang zu geben.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 6. September 2019 legte der Antragssteller Widerspruch ein und bat, die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben. Zur Begründung machte er später geltend: Aus einem von ihm beauftragten chemisch-toxikologischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin vom 27. September 2019 ergebe sich, dass er kein Konsument von Kokain sei. Sofern er ein solches bei der Durchsuchung seines Fahrzeugs am 26. Juli 2019 angegeben habe, sei dies falsch. Das Gutachten erfasse einen Zeitraum, der bereits vor der polizeilichen Maßnahme beginne, und dabei selbstverständlich auch die Wochenenden. Vor diesem Hintergrund sei seine Bekundung, er konsumiere das Kokain beim Feiern am Wochenende, widerlegt. Er habe noch nie in seinem Leben Kokain oder andere illegale Substanzen konsumiert. Die falschen Angaben gegenüber der Polizei hätten auf dem Umstand beruht, dass er sich unsicher gewesen sei, inwieweit der wahre Sachverhalt, der mit einem Konsum seiner Person in keinem Zusammenhang stehe, für Dritte problematisch hätte sein können. An die rechtliche Belehrung erinnere er sich nicht mehr.
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Beigefügt war ein vom Antragsteller in Auftrag gegebenes chemisch-toxikologisches Gutachten, gefertigt unter dem 27. September 2019 vom Institut für Rechtsmedizin des UKE. Dieses wies die Entnahme einer Haarprobe des Antragstellers am 13. September 2019 aus, die auf Kokain und dessen Abbauprodukte getestet worden war. Hierbei hatten sich diese Stoffe nicht feststellen lassen. Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Untersuchung der Haarprobe keine Hinweise auf die Aufnahme von Kokain erbracht habe. Damit hätten sich keine Hinweise auf einen Konsum innerhalb der letzten dreieinhalb Monate vor dem 13. September 2019 ergeben, wobei ein einmaliger oder sehr seltener Konsum nicht ausgeschlossen werden könne.
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Mit Schreiben vom 28. Oktober 2019 teilte die Antragsgegnerin dem Antragstellervertreter gleichwohl mit, dass eine Zurückweisung des Widerspruchs beabsichtigt sei. Kokain sei eine harte Droge, hinsichtlich derer bereits ein einmaliger Konsum die Fahreignung ausschließe. Nach der Rechtsprechung habe sich der Antragsteller an seinem Erklärungsverhalten im verwaltungsbehördlichen Verfahren messen zu lassen. Er habe sich damit als ungeeignet erwiesen, motorisiert am Verkehr teilzunehmen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2020, zugestellt am 21. Januar 2020, wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück: Der Antragsteller habe selbst eingeräumt, Kokain konsumiert zu haben. Hieran müsse er sich festhalten lassen. Räume ein Fahrerlaubnisinhaber selbst den Konsum von Drogen ein, sei dies grundsätzlich zu berücksichtigen und bedürfe keines weiteren wissenschaftlichen Nachweises, wenn keine gewichtigen Gründe gegen die Richtigkeit sprechen. Vorliegend sprächen keine gewichtigen Gründe gegen die Richtigkeit, denn das Gutachten schließe ausdrücklich einen einmaligen oder seltenen Konsum nicht aus. Es stehe damit der Aussage des Antragstellers gerade nicht entgegen. Auch komme es im Fahrerlaubnisrecht für die Verwertbarkeit der Aussage regelmäßig nicht auf eine vorherige rechtliche Belehrung an.
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Am 20. Februar 2020 hat der Antragsteller Klage erhoben und bei Gericht beantragt, die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides aufzuheben: Er sei nie Kokainkonsument gewesen. Dies werde durch das beigebrachte Gutachten sowie ein weiteres rechtsmedizinisches Gutachten vom 3. Februar 2020 belegt. Aus letzterem ergebe sich, dass auch im Zeitraum der letzten drei Monate vor dem 22. Januar 2020 kein Hinweis auf den Konsum von Kokain vorliege. Die Kokainbriefchen hätten einem langjährigen Freund, Herrn C., gehört. Dieser sei Kokainkonsument. Er werde zu dem Vorfall als Zeuge angeboten. Am 24. Juli 2019 sei er mit diesem Freund in seinem Auto zur Z. Bar gefahren, um dort den Abend zu verbringen. Der Freund habe dabei seine Wertsachen wie Portmonee, Handy, Schlüsselbund sowie diverse Kokainbriefchen im Handschuhfach des Fahrzeugs gelassen und nach dem Barbesuch wieder an sich genommen. Dabei habe er versehentlich drei dieser Kokainbriefchen vergessen. Dies sei ihm, dem Antragsteller, erst aufgefallen, als er zu Hause angekommen sei und in sein Handschuhfach geschaut habe, um dort seine eigenen Sachen herauszunehmen. Er habe die Kokainbriefchen in seinen Rucksack getan, welchen er im Kofferraum des Autos gelassen habe. Beide hätten vereinbart, dass beim nächsten Treffen die Briefchen dem Freund zurückgegeben würden. Bei der Durchsuchung durch die Polizei habe er nicht überblickt, was seine unwahre Äußerung, er konsumiere das aufgefundene Kokain selbst, für ihn bedeuten würde. Er habe lediglich den wahren Besitzer schützen wollen. Die zwei negativen Gutachten belegten, dass er selbst kein Kokain nehme. Der Umstand, dass bei Ergebnissen unterhalb der Nachweisgrenze einmalige oder sehr seltene Konsumhandlungen nicht ausgeschlossen werden könnten, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Jedenfalls belegten die Gutachten, dass er nicht an den Wochenenden Kokain zu konsumieren pflege. Beigefügt war ein weiteres Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin. Dort war am 22. Januar 2020 eine weitere Haarprobe entnommen worden. Der Befund hinsichtlich Kokain und dessen Abbauprodukte war negativ, wobei wiederum ein einmaliger oder seltener Konsum nicht ausgeschlossen werden konnte.
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Auf Anraten des Gerichts teilte der Antragsteller die Adresse des Zeugen C. mit und übersandte dessen eidesstattliche Versicherung vom 14. April 2020. Der Zeuge versicherte darin, am 24. Juli 2019 mit dem Antragsteller verabredet gewesen zu sein. Er habe ihn abgeholt und sie seien in dessen Auto zur Z. Bar gefahren. Wie auch sonst habe er seine Wertsachen, dabei auch diverse Kokainbriefchen, im Handschuhfach des Autos des Antragstellers gelassen. Er selbst sei langjähriger Kokainkonsument. Am Ende des Abends habe er seine Wertsachen wieder an sich genommen und sei vom Antragsteller nach Hause gefahren worden. Damals habe er in der Elbgaustraße gewohnt. Als er seine Sachen aus dem Handschuhfach genommen habe, habe er versehentlich drei Kokainbriefchen dort belassen. Später habe der Antragsteller ihm dieses mitgeteilt. Beide hätten dann vereinbart, dass der Antragsteller ihm die Briefchen beim nächsten Treffen zurückgebe. Ein paar Tage später habe ihm der Antragsteller erzählt, dass sein Auto durchsucht worden sei und dass man das Kokain in seinem Rucksack im Kofferraum gefunden habe. Nachdem der Antragsteller durch medizinische Untersuchungen nicht habe beweisen können, dass er selbst kein Kokain nehme, habe er ihm gesagt, dass er seine Person durchaus offenbaren dürfe. Er wolle nicht der Auslöser dafür sein, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht zurückerhalte. Beide seien gute Freunde. Der Antragsteller, der kein Kokain nehme, sei mit seinem Kokainkonsum nicht einverstanden und wolle, dass er damit aufhöre.
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Die Antragsgegnerin tritt dem Begehren entgegen. Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtenen Bescheide.
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Die Sachakten der Antragsgegnerin haben dem Gericht vorgelegen.
II.
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Nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) gerichtet ist. Dieser zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
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Die Abwägung des Interesses des Antragstellers, vorläufig weiter ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, mit dem widerstreitenden öffentlichen Interesse, seine Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr sofort zu unterbinden, ergibt, dass dem privaten Aufschubinteresse hier der Vorrang einzuräumen ist. Denn die Klage des Antragstellers hat dafür ausreichende Erfolgsaussichten (1.). Auch ergibt die weitere Abwägung kein überwiegendes Vollzugsinteresse (2.).
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1. Als Rechtsgrundlage einer Fahrerlaubnisentziehung kommt hier allein § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) StVG und § 46 Abs. 1 FeV in Betracht. Danach ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist. Dies ist jedoch nach der bisher im Eilverfahren möglichen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht überwiegend wahrscheinlich.
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Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV fehlt es insbesondere dann an der Kraftfahreignung, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 FeV vorliegen. Dies unterliegt hier aber erheblichen Zweifeln. Die Entziehung der Fahrerlaubnis stellt dabei eine gebundene Entscheidung dar; ein Ermessensspielraum wird der Behörde nicht eingeräumt (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 21.1.2019, 11 ZB 18.2066, juris Rn. 19).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verfügung, die die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (m.w.N. BVerwG, Urteil vom 27.9.1995, 11 C 34/94, BVerwGE 99, 249 ff., juris Rn. 9). Da über den Widerspruch bereits entschieden wurde, kommt es hier auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2020 an. Dies betrifft allerdings nur den maßgeblichen Sachverhalt selbst, nicht aber die Gewinnung von Erkenntnissen hierüber, die auch im anschließenden gerichtlichen Verfahren noch möglich ist.
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Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller sich gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Danach ist zum Führen von Kraftfahrzeugen regelmäßig nicht geeignet, wer Betäubungsmittel im Sinne des BtMG einnimmt.
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Zwar ist beim Antragsteller Kokain (medizinisch: Cocain) gefunden worden. Bei Kokain handelt es sich gemäß Anlage III in Verbindung mit § 1 Abs. 1 BtMG um ein Betäubungsmittel im Sinne des BtMG. Drei Portionen der Droge befanden sich im Rucksack des Antragstellers in dessen Auto und damit in dessen Besitz. Einen naturwissenschaftlichen Nachweis auch der Einnahme von Kokain durch den Antragsteller gibt es indes nicht. Vielmehr hat das Institut für Rechtsmedizin des UKE auf Veranlassung des Antragstellers durch zwei Haaranalysen festgestellt, dass sich jedenfalls von Juni 2019 bis Mitte September 2019 und von Mitte Oktober 2019 bis Mitte Januar 2020 bei ihm keine Hinweise auf einen Konsum von Kokain ergeben hätten, wobei allerdings ein einmaliger oder sehr seltener Konsum nicht ausgeschlossen werden könne. In den ersten Überprüfungszeitraum fällt die Selbstbezichtigung des Antragstellers, an den Wochenenden Kokain zu konsumieren.
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Es gibt allerdings keinen Rechtsgrundsatz, wonach der die Fahreignung ausschließende Konsum einer harten Droge eines chemisch-toxikologischen Nachweises bedarf. Vielmehr hat die Antragsgegnerin nach § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 HmbVwVfG den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen und ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Beweismittel holt sie gemäß § 26 Abs. 1 HmbVwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen ein. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 HmbVwVfG sollen die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken, insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben. Räumt ein Fahrerlaubnisinhaber selbst den Konsum von Drogen ein, ist diese Erklärung damit grundsätzlich zu berücksichtigen und bedarf keines weiteren wissenschaftlichen Nachweises, wenn nicht gewichtige Gründe gegen ihre Richtigkeit sprechen (vgl. entsprechend OVG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2017, 4 Bs 180/17, juris Rn. 15; speziell für Kokainkonsum vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17.5.2018, 7 L 502/18, juris Rn. 8; VG München, Beschluss vom 20.2.2018, M 6 S 17.4335, juris Rn. 30; BayVGH, Beschluss vom 28.6.2010, 11 CS 10.508, juris Rn. 49 ff.).
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Anlässlich seiner polizeilichen Kontrolle am 26. Juli 2019 hatte der Antragsteller eingeräumt, dass es sich bei den drei Portionen Kokain um sein eigenes handele, welches er an den Wochenenden beim Feiern konsumiere. Damit hat er einen tendenziell sogar regelmäßigen Kokainkonsum behauptet. Diese Äußerung hat er später im Widerspruchs- und im gerichtlichen Verfahren widerrufen und als Schutzbehauptung zu Gunsten eines Freundes dargestellt.
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Hier sprechen mehrere gewichtige Gründe dafür, dass die einmalige Selbstbezichtigung des Antragstellers nicht der Wahrheit entsprach, sodass in diesem Eilverfahren seine Behauptung, selbst kein Kokain zu konsumieren, als glaubhaft erscheint. Im Einzelnen gilt dazu folgendes:
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Das Ergebnis des chemisch-toxikologischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin vom 27. September 2019 weist zuverlässig nach, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des Auffindens der drei Kokainpäckchen kein regelmäßiger Kokainkonsument gewesen sein kann. Seine Äußerung, an den Wochenenden beim Feiern Kokain zu konsumieren, kann deshalb nicht zutreffen. Auch wenn die Haaranalyse einen einmaligen oder sehr seltenen Konsum nicht auszuschließen vermag, steht sie einem Konsum „an den Wochenenden“ mit Sicherheit entgegen.
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Zwar genügt für eine Fahrerlaubnisentziehung bereits der einmalige (experimentelle) Konsum von Kokain (vgl. insbesondere OVG Hamburg, Beschluss vom 24.1.2007, 3 Bs 300/06, juris Rn. 9 ff. m.w.N.). Einen solchen hat der Antragsteller aber gerade nicht eingeräumt, als er auf einen Eigenkonsum an den Wochenenden verwies. Auch der Fund von gleich drei Kokainbriefchen spricht nicht für einen einmaligen Konsum, sondern einen fortgesetzten, wie ihn sein Freund Herr C. später auch eingeräumt hat. Naturwissenschaftlich auszuschließen ist ein einmaliger oder sehr seltener Konsum von Kokain durch eine Haaranalyse allerdings nicht. Dies berechtigt jedoch nicht zum Umkehrschluss, dass dann wohl ein einmaliger Konsum anzunehmen sei. Der Umstand, dass ein einmaliger oder sehr seltener Konsum durch das negative Ergebnis einer Haaranalyse nicht ausgeschlossen werden kann, ist kein Spezifikum dieses Einzelfalles, sondern darin begründet, dass Haaranalysen generell kein genaueres Ergebnis ermöglichen, da hierbei die Droge bzw. ihre Abbauprodukte in der Substanz über mehrere Monate gewachsener Haare gefunden werden müssen. Auch bei behördlich (z.B. im Rahmen der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis) angeordneten Haaranalysen wird diese verbleibende Konsumrestwahrscheinlichkeit toleriert.
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Zudem hat es der Antragsteller durch seinen glaubhaft gemachten Vortrag zu den Hintergründen des Vorfalls vermocht, der Annahme eines einmaligen oder sehr seltenen Kokainkonsums wirksam entgegenzutreten.
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Schon mit seinem Widerspruch hat der Antragsteller substantiiert, nachvollziehbar und lebensnah (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschlüsse vom 15.11.2017, 4 Bs 180/17, juris Rn. 20; vom 14.5.2019, 4 Bs 92/19, juris Rn. 9; vom 16.11.2017, 4 Bs 237/17 n.v.; VG Hamburg, Beschluss vom 2.8.2018, 15 E 707/18, juris Rn. 27) geltend gemacht, auf welche Weise er damals in den Besitz des Kokains gekommen sei, und weshalb hieraus nicht auf Eigenkonsum geschlossen werden dürfe. Detailgenau und in sich widerspruchsfrei stellt der Antragsteller dar, dass die Kokainbriefchen einem guten Freund von ihm gehörten, welcher diese nach einem gemeinsamen Barbesuch im Auto des Antragstellers im Handschuhfach liegen gelassen habe. Verlässliche Anhaltspunkte dafür, dass der dargestellte Geschehensablauf nicht richtig sein kann, sind in diesem Eilverfahren nicht ersichtlich. Auch erscheint es nicht als völlig fernliegend, dass der Antragsteller mit einem regelmäßigen Kokainkonsumenten eng befreundet ist, gleichwohl aber selbst das Betäubungsmittel nicht konsumiert.
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Nachvollziehbar ist auch die Erklärung, weshalb sich der Antragsteller bei der polizeilichen Durchsuchung seines Fahrzeugs wahrheitswidrig selbst des Kokainkonsums bezichtigt hatte. Lebensnah ist, dass der Antragsteller über den Kokainfund der Polizei in seinem Fahrzeug sehr erschrocken war und spontan nach einer Erklärung für den Fund suchte, die einerseits seinen guten Freund nicht als Kokainkonsumenten verriet und andererseits nicht die Gefahr barg, selbst für einen Drogenhändler gehalten zu werden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bot die Selbstbezichtigung, Kokain zu konsumieren. Die Folgen dieser fremdnützigen Schutzbehauptung für seine Fahrerlaubnis hatte der Antragsteller unter dem Druck der Situation offenbar aber aus dem Blick verloren.
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Schließlich ist dem Antragsteller in diesem Eilverfahren zugute zu halten, dass er seinen Vortrag durch eidesstattliche Versicherung des maßgeblichen Zeugen glaubhaft gemacht hat. Der vom Antragsteller benannte tatsächliche Eigentümer und Nutzer des Kokains, Herr C., gab in seiner Erklärung das Geschehen substantiiert aus seiner Perspektive wieder. Dass er sich dabei selbst des verbotenen Kokainkonsums bezichtigt hat, spricht für die Richtigkeit seines Vortrags.
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Nicht erkennbar ist, was der Antragsteller aktuell noch vortragen und beibringen sollte, um vor dem geschilderten Hintergrund seine aktuelle Fahreignung positiv nachzuweisen. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung ist nicht weiterführend, wenn bereits die Einnahme einer Droge nicht wahrscheinlich ist. Da nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV der hier gegebene widerrechtliche Besitz eines Betäubungsmittels die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen kann, kann die Antragsgegnerin bei Bedarf verbleibenden Restzweifeln an seiner fortbestehenden Fahreignung dadurch begegnen, dass sie ihm für eine angemessene Zeit auferlegt, seine Drogenfreiheit medizinisch nachzuweisen.
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2. Angesichts der dargestellten Erfolgsaussichten ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers Vorrang einzuräumen. An einer rechtswidrigen Entziehung der Fahrerlaubnis besteht von vornherein kein öffentliches Vollzugsinteresse. Der bloße Verdacht der möglicherweise fehlenden Fahreignung rechtfertigt ebenfalls nicht die vorläufige Entziehung. Vielmehr kann dieser ggf. durch weitere Drogenscreenings abgeklärt werden.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
- 32
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG. Dabei ist der Streitwert der Eilsache mit der Hälfte des in der Hauptsache für die Entziehung einer nicht schwerpunktmäßig berufsbezogen genutzten Fahrerlaubnis anzunehmenden Streitwertes von 5.000 € festzusetzen.
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Referenzen
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- 15 E 707/18 1x (nicht zugeordnet)
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- 3 Bs 300/06 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 1 BtMG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 1x
- 7 L 502/18 1x (nicht zugeordnet)
- 4 Bs 237/17 1x (nicht zugeordnet)
- § 46 Abs. 1 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- StVG § 3 Entziehung der Fahrerlaubnis 1x
- 11 C 34/94 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 26 Abs. 1 HmbVwVfG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 Bs 92/19 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 Bs 180/17 2x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 HmbVwVfG 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV 1x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 HmbVwVfG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 88 1x