Beschluss vom Verwaltungsgericht Hannover (3. Kammer) - 3 A 5750/15

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen; zugleich entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten.

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Billigem Ermessen entspricht es, wenn die Klägerin die Kosten trägt, denn ihr Rechtsmittel wäre voraussichtlich erfolglos geblieben. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die darauf schließen lassen, dass der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2015 rechtswidrig gewesen ist. Insbesondere der Buchstabe h. der in dem Bescheid verfügten Nebenbestimmungen bietet keinen Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit.

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Diese Nebenbestimmung lautete:

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„Im Garten dürfen höchstens 10 Kinder zeitgleich betreut werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass die dem jeweiligen Kind vertraglich zugeordnete Tagespflegeperson anwesend ist. Sollte eine zeitgleiche Betreuung von mehr als 10 Kindern stattfinden, müssen die Spielbereiche getrennt sein.“

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1. Die Rechtmäßigkeit dieser Nebenbestimmung ergibt sich aus § 32 Abs. 1 SGB X, § 43 Abs. 3 S. 5 SGB VIII i.V.m. § 22 Abs. 1 S. 3 u. 4 SGB VIII, § 15 Abs. 2 S. 3 Nds. AG SGB VIII.

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a) Nach § 32 Abs. 1 SGB X, § 43 Abs. 3 S. 5 SGB VIII kann eine Erlaubnis zur Kindertagespflege mit einer Nebenbestimmung versehen werden, soweit diese sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Dies war hier der Fall, denn der Buchstabe h. der Nebenbestimmung hat dem Zweck gedient, die persönliche Zuordnung der einzelnen Kinder zu ihrer Tagespflegeperson zu gewährleisten. Dies wiederum stellt eine gesetzliche Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis zur Kindertagespflege dar.

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Gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 u. 4 SGB VIII, § 15 Abs. 2 S. 3 Nds. AG SGB VIII handelt es sich um eine Tageseinrichtung und nicht um eine Tagespflegestelle, wenn im Fall der gemeinsamen Nutzung von Räumen durch mehrere Tagespflegepersonen zum Zwecke der Betreuung die vertragliche und persönliche Zuordnung des einzelnen Kindes zu einer bestimmten Tagespflegeperson nicht gewährleistet ist. Es geht bei der Bestimmung in § 15 Abs. 2 S. 3 Nds. AG SGB VIII nicht darum, die Kinder nur voneinander zu unterscheiden oder sie der jeweiligen Tagespflegeperson zuzuordnen, sondern auch darum, die individuelle Betreuung der Tagespflegekinder zu garantieren. Kindertagespflege ist personenbezogen (Lakies in: Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl., § 43, Rn. 24). Das zu betreuende Kind ist der Tagespflegeperson vertraglich und persönlich zugeordnet (vgl. Gerstein in: GK-SGB VIII, § 43, Rn. 12 a ff.). Wesentliches Strukturmerkmal der Tagespflege ist das individuelle, familiäre Betreuungssetting. Kindertagespflege zeichnet sich durch eine familiäre Atmosphäre, feste Bezugspersonen, kleine Kindergruppen und intensive, individuelle Zuwendung und Förderung sowie eine flexible Gestaltung der Betreuungszeit aus (vgl. Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl., § 23, Rn. 7). Um eine Förderung in Kindertagespflege handelt es sich grundsätzlich dann, wenn jeder Tagespflegeperson maximal fünf gleichzeitig anwesende Kinder fest und ausschließlich zugeordnet sind und die Tagespflegepersonen nicht gemeinsam arbeiten. Nicht ausreichend ist, dass die Betreuung der Kinder durch ihre konkrete Tagespflegeperson bloß im Vordergrund steht, denn dies entspräche dem Wesen der institutionellen Förderung in Tageseinrichtungen, bei der eine Erzieherin vorwiegend eine Gruppe betreut (vgl. DIJuF, Gutachten vom 31. Dezember 2006 zu Rechtsfragen der Finanzierung von Kindertagespflege aus öffentlicher Hand - unter Einbeziehung arbeits- steuer- und versicherungsrechtlicher Faktoren, S. 30/31: https://www.dijuf.de/tl_files/downloads/2010/projekte/DIJuF-GutachtenfuerDV-FinanzierungvonKindertagespflege31.12.06.pdf.pdf). Die Abgrenzung zu einer Tageseinrichtung ist wichtig, denn für diese gelten nach dem KiTaG deutliche strengere Vorgaben.

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b) Der von der angegriffenen Regelung betroffene Garten fällt auch unter den Begriff der Räume i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 3 Nds. AG SGB VIII. Nach dem Sinn und Zweck dieser Norm ist der Begriff „Räume“ so auszulegen, dass darunter alle Bereiche fallen, die nicht öffentlicher Raum, sondern der Tagespflegestelle als solcher zuzuordnen sind. Der Garten stellt – als dessen Außengelände – einen Teil der Tagespflegestelle dar.

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c) Die Nebenbestimmung ist zudem nicht unverhältnismäßig gewesen. Sie hat ein zum Erreichen des Zwecks der persönlichen Zuordnung der einzelnen Kinder zu ihrer Tagespflegeperson (s.o.) geeignetes Mittel dargestellt. Es ist auch kein milderes Mittel zum Erreichen dieses Zwecks erkennbar. Das Tragen verschiedenfarbiger Leibchen zur Identifizierung der einzelnen Tagespflegegruppen wäre kein milderes (geeignetes) Mittel zum Erreichen des angestrebten Zwecks gewesen, da dies der gesetzlichen Vorgabe nicht ausreichend genüge getan hätte. Denn es geht bei der Bestimmung in § 15 Abs. 2 S. 3 Nds. AG SGB VIII nicht darum, die Kinder nur voneinander zu unterscheiden oder sie der jeweiligen Tagespflegeperson zuzuordnen, sondern auch darum, die individuelle Betreuung der Tagespflegekinder zu garantieren (s.o.), was durch das Tragen verschiedenfarbiger Leibchen nicht hinreichend gewährleistet gewesen wäre. Dadurch wäre lediglich eine visuelle Erkennbarkeit der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit der Kinder ermöglicht worden. De facto hätte dann aber in den Räumen der Einrichtung (s.o.) eine Gruppengröße bestanden, die das gesetzlich erlaubte Maß der gleichzeitigen Betreuung von bis zu zehn Kindern (§ 43 Abs. 3 S. 1 SGB VIII i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 Nds. AG SGB VIII) überstiegen hätte.

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Schließlich ist die Nebenbestimmung unter Buchstabe h. auch angemessen zum Erreichen des vorbezeichneten Zwecks gewesen. Sie hat die genaue Umsetzung der Klägerin überlassen, ohne sie über das erforderliche Maß zu belasten.

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2. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 S. 2 VwGO.

12

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO).

 


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