Beschluss vom Verwaltungsgericht Hannover (3. Kammer) - 3 B 5314/19

Tenor

Der Antragstellerin wird für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt B., B-Straße, 31875 A-Stadt zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom {C.} gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom {D.} wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

2

Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

3

Die erforderlichen Erfolgsaussichten liegen aus den nachstehenden Gründen vor. Die Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig und die Antragstellerin ist bedürftig.

II.

4

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die unter Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides angedrohte Abschiebung der Antragstellerin nach Marokko ist zulässig und begründet.

1.

5

Der Antrag ist gemäß §§ 35, 36 Abs. 1 und 3, 71a Abs. 4 des Asylgesetzes (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Die Frist für die Antragstellung gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung ist eingehalten.

2.

6

Der Antrag ist auch begründet.

a)

7

Das Verwaltungsgericht ordnet nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage an, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes das öffentliche Interesse an der in § 75 Abs.1 AsylG angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Hierfür sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen. Gemäß §§ 36 Abs. 4 S. 1, 71a Abs. 4 AsylG sind, da es sich vorliegend um eine Abschiebungsandrohung in Folge einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a AsylG handelt, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erforderlich. Diese sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (Pietzsch in: BeckOK AuslR, AsylG § 36 Rn. 37).

b)

8

Nach diesem Maßstab überwiegt im vorliegenden Fall das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nähren derzeit gewichtige Gründe ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides.

9

Rechtsgrundlage der Unzulässigkeitsentscheidung ist § 71a Abs. 1 AsylG. Danach ist auf den Asylantrag eines Ausländers oder einer Ausländerin hin, der oder die bereits in einem sicheren Drittstaat erfolglos ein Asylverfahren abgeschlossen hat, ein weiteres Asylverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) durchzuführen. § 51 VwVfG setzt für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens voraus, dass sich die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich geändert hat (Abs. 1 Nr. 1) und der Betroffene unverschuldet außerstande war, den Wiederaufgreifensgrund im vorherigen Verfahren geltend zu machen (Abs. 2). Schließlich muss der Antrag binnen drei Monaten nach der Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes gestellt werden (Abs. 3).

10

Diese Voraussetzungen sind vorliegend im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt.

11

Die aus Marokko stammende Antragstellerin durchlief bereits in Spanien erfolglos ein Asylverfahren. Sie reiste danach gemeinsam mit ihrer Familie am {E.} in die Bundesrepublik ein und stellte hier einen weiteren Asylantrag. Mit Bescheid vom {F.} wurde dem aus Syrien stammenden Ehemann der Antragstellerin in der Bundesrepublik bestandskräftig die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt. Darin liegt bei summarischer Würdigung eine für die Antragstellerin erhebliche nachträgliche Änderung der Sachlage.

12

Zur Änderung der entscheidungserheblichen Sachlage gehören solche Tatsachen, die durch Subsumtion unter die einschlägigen Normen die Entscheidung tragen (vgl. Falkenbach in: BeckOK VwVfG, § 51 Rn. 36). Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Ehemann der Antragstellerin stellt eine solche tragende Tatsache dar. Denn diese begründet voraussichtlich einen Anspruch der Antragstellerin auf Familienasyl gemäß § 26 Abs. 1 AsylG.

13

Die Antragstellerin ist gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bereits vor der Flüchtlingsanerkennung ihres Mannes eingereist und es ist nicht ersichtlich, dass die Anerkennung ihres Ehemannes gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylG zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Auch hat die Ehe entsprechend § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bereits in Syrien und damit in jenem Staat bestanden, in welchem der Ehemann der Antragstellerin politisch verfolgt wird.

14

Einem Anspruch der Antragstellerin nach § 26 Abs. 1 AsylG steht im Übrigen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin bei summarischer Würdigung insbesondere nicht entgegen, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann verschiedene Staatsangehörigkeiten innehaben. Es ist danach vielmehr weder erforderlich, dass der Antragstellerin in Syrien selbst eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht, noch steht danach einem Anspruch aus § 26 Abs. 1 AsylG entgegen, dass sie potentiell in ihr eigenes Heimatland Marokko zurückkehren könnte, ohne dort Verfolgung fürchten zu müssen.

15

Seinem Wortlaut nach normiert § 26 Abs. 1 AsylG nicht das Erfordernis, dass der Ehe- oder Lebenspartner des Asylberechtigten auch selbst die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Verfolgerstaates innehaben muss (so aber VG Augsburg, Urteil des Einzelrichters vom 08. Mai 2019 – Au 6 K 18.31794 –, juris Rn. 30, unter Berufung auf VG Kassel, Urteil des Einzelrichters vom 07.06.2018, 2 K 1834/17 Ks.A, juris Rn. 30 ff., m.w.N., wonach der Anspruch auf Familienasyl einen gemeinsamen Herkunftsstaat der Eheleute oder zumindest den letzten gemeinsamen Aufenthalt im Herkunftsstaat des Asylberechtigten voraussetzt). Indem § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ausdrücklich das Erfordernis normiert, dass die Ehe bereits im Herkunftsstaat des Verfolgten bestanden haben muss, soll gerade sichergestellt werden, dass auch dort eine familiäre Lebensgemeinschaft gepflegt wurde und die Eheleute dort zumindest zeitweise gemeinsam gelebt haben (vgl. Bergmann in: Bergann/ Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 26 AsylG, Rn. 12). Damit wird die „Verfolgungsnähe“ zwischen den Eheleuten bzw. Lebenspartnern als Basis für eine einheitliche asylrechtliche Behandlung gesetzlich determiniert. Soweit hingegen eine darüber hinausgehende Verfolgungsgemeinschaft im Sinne einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit oder eines letzten Aufenthaltes in diesem Land verlangt wird (vgl. VG Augsburg und VG Kassel, a.a.O.), findet dies keine Grundlage im Gesetz. Auch der Sinn und Zweck des § 26 AsylG gebietet bei summarischer Würdigung eine solche einschränkende Auslegung zulasten der Asylantragsteller nicht zwingend. Denn ein Anspruch auf Familienasyl besteht nach dem Gesetzeswortlaut gerade unabhängig davon, ob der antragstellende Familienangehörige auch selbst verfolgt wird. Hierdurch soll insbesondere auch der Schutz der Familie aber auch eine erfolgreiche Integration gewährleistet werden (vgl. Günther in: BeckOK AusländerR, § 26 AsylG, Rn. 2 m.w.N.). Zudem wäre es für den Gesetzgeber ohne Weiteres möglich gewesen, das einschränkende Merkmal einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit bzw. eines einheitlichen Herkunftsstaates im Gesetz textlich zu verankern, wenn er das gewollt hätte. Die Entscheidungen des VG Augsburg und des VG Kassel überzeugen daher bei vorläufiger Würdigung nicht, zumal angesichts der namentlich vom VG Kassel zitierten Gegenauffassung auch nicht nachvollziehbar ist, warum diese Entscheidungen jeweils von einem Einzelrichter und nicht von der jeweiligen Kammer getroffen wurden, um gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zulassen zu können, wie es aus Sicht des erkennenden Gerichts zwingend geboten gewesen wäre.

16

Da nach alledem mit hoher Wahrscheinlichkeit gemäß § 71a AsylG ein neues Asylverfahren durchzuführen und der Antragstellerin Familienasyl gemäß § 26 Abs. 1 AsylG zu gewähren sein dürfte, sind die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und der Erlass einer Abschiebungsandrohung bei summarischer Würdigung rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

3.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

 


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