Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 10 K 312/10

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller, ein Vollerwerbslandwirt, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreises, mit der ihm die Abgabe von Rohmilch aus einem Milchautomaten am Standort ... in ... untersagt wird.
Der Antragsteller betreibt zusammen mit seiner Ehefrau einen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb mit Schwerpunkt Milcherzeugung. Am Standort Hauptstraße ... in ... hat der Antragsteller einen Milchautomaten aufgestellt, an dem er Rohmilch abgibt. In ca. 2 km Entfernung hiervon betreibt der Antragsteller eine Hofstelle mit einem Besatz von ca. 50 Milchkühen.
Mit Verfügung vom 15.01.2010 untersagte das Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis dem Antragsteller, Rohmilch aus dem Milchautomaten (Standort: ...) abzugeben und in Verkehr zu bringen. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung wurde angeordnet. In der Begründung führte das Landratsamt aus: Da die Abgabe der Rohmilch hier nicht im Milcherzeugungsbetrieb erfolge, liege ein Verstoß gegen § 17 der Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs (Tier-LMHV) vor. Die Anordnung des Sofortvollzugs dieser Verfügung sei im öffentlichen Interesse geboten. Zur Verhinderung von Gefahren für Leben und Gesundheit der Verbraucher sei es erforderlich, dass Rohmilch aus dem Milchautomaten nicht mehr in Verkehr gebracht werde. Es könne nicht abgewartet werden, bis über einen etwaigen Rechtsbehelf rechtskräftig entschieden sei, da die Nichtbeachtung des § 17 Abs. 1 Tier-LMHV geeignet sei, die Verbraucher erheblich zu gefährden. Die Untersagungsverfügung wurde dem Antragsteller am 19.01.2010 zugestellt.
Am 20.01.2010 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.
Am 05.02.2010 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Karlsruhe die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Er beantragt (sinngemäß ausgelegt),
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 20.01.2010 gegen die Verfügung des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreis vom 15.01.2010 wieder herzustellen.
Zur Begründung führt der Antragsteller aus: Sein landwirtschaftlicher Betrieb bestehe schon seit vielen Generationen. Bis in die 90-er Jahre sei unter der Adresse ... in ... Milch frei Hof verkauft worden. Im Jahr 1996 sei eine Expansion des landwirtschaftlichen Betriebs durch den Neubau einer weiteren Betriebsstätte ca. 2 km entfernt hiervon erfolgt. Die neue Betriebsstätte bestehe im Wesentlichen aus einem neuen Stall für die Unterbringung von Milchkühen mit Nachzucht. Im Hauptstandort ... würden derzeit nur in einem geringen Umfang Tiere gehalten; im Wesentlichen würden die dort noch vorgehaltene und einsatzbereite Stallanlage als Notstall verwendet, z.B. für kranke Tiere. Sein landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb bestehe daher aus zwei Betriebsstätten. Es sei nur das gemeinsame Existieren beider Betriebsstätten möglich, nämlich dem Hauptsitz ... mit vorhandener Betriebswohnung seiner Familie, dem landwirtschaftlichen Büro, dem vorgehaltenen sofort einsetzbaren Notstall für z.B. kranke Tiere, mehrere Maschinenhallen, ein Getreidelager, die Werkstatt für Landtechnik und das Spritzmittellager in Verbindung mit dem ausgelagerten Hauptstallgebäude. Die Betriebsstätte Milchviehstall beherberge im Wesentlichen die Milchviehhaltung mit Nachzucht sowie die Melk-Technik. Weiter habe er nicht die früher eingerichtete Milchverkaufsstelle wiedereröffnet, sondern vielmehr ein komplett neues Milchhäuschen eingerichtet. Er erfülle alle hygienerechtlichen Vorschriften gemäß § 17 Abs. 4 Tier-LMHV. Es ließen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass zwischen dem Weg Kuheuter und Abzapfen der Rohmilch durch den neu angeschafften Milchautomaten in irgendeiner Weise eine hygienische Gefährdung für die Allgemeinheit erkennbar sei. Nachdem der Antragsgegner keine Anhaltspunkte dafür habe, dass in irgendeiner Form die Gesundheit des Verbrauchers gefährdet sein könnte, müsse dieses Rechtsgut - die Gesundheit des Verbrauchers - als gering eingestuft werden. In diesem Zusammenhang sei auch zu sehen, dass er in ein komplett neues, den neuesten Anforderungen entsprechendes Milchhäuschen mit einem neuen Milchautomaten bei einer Gesamtinvestition von ca. 13.000,00 EUR investiert habe. Er und seine Familie seien dringend darauf angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, einen Milchverkauf frei Hof im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durchzuführen, damit seine Familie die kommenden 12 Monate überleben könne. Er und seine Familie lebten derzeit von Reserven und Krediten. Seine Milchabgabestelle sei sehr verkehrsgünstig an der ... in ... gelegen. Vor dem Milchhäuschen befände sich eine ausreichend große freie Fläche zum Parken. Zahlreiche Milchkunden hätten in einer Unterschriftenliste dafür plädiert, dass der Hof-Verkauf von Milch in seinem „Milchhäusle“ weiter durchgeführt werden könne. Auch werde in der angefochtenen Verfügung fehlerhaft die Adresse „...“ genannt, obwohl sein gesamter landwirtschaftlicher Betrieb nur über die Adresse ... in ... verfüge. Sein Viehstall besitze keine eigene postalische Adresse und auch keine gesicherte öffentlich-rechtliche Erschließung für Publikumsverkehr. Bei den von ihm geplanten Abgabemengen handele es sich um eine kleinere Menge, für die Art. 1 Abs. 3c der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 regele, dass diese EU-Verordnung nicht gelte. Mit Schriftsatz vom 23.02.2010 führte der Antragsteller weiter aus, er gebe gerade nicht Rohmilch auf freiem Feld und Flur im Rahmen eines sog. Bauerngartens ab. In seinem Fall stehe der Milchautomat im Ort an der Hauptbetriebsstätte und alle gesetzlichen Vorschriften zur Hygiene seien in dem abgetrennten „Milchhäusle“ erfüllt. Er habe einen vollautomatischen Milchabgabeautomaten mit Klimatisierung, automatischem Kannenwechsel ohne Restmilchbildung, Leerstand Sensorüberwachung, sowie drei zusätzliche 50 l Edelstahlkannen zum Transport frei Haus zu einem Preis netto von 6.489,60 EUR erworben. Er produziere die Milch in dem bekannten Milchviehstall mittels eines modernen Fischgrätenmelkstandes mit 2 x 4 Stellplätzen. Von dort gelange die Milch entsprechend den gesetzlichen Vorschriften in Vorratsbehälter und werde sofort auf ca. 2° C abgekühlt. Mit dieser Temperatur werde die zum Verkauf bestimmte Milch in einen Transportbehälter gefüllt, mittels eines Pkw die Entfernung von 2 km - Fahrzeit ca. 2 - 3 Minuten - zum Hauptbetrieb/“Milchhäusle“ gefahren und dort sofort in den Milchautomaten gestellt. Dort erfolge sofort wieder eine Klimatisierungsüberwachung. Der Antragsgegner habe keinen konkreten Anfangsverdacht für hygienerechtliche Bedenken.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Er führt aus: Aus Gründen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes sei in Deutschland die Abgabe von Rohmilch an Verbraucher grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme hiervon lasse die einschlägige Verordnung nur unter strengen Bedingungen zu, wenn die Milch in Fertigverpackungen als Vorzugsmilch oder im Milcherzeugungsbetrieb unmittelbar direkt an die Verbraucher abgegeben werde. Milcherzeugungsbetrieb sei nur der Betriebsteil, in dem die Milch tatsächlich erzeugt worden sei. Außerhalb des Erzeugungsbetriebs liegende Räumlichkeiten zur Milch-ab-Hof-Abgabe dürften nicht verwendet werden, selbst wenn sie sich in der Verfügungsgewalt des Milcherzeugers befänden. Eine Abgabe der Milch in einem räumlich getrennten anderen Betriebsstandort, wie im Falle des Antragstellers in der alten Hofstelle im Ortskern, sei daher nicht zulässig. Diese Auslegung des Rechts sei bei einem vergleichbaren Sachverhalt durch das Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg vorgenommen worden, um einen einheitlichen Verwaltungsvollzug in Baden-Württemberg zu gewährleisten. Hintergrund der strikten gesetzlichen Regelung sei, dass der mit der Abgabe außerhalb der Erzeugungsstätte verbundene Umgang mit der Rohmilch (Ab-/Umfüllen) und der Transport zu einer negativen Beeinflussung der Milchqualität führen könne. Die mögliche Unterbrechung der Kühlkette führe zur Vermehrung der vorhanden Keime und Krankheitserreger. Außerdem bestehe die Gefahr der nachträglichen Kontaminierung mit Bakterien beim Umgang mit Milch.
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Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Antragsgegners (1 Band) vor.
II.
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 5 VwGO zulässig, jedoch unbegründet.
13 
Bei der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung, ob die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Untersagungsverfügung nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederhergestellt werden soll, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Suspensivinteresse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug der Nutzungsuntersagung verschont zu bleiben, abzuwägen. Dabei kommt es auf die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs an. Erweist sich der Widerspruch als wahrscheinlich erfolgreich, wird kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes bestehen. Umgekehrt hat der Antragsteller regelmäßig kein schutzwürdiges privates Interesse, von der Vollziehung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben.
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Der Widerspruch wird im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung ist formell ordnungsgemäß ergangen, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Die entsprechend § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich verfügte Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verweist auf die Gefahren für Leben und Gesundheit der Verbraucher durch die Rohmilchabgabe aus dem Milchautomaten am Standort .... Das besondere Vollzugsinteresse ist damit ausreichend dargelegt.
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Die Untersagungsverfügung vom 15.01.2010 dürfte auch zu Recht ergangen sein. Rechtsgrundlage für die Untersagung sind die innerstaatlichen Vorschriften nach § 39 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) i.V.m. § 17 Tier-LMHV (vgl. zur Verordnungsermächtigung: §§ 13 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 6, 34 Satz 1 Nr. 1 und 4 LFGB).
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Nach § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB treffen die zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachts eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind. Nach § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 LFGB können sie insbesondere das Herstellen, Behandeln oder das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten oder beschränken.
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Nach §§ 1, 18 Abs. 4 AGLMBG i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 LVG war das Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis für den Erlass der lebensmittelrechtlichen Untersagungsverfügung vom 15.01.2010 zuständig.
19 
Die Voraussetzungen für die getroffene Untersagungsverfügung dürften vorliegen, da die Abgabe von Rohmilch durch den Rohmilchautomaten am Standort ..., gegen § 17 Tier-LMHV verstoßen dürfte. Nach § 17 Abs. 1 Tier-LMHV ist es verboten, Rohmilch oder Rohrahm an Verbraucher abzugeben. Der Anwendung von § 17 Abs. 1 Tier-LMHV steht nicht der Inhalt der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 (ABl. L 139 vom 30.4.2004, S. 55) entgegen (hierzu unter 1.) und die Voraussetzungen der hier in Betracht kommenden Ausnahmeregelung des § 17 Abs. 4 Satz 1 Tier-LMHV dürften nach der im Eilverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung nicht vorliegen (hierzu unter 2.). Auch sonstige Gründe für eine Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Verfügung sind nicht erkennbar (hierzu unter 3.).
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1. Der Anwendung von § 17 Abs. 1 Tier-LMHV steht Art. 1 Abs. 3c der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 nicht entgegen. Diese regelt spezifische Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs. Nach Art. 1 Abs. 3c gilt die Verordnung zwar nicht für die direkte Abgabe kleiner Mengen von Primärerzeugnissen durch den Erzeuger an den Endverbraucher oder an örtliche Einzelhandelsunternehmen, die die Erzeugnisse direkt an den Endverbraucher abgeben. Das hier maßgebliche Verbot der Rohmilchabgabe an Verbraucher beruht jedoch nicht auf der Verordnung (EG) Nr. 853/2004. Denn Art. 10 Abs. 8a der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 überlässt es ausdrücklich dem einzelnen Mitgliedsstaat, aus eigener Initiative und unter Einhaltung der allgemeinen Bestimmungen des Primärrechts einzelstaatliche Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, mit denen das Inverkehrbringen von Rohmilch oder Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, in seinem Hoheitsgebiet untersagt oder eingeschränkt wird.
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2. Die Ausnahmeregelung des § 17 Abs. 4 Satz 1 Tier-LMHV dürfte im vorliegenden Fall voraussichtlich nicht zugunsten des Antragstellers eingreifen.
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Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 Tier-LMHV darf Rohmilch abweichend von Absatz 1 von Milcherzeugungsbetrieben unmittelbar an Verbraucher abgegeben werden, wenn
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1. die Abgabe im Milcherzeugungsbetrieb erfolgt,
2. die Rohmilch im eigenen Betrieb gewonnen und behandelt worden ist,
3. die Rohmilch am Tag der Abgabe oder am Tag zuvor gewonnen worden ist,
4. an der Abgabestelle gut sichtbar und lesbar der Hinweis „Rohmilch, vor dem Verzehr abkochen“ angebracht ist und
5. die Abgabe von Rohmilch zuvor der zuständigen Behörde angezeigt worden ist.
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Bei der vorliegend streitigen Abgabe von Rohmilch aus einem Rohmilchautomaten am Standort ... in ... dürfte es sich voraussichtlich nicht um eine Abgabe „im Milcherzeugungsbetrieb“ im Sinne der Vorschrift handeln. § 17 Abs. 4 Satz 1 Tier-LMHV begrenzt die Rohmilchabgabe auf den eigentlichen Milcherzeugungsbetrieb, somit auf den Ort, an dem die Milch gewonnen wird.
25 
Bereits dem Wortlaut von § 17 Abs. 4 Satz 1 Tier-LMHV mit ihrer Aufzählung von fünf numerisch aufgeführten Voraussetzungen, die alle kumulativ für eine Ausnahme erfüllt sein müssen, ist zu entnehmen, dass es sich bei der Anforderung Nr. 1, der Abgabe „im Milcherzeugungsbetrieb“, um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal handelt. Aus der Systematik folgt, dass die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 17 Abs. 4 Satz 1 Tier-LMHV als Ausnahmetatbestand zu dem grundsätzlichen Rohmilchabgabeverbot in Absatz 1 eng auszulegen sind. Auch die Verwendung des unter Nr. 4.1. des Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 definierten Begriffs des „Milcherzeugungsbetriebs“ als „Betrieb mit einem oder mehreren Nutztieren, die zur Erzeugung von Milch, die als Lebensmittel in Verkehr gebracht werden soll, gehalten werden“ steht einem engen Verständnis des Begriffs „im Milcherzeugungsbetrieb“ nicht entgegen. Wie unter 1. ausgeführt, handelt es sich bei § 17 Tier-LMHV um eine rein nationale Regelung. Sinn und Zweck der Regelung ist der Schutz der Verbraucher vor den gesundheitlichen Risiken durch den Verzehr von Rohmilch (vgl. hierzu die amtliche Begründung zur Vorgängerregelung, abgedruckt in Zipfel, Lebensmittelrecht, Stand: Erg.-LfG. 112 (2002), § 8 MilchV RdNr. 1). Rohmilch kann Krankheitserreger wie EHEC-Bakterien oder Campylobacter enthalten. Die Bakterien lösen Infektionen aus, die insbesondere bei kleinen Kindern zu schweren gesundheitlichen Schäden führen können. Folge einer solchen Infektion können bleibende Nierenschäden oder sogar der Tod des infizierten Kindes sein (vgl. etwa Bundesinstitut für Risikobewertung, Mitteilung vom 29.05.2009 unter http://www.bfr.bund.de/cd/29651). Nach dem Willen des Verordnungsgebers ist eine Liberalisierung des Verkaufs von roher Milch entsprechend dem Votum des Bundesgesundheitsrates aus dem Jahre 1987 nach wie vor nicht zu verantworten (Zipfel, a.a.O., Votum des Bundesgesundheitsrats: BGesundhBl. 30, Nr. 7, S. 251 (1987)). Die Regelung in § 17 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Tier-LMHV begrenzt die Rohmilchabgabe dementsprechend räumlich auf den eigentlichen Milcherzeugungsbetrieb als dem Ort, in dem die Milch gewonnen wird (vgl. zur Vorgängerregelung: Zipfel, a.a.O. RdNr. 6). Außerhalb dieses Ortes liegende Räumlichkeiten dürfen nicht verwendet werden, selbst wenn sie sich in der Verfügungsgewalt des Milcherzeugers befinden (Zipfel, a.a.O. RdNr. 5).
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Gemessen hieran dürfte die Rohmilchabgabe durch den Rohmilchautomaten am Standort ... in ... nicht das Tatbestandsmerkmal der Abgabe „im Milcherzeugungsbetrieb“ erfüllen. Nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers erfolgt die Milchgewinnung in dem 2 km hiervon entfernten Betrieb auf dem Flurstück .... Auf die Lage des landwirtschaftlichen Büros, dem Stellplatz von Zubehörgerätschaften oder gar der Betriebswohnung des Antragstellers kommt es nach vorstehenden Ausführungen nicht an. Auch der behauptete „Notstall“ für z.B. kranke Tiere macht den Standort ... nicht zum Milcherzeugungsbetrieb im Sinne von § 17 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Tier-LMHV. Dem Vortrag des Antragstellers lässt sich nicht entnehmen, dass an diesem Standort (auch) Milch im Sinne dieser Regelung gewonnen wird, zumal die Melk-Technik nach seinem Vortrag am 2 km entfernten Milchviehstall vorgehalten wird. Schließlich ist es nach Sinn und Zweck der vom Verordnungsgeber gewollten Beschränkung auch nicht maßgeblich, dass der augenblickliche Standort des Rohmilchautomaten verkehrsgünstiger liegt und der Milchviehstall für die Kunden des Antragstellers demgegenüber vergleichbar schwerer zu erreichen wäre.
27 
Auf die Erfüllung der sonstigen - insbesondere der hygienerechtlichen - Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 Tier-LMHV durch den Antragsteller kommt es nicht an, da sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 4 Tier-LMHV - wie ausgeführt - kumulativ erfüllt sein müssen.
28 
3. Die angefochtene Verfügung dürfte auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken begegnen.
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Der angeführte Verkauf von Milch frei Hof am Standort ... in ... „bis in die 90-er Jahre“ hat nicht zur Folge, dass der Antragsteller sich auf eine Form von Bestandsschutz für den Rohmilchverkauf berufen könnte.
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Ermessensfehler bei der Untersagungsverfügung gemäß § 39 Abs. 2 LFGB i.V.m. § 17 Tier-LMHV sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Das vom Antragsteller angeführte wirtschaftliche Interesse an dem Rohmilchverkauf an einem verkehrsgünstigen Standort führt nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Verfügung. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dem Gesundheitsschutz der Verbraucher demgegenüber den Vorrang eingeräumt hat.
31 
Auch die mehrfache, fehlerhafte Nennung der „...“ in der Begründung der Untersagungsverfügung vom 15.01.2010 führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, denn zum einen ist der Tenor der Untersagungsverfügung von diesem Fehler nicht betroffen, zum anderen handelt es sich erkennbar um ein Schreibversehen, das vom Adressaten als solches zu erkennen ist und im Widerspruchsbescheid noch korrigiert werden kann.
32 
Aufgrund der dargestellten gesundheitlichen Risiken beim Verzehr von Rohmilch gewichtet das Gericht im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Interessenabwägung darüber hinaus das öffentliche Interesse am Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren durch die Abgabe von roher Milch höher als das private, vorwiegend wirtschaftlich orientierte Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug der Untersagungsverfügung verschont zu bleiben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004.

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