Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - A 19 K 2565/22

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
I.
Mit seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wendet sich der Antragsteller gegen die mit der Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig verbundene Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien.
Der am XX.XX.1994 in ... (Syrien) geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste er im Oktober 2021 gemeinsam mit seinem im Jahr 2013 geborenen Neffen aus Syrien zunächst in die Türkei aus. Von dort reiste er auf dem Landweg nach Deutschland weiter und äußerte ein Asylgesuch, das dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am 29.01.2022 bekannt wurde. Eine Eurodac-Anfrage ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Bulgarien vom 11.01.2022, woraufhin der Antragsteller in einer Erstbefragung einen Fragebogen zur Zulässigkeit des Asylantrages ausfüllte. Dabei gab er an, er sei durch Bulgarien gereist und habe sich vom 11.01.2022 bis zum 18.01.2022 dort in ... aufgehalten. Am ersten Tag seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. In der folgenden Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrages beim Bundesamt am 02.06.2022 gab er an, er habe in Bulgarien keinen Asylantrag stellen wollen. Er sei in Bulgarien für 31 Tage inhaftiert gewesen, und am Ende seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Nach seiner Freilassung habe er das Land verlassen.
In der Akte des Bundesamts liegen der undatierte Abdruck einer E-Mail an „...“ mit dem Text „Dear colleagues, attached a take back request and the Eurodac result. Kind regards Dublin Unit 32 F“, ein Informationsschreiben über ein Übernahmeersuchen an das Regierungspräsidium Karlsruhe vom 09.03.2022 sowie eine E-Mail der Dublin Unit Bulgaria vom 09.03.2022 mit dem Text „This is an automatic reply to confirm receipt of your mail“ vor.
Mit Bescheid vom 26.07.2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (2.) und ordnete seine Abschiebung nach Bulgarien (3.) sowie ein auf elf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot (4.) an. Über die Zustellung des Bescheides liegt in der Akte des Bundesamtes kein Nachweis vor.
Gegen den Bescheid vom 26.07.2022 hat der Antragsteller am 02.08.2022 Klage erhoben (A 19 K 2564/22) sowie den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Zur Begründung lässt er vortragen: Als nicht anerkanntem Asylbewerber drohe ihm nach einer Überstellung nach Bulgarien mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh. Die in Bulgarien herrschenden Lebensbedingungen seien sowohl für Asylbewerber wie für anerkannte Flüchtlinge menschenrechtlich nicht akzeptabel. Außerdem habe die Antragsgegnerin die Modalitäten der Überstellung gar nicht dargelegt, was an sich die Unzulässigkeit der Überstellung zur Folge habe.
Der Antragsteller beantragt sachdienlich gefasst,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage – A 19 K 2564/22 – gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26.07.2022 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
10 
Zur Begründung bezieht sie sich auf den ablehnenden Bescheid.
11 
Dem Gericht liegt die Akte des Bundesamtes in elektronischer Form vor. Auf diese sowie auf die Gerichtsakten beider Verfahren des Antragstellers wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
II.
12 
Der Antrag, über den gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg. Er ist in jedem Fall innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt worden und auch sonst zulässig, jedoch unbegründet.
1.
13 
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem sich aus der Regelung des § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt eine Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers in aller Regel nicht das öffentlichen Vollzugsinteresse. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortige Vollziehung. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass mit der Vollziehung ein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff verbunden wäre oder soweit die Vollziehung zu unabänderlichen Zuständen führen kann, muss die Untersuchung der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit auf der Grundlage einer vollständigen Rechtsprüfung unter Aufklärung des Sachverhalts ergehen. Nur wenn dies gesichert ist, kann das Eilverfahren zu Lasten des Betroffenen entschieden werden, da es hier die Funktion des Hauptsacheverfahrens einnimmt (Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 80 Rn. 100).
2.
14 
Nach diesem Maßstab überwiegt das Interesse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse nicht, da sich die angegriffene Abschiebungsanordnung nach Bulgarien als voraussichtlich rechtmäßig erweist.
15 
Grundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift kann die Abschiebung eines Ausländers in den für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat angeordnet werden, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
16 
Diese Voraussetzungen liegen vor.
a)
17 
Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass Bulgarien gegenwärtig für die Durchführung des Asylverfahrens im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständig ist.
18 
Der Eurodac-Treffer der Kategorie 1, zu dem der Ort eines bulgarischen Aufnahmezentrums angegeben wird (Vrazhdebna, vgl. Aida Country Report Bulgaria, Update 2021, vom 01.02.2022, S. 67), erlaubt den Schluss, dass der Antragsteller in Bulgarien einen Asylantrag gestellt hat. Dies wird durch den Vortrag des Antragstellers nicht erschüttert, da er keine konsistenten Angaben zu seinem Aufenthalt in Bulgarien gemacht hat. Bereits zur Dauer finden sich erhebliche Abweichungen (7 Tage laut Fragebogen, 31 Tage laut Anhörung), hinzu kommt die ausweichende Antwort („Ich habe dort etwas unterschrieben. Ich weiß nicht, was es war“) auf die Frage nach einem Asylantrag in der Anhörung.
19 
Mangels anderer Kriterien ergibt sich die Zuständigkeit Bulgariens aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Es ergeben sich bei der summarischen Prüfung im Eilverfahren keine Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Art. 23 Abs. 2, 3 Dublin-III-VO ein Übernahmeersuchen an die bulgarischen Behörden gerichtet hat und somit nicht die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf sie übergegangen ist. Zwar ist das Schreiben mit dem Übernahmeersuchen selbst in der Akte des Bundesamts nicht dokumentiert, jedoch erlauben die zugehörigen Schriftstücke (E-Mail an die bulgarische Dublin-Einheit, automatische Antwort) den Schluss, dass ein Übernahmeersuchen gestellt wurde. Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin folgt auch nicht aus der gemeinsamen Einreise des Antragstellers mit seinem Neffen nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO, da der Neffe nach dem Schreiben seines Bruders ... vom 19.03.2022 nunmehr bei diesem lebt und nicht auf die Betreuung durch den Antragsteller angewiesen ist.
b)
20 
Gegen die Annahme der Zuständigkeit Bulgariens kann sich der Antragsteller nicht auf eine drohende Verletzung von Art. 4 GRCh berufen.
aa)
21 
Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung ist die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem geltende und auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhende Vermutung, dass die Behandlung der Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der EMRK steht (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-163/17 – juris, Rn. 82).
22 
Diese Vermutung ist indes nicht unwiderlegbar. Nach Art. 4 GRCh obliegt den Mitgliedstaaten, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
23 
Die Folgen systemischer Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GRCh, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. So ist diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit etwa dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-163/17 – juris, Rn. 91 ff.).
bb)
24 
Nach diesen Maßstäben ergeben sich weder aus dem Vorbringen des Antragstellers noch aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien, aus denen dem Antragsteller die konkrete Gefahr einer extremen materiellen Not im oben genannten Sinne drohen würde.
(1)
25 
In Bulgarien ist die Durchführung eines Asylverfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen einschließlich der Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleistet (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien vom 13.06.2022, S. 2). Mögliche Mängel des Asylverfahrens hinsichtlich qualifizierter Dolmetscher, die in den Erkenntnismitteln erwähnt werden, beziehen sich nicht auf die für den Antragsteller relevante arabische Sprache (vgl. Aida, a. a. O., S. 28); die Anerkennungsquote für syrische Asylbewerber liegt bei 99 % (vgl. Aida, a. a. O., S. 59). Die Verfahrensgewährleistung gilt auch für sog. „Dublin-Rückkehrer“ in jedem Fall, wenn ihr Asylverfahren nicht zwischenzeitlich mit einer inhaltlichen Entscheidung abgeschlossen wurde. Dies gilt in der Praxis für Asylbewerber, solange nicht alle vor der Entscheidung liegenden Verfahrensschritte abgeschlossen wurden (vgl. Aida, a. a. O., S. 39; BFA, a. a. O., S. 5). Da der Antragsteller sich nur kurze Zeit in Bulgarien aufgehalten hat und von einer persönlichen Anhörung im Asylverfahren, auf deren Basis eine inhaltliche Entscheidung getroffen werden könnte, nichts erwähnt hat, ist vorliegend von einer Fortsetzung des Asylverfahrens auszugehen.
(2)
26 
Hinsichtlich der materiellen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien ergeben sich keine Hinweise, dass insoweit die genannte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit der Mängel überschritten wird.
27 
Eine ausreichende Grundversorgung mit Lebensmitteln und Sanitärartikeln ist in den bulgarischen Aufnahmezentren für Asylbewerber gewährleistet. Auch wenn die Qualität des Essens zum Teil kritisiert wird (vgl. Aida, a. a. O., S. 63), gibt es keine Hinweise auf eine damit verbundene gesundheitsrelevante Unterversorgung. In gleicher Weise gilt dies für die Qualität der Unterbringung, die – von dem Aufnahmezentrum Vrazhdebna, in dem der Antragsteller wohl registriert wurde, abgesehen – als ebenfalls nach internationalen Standards unzureichend angesehen wird (vgl. Aida, a. a. O., S. 67 f.). In den Aufnahmezentren wird über Probleme mit den sanitären Einrichtungen und Schlafplätzen (Befall mit Bettwanzen) berichtet (vgl. BFA, a. a. O., S. 11; Aida, a. a. O., S. 67). Indes sind drastische hygienische Mängel in Bezug auf Parasiten selbst bei der Bewertung von Haftbedingungen im Lichte von Art. 3 EMRK allein ein in den Blick zu nehmender Faktor, wobei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch auf die Überprüfung und Desinfektion durch die Mitarbeitenden in den Haftanstalten abstellt (EGMR, Urt. v. 23.07.2020 – 29760/15 – Rn. 53). Mit Blick auf die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften für Asylantragsteller und die Bewertung der Bedingungen vor Art. 4 GRCh gilt es zu beachten, dass diese – anders als inhaftierte Personen – nicht den wesentlichen Teil des Tages gezwungen sind, in ihren Zimmern zu verweilen und sie selbst auch in weit größerem Umfang als Inhaftierte in der Lage sind, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, da sie in ihrer persönlichen Fortbewegungsfreiheit nicht eingeschränkt sind, so dass jedenfalls dann, wenn nicht in größerem Umfang über mit den Hygienebedingungen in Zusammenhang stehenden Erkrankungen berichtet wird, die geschilderten hygienischen Zustände nicht dazu führen, dass mit ihnen die tatsächliche Gefahr einer Verletzung der Asylantragsteller in ihren Grundrechten aus Art. 4 GRCh verbunden wäre. Solche Berichte über erhebliche Erkrankungen lassen sich den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln indes nicht entnehmen und sind auch vom Antragsteller nicht behauptet worden.
28 
Es ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller der Zugang zu einem Aufnahmezentrum praktisch möglich sein wird. Die Kapazität der Zentren war Ende 2021 nur circa zur Hälfte ausgeschöpft (vgl. BFA, a. a. O., S. 10). Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich dies durch den Zuzug ukrainischer Flüchtlinge nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine geändert haben könnte. Vielmehr wird die Belegungsquote für Mitte Juni 2022 mit 53 % weitgehend unverändert angegeben (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 06.07.2022, S. 1).
29 
Die medizinische Versorgung wird gewährleistet, indem grundlegende Dienstleistungen in den Aufnahmezentren angeboten werden und die Asylbewerber im Übrigen im nationalen Gesundheitssystem versorgt sind (vgl. Aida, a. a. O., S. 70 f.). Dies gilt auch für sog. „Dublin-Rückkehrer“ (vgl. BFA, a. a. O., S. 12 f.).
(3)
30 
Auch in Hinblick auf die Situation von Asylbewerbern nach der Zuerkennung internationalen Schutzes ist die konkrete Gefahr einer extremen Verelendung nicht anzunehmen.
31 
Zwar ist nach den Erkenntnismitteln davon auszugehen, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien mit verschiedenen Problemen konfrontiert werden, die ihnen die Sicherung ihres Lebensunterhaltes erschweren. Diese sind jedoch – jedenfalls für den vorliegenden Fall eines gesunden und arbeitsfähigen alleinstehenden Mannes – in der Gesamtschau nicht als derart gravierend anzusehen, dass aus ihnen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer extremen materiellen Not erwachsen wird (vgl. wie hier VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – A 4 S 162/22 – juris, Rn. 32; zuvor bereits Beschl. v. 27.05.2019 – A 4 S 1329/19 – juris, Rn. 16 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 07.12.2021 – 10 LB 257/20 – juris, Rn. 30 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.02.2022 – 11 A 1625/21.A – juris, Rn. 52 ff.; VG Minden, Beschl. v. 30.03.2022 – 12 L 233/22.A – juris, S. 16 ff.; VG Aachen, Beschl. v. 07.04.2022 – 8 L 123/22.A – juris, S. 24 ff.; VG München, Beschl. v. 02.06.2022 – M 10 S 22.50254 – juris, Rn. 22; VG Leipzig, Urt. v. 28.06.2022 – 7 K 289/22.A – juris, Rn. 28 ff.).
32 
Im Einzelnen liegen dem folgende Erwägungen zugrunde:
33 
Anerkannte Schutzberechtigte können in Bulgarien nicht dauerhaft die materiellen Leistungen für Asylbewerber (Verpflegung, Unterkunft usw.) in Anspruch nehmen, sondern sind auf die eigene Sicherung des Lebensunterhaltes angewiesen. Ob darüber hinaus eine Sicherung durch Sozialleistungen in Betracht zu ziehen ist, erscheint zweifelhaft. Einerseits wird die Möglichkeit einer Sozialhilfe in Höhe von monatlich 40 EUR und jährlicher Einmalhilfe von 192 EUR erwähnt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 08.07.2022, S. 2). Andererseits gibt es Hinweise, dass die bürokratischen Hindernisse der Antragstellung praktisch kaum oder allenfalls mit Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen überwindbar sind (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung Bulgarien, Situation von subsidiär Schutzberechtigten, vom 19.07.2021, S. 3).
34 
Anerkannte Schutzberechtigte haben uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, der sich jedoch praktisch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse und fehlender staatlicher Unterstützung schwierig gestalten kann. Arbeitsmöglichkeiten finden sich überwiegend in schlechter bezahlten, unqualifizierten Tätigkeiten (z. B. Landwirtschaft, Gastronomie) und über Kontakte zu Landsleuten, die sich ein eigenes Gewerbe aufgebaut haben (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Potsdam vom 11.03.2021, S. 5). Nach Angaben von UNHCR besteht Interesse von Arbeitgebern an der Beschäftigung von Flüchtlingen, und UNHCR beteiligt sich an der Kontaktvermittlung (z. B. durch Jobmessen; vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an OVG Hamburg vom 07.04.2021, S. 4). Auch weitere Nichtregierungsorganisationen können bei entsprechender Initiative Hilfe und Vermittlung bieten (vgl. BFA, Anfragebeantwortung vom 19.07.2021, S. 5 f.). Soweit ersichtlich, werden die Chancen anerkannter Schutzberechtigter auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gravierend durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt, da sich in den letzten beiden Jahren wieder ein moderates Wirtschaftswachstum eingestellt und sich die Arbeitslosenrate auf einem relativ niedrigen Niveau von ca. 5 % stabilisiert hat (vgl. Europäische Kommission, Spring 2022 Economic Forecast for Bulgaria vom 16.05.2022, online abrufbar unter: https://ec.europa.eu/economy_finance/forecasts/2022/spring/ecfin_forecast_spring_2022_bg_en.pdf). Ein starkes Wachstum ist andererseits angesichts zunehmender Unsicherheiten und einer sich abzeichnenden Rezession in Europa nicht zu erwarten (vgl. Germany Trade and Invest, Wirtschaftsausblick Bulgarien, vom 10.06.2022, online abrufbar unter: https://www.gtai.de/de/trade/bulgarien/wirtschaftsumfeld/unsicherheiten-und-risiken-nehmen-zu-270130). Durch den Zuzug ukrainischer Flüchtlinge ist ein negativer Einfluss auf die Beschäftigungsmöglichkeiten zu erwarten, der jedoch noch nicht abgeschätzt werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft an OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.07.2022, S. 3).
35 
Insgesamt erscheint eine Teilnahme am Arbeitsmarkt bei entsprechender Eigeninitiative, die vom gesunden und arbeitsfähigen Antragsteller erwartet werden kann, realistisch möglich. Damit ist ein Lebensstandard im unteren Bereich der bulgarischen Lebensverhältnisse zugrunde zu legen. Dies ist zudem mit einigen Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren Wirtschaftsentwicklung, des Einflusses ukrainischer Flüchtlinge und der Entwicklung der Lebenshaltungskosten belastet. Gerade in den unteren Einkommensschichten kann der Anstieg der Lebenshaltungskosten zu einem Rückgang der Kaufkraft führen (vgl. Bericht Radio Bulgaria vom 22.08.2022, online abrufbar unter: https://bnr.bg/de/post/101694176/inflation-ubersteigt-weiterhin-das-einkommenswachstum). Dem Anstieg von Energiekosten wird allerdings durch Maßnahmen der bulgarischen Regierung (Steuerrabatt für Treibstoff, Preisdeckel für Elektrizität) begegnet (vgl. Bericht Reuters, Europe's efforts to shield households from soaring energy costs, vom 04.09.2022, online abrufbar unter: https://www.reuters.com/business/energy/europes-efforts-shield-households-soaring-energy-costs-2022-09-02/). Es ist zudem zu beachten, dass der schlechten Einkommenssituation vergleichsweise niedrige Lebenshaltungskosten gegenüberstehen (vgl. Europäische Arbeitsbehörde EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen in Bulgarien, online abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-working/living-and-working-conditions/living-and-working-conditions-bulgaria_de) und sich ein Anstieg im europäischen Vergleich somit auf niedrigem Niveau bewegt. Prognostisch ist weiter von einer mäßigen Lohnentwicklung auszugehen, was andererseits einen Mangel an Arbeitskräften bedingt (vgl. Bericht Radio Bulgaria vom 17.08.2022, online abrufbar unter: https://bnr.bg/de/post/101692073/grosste-probleme-des-arbeitsmarkts-arbeitskraftemangel-und-gleichzeitig-arbeitsscheue-arbeitnehmer) und die Chancen anerkannter Schutzberechtigter auf dem Arbeitsmarkt verbessern sollte. Zudem ist bei lebensnaher Betrachtung auch eine zunehmende Integration des Antragstellers in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu erwarten, wodurch er nicht auf eine randständige Position innerhalb der bulgarischen Gesellschaft festgelegt ist. Die genannten mittelfristigen Risiken der Unterhaltssicherung stützen daher derzeit nicht die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der extremen Verelendung.
36 
Eine solche ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Erlangung einer Unterkunft. Zwar endet nach dem Abschluss des Asylverfahrens die Möglichkeit der Unterkunft in den Aufnahmezentren. Die Wohnungssuche gestaltet sich für anerkannte Schutzberechtigte aufgrund der generellen Integrationsprobleme (Sprachkenntnisse, behördliche Registrierung, gleichzeitige Arbeitssuche, Vorbehalte bei Vermietern) schwierig. In einigen Erkenntnismitteln wird dies so dargestellt, dass die Erlangung einer privaten Unterkunft für anerkannte Schutzberechtigte praktisch ausgeschlossen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 08.07.2022, S. 3). Andererseits gibt es keine Hinweise auf eine größere Zahl von Obdachlosen unter den anerkannten Schutzberechtigten (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an BAMF vom 25.03.2019; VG Bremen, Beschl. v. 04.07.2022 – 2 V 153/22 – juris, Rn. 45 m. w. N.). Denn den Schwierigkeiten stehen auch Berichte über verschiedene Hilfsangebote gegenüber, die dem Antragsteller bei entsprechender Initiative zugute kommen können, darunter auch die einheimischen muslimischen Gemeinden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 13.06.2022, S. 13 ff.; Deutsche Botschaft Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien vom 01.05.2020, S.5 f.). Zudem wird die Gefahr der Obdachlosigkeit auch durch die Möglichkeit abgemildert, in einer Übergangszeit weiter in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (nach Aida, a. a. O., S. 97, nahmen dies Ende 2021 212 anerkannte Schutzberechtigte in Anspruch), die praktisch angesichts der aktuellen Belegungsquote von 53 % (s. oben) gegeben sein dürfte.
37 
Die medizinische Versorgung ist in Notfällen kostenfrei und wird im Übrigen durch die staatliche Krankenversicherung mit einem Beitragssystem bei Beschäftigten und einem Mindestbeitrag bei Arbeitslosen gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Potsdam vom 11.03.2021, S. 6). Zweifel an der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse anerkannt Schutzberechtigter ergeben sich insoweit nicht. Einen besonderen medizinischen Behandlungsbedarf hat der Antragsteller nicht geltend gemacht.
c)
38 
Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Antragstellers derzeit aufgrund des tatsächlichen Hindernisses einer fehlenden Aufnahmebereitschaft Bulgariens nicht durchgeführt werden kann, so dass offen bleiben kann, ob die tatsächliche Unmöglichkeit der Überstellung sich auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG auswirken kann.
39 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass der Unionsgesetzgeber nicht der Ansicht war, dass sich die praktische Unmöglichkeit, eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, für eine Rechtfertigung der Unterbrechung oder der Aussetzung der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO bezeichneten Überstellungsfrist eigne, was dazu führt, dass sich jedenfalls das Bundesamt bei einer Entscheidung nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO nicht auf eine tatsächliche Unmöglichkeit der Durchführung einer Überstellungsentscheidung berufen kann (EuGH, Urt. v. 22.09.2022 – C-245/21 u. C-248/21 – , Rn. 65 u. 70). Ob dies dazu führt, dass § 34a Abs. 1 AsylG unionsrechtskonform auszulegen ist und die Voraussetzung, „sobald feststeht, dass [die Abschiebung] durchgeführt werden kann“, nicht auf die tatsächliche Durchführbarkeit der Überstellung abstellt, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn zwischenzeitliche Annahmen, dass es aufgrund des Zustroms von Flüchtlingen aus der Ukraine an einer Wiederaufnahmebereitschaft Bulgariens fehlen könnte, haben sich nicht in greifbaren Anhaltspunkten niedergeschlagen und sind als überholt anzusehen (so explizit Übersicht Informationsverbund Asyl & Migration vom 01.06.2022, online abrufbar unter: https://www.asyl.net/view/uebersicht-auswirkungen-des-ukraine-krieges-auf-dublin-ueberstellungen, mit weiteren Nachweisen; vgl. auch VG Aachen, Beschl. v. 07.04.2022 – 8 L 123/22.A – juris, S. 23, wonach Bulgarien von ukrainischen Flüchtlingen eher als Transitland angesehen wird; wie hier VG München, Beschl. v. 02.06.2022 – M 10 S 22.50254 – juris, Rn. 25).
d)
40 
Soweit der Antragsteller geltend macht, die konkreten Modalitäten der Überstellung nach Bulgarien seien nicht bekannt, ist ein Abschiebungshindernis damit nicht dargelegt. Im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem ist ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte davon auszugehen, dass Bulgarien als zuständiger Mitgliedsstaat seiner Verpflichtung aus Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO nachkommt und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft des Antragstellers treffen wird.
41 
Andere Gründe, die einer Überstellung des Antragstellers im Rahmen des Dublin-Verfahrens entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3.
42 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 83b AsylG).
43 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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