Beschluss vom Verwaltungsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 L 6/18.KO

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

1

Der zulässige und gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthafte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 15. November 2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. November 2017 hat in der Sache keinen Erfolg.

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Vorab ist festzuhalten, dass die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheides schriftlich zu begründen. Diese Begründung muss auf den konkreten Fall abgestellt und darf nicht lediglich formelhaft sein (vgl. W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 84 ff.). Denn dieses Erfordernis zielt zum einen darauf ab, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollziehungsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert; es verfolgt zum anderen den Zweck, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnis dieser behördlichen Erwägungen seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs abschätzen zu können. Allerdings ist es im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unerheblich, ob die Begründung der Behörde für die Anordnung der sofortigen Vollziehung diese auch inhaltlich rechtfertigen kann. Gemessen hieran begegnet es keinen Bedenken, dass der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzuges damit begründet hat, es solle dem Inhaber einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis die Möglichkeit genommen werden, durch Vorlage eines Führerscheins den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, zur Teilnahme am Straßenverkehr befugt zu sein, wenn dieser kraft Gesetzes von Anfang an keine Gültigkeit in der Bundesrepublik habe. Ob diese Begründung zutreffend und tragfähig ist, ist hingegen nicht im Rahmen des § 80 Abs. 3 VwGO zu prüfen.

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Scheidet somit eine Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen formeller Mängel aus, bedarf es zur Entscheidung über die vorläufige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren einer gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Dabei ist entscheidend, ob das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides überwiegt. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt regelmäßig dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, ein hiergegen eingelegter Rechtsbehelf mithin erkennbar aussichtslos ist. Denn der Antragsteller hat kein schützenswertes Interesse, den Vollzug eines ersichtlich zu Unrecht angegriffenen Verwaltungsaktes bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. Ein überwiegendes Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel dann anzunehmen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren offensichtlich zum Erfolg führen wird, da an der sofortigen Vollziehung erkennbar rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse besteht. Sind schließlich die Erfolgsaussichten in der Sache „offen“, sind die sonstigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Dabei ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs dann wiederherzustellen, wenn das öffentliche Vollzugsinteresse das Aufschiebungsinteresse der Betroffenen nicht überwiegt.

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Die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresses aus, hinter dem das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, zurücktreten muss. Denn der Antragsteller hat es nicht für nötig befunden, durch substantiierte Angaben seinen angeblichen Studienaufenthalt in Tschechien zeitlich, örtlich und sachlich näher einzugrenzen und somit den Sachverhalt zu klären, ggf. auch durch aktuell von ihm beschaffte Unterlagen aus Tschechien. Nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung besteht daher derzeit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids des Antragsgegners vom 9. November 2017. Hier ist vorauszuschicken, dass der Sachverhalt bisher noch nicht abschließend und zweifelsfrei ermittelt ist, was jedoch nicht Voraussetzung für den Erlass eines Verwaltungsaktes ist. Der Antragsgegner unternimmt auch weiterhin die ihm obliegenden Bemühungen zur Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen (§ 24 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG –; vgl. den Schriftsatz nebst Anlage vom 23. Januar 2018), wohingegen der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nach § 26 Abs. 2 VwVfG i.V.m. der FeV bisher nur unzureichend nachgekommen ist.

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Die Feststellung in der Entscheidung zu Nr. 2 des Bescheides vom 9. November 2017 findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach gilt die Berechtigung, Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, nicht, wenn der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte, es sei denn, dass er als Student oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben hat. Ein ordentlicher Wohnsitz wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betreffende wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Ausstellerstaat wohnt. Ohne einen ordentlichen Wohnsitz kann ein Student oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen (Auslands-) Aufenthalts erwerben, nicht aber während eines Studiums, das zwar über den entsprechenden Zeitraum dauert, jedoch nicht mit einem längeren (mindestens sechsmonatigen) Aufenthalt verbunden ist.

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Nach den vorliegenden Unterlagen ist ein Wohnsitz des Antragstellers in Tschechien im Zeitraum des Erwerbs der Fahrerlaubnis am 20. April 2007 mit der Nr. ... trotz der Eintragung im Führerschein unter Nr. 8 „...“ auf der Grundlage unbestreitbarer Informationen aus dem Ausstellerstaat (vgl. das Telefax des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 23. Juni 2017 mit den dortigen Anlagen, Bl. 159 ff. der Verwaltungsakte) nicht nachgewiesen. Die tschechischen Behörden haben einen Wohnsitz mit „unknown“ bezeichnet, was von dem Antragsgegner zutreffend dahin gedeutet wurde, dass ein solcher – mangels anderer Anhaltspunkte und substantiierten Vortrags des Antragstellers – nicht vorlag (vgl. auch zur Vereinbarkeit der hier anzuwendenden Regelungen des § 28 FeV mit Europarecht: VG Neustadt/Weinstraße, Beschluss vom 10. September 2014 – 3 L 767/14.NW – und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 10 B 10880/14.OVG –).

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Ebenso kann nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller sich aus Anlass eines Studienaufenthaltes mehr als sechs Monate im Zeitraum des Erwerbs der Fahrerlaubnis in Tschechien aufgehalten hat. Selbst ein Aufenthalt in Tschechien in einer Unterkunft wird von den zuständigen tschechischen Behörden (vgl. Bl. 163 der Verwaltungsakte) mit „unknown“ beantwortet. Ein bloßes Studium genügt nicht den europarechtlichen Anforderungen, sofern es nicht mit dem Aufenthalt in dem Ausstellerstaat des Führerscheins verbunden war. Ein entsprechender Aufenthalt wurde von den tschechischen Behörden gerade nicht bestätigt.

8

Zwar ist es grundsätzlich nicht auszuschließen, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt sich gleichwohl in der Tschechischen Republik zu Studienzwecken aufgehalten hat, ohne gezwungen zu sein, seinen deutschen Wohnsitz aufzugeben. Soweit der Antragsteller trotz dieser Mitteilung der zuständigen tschechischen Behörde MeU Lovosice darauf beharrt, er habe im maßgeblichen Zeitraum ein Studium in Tschechien absolviert, hätte es aber ihm oblegen, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellermitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den näheren Umständen des Studiums einschließlich der besuchten Hochschule und des Studienfaches zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort (...) bestanden. Denn der Inhalt der Mitteilung der tschechischen Behörde war ihm mit Schreiben des Antragsgegners vom 5. Juli 2017 bekannt gegeben worden. Es bestand daher für den Antragsteller durchaus Veranlassung, konkrete Angaben zu den Modalitäten seines behaupteten Aufenthalts in Tschechien zu machen und sich nicht damit zu begnügen, auf einen Bürobrand vor einigen Jahren (Widerspruchsschreiben vom 15. November 2017) und das Schreiben des Antragsgegners vom 5. Juli 2017 zu verweisen, in dem es heiße: „Es ist ... vermerkt, dass Sie ein mindestens sechsmonatiges Studium in Tschechien absolviert haben“ (Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 21. Juli 2017, Bl. 167 ff. der Verwaltungsakte). Grundsätzlich hat jeder Prozessbeteiligte den Prozessstoff umfassend vorzutragen, also auch bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken; das gilt insbesondere für die „in seine Sphäre fallenden Ereignisse“. Bei anwaltlich vertretenen Antragstellern und Klägern ist die Mitwirkungspflicht auch grundsätzlich ausgeprägter als bei nicht anwaltlich Vertretenen (W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, a.a.O., § 86 Rn. 11 m.w.N.).

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Aufgrund der in diesem Verfahren nur zu leistenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geht das Gericht unter Würdigung der Gesamtumstände im gegenwärtigen Zeitpunkt ebenso wie der Antragsgegner davon aus, dass der Antragsteller weder einen Wohnsitz über einen ausreichend langen Zeitraum in Tschechien begründet noch sich dort über einen solchen Zeitraum zu Studienzwecken aufgehalten hatte. Grundlage hierfür sind die bereits erwähnte Mitteilung der tschechischen Behörde MeU Lovosice vom 23. Mai 2017 sowie die seit 8. Februar 1996 ununterbrochen angemeldete und betriebene Schank- und Speisewirtschaft mit Beherbergungsbetrieb des Antragstellers in ... nebst der ununterbrochenen Wohnsitzbegründung des Antragstellers seit dem 1. Februar 1996 dort (vgl. Bl. 202 f. und Bl. 151 f. der Verwaltungsakte). Der Antragsteller ist diesen in dem angegriffenen Bescheid dargelegten Umständen, die auch nach Überzeugung der Kammer den Schluss rechtfertigen, dass er in der Republik Tschechien weder einen Wohnsitz im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b i. V. m. Art. 9 der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) bzw. Art. 7 Nr. 1 Buchstabe e i.V.m. Art. 12 der 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG) begründet noch einen Studienaufenthalt im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b i.V.m. Art. 9 Abs. 2 der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) bzw. Art. 7 Nr. 1 Buchstabe e i.V.m. Art. 12 Abs. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG) absolviert hatte, auch in dem vorliegenden Verfahren nicht substantiiert, sondern nur mit dem pauschalen Hinweis auf ein „Studium“ in Tschechien und rechtlichen Erwägungen entgegengetreten. Selbst wenn die früher bei ihm vorhandenen Unterlagen bei einem Bürobrand vor einigen Jahren verloren gegangen sein sollten, was schon im Hinblick auf die ohne näheren Zeitraum, Umstände und Nachweise erfolgte Behauptung als unsubstantiierte Darlegung nicht glaubhaft ist, so hätte er inzwischen ausreichende Gelegenheit gehabt, nähere Umstände zu seinem angeblichen Studienaufenthalt darzulegen und gegebenenfalls über seinen der Deutsch-Tschechischen Juristenvereinigung angehörenden Prozessbevollmächtigten neue Unterlagen aus Tschechien zu seinem behaupteten damaligen Aufenthalt und Studium vorzulegen.

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Die tschechische Fahrerlaubnis des Antragstellers gilt somit nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht in Deutschland. Die entsprechende Feststellung des Antragsgegners nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV erweist damit gegenwärtig als rechtmäßig.

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Da der Kläger keine in Deutschland anzuerkennende Fahrerlaubnis besitzt, hat ihn der Antragsgegner gemäß § 3 Abs. 2 StVG, § 47 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 FeV im zweiten Absatz des Bescheides vom 9. November 2017 zu Recht zur Vorlage des tschechischen Führerscheins aufgefordert, um dort einen Vermerk anzubringen, der die Inlandsungültigkeit zum Ausdruck bringt. Hierauf bezieht sich ebenfalls die Anordnung der sofortigen Vollziehung.

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Ansonsten ergeben sich bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides im Übrigen. Das Begehren auf Herausgabe des Führerscheins ohne Sperrvermerk (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) bleibt im Hinblick auf die fehlende Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ebenfalls ohne Erfolg. Im Übrigen geht die Kammer davon aus, dass dem Antragsteller der tschechische Führerschein mit dem Sperrvermerk durch den Antragsgegner ausgehändigt wurde, wie in der Nr. 3 des Bescheides vom 9. November 2017 verfügt.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 GKG. Die Kammer orientiert sich dabei an den Nummern 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).

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