Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 2 L 1134/13
Tenor
1. | Die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 4818/13 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 5. Oktober 2010 (Az. 00 00-0000-00000) und die Nachtragsgenehmigung vom 19. Juni 2013 (Az. 00 00-0000-00000) für die Änderung eines Altenheims durch Errichtung eines Anbaus auf dem Grundstück U.--straße 00 in Leverkusen (Gemarkung P. , Flur 0, Flurstück 000) wird angeordnet. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils selbst. |
2. | Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3750,00 Euro festgesetzt. |
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Gründe
2Der gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 2 K 4818/13 des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 5. Oktober 2010 (Az. 00 00-0000-00000) und die Nachtragsgenehmigung vom 19. Juni 2013 (Az. 00 00-0000-00000) hat Erfolg.
3Die vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung und dem Interesse des Antragstellers, die Errichtung und Nutzung des genehmigten Vorhabens entgegen § 212a Abs. 1 BauGB vorerst zu verhindern, fällt zum Nachteil der Beigeladenen aus. Denn die von der Antragsgegnerin unter dem 5. Oktober 2010 erteilte und durch Nachtragsgenehmigung vom 19. Juni 2013 geänderte Baugenehmigung zur Änderung eines Altenheims durch Errichtung eines Anbaus auf dem Grundstück U.--straße 00 in Leverkusen (Gemarkung P. , Flur 0, Flurstück 000) verletzt den Antragsteller wahrscheinlich in seinen Rechten als Miteigentümer des Grundstücks S.-------straße 00 (Flurstück 000 der gleichen Flur).
4Das Vorhaben verstößt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW, da die Abstandflächen vor der nördlichen Wand des Vorhabens zum Teil auf dem Grundstück der Antragsteller liegen.
5Einer Prüfung der Einhaltung der Abstandflächen gemäß § 6 BauO NRW steht nicht schon der Vorbescheid der Antragsgegnerin vom 6. Januar 2009 (Az. 63-V2-2008-00090) entgegen. Zwar regelt dieser ausweislich des grün gestempelten amtlichen Lageplans (Bl. 37 des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin zum Bauvorbescheid), sowie der ebenfalls grün gestempelten Abstandflächenberechnung (Bl. 35 f. des Verwaltungsvorgangs) auch die Einhaltung des Abstandflächenrechts. Der Bauvorbescheid ist aber dem Antragsteller gegenüber nicht bekannt gegeben und somit nicht bestandskräftig geworden. Die durch ihn geregelten Fragen sind daher auch im gegen die Baugenehmigung gerichteten Anfechtungsprozess weiter zu prüfen.
6BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1983 – 4 C 44/80 –, BRS 40 Nr. 176
7Zudem weicht das damalige Vorhaben auch bezüglich der die Abstandflächen betreffenden Einzelheiten vom nunmehr genehmigten Vorhaben ab.
8Gegenüber dem Grundstück des Antragstellers ist im Bereich der Abstandfläche a7 eine Abstandfläche von 0,4 H nicht ausreichend. Vielmehr ist gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1, 1. Spiegelstrich BauO NRW eine Abstandfläche von 0,8 H erforderlich, die nicht eingehalten wird.
9Nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW genügt auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m gegenüber jeder Grundstücksgrenze als Tiefe der Abstandflächen 0,4 H. Vorliegend ist davon auszugehen, dass das sogenannte 16 m-Privileg von dem Vorhaben – anders als in den zur Baugenehmigung gehörenden Bauvorlagen vorgesehen – nicht mehr auf einer Länge von 16 m in Anspruch genommen werden kann, weil nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen ist, dass das 16 m-Privileg gegenüber der nördlichen Grundstücksgrenze bereits durch Teile des bestehenden Bauwerks, namentlich den zur nördlichen Grenze des Grundstücks gegenüber dem Grundstück S.-------straße 00 gelegenen Wintergarten, in Anspruch genommen wird. Die Abstandflächen dieses Wintergartens betreffen die gleiche Grundstücksgrenze im Sinne des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW wie die das Grundstück des Antragstellers betreffende Abstandfläche a7. Gemeint ist nämlich die Grundstücksgrenze aus Sicht des Baugrundstücks.
10VG Köln, Beschluss vom 26. April 2011 - 2 L 280/11 -, juris; Johlen, in Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 6 Rn. 252; s. auch Ministerium für Bauen und Verkehr NRW, Hinweise zu §§ 6 und 73 BauO NRW, Stand 15. Januar 2010, Abb. 6.1.
11Nach den vorliegenden Unterlagen muss davon ausgegangen werden, dass die vom Wintergarten ausgelöste Abstandfläche jedenfalls in Teilen 0,8 H unterschreitet.
12Die Wandhöhe des Wintergartens im Sinne von § 6 Abs. 4 Satz 1 bis 5 BauO NRW beträgt 5,50 m. Nach dem zur Baugenehmigung vom 5. Oktober 2010 gehörenden amtlichen Lageplan aus dem Jahr 2010 (Blatt 47 der Genehmigungsakte) und dem zur Nachtragsgenehmigung vom 19. Juni 2013 gehörenden amtlichen Lageplan von Februar 2013 (Blatt 6 der Genehmigungsakte) beträgt die Traufhöhe des Wintergartens 65,9 m über N.N. Soweit diese Höhe von der Baugenehmigung vom 5. Juli 2005 und dem zugrundeliegenden Bauvorbescheid vom 6. Oktober 2004, die eine Traufhöhe von 65,62 m über N.N. und somit eine Wandhöhe von lediglich 5,22 m vorsehen, abweicht, ist von der Richtigkeit der (aktuellen) amtlichen Lagepläne und einer von der Baugenehmigung vom 5. Juli 2005 abweichenden Bauausführung auszugehen. Der amtliche Lageplan begründet als amtliche Urkunde gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO nämlich vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen.
13Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. Oktober 2003 – 9 A 249/01 –, juris.
14Dazu gehören auch die Höhen bereits bestehender Gebäude.
15Die als unterer Bezugspunkt gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 BauO NRW maßgebliche Geländeoberfläche beträgt 60,4 m über N.N. Diese ist dem amtlichen Lageplan zum Vorbescheid und zur Genehmigung des Wintergartens zu entnehmen (Bl. 25 des Verwaltungsvorgangs zur Baugenehmigung vom 5. Juli 2005). Denn es ist auf das Geländeniveau abzustellen, das vor Durchführung der jeweiligen Baumaßnahme vorgefunden wurde.
16OVG NRW, Beschluss vom 7. Juni 1990 – 7 B 1124/90 -; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 6 Rn. 199.
17Zwar kann das Maß H und damit die erforderliche Abstandfläche ohne die Angabe der Firsthöhe in den amtlichen Lageplänen nicht genau berechnet werden. Denn diese Angabe ist für die Ermittlung der nach § 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2, 3. Spiegelstrich BauO NRW zur Wandhöhe zu einem Drittel hinzu zurechnenden Giebelfläche erforderlich. Es muss jedoch nach Lage der Akten davon ausgegangen werden, dass die Abstandfläche nicht eingehalten wird. Der aus dem zur streitgegenständlichen Nachtragsbaugenehmigung abgegriffene Abstand vom Wintergarten zur nördlichen Nachbargrenze beträgt nach dem Lageplan an der engsten Stelle weniger als 4,50 m. Nach dem amtlichen Lageplan zum der Baugenehmigung des Wintergartens zugrundeliegenden Bauvorbescheid vom 6. Oktober 2004 ist davon auszugehen, dass der Abstand 4,44 m beträgt. Ein Maß von 0,8 H wäre selbst bei einem Abstand zur Grundstücksgrenze von 4,50 m nur dann eingehalten, wenn die Giebelfläche weniger als 0,38 m hoch wäre [(65,9 m - 60,4 m + 1/3 × 0,37 m) × 0,8 = 4,50 m]. Davon kann nach den der Kammer vorliegenden Luftbildern nicht ausgegangen werden. Legt man die Giebelhöhe von 0,98 m entsprechend dem der Baugenehmigung vom 5. Juli 2005 zugrundeliegenden Bauvorbescheid vom 6. Oktober 2004 zugrunde, so beträgt das zur Berechnung der Abstandfläche maßgebliche Maß H im Sinne von § 6 Abs. 4 Satz 7 BauO NRW 5,83 m (65,9 m - 60,4 m + 1/3 x 0,98 m). Für die Einhaltung einer Abstandfläche von 0,8 H wäre ein Abstand von 4,66 m erforderlich.
18Das Vorhaben hält die demnach mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegenüber dem Grundstück des Antragstellers – jedenfalls in Teilbereichen – gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1, 1. Spiegelstrich BauO NRW erforderliche Abstandfläche von 0,8 H nicht ein. Im Bereich der Abstandfläche a7 wäre ein Abstand von 7,63 m [(69,94 m - 60,4 m) × 0,8] erforderlich. Der Abstand der Außenwand zur Grenze des Antragstellergrundstücks beträgt nach dem zur Nachtragsgenehmigung gehörenden amtlichen Lageplan zwischen etwa 5,80 m und 6,60 m.
19Die weitere Interessenabwägung fällt angesichts des wahrscheinlichen Verstoßes gegen die nachbarschützenden Vorschrift des § 6 BauO NRW zulasten der Beigeladenen aus. Soweit das Vorliegen eines Abstandflächenverstoßes mit den im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden konnte, geht dies zulasten der Beigeladenen. Denn soweit noch Unsicherheiten bestehen, beruhen diese allein auf Mängeln der von der Beigeladenen vorgelegten Bauvorlagen, die zu ihren Lasten gehen.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 3, § 159 Satz 1 VwGO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG und trägt der anzunehmenden Bedeutung der Sache aus der Sicht des Antragstellers Rechnung. Bei Nachbarstreitigkeiten ohne wirtschaftliches Eigeninteresse hängt der Streitwert von den Rechtsgütern bzw. Beeinträchtigungen ab, die der Nachbar schützen bzw. abwehren will. Je nach Gewicht der Angelegenheit ist er im Rahmen von 1.500,00 € bis 15.000,00 € festzusetzen (vgl. Ziffer 7 lit. a des Streitwertkatalogs der Bausenate des OVG NRW, BauR 2003, 1883). Danach erscheint hier im Klageverfahren ein Betrag von 7.500,00 € als angemessen, der wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens halbiert wird (vgl. Ziffer 12 lit. a des Streitwertkatalogs).
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Referenzen
- 4 C 44/80 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80a 1x
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 2 L 280/11 1x
- §§ 6 und 73 BauO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 1x
- VwGO § 98 1x
- § 6 BauO 1x (nicht zugeordnet)
- 9 A 249/01 1x (nicht zugeordnet)
- 7 B 1124/90 1x (nicht zugeordnet)
- 2 K 4818/13 2x (nicht zugeordnet)