Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 19 L 590/14
Tenor
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO aufgegeben, dem Antragsteller eine Betreuung in der Kindertagespflege in einem Umfang von 35 Stunden pro Woche zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
1
Gründe
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, ihm eine Betreuung in der Kindertagespflege in einem Umfang von 35 Stunden pro Woche zur Verfügung zu stellen,
4hat Erfolg.
5Der dem Wortlaut nach gestellte Antrag,
6der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, seine wöchentliche Betreuungszeit ab April 2014 vorläufig bis zum Ergehen einer Entscheidung im Klageverfahren 19 K 1581/14 auf 36-40 Stunden zu erhöhen,
7war gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO in den oben bezeichneten Antrag auszulegen. Die dem Wortlaut nach begehrte Erhöhung der wöchentlichen Betreuungszeit „auf 36-40 Stunden“ nimmt erkennbar Bezug auf die Bescheide der Antragsgegnerin vom 15.11.2013 und 07.03.2014. Mit dieser Bezugnahme lässt der Antragsteller außer Acht, dass die genannten an die Tagespflegeperson gerichteten Bescheide keine Entscheidungen darüber enthalten, in welchem Umfang ihm die nach § 24 Abs. 2 SGB VIII zustehende frühkindliche Förderung in der Kindertagespflege zur Verfügung gestellt wird. Die Bescheide regeln nur gegenüber der Tagespflegeperson, in welcher Höhe die Antragsgegnerin der Tagespflegeperson die laufende Geldleistung gem. § 23 Abs. 2 SGB VIII für die Betreuung des Antragstellers bewilligt. Bei Berücksichtigung des weiteren Antragsvorbringens will der Antragsteller mit seinem vorliegenden Antrag erreichen, dass ihm eine Betreuungszeit zur Verfügung gestellt wird, die es seiner Mutter ermöglicht, einer halbtägigen Beschäftigung bei der Bundesagentur für Arbeit in St. Augustin nachzugehen. Diese Betreuungszeit umfasst nach dem Antragsvorbringen keine 36-40 Stunden, sondern höchstens 35 Stunden pro Woche, nämlich die Arbeitszeit seiner Mutter (19,5 Wochenstunden), die Wegezeit für die Strecken zwischen dem Wohnort der Tagesmutter und der Arbeitsstätte seiner Mutter (15 Wochenstunden) sowie die Zeit von durchschnittlich 0,5 Stunden pro Woche, die seine Mutter für die Mitarbeit in der Kindertagesstätte M. e.V. zu erbringen hat, in der die 3-jährige Schwester des Antragstellers betreut wird. Der Antragsteller beanstandet, dass die von der Antragsgegnerin vermittelte Tagespflegeperson U. keine Betreuungsleistung in einem Umfang von 35 Wochenstunden erbringt. Die Tagespflegeperson betreue ihn tatsächlich nur in einem Umfang von 32,5 Wochenstunden. Ziel des vorliegenden Antrages ist es deshalb, der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Antragsteller tatsächlich eine Betreuungszeit von 35 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen.
8Der in diesem Sinne auszulegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
9Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dem am 00.00.2012 geborenen Antragsteller steht gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung ein Anspruch auf frühkindliche Förderung in der Kindertagespflege in einem Umfang von 35 Stunden pro Woche zu. Nach der genannten Bestimmung hat ein Kind, das wie der Antragsteller das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in der Kindertagespflege. Aufgrund der Verweisung des § 24 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII auf die Bestimmung des § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung in der Kindertagespflege nach dem individuellen Bedarf. Nicht jeder subjektive Wusch der Eltern auf eine Bereitstellung von Betreuungszeiten begründet die Annahme eines individuellen Bedarfs im Sinne der Vorschrift. Erforderlich ist vielmehr ein objektivierbarer, mit den Zielsetzungen des SGB VIII vereinbarer Betreuungsbedarf der Eltern,
10vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 22.08.2013 – 7 K 2688/13 – juris; Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht zum Rechtsanspruch U3, S. 9 f., www.dijuf.de.
11Ein Ziel der frühkindlichen Förderung nach dem SGB VIII ist es, den Eltern zu helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können (vgl. § 22 Abs. 2 Nr. 3, § 24 Abs. 1 Nr. 2 a) SGB VIII). Ein nach § 24 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII anzuerkennender individueller Bedarf ist deshalb gegeben, soweit die begehrte Betreuungszeit erforderlich ist, um den Eltern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
12Der Antragsteller hat einen individuellen Betreuungsbedarf von 35 Wochenstunden glaubhaft gemacht. 35 Betreuungsstunden pro Woche sind erforderlich, um der Mutter des Antragstellers die Aufnahme einer halbtägigen Erwerbstätigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit zu ermöglichen. Der erforderliche Betreuungsumfang errechnet sich aus der durch den Arbeitsvertrag belegten wöchentlichen Arbeitszeit der Mutter des Antragstellers von 19,5 Wochenstunden, der Wegezeit für die Fahrten zwischen dem Wohnort der Tagespflegeperson und der Arbeitsstätte der Mutter des Antragstellers (15 Stunden pro Woche) sowie der Zeit von durchschnittlich 0,5 Stunden pro Woche, die die Mutter des Antragstellers für die Mitarbeit in der Kindertagesstätte zu erbringen hat, in der die Schwester des Antragstellers betreut wird. Die Antragsgegnerin stellt den Betreuungsbedarf von 35 Wochenstunden nicht substantiiert in Frage. Sie hält ihn für bedarfsgerecht – wenn auch für großzügig – bemessen. Die Antragsgegnerin verkennt aber, dass sie den Anspruch des Antragstellers auf bedarfsgerechte Förderung in der Kindertagespflege nicht mit der Vermittlung der Tagespflegeperson U. erfüllt hat. Die Tagespflegeperson U. ist ausweislich des vom Antragsteller vorgelegten Betreuungsvertrages nicht bereit, eine wöchentliche Betreuungsleistung von 35 Wochenstunden tatsächlich zu erbringen. Bei Zahlung einer laufenden Geldleistung im Sinne von § 23 Abs. 2 SGB VIII, die die Antragsgegnerin auf der Grundlage ihrer Satzung über die Förderung der Kindertagespflege (Satzung) für eine wöchentliche Betreuungsleistung zwischen 31-35 Stunden in Höhe von 682,00 € an Tagespflegekräfte zahlt, ist die Tagespflegeperson U. lediglich bereit, eine tatsächliche Betreuungszeit von 32,5 Stunden zu erbringen. Die Tagespflegeperson U. bringt von der vertraglich mit den Eltern des Antragstellers vereinbarten Betreuungszeit von 7 Stunden pro Tag 0,5 Stunden an Betreuungszeit in Abzug, die sie nach den Angaben im Betreuungsvertrag vom 18./19.11.2013 für ihre „Vor- und Nachbereitung“ anrechnet. Der Anspruch des Antragstellers auf bedarfsgerechte Betreuung in der Kindertagespflege gem. § 24 Abs. 2 SGB VIII ist erst dann erfüllt, wenn die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Tagespflegeperson vermittelt, die bei Bewilligung des nach der Satzung vorgesehenen Fördersatzes von 682,00 € für einen Betreuungsumfang von 31 – 35 Wochenstunden eine wöchentliche Betreuungsleistung von 35 Stunden tatsächlich erbringt.
13Der Antragsteller hat auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist ihm nicht zuzumuten. Er ist während der berufsbedingten Abwesenheit seiner Mutter auf eine Betreuung in der Kindertagespflege in einem Umfang von 35 Wochenstunden zeitnah angewiesen. Sein Vater steht für die Betreuung des Antragstellers nicht zur Verfügung. Er ist für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.07.2014 in Vollzeit an der Universität Heidelberg tätig.
14Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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Referenzen
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- VwGO § 188 1x
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- 19 K 1581/14 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 7 K 2688/13 1x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 2x
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- VwGO § 122 1x
- § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 88 1x