Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 7199/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist am 00.00.1958 in L. /Kasachstan geboren. Er reiste am 22.12.1993 auf der Grundlage einer Einbeziehung in einen seiner Ehefrau, Frau P. T. , geb. M. (*00.00.1958) erteilten Aufnahmebescheid (XXXXX0/XX-000000/0) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Registrierung als Ehegatte einer Spätaussiedlerin im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG durch die Außenstelle Rastatt des Bundesverwaltungsamtes erfolgte am 30.12.1993. Als Spätaussiedler in das Verteilungsverfahren einbezogen wurden die Kinder O. (*00.00.1978), B. (*00.00.1981) und W. (*00.00.1985) sowie die Mutter des Klägers, Frau N. T. , geb. L1. (*00.00.1925). Am 18.07.1994 stellte das Landratsamt Schweinfurt dem Kläger eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) aus.
3Am 18.07.2018 wandte sich der Kläger an die Stadt Bühl/Baden und bat erstmals um Anerkennung als Spätaussiedler. Mutter und Großmutter seien deutsche Volkszugehörige gewesen. Sein Vater sei verstorben, als er – der Kläger – 13 Jahre alt gewesen sei. Er sei dann ausschließlich von seiner Mutter und der Großmutter erzogen worden. Die Stadt Bühl übersandte den Antrag dem BVA zuständigkeitshalber.
4Mit Bescheid vom 23.10.2019 lehnte das BVA den Antrag des Klägers ab. Dieser habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG, da er nicht mit der Ausreise 1993 Spätaussiedler geworden sei. Maßgeblich sei die Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise. Die Vorschriften des 10. BVFG-Änderungsgesetzes fänden auf den Kläger folglich keine Anwendung.
5Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und verwies darauf, dass es ihm hauptsächlich darum gehe, dass er 16 Jahre in Russland als Glasschmelzer gearbeitet habe und dies bei der Deutschen Rentenversicherung anzuerkennen sei.
6Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2019 wies das BVA den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
7Der Kläger hat am 10.12.2019 Klage erhoben. Er verweist auf seine deutsche Abstammung. Er bekenne sich zum deutschen Volkstum und beherrsche die Sprache vollständig. Die Nichtberücksichtigung seiner Tätigkeit in Russland bei der Errechnung der Beitragszeiten der Rentenversicherung sei grob gleichheitswidrig.
8Er beantragt schriftsätzlich,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BVA vom 23.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2019 zu verpflichten, ihm eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen.
10Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
11die Klage abzuweisen.
12Beim Kläger lasse sich nicht positiv feststellen, dass er bis zu seiner Ausreise das nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 1993 erforderliche Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt habe. Den Feststellung des Landratsamtes Schweinfurt zufolge sei der Kläger russischer Volkszugehöriger gewesen. Die Voraussetzungen eines solchen Bekenntnisses seien vom Kläger darzulegen. Ob ihm die deutsche Sprache familiär vermittelt worden sei, könne daher vorerst dahinstehen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des BVA Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne eine mündliche Verhandlung.
16Die Klage ist unbegründet.
17Der Bescheid des BVA vom 23.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG.
18Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet abzustellen,
19vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 - 1 C 30.14 und 1 C 29.14 -, vgl. nunmehr auch Urteile vom 20.11.2018 - 1 C 23.17 u.a. - mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des BVerwG.
20Die Erleichterungen für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit, die der Gesetzgeber für noch im Aussiedlungsgebiet wohnende Antragsteller mit dem 10. Änderungsgesetz eingeführt hat, haben deshalb keine Geltung für Bewerber, die – wie der Kläger – vor dem Inkrafttreten des Gesetzes im September 2013 in das Bundesgebiet übergesiedelt sind.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 -.
22Sie setzte eine Rückwirkung der Rechtsänderung voraus, die dem 10. BVFG-Änderungsgesetz mangels Übergangsvorschrift gerade nicht zukommt.
23Die Neureglungen des 10. BVFG-Änderungsgesetzes adressieren den Aufnahmebewerber und dessen Volkszugehörigkeit. Dieser soll in Bezug auf das bisherige Merkmal familiärer Vermittlung der deutschen Sprache und in Bezug auf das Volkstumsbekenntnis besser gestellt werden. Die familiäre Sprachvermittlung wurde als bekenntnisrelevanter Umstand nicht mehr als zeitgemäß empfunden und sollte durch die Möglichkeit des Nachweises anderweitig erworbener Sprachfertigkeiten ergänzt werden. Das Erfordernis habe in der Praxis immer häufiger zu unbilligen Ablehnungsentscheidungen geführt, wenn die Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen, das Bekenntnis zum deutschen Volkstum und deutsche Sprachkenntnisse hätten nachgewiesen werden können und es lediglich noch an der familiären Vermittlung der Sprachkenntnisse gemangelt habe. Es sei zu bedenken, dass eine deutschstämmige Person auch durch das Erlernen der deutschen Sprache außerhalb der Familie mit Sprache und Kultur auseinandersetzen und zu ihrem Deutschsein bekennen könne.
24Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 17/13937 vom 12.06.2013.
25Damit nahm der Gesetzgeber auf den unbestreitbar bestehenden Umstand Rücksicht, dass mit dem Rückgang der deutschstämmigen Bevölkerung in den Aussiedlungsgebieten nach Abschluss der großen Ausreisewellen die Möglichkeiten familiärer Sprachvermittlung in einer fremdsprachigen Umgebung naturgemäß zunehmend schwanden. Für jüngere Aufnahmebewerber wurde es damit trotz deutscher Abstammung schwerer, die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zu erfüllen. Es galt daher, der besonderen Situation heutiger Aufnahmebewerber durch Erleichterungen in Bezug auf die Merkmale „Bekenntnis“ und „Sprache“ Rechnung zu tragen. Nicht erfasst wurden bereits eingereiste Personen, die an den Veränderungen der gesellschaftlichen Realität in den Herkunftsgebieten nicht teilhatten. In der hiermit verbundenen Privilegierung der in den Aussiedlungsgebieten verbliebenen Deutschstämmigen liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Gesetzgebers, bereits übergesiedelte Personen an der Lockerung der rechtlichen Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit nicht teilhaben zu lassen, beruht auf einem sachlichen Grund. Bezweckt war die Erleichterung der Übersiedlung und nicht des Zugangs bereits in Deutschland lebender Personen zu den mit dem Spätaussiedlerstatus verbundenen Vergünstigungen, namentlich zu den Ansprüchen nach dem Fremdrentengesetz.
26BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 -
27Die Voraussetzungen des hiernach anzuwendenden § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 1993 erfüllte der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreise nach allen vorliegenden Erkenntnissen nicht. Hiernach war deutscher Volkszugehöriger, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammte (Nr. 1), wem die Eltern, ein Elternteil oder anderen Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelten (Nr. 2) und wer sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nr. 3). Der Kläger hat jedoch keinerlei Unterlagen vorgelegt, die für eine Zuordnung zur deutschen Nationalität im Herkunftsgebiet sprechen. Die Einstufung als russischer Volkszugehöriger durch das Landratsamt Schweinfurt ist damit ohne weiteres nachvollziehbar, ohne dass der Kläger im vorliegenden Verfahren hiergegen etwas vorgetragen hätte. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass ihm insoweit die volle Darlegungslast oblag.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
29Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
30Rechtsmittelbelehrung
31Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
39Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
40Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
41Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
42Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
43Beschluss
44Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
455.000,00 Euro
46festgesetzt.
47Gründe
48Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG).
49Rechtsmittelbelehrung
50Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
51Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
52Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
53Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
54Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- VwGO § 113 1x
- BVFG § 6 Volkszugehörigkeit 2x
- VwGO § 101 1x
- BVFG § 4 Spätaussiedler 1x
- BVFG § 15 Bescheinigungen 2x
- BVFG § 7 Grundsatz 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 55a 1x