Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 20 L 494/21
Tenor
1.
Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.03.2021 wird angeordnet, soweit sie sich gegen die Ziffer I 1, soweit dort ein Mindestabstand auch für Kinder und unterstützungsbedürftige Personen zu ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder Hilfspersonen angeordnet wird, sowie gegen die Ziffern II und VII der Verfügung richtet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller zu zwei Dritteln, die Antragsgegnerin zu einem Drittel.
2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
1
Gründe
2Der wörtlich gestellte Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17.03.2021 gegen den Bescheid vom 16.03.2021 wird in
4a. Ziffer I. 1., soweit ein Mindestabstand auch für Kinder und unterstützungsbedürftige Personen zu ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder Hilfspersonen angeordnet wird,
5b. Ziffer I. 3.,
6c. Ziffer I. 4.,
7d. Ziffer I. 6.,
8e. Ziffer I. 7.,
9f. Ziffer II,
10g. Ziffer VI.,
11h. Ziffer VII.,
12i. Ziffer VIII.
13wird wieder wiederhergestellt,
14ist nur zum Teil begründet.
15Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn wie hier eine behördliche Maßnahme kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG.
16In der Sache hat das Gericht bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht abschätzen, ist eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung und dem allgemeinen öffentlichen Interesse bzw. dem privaten Interesse sonstiger Beteiligter am Vollzug vorzunehmen. Im Rahmen dieser Abwägung ist auch eine gesetzgeberische Grundentscheidung (für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) in den Blick zu nehmen.
17Die Zuständigkeit der Stadt zum Erlass der Verfügung ergibt sich aus den §§ 16 Abs. 1 S. 2, 17 Abs. 1 S. 1 der CoronaSchVO NRW in der ab dem 12.03.2021 gültigen Fassung (https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/210311_coronaschvo_ab_12.03.2021_lesefassung.pdf) i.V.m. § 28 IfSG und § 3 IfSBG NRW (https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=1&bes_id=42024&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=450105).
18Die in der streitigen Verfügung getroffenen Regelungen beruhen materiell auf § 28a Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 Nr. 1 IfSG idF des Art. 4a des Gesetzes vom 21.12.2020 i.V.m § 13 Abs. 2 Nr. 1 CoronaSchutzVO NRW vom 05.03.2021. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 CoronaSchutzVO NRW sind abweichend von Abs. 1 der Vorschrift Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz zulässig, soweit die Regelungen der §§ 2 – 4a der CoronaSchutzVO NRW beachtet werden.
19Dabei können mit Blick auf die epidemiologische Gefahrenlage einerseits und das Grundrecht des Art. 8 GG unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Zweck des Schutzes vor Infektionsgefahren auch versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden. Es steht außer Zweifel, dass zu den gleichwertigen Rechtsgütern, zu deren Schutz Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt sein können, insbesondere das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gehört. Insoweit trifft den Staat überdies eine grundrechtliche Schutzpflicht, in deren Kontext auch zahlreiche zur Bekämpfung der gegenwärtig andauernden Covid-19-Pandemie von Bund, Ländern und Gemeinden ergriffene Infektionsschutzmaßnahmen stehen. Unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der insbesondere die Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls einschließlich des aktuellen Stands des dynamischen und tendenziell volatilen Infektionsgeschehens erforderlich macht, können zum Zweck des Schutzes vor Infektionsgefahren versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden, solange der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den eine Beschränkung oder ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. In Betracht kommen namentlich Auflagen mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände, aber auch Beschränkungen der Teilnehmerzahl, um eine Unterschreitung notwendiger Mindestabstände zu verhindern, zu der es aufgrund der Dynamiken in einer großen Menschenmenge oder des Zuschnitts und Charakters einer Versammlung im Einzelfall selbst dann kommen kann, wenn bezogen auf die erwartete Teilnehmerzahl eine rein rechnerisch hinreichend groß bemessene Versammlungsfläche zur Verfügung steht,
20vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.08.2020 – 1 BvQ 94/20 –, Rn. 16 juris.
21Gemessen an diesen Maßstäben gilt für die angegriffenen Regelungen Folgendes;
22Ziffer I 1 der Verfügung wird den vorstehenden Maßstäben nicht gerecht, weil die CoronaSchutzVO NRW in ihrem § 2 Abs. 2 die Einhaltung des Mindestabstandes für Kinder und unterstützungsbedürftige Personen, zu ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder Hilfspersonen zulässt, wie dies der Antragsteller fordert. Soweit die Antragsgegnerin aufgrund des § 16 Abs. 1 S. 2 CoronaSchutzVO NRW die Ausnahmetatbestände des § 2 Abs. 2 CoronaSchutzVO außer Kraft gesetzt hat, ist die Verfügung unverhältnismäßig. Kinder und unterstützungsbedürftige Personen sowie Haushaltsangehörige sind leicht zu identifizieren, gegebenenfalls durch die Kontrolle des Personalausweises. Daher ist die wesentliche sinngemäße Begründung der Antragsgegnerin, bei vorangegangenen Versammlungen sei es zu schlecht oder nicht kontrollierbaren Verstößen gekommen, nicht durchgreifend.
23Die Klage gegen Ziffer I 3 des Bescheides wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
24Rechtsgrundlage für die in Ziffer I 3 getroffenen Regelungen zur einfachen Rückverfolgbarkeit sind die §§ 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2, 28a Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 17 des Infektionsschutzgesetzes – IfSG in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.2020 (BGBl. I S. 3136) i.V.m. §§ 13 Abs. 2, 4a CoronaSchutzVO NRW. Nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG und § 28a Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 17 IfSG gehören zu den von der Gesundheitsbehörde zu treffenden Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 IfSG neben der Untersagung oder der Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften (§ 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG) auch die Anordnung der Verarbeitung von Kontaktdaten von Veranstaltungsteilnehmern (§ 28a Abs. 1 Nr. 17 IfSG), womit nach § 28a Abs. 4 IfSG die Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Angaben, Angaben zum Zeitraum und zum Ort des Aufenthalts gemeint sind, soweit dies zur Nachverfolgung von Kontaktpersonen (§ 25 Abs. 1 IfSG) zwingend notwendig ist. Die Einzelheiten regelt § 4a Abs. 1 S. 1 CoronaSchutzVO NRW; demnach ist die einfache Rückverfolgbarkeit sichergestellt, wenn eine Aufzeichnung aller anwesenden Personen mit Namen, Adresse und Telefonnummer erfolgt. Bei einem wechselnden Personenkreis ist zudem der Zeitraum des Aufenthalts aufzunehmen. Diese Daten sind vier Wochen aufzubewahren. Ziffer I 3 der angefochtenen Verfügung enthält dem entsprechende Forderungen an den Antragsteller als Veranstalter der Versammlung.
25Nach § 4a Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 13 Abs. 2 CoronaSchutzVO NRW ist eine einfache Rückverfolgbarkeit bei Versammlungen unter anderem dann sicherzustellen, wenn diese in geschlossenen Räumen stattfinden. Die Kammer geht davon aus, dass die Formulierung der Nr. 7 – bei nach dieser Verordnung zulässigen Versammlungen und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen – mit Blick auf § 13 Abs. 2 CoronaSchutzVO NRW so zu verstehen ist, dass Versammlungen in geschlossenen Räumen grundsätzlich nur zulässig sind, wenn die einfache Rückverfolgbarkeit gesichert ist. Gemeint sind damit öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen im Sinne des Abschnitts II des Versammlungsgesetzes. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge im Sinne des Abschnitts III des Versammlungsgesetzes werden ebenfalls von § 13 Abs. 2 CoronaSchutzVO NRW und dem Verweis auf § 4a CoronaSchutzVO NRW erfasst. Für sie ist eine einfache Rückverfolgbarkeit nicht zwingend vorgesehen, aber möglich. Denn die Durchführung einer Versammlung unter Beachtung des § 4a Abs. 1 CoronaSchutzVO NRW bedeutet, dass die einfache oder die besondere Rückverfolgbarkeit als eine weitere Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie von der zuständigen Behörde zu prüfen sind.
26Die Datenerfassung und die Datenaufbewahrung dienen dem legitimen Zweck, im Falle eines Infektionsnachweises mögliche Infektionsketten unverzüglich aufzudecken und zu unterbrechen, um auf diese Weise eine dynamische Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Dass sich die Verpflichtung zur Erhebung der Kontaktdaten bei den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern als nicht geeignet zur Erreichung dieses Zwecks erweist, ist nicht ersichtlich. Insbesondere wird die Regelung nicht durch den Umstand durchgreifend in Frage gestellt, dass wegen fehlender Kontrollmöglichkeiten auch falsche Kontaktdaten angegeben werden könnten. Selbst wenn, was nicht auszuschließen ist, einige Personen falsche Personalien angeben, stellt dies die generelle Eignung zur Rückverfolgung von Infektionsketten nicht in Frage.
27Der Antragsteller legt zwar nachvollziehbar dar, dass die angefochtene Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seine grundrechtlich geschützten Freiheiten verkürzt, weil er bei der Durchführung der Versammlung zusätzlich zur Erstellung einer Liste mit den Namen, Adressen und Telefonnummern der Teilnehmer sowie zur Aufbewahrung und eventuellen Herausgabe dieser Liste verpflichtet wird und dass der Antragsteller und die Versammlungsteilnehmer durch die Verpflichtung zur Aufnahme der Daten zeitlich stark in Anspruch genommen werden könnten. Schließlich trifft es auch zu, dass die von der Antragsgegnerin als Begründung der Auflage genannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
28vgl. Beschluss vom 23.09.2020, - 13 B 1422/20 -, juris,
29einen insofern anderen Sachverhalt betrifft, als das dort streitgegenständliche Camp mehrere Tage gemeinsamen Lebens in Zelten und auch sonst auf engem Raum bedeutete, während vorliegend eine für zwei Stunden geplante Standkundgebung betroffen ist.
30Demgegenüber steht aber das Infektionsgeschehen auf dem Gebiet der Stadt Bonn mit einer Inzidenzzahl von 51,3 am 17.03.2021 (durchschnittliche Zahl der Infektionen je 7 Tage/100.000 Personen),
31vgl.: https://www.bonn.de/themen-entdecken/gesundheit-verbraucherschutz/ coronavirus.php.
32Dies liegt über der in § 28a Abs. 3 S. 5 IfSG genannten Grenze. Hinzu kommt die außerordentlich dynamische weitere Entwicklung, dass die stärker ansteckenden Varianten des Virus eine deutliche Steigerung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Bei größeren Menschenansammlungen – die Anmeldung und die Verfügung sowie die Anmeldebestätigung der Polizei Bonn gehen von 400 Teilnehmern aus – kann sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen nach derzeitigen Erkenntnissen erheblich erhöhen.
33Vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 07.04.2020 – und vom 09.04.2020 – 1 BvR 802/20 -.
34Bei Gegenüberstellung dieser Folgen muss das Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen Ziffer I 3 der angefochtenen Verfügung zurücktreten. Angesichts des Umstands, dass die Liste nur im Falle einer Infektion von Teilnehmern der Antragsgegnerin vorzulegen ist, erscheint es nicht unzumutbar, die Bedenken einstweilen zurückzustellen. Die Maßnahme dient einem möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG ebenfalls verpflichtet ist. Dieser Schutzauftrag hat aktuell ein besonderes Gewicht, zumal das Infektionsgeschehen an dem Tag der oben genannten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (23.09.2020) eine Inzidenzzahl von nur 13,2 Fällen (bundesweit) auswies,
35vgl.: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Sept_2020/2020-09-23-de.pdf?__blob=publicationFile; Stadt Bonn am 23.09.2020: 17, vgl. https://www.bonn.de/pressemitteilungen/september/ coronavirus-56-neuinfektionen-in-den-letzten-sieben-tagen.php
36während für den 17.03.2021 eine Inzidenzzahl von 86 Fällen (bundesweit) nach einem nun schon längeren Lock-Down und anschließender Öffnungsphase festgestellt wurde. Insgesamt wurden bisher von den Gesundheitsämtern 2.594.764 Infektionsfälle und 70.905 Todesfälle gemeldet,
37vgl.: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/
38Fallzahlen.html.
39Die Bedeutung der Todeszahlen folgt aus dem Umstand, dass COVID-19 bei der Mehrzahl der Betroffenen auch die Todesursache gewesen ist, soweit dazu medizinische Feststellungen getroffen worden sind,
40vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/115799/COVID-19-bei-Mehrzahl-der-Betroffenen-auch-die-Todesursache.
41Verbunden mit einer aktuellen Analyse zu den Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland, insbesondere zur Variant of Concern (VOC) B.1.1.7,
42vgl.: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Bericht_VOC_05022021.pdf?__blob=publicationFile,
43ist nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts eine insgesamt gesteigerte Gefährlichkeit des Virus anzunehmen,
44vgl. : https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/pandemie-rki-chef-wieler-ueber-neue-virus-varianten-corona-ist-insgesamt-gefaehrlicher-geworden/26887704.html?ticket=ST-729809-bMLenVB23V2fFTMlSN6e-ap5.
45Für die 14. Kalenderwoche (um Ostern) rechnet das Robert-Koch-Institut wegen der Verbreitung des mutierten Virus mit einer bundesweiten Inzidenz von durchschnittlich 350,
46vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-aktuell-lehrer-schule-corona-test-1.5228675.
47Mit Blick auf den Umstand, dass sich der Antragsteller mit Vehemenz und mit eigenen Ideen gegen die bisher ergriffenen Maßnahmen des Staates wendet ist zwar nicht unbedingt von einer Missachtung der ihm erteilten Auflagen zum Infektionsschutz auszugehen. Er spricht aber nach Einschätzung der Kammer und mit Blick auf die Versammlung vom 14.11.2020 durch seine Ausrichtung ein Publikum an, welches sich an die Schutzmaßnahmen möglicherweise nicht hält und dadurch das Infektionsrisiko überdurchschnittlich erhöht.
48Für diese Einschätzung spricht unter anderem, dass nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW und der Humboldt-Universität Berlin Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen im November 2020 die Ausbreitung des Corona-Virus verstärkt haben könnten. Die Untersuchung stützt sich auf das Infektionsgeschehen in den Landkreisen, in denen auf die Kundgebungen spezialisierte Busunternehmen Fahrten zu den großen Demonstrationsorten Berlin und Leipzig angeboten hatten. Den Angaben nach stieg in diesen Kreisen die Sieben-Tages-Inzidenz stärker an als in Kreisen, in denen die Busunternehmen keine Reisen anboten,
49vgl. https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-dienstag-181.html.
50Soweit sich der Antragsteller gegen Ziffer I 4 (Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung) wendet, hat der Antrag ebenfalls keinen Erfolg. Die von der Antragsgegnerin als Auflage formulierte Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2a Ziffer 3 CoronaSchutzVO NRW. Demnach ist bei den nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Zusammenkünften, Versammlungen und Veranstaltungen und einer Teilnehmerzahl von mehr als 25 Personen unter freiem Himmel eine Alltagsmaske zu tragen. Ergänzend hat die Antragsgegnerin in der Begründung der Auflage auf die geltenden Ausnahmeregelungen hingewiesen und insofern keine weitergehende oder die Teilnehmer zusätzlich einschränkende Regelung getroffen, die über die Coronaschutzverordnung hinaus ginge.
51Die Regelung in Ziffer I 6 der Verfügung (Ausschluss von Personen, die im Einzelnen benannte Anzeichen einer SARS-CoV-2-Infektion aufweisen) ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie dient der Abwehr einer konkreten Gefährdung für andere Versammlungsteilnehmer und gegebenenfalls anwesender Dritter, etwa der Zuschauer. Soweit der Antragsteller gegen die Regelung sinngemäß einwendet, er könne nicht zur Untersuchung der Teilnehmer und zur Diagnose verpflichtet werden, weil dies rechtlich und tatsächlich unmöglich sei, wird eine solche Verpflichtung durch die Auflage nicht begründet. Es besteht lediglich die Pflicht, die Teilnehmer im Falle der beispielhaft genannten äußeren Symptome von der Versammlung auszuschließen, und diese Symptome sind auch von einem Laien erkennbar. Eine weitergehende Untersuchungs- und Diagnosepflicht wird nicht begründet.
52Die Anzahl der Teilnehmer (Ziffer I 7) ist von der Antragsgegnerin zunächst entsprechend der Anmeldung festgesetzt und in Erwartung, dem Antrag des Antragstellers entsprochen zu haben, nicht vertieft begründet worden. Die Teilnehmerzahl ist auch unter Berücksichtigung der Platzgröße festgelegt worden, ohne dass allerdings konkrete Berechnungen angestellt worden sein dürften. Angesichts der einzuhaltenden Mindestabstände einerseits und der beschränkten Fläche andererseits ist eine völlige Freigabe der Teilnehmerzahl nicht möglich. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller in der Antragserwiderung hinsichtlich der Anzahl der Teilnehmer ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, die Teilnehmerzahl zu erhöhen, soweit dies unter Berücksichtigung des vorhandenen Platzes, der einzuhaltenden Mindestabstände, der Anzahl der einzusetzenden Ordner und der Kontrolle des Antragstellers als Versammlungsleiters möglich ist. Die so verstandene Auflage ist demnach insgesamt nicht als unverhältnismäßig zu betrachten, weil sie die am Ort maximal mögliche Teilnehmerzahl unter Beachtung der Coronaschutzverordnung ermöglicht.
53Soweit sich der Antragsteller gegen Ziffer II der Verfügung wendet, hat der Antrag Erfolg. Die Auflage, die potentiellen Versammlungsteilnehmer bereits über 24 Stunden vor der Versammlung unter anderem über näher benannte Foren und Plattformen im Internet über die Auflagen zu informieren, ist zumindest unverhältnismäßig. Die Bekanntgabe von Auflagen richtet sich regelmäßig an anwesende und ansonsten an später hinzu kommende Versammlungsteilnehmer und dient im Wesentlichen dazu, diese über etwaige Regelungen zu der Versammlung in Kenntnis zu setzen. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob eine entsprechende Anordnung in die Zuständigkeit der Stadt fällt oder ob eine solche Anordnung nicht allein der Versammlungsbehörde obliegt. Dies kann jedoch offen bleiben, weil eine Verpflichtung zu einer Vorabinformation einer unbestimmten Menge von Internetnutzern neben der eigentlichen Pflicht zur Bekanntgabe von Auflagen unmittelbar vor der Versammlung nicht erforderlich ist und den Antragsteller unangemessen belastet. Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass er als Anmelder der Versammlung zugleich derjenige ist, der über die Inhalte der Internetplattformen und der sonstigen von der Antragsgegnerin genannten Webseiten (mit-)bestimmen kann.
54Die unter den Ziffern VI und VIII erfolgte Androhung von Zwangsgeldern ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für die Androhung von Zwangsgeld liegen nach den §§ 57 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 60, 63 VwVG NRW vor. Die Höhe des angedrohten Zwangsgelds von 250 EUR (Ziffer VI der Verfügung) bzw. von 30.000 EUR (Ziffer VIII der Verfügung) beachtet den in § 60 Abs. 1 VwVG NRW vorgegebenen Rahmen und ist auch der Höhe nach angemessen. Die Antragsgegnerin hat in der Begründung ihrer Verfügung (Seite 19 des amtlichen Abdrucks) dargelegt, warum die Höhe des unter den Ziffern VI und VIII angedrohten Zwangsgeldes angemessen sei. Da etwaige ergänzende und klarstellende Ausführungen zu der Ermessensentscheidung noch möglich sind und die ausführlich geschilderte Vorgeschichte der Versammlung(en) vom 14.11.2020 als weitere Begründung zu der Androhung und der Höhe der angedrohten Zwangsgelder zu verstehen sein dürfte, hat die Kammer keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Androhungen.
55Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage war jedoch anzuordnen, soweit sie sich gegen die Androhung eines Zwangsgeldes unter Ziffer VII der Verfügung wendet. Dass die Versammlung wegen Verstößen gegen die Auflagen durch den Antragsteller oder die Polizei aufgelöst werden muss, wofür Ziffer VII ein Zwangsgeld androht, ist ein zu unbestimmtes Ereignis, um daran eine Androhung zu knüpfen. Die Androhung eines Zwangsgeldes dient der Durchsetzung von Geboten, die dem Betroffenen zuvor durch Verwaltungsakt auferlegt worden sind. Die Auflösung einer Versammlung ist eine komplexe Entscheidung, die grundsätzlich nicht allein und nicht zwingend mit dem Verstoß gegen Auflagen zu begründen ist. Insbesondere besteht ein Ermessen der Versammlungsbehörde, dessen Ausübung im Voraus nicht abzusehen ist. Daher kann die Androhung eines Zwangsgeldes nicht an Verstöße gegen Auflagen und die Auflösung der Versammlung anknüpfen.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO.
57Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht im Hinblick auf die faktische Vorwegnahme der Hauptsache dem in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren anzusetzenden Betrag.
58Rechtsmittelbelehrung
59Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
60Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
61Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
62Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
63Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
64Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
65Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
66Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
67Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- §§ 57 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 60, 63 VwVG 3x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 2x
- § 4a CoronaSchutzVO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 55a 3x
- IfSG § 16 Allgemeine Maßnahmen der zuständigen Behörde 1x
- VwGO § 80 1x
- § 16 Abs. 1 S. 2 CoronaSchutzVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 2 CoronaSchutzVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 28a Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 17 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- § 28a Abs. 1 Nr. 17 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- § 28a Abs. 4 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 25 Ermittlungen 1x
- § 4a Abs. 1 S. 1 CoronaSchutzVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 13 Abs. 2 CoronaSchutzVO 3x (nicht zugeordnet)
- § 4a Abs. 1 CoronaSchutzVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 28a Abs. 3 S. 5 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 1 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvQ 94/20 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 1422/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 802/20 1x (nicht zugeordnet)