Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 20 L 19/22
Tenor
1.
Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
1
Gründe
2Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 20 K 88/22 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 08.12.2021 wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn wie hier die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist. Bei seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung.
6Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der angefochtenen Verfügung das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung spricht und auch eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin ausgeht.
7Gemäß § 12 Abs. 1 des Hundegesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen (LHundG NRW) kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Zu den nach § 12 Abs. 1 LHundG NRW zulässigen Anordnungen gehört grundsätzlich auch die Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwanges. Hier liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass von dem Hund der Antragstellerin, einem Labrador mit dem Rufnamen „C. “, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
8Bei der Antragsgegnerin gingen nach Aktenlage fünf Anzeigen von drei verschiedenen Beschwerdeführern über Vorfälle unter Beteiligung des Hundes der Antragstellerin ein, bei denen sich dieser auffallend aggressiv verhalten haben soll. In zwei Fällen am 18.02.2021 und 07.08.2021 wurde dabei nach den Angaben des Beschwerdeführers M. sein Hund der Rasse Pudel von dem Hund der Antragstellerin angegriffen und gebissen. Bei dem Vorfall vom Februar 2021 sei „C. “ aus einer Entfernung von ca. 20 Metern unvermittelt auf den Pudel losgerannt, habe sich auf ihn gestürzt und tief in den Rücken gebissen. Weitere Bisse seien dadurch verhindert worden, dass der Schwiegersohn des Herrn M. den Hund an der Leine hochgerissen habe. Bei dem Vorfall am 07.08.2021 habe seine Enkelin seinen Hund an der kurzen Leine an dem Hund „C. “ vorbeiführen wollen, dabei habe sich „C. “ von der Leine losgerissen und die Antragstellerin bei seinem Zugriff so mitgerissen, dass sie zu Boden gefallen sei. Fotos der jeweiligen Bissverletzungen und die Tierarztrechnungen der Tierarztpraxis Dr. L. T. vom 27.02.2021 und vom 09.08.2021 liegen vor.
9Die Antragstellerin bestreitet allerdings die Aussagekraft der Tierarztrechnung vom 27.02.2021 mit dem Hinweis darauf, dass diese eine Behandlung erst 5 Tage nach dem Beißvorfall vom 18.02.2021 belege und nicht mit den vorgelegten Fotos, die eine klaffende Bisswunde zeigten, vereinbar sei sowie auf einen anderen Hundehalter ausgestellt sei. Diesen Einwänden folgt das Gericht nicht. Dass die Rechnung auf einen Herrn N. T1. ausgestellt ist, dürfte zwanglos damit zu erklären sein, dass es sich dabei nach Aktenlage um den Schwiegersohn des Beschwerdeführers handelt, der den Pudel an dem besagten Tag ausführte und offenbar auch die Tierarztbesuche übernommen hat. Die Fotos zeigen eine klaffende Bisswunde, wie die Antragstellerin zutreffend ausführt, und es spricht nichts dafür, dass die vorliegende Tierarztrechnung die Behandlung einer anderen Bisswunde abrechnet, als die auf den Fotos ersichtliche. Welche Behandlung hierbei aus tierärztlicher Sicht erforderlich war bzw. ob ein Verschluss der Wunde mittels Nähen erforderlich gewesen wäre, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts und bedarf im vorliegenden Zusammenhang auch keiner weiteren Aufklärung. Soweit die Behandlung nach dem Inhalt der Rechnung erst 5 Tage nach dem Beißvorfall begonnen hat, bedarf dies gegebenenfalls einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren. Auch dieser Umstand stellt aber die Aussagekraft dieser Rechnung nicht in Frage. Soweit die Antragstellerin rügt, in der E-Mail des Beschwerdeführers vom 08.08.2021 werde der erste Vorfall auf April 2021 datiert, handelt es sich erkennbar um einen Irrtum bzw. ein Schreibversehen. Der vermeintliche Widerspruch, dass mit dieser E-Mail ein Foto vorgelegt worden sei, das bereits auf Bl. 31 der Beiakte zur Akte gebracht worden sei, existiert jedenfalls nicht, da in der E-Mail ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Fotos der früheren und der aktuellen Bisswunde beigefügt werden. Aus diesen Fotos ist im Übrigen gut zu ersehen, dass die Bisswunde vom 07.08.2021 geringfügiger war als die vorausgegangene, was sich zwanglos mit den unterschiedlichen Beträgen für die tierärztlichen Behandlungen in Einklang bringen lässt. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin hat es zudem eine tierärztliche Behandlung auch nach dem Vorfall vom 07.08.2021 gegeben, wie sich aus der Quittung vom 09.08.2021 betreffend die Behandlung einer Bissverletzung ergibt. Die Antragstellerin hat dem Beschwerdeführer beide Tierarztrechnungen erstattet, so dass ihr diese vorliegen sollten. Das Gericht hat nach allem keine durchgreifenden Zweifel, dass es zu den von dem Beschwerdeführer M. angezeigten Beißvorfällen gekommen ist.
10Die vorgelegte schriftliche Erklärung der Zeugin A. steht dazu nicht in Widerspruch, sondern bestätigt im Kern, dass es zu zwei Vorfällen mit dem Hund C. gekommen ist, wenn es dort heißt: „C. konnte sich losreißen und ist zu den anderen zwei Hunden gerannt“ und dann an einem anderen Tag „kam eine Frau auf der anderen Straßenseite, C. zog an der Leine und wollte zu dem anderen Hund, Frau O. hat den C. am Handgeschirr festgehalten und ist dabei ein Stückchen auf die Straße gekommen“. Mangels zeitlicher Einordnung dieser Angaben durch die Zeugin ist bereits zweifelhaft, ob es sich bei diesen Vorfällen um diejenigen handelte, die den Beschwerden des Herrn M. zugrunde liegen. Inhaltlich passen die Angaben der Zeugin eher zu den angezeigten Vorfällen vom 22.11.2020 und vom 17.05.2021. Aus der Nichterwähnung von Bissverletzungen oder überhaupt einem Kontakt zwischen den beteiligten Hunden in der schriftlichen Erklärung der Zeugin kann jedenfalls nicht darauf geschlossen werden, dass es bei den von dem Beschwerdeführer M. angezeigten Vorfällen zu keinen Bissverletzungen seines Hundes gekommen ist.
11Bereits die vorbeschriebenen Vorfälle zu Lasten des geschädigten Pudels des Herrn M. rechtfertigen den hier streitigen Leinen- und Maulkorbzwang zur Vermeidung zukünftiger von dem Hund ausgehender Gefahren. Auch die personenbezogene Anordnung dieser Maßnahmen erscheint gerechtfertigt. Denn jedenfalls hatte die Antragstellerin in beiden Situationen ihren Hund nicht so unter Kontrolle, dass eine Verletzung anderer Hunde ausgeschlossen werden konnte.
12Dies gilt auch unter Berücksichtigung des von der Kreisveterinärin U. nach § 3 Abs. 3 LHundG NRW ausgestellten Negativzeugnisses vom 17.08.2021 betreffend die Gefährlichkeit des Hundes „C. “. Eine Bindung der Antragsgegnerin an die Feststellungen eines veterinärärztlichen Gutachtens besteht nicht. Im Übrigen ist die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nicht Voraussetzung für einen auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 LHundG NRW angeordneten Leinen- und Maulkorbzwang ist. Soweit das Gutachten vom 17.08.2021 über die Frage der Gefährlichkeit des Hundes hinaus keine Empfehlung für einen generellen Leinen- und Maulkorbzwang enthält, ist zu beachten, dass es dennoch zu besonderer Vorsicht und rechtzeitigem Rückruf sowie Anleinung des Hundes rät „in unübersichtlichen Situationen und insbesondere bei Kontakt mit fremden Personen oder Hunden“. Im Wohnumfeld des Hundes rät es dazu, diesen grundsätzlich angeleint zu führen, da „mit Territorialverhalten des Rüden anderen Rüden gegenüber gerechnet werden muss“. Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Hund bei der Kontrolle vor Ort ausschließlich von dem Ehemann der Antragstellerin geführt wurde, während sich nahezu alle bei der Antragsgegnerin angezeigten Vorfälle unter Führung der Antragstellerin ereigneten. Hiervon ausgenommen ist nur der angezeigte Vorfall vom 03.03.2021, als der Hund unangeleint dem Fahrrad fahrenden Ehemann der Antragstellerin vorauslief, eine Praxis, die in dem Gutachten ausdrücklich gerügt wird. Schließlich ist es nach der amtstierärztlichen Begutachtung vom 21.06.2021 zu dem oben näher beschriebenen weiteren Vorfall vom 07.08.2021 gekommen, der nach dem Inhalt der Ordnungsverfügung maßgeblich für die getroffenen Maßnahmen war. Es ist nach allem nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin sich unter Berücksichtigung der bereits stattgefundenen Beißvorfälle über die konkrete Empfehlung in dem Gutachten vom 17.08.2021 hinausgehend für die Anordnung des personenbezogenen umfassenden Leinen- und Maulbkorbzwangs entschieden hat.
13Die angegriffenen Maßnahmen sind auch verhältnismäßig, insbesondere führen sie nicht zu einem Nachteil, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (vgl. § 15 Abs. 2 OBG NRW). Angesichts der Tatsache, dass die Maßnahmen dem Schutz anderer Tiere und auch der körperlichen Unversehrtheit von Menschen dienen, die aus Anlass von Vorfällen der dokumentierten Art mitbetroffen sein können, handelt es sich bei dem von dem Beklagten verhängten Leinen- und Maulkorbzwang um einen denkbar geringen Eingriff, zumal die Antragstellerin ohnehin teilweise verpflichtet ist, ihren Hund an der Leine zu führen (§§ 2 Abs. 2, 11 Abs. 6 LHundG NRW). Die Antragsgegnerin hat durch die personenbezogene Anordnung der Maßnahmen den Eingriff zudem weiter begrenzt.
14Bedenken gegen die vom Beklagten vorgenommene Ermessensausübung im Übrigen bestehen nicht.
15Schützenswerte Interessen der Antragstellerin, die trotz der überwiegend wahrscheinlichen Erfolglosigkeit ihrer Klage für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sprechen, sind weder vorgetragen noch erkennbar.
16Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass auch eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung hier zu Lasten der Antragstellerin ausgeht. Denn die effektive Vermeidung zukünftiger Vorfälle der in Rede stehenden Art und daraus folgender Rechtsgutverletzungen durch den angeordneten Leinen- und Maulkorbzwang hat Vorrang gegenüber etwaigen Erschwernissen, die damit während des Laufs des Hauptsacheverfahrens für die Antragstellerin und ihren Hund verbunden sind.
17Die Androhung von Zwangsgeld i. H. v. 500,00 Euro für den Fall der Zuwiderhandlung in Ziffer 2 der Verfügung erweist sich nach den obigen Ausführungen ebenfalls voraussichtlich als rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 63 VwVG NRW i.V.m. §§ 55 Abs. 1, 57, 58 und 60 VwVG NRW. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes ist nicht zu beanstanden.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Hälfte des in einem entsprechenden Hauptsacheverfahrens anzusetzenden Auffangstreitwertes.
19Rechtsmittelbelehrung
20Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
21Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
22Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
23Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
24Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
25Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
26Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
27Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
28Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- §§ 2 Abs. 2, 11 Abs. 6 LHundG 2x (nicht zugeordnet)
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- §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- § 63 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 3x
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