Beschluss vom Verwaltungsgericht Lüneburg (1. Kammer) - 1 B 2/18

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.

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Bei sachgerechter Auslegung des vom Antragsteller gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -) begehrt er, die aufschiebende Wirkung seiner gegen die mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) verfügte Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) erhobene Klage anzuordnen (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz – AsylG -).

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Der so verstandene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG statthaft, da das Bundesamt bei seiner Entscheidung annahm, dass es sich bei dem vom Antragsteller im Bundesgebiet gestellten Asylantrag um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG handelte und Gründe für ein Wiederaufgreifen des Asyl(erst)verfahrens nicht vorlägen. Auf diese Grundlage erließ das Bundesamt eine Abschiebungsandrohung nach § 71a Abs. 4 in Verbindung mit §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG mit einer Ausreisefrist von einer Woche. Auch sind die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben. So ist der Antrag gegen den am 23. August 2017 zugestellten Bescheid des Bundesamts (Bl. 111 f. des Verwaltungsvorgangs) am 29. Dezember 2017 bei Gericht eingegangen und damit fristgerecht gestellt (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG).

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Dieser Antrag ist auch begründet. Denn an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung bestehen ernstliche Zweifel.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn "erhebliche Gründe" dafür sprechen, dass die angefochtene Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 -, NVwZ 1996, 678, 680).

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Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel daran, dass der Asylantrag unter Verweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde, mit der Folge, dass das Bundesamt nach §§ 71a Abs. 4, 34, 36 Abs. 1 AsylG eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche erließ.

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Nach dem bisherigen Vorbringen und den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller beim Bundesamt einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestellt hat. Denn nach dieser Vorschrift liegt ein solcher Antrag nur dann vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt. Ein „erfolgloser Abschluss“ des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann, wobei eine solche Wiedereröffnung oder Wiederaufnahme nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen ist, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – BVerwG 1 C 4.16 – juris Rn. 29; Urt. v. 21.11.2017 – BVerwG 1 C 39.16 –, juris Rn.44).

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Die diesbezügliche Aufklärung des Sachverhalts obliegt zunächst dem Bundesamt. Es muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren im Drittstaat mit einer für den Asylbewerber bindenden Entscheidung endgültig abgeschlossen wurde. Dabei werden nicht nur Entscheidungen umfasst, die nach einer Sachprüfung ein Schutzgesuch als inhaltlich unbegründet zurückgewiesen hat (vgl. Berlit, Anm. zu BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Abschnitt C letzter Absatz). Die hierfür erforderlichen Informationen kann das Bundesamt auf Grundlage des Art. 34 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 Buchst. g der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - ABl. L 180 S. 31 - (Dublin-III-Verordnung) vom anderen Mitgliedstaat erlangen. Hiernach hat jeder Mitgliedstaat jedem Mitgliedstaat, der dies beantragt, personenbezogene Daten über den Antragsteller zu übermitteln, die sachdienlich und relevant sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, die für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz notwendig sind; zu diesen Daten zählen u.a. das Datum jeder früheren Antragstellung auf internationalen Schutz, das Datum der jetzigen Antragstellung, der Stand des Verfahrens und „der Tenor der gegebenenfalls getroffenen Entscheidung“.

9

Nach Maßgabe dessen ergibt sich nach den von der Antragsgegnerin ermittelten Informationen, dass das vom Antragsteller in Griechenland betriebene Asylerstverfahren dort noch nicht abgeschlossen wurde. Das Bundesamt bat mit seiner Anfrage vom 6. Februar 2017 (Bl. 50 des Verwaltungsvorgangs) bei der zuständigen griechischen Stelle um Auskunft. Der Antwort der griechischen Stelle (Hellenic Republic Ministry of Migration Policy) vom 5. Mai 2017 (Bl. 55 des Verwaltungsvorgangs) und der ergänzenden Mitteilung vom 7. Dezember 2017 (Bl. 77 des Verwaltungsvorgangs) ist zu entnehmen, dass das Asylverfahren in Griechenland noch nicht abgeschlossen ist. In der erstgenannten Antwort teilte die griechische Stelle mit, dass das Asylbegehren des Antragstellers am 2. Juni 2012 in erster Instanz abgelehnt, dagegen aber am 4. September 2012 Berufung eingelegt worden sei; deren Prüfung stehe noch aus

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(„His application was rejected at first instance on 02/06/2012. He submitted an appeal against the decision on 04/09/2012. The examination of his appeal is still pending.”).

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Nachfolgend teilte die griechische Stelle mit, dass das Berufungsverfahren ausgesetzt (unterbrochen) worden sei

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(“we would like to inform you that, after further investigation we found out that the examination of his application was interrupted on 22/09/2017 due to implicit withdrawal.”).

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Eine Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens gegen eine Entscheidung über ein Asylgesuch führt jedoch nicht zum endgültigen Abschluss des betreffenden Asylverfahrens.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

 


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