Beschluss vom Verwaltungsgericht Lüneburg (8. Kammer) - 8 B 81/19

Gründe

I.

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Der Antragsteller ist chinesischer Staatsangehöriger und reiste am 12. Februar 2019 mit einem durch die Behörden der Tschechischen Republik ausgestellten, für den Zeitraum vom 6. Februar 2019 bis 3. März 2019 gültigen Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er Asyl beantragte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) stellte gegenüber den tschechischen Behörden am 21. Februar 2019 ein Aufnahmeersuchen, welchem diese am 27. März 2019 unter Bezugnahme auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO stattgaben.

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Die Antragsgegnerin lehnte daraufhin mit Bescheid vom 28. März 2019 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete seine Abschiebung in die Tschechische Republik an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, dass nach der Dublin III-Verordnung die Tschechische Republik für den Asylantrag des Antragstellers zuständig sei. Auch bestünden keine Abschiebungsverbote, weil in der Tschechischen Republik keine systemischen Mängel vorlägen, welche die Vermutung der zuverlässigen Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention dort widerlegen würden.

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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 4. April 2019 Klage erhoben (Az. 8 A 227/19) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

II.

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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) ist zulässig, aber unbegründet.

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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen das Entfallen der grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO gegebenen aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage - wie hier gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG - durch Bundesgesetz vorgeschriebenen ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass das öffentliche Vollzugsinteresse bereits durch den gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erhebliches Gewicht erhält (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.08.2014 - 9 VR 2.14 -, juris Rn. 3, und Beschl. v. 13.06.2007 - 6 VR 5.07 -, NVwZ 2007, 1207 [1209]). Insbesondere wenn die mit dem Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, besteht kein Anlass von der gesetzlich bestimmten Regel der sofortigen Vollziehbarkeit abzugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.09.2008 - 7 VR 1.08 -, juris Rn. 6).

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer des Hauptsacheverfahrens, da seine Klage nach der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 05.03.2018 - 1 B 155.17 -, juris Rn. 13 zu OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.10.2017 - 11 A 78/17.A -, juris Rn. 48) bei summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Das Bundesamt hat in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides aller Voraussicht nach zu Recht die Abschiebung des Antragstellers angeordnet. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG (i.d.F.v. 31.07.2016). Hiernach ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

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Vorliegend ist nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO die Tschechische Republik für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig, da der aus einem Drittstaat kommende Antragsteller ein durch die Behörden der Tschechischen Republik ausgestelltes, zum Zeitpunkt der Asylantragstellung (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) gültiges Visum besitzt. Die Frist für das Aufnahmegesuch gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO hat das Bundesamt eingehalten und die Behörden der Tschechische Republik haben dem Aufnahmegesuch innerhalb der Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO zugestimmt. Die Frist für die Überstellung des Antragstellers in die Tschechische Republik von sechs Monaten hat gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO noch nicht (erneut) zu laufen begonnen, weil der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung nachsucht (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.05.2016 - 1 C 15.15 -, juris Rn. 11). Die Antragsgegnerin ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris Rn. 106) bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK (vgl. Nds OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 26) bei einer Rückkehr des Antragstellers in die Tschechische Republik aufgrund systemischer Mängel im Asylverfahren oder in den dortigen Aufnahmebedingungen feststellbar. Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht sowie keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens", vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-173/17 -, juris Rn. 82, und Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417; BVerwG, Urt. v. 09.01.2019 - 1 C 36.18 -, juris Rn. 19; Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (ABl. 2013, L 180/96), die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (ABl. 2011, L 337/9) oder die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (ABl. 2013, L 180/60) genügen, um die Überstellung eines Schutzsuchenden an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (BVerwG, Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Kann einem Mitgliedstaat hingegen nicht unbekannt sein, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, hat eine Überstellung zu unterbleiben (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019, C-163/17, juris Rn. 85; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Systemische Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urt. v. 19.03.2019, C-163/17, juris Rn. 92). Das Gericht muss auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte (in einem Klageverfahren) feststellen, dass dieses Risiko für diesen Antragsteller gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, Urt. v. 19.03.2019, C-163/17, juris Rn 98). Der Nachweis obliegt dem Schutzsuchenden (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019, C-163/17, juris Rn. 95).

8

Anhaltspunkte für entsprechende Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen in der Tschechischen Republik, die zu einer Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers bei seiner Rückkehr nach dorthin führen könnten, wurden weder von ihm geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich (vgl. auch VG Augsburg, Beschl. v. 05.04.2018 - Au 5 S 18.50439 -, juris Rn. 18 ff.; Beschl. d. Gerichts v. 20.03.2018 - 8 B 244/17 -, n.v.; VG Magdeburg, Urt. v. 19.10.2017 - 9 A 152/17 -, juris Rn. 19 ff.; Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Tschechische Republik, v. 11.04.2018). Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).

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Der Abschiebung des Antragstellers stehen auch sonst keine Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe entgegen. Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG setzt insoweit auch voraus, dass „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat deshalb vor Erlass einer Abschiebungsanordnung auch zu prüfen, ob zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse oder der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse bestehen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.01.2019 - 10 LA 21/19 -, juris Rn. 10; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 02.01.2019 - 13 A 4599/18.A -, juris Rn. 8 m.w.N.). Auch hierfür hat der Antragsteller nichts dargelegt und ist auch nichts ersichtlich.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.

11

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

 


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