Beschluss vom Verwaltungsgericht Magdeburg (4. Kammer) - 4 B 316/15

Gründe

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Der (sinngemäße) Antrag der Antragsteller,

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die aufschiebende Wirkung des Widerspruches der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27.02.2015 hinsichtlich des Verfügungspunktes 3 wiederherzustellen,

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hat keinen Erfolg.

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Die Antragstellerin zu 1) ist ukrainische Staatsangehörige mit einem bis zum 24.02.2017 befristeten Aufenthaltstitel der Republik Polen. Der Antragsteller zu 2) ist minderjähriger Staatsangehöriger der Republik Polen. Die Antragstellerin zu 1) reiste über ein polnisches Leiharbeitsunternehmen in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 04.09.2014 beantragte die Antragstellerin zu 1) die Feststellung ihrer Freizügigkeitsberechtigung beim Antragsgegner, welches mit Bescheid vom 27.02.2015, zugestellt am 06.03.2015, zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhoben die Antragsteller am 07.04.2015 Widerspruch.

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Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er statthaft. Er ist nach § 88 VwGO so auszulegen, dass die Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Ausreiseaufforderung des Verfügungspunktes 3 begehrt wird.

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Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist gem. § 80 Abs. 5 VwGO begründet, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und demnach kein öffentliches Interesse an seiner Vollziehung bestehen kann oder wenn das private Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs der sofortigen Vollziehung überwiegt. Wird der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, so überwiegt bereits aus diesem Grund das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.

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Die beschriebene Interessenabwägung geht hier zu Lasten der Antragsteller aus. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass der Bescheid des Antragsgegners die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt. Der angegriffene Verwaltungsakt erweist sich als offensichtlich rechtmäßig.

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Der alleinig für sofortig vollziehbar erklärte Verfügungspunkt Nr. 3 des Bescheides verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU soll in dem Bescheid die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. Der Beklagte hat als Ausländerbehörde rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Antragsteller kein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach dem FreizügG/EU haben und sie zur Ausreise aufgefordert. Gemäß § 4 FreizügG/EU haben Unionsbürger, also der Antragsteller zu 2), und ihre Familienangehörigen, also die Antragstellerin zu 1), das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichend Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

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Die Antragsteller haben im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie über ausreichend Krankenversicherungsschutz verfügen. Die Antragstellerin zu 1) legte sowohl im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch nach Aufforderung des Gerichtes im gerichtlichen Verfahren lediglich eine auf ihren Namen ausgestellte European Health Insurance Card (EHIC) vor. Dies genügt für die Annahme ausreichenden Krankenversicherungsschutzes i. S. d. § 4 Satz 1 FreizügG/EU nicht. Die EHIC ist ein mobiles Dokument, das während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem EU-Mitgliedsstaat als Nachweis eines Anspruchs auf die notwendige medizinische Versorgung dient. Es begründet darüber hinaus keinen Krankenversicherungsschutz für einen dauerhaften Aufenthalt in einem EU-Mitgliedsstaat. Hierfür wird vielmehr das europäische Dokument S 1 benötigt. Nach Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit erhält ein Versicherter oder seine Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen, in dem Wohnmitgliedstaat Sachleistungen, die vom Träger des Wohnorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob sie nach diesen Rechtsvorschriften versichert wären. Nach Art. 24 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/09 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 müssen sich der Versicherte und/oder seine Familienangehörigen bei der Anwendung von Art. 17 der Grundverordnung beim Träger ihres Wohnorts eintragen lassen. Ihr Sachleistungsanspruch im Wohnmitgliedstaat wird durch ein Dokument bescheinigt, das vom zuständigen Träger auf Antrag des Versicherten oder auf Antrag des Trägers des Wohnorts ausgestellt wird. Allein dieses Dokument, das sog. europäische Dokument S 1 bzw. frühere Dokument E 106, 109, sichert eine Übernahme der Kosten der medizinischen Behandlung im Wohnmitgliedsstaat durch die nationale Krankenkasse des zuständigen Mitgliedstaates. Weder haben sich die Antragsteller nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/09 beim Träger ihres Wohnortes eintragen lassen, noch haben sie hinreichend nachgewiesen, dass sie das europäische Dokument S 1 oder E 106, 109 für sich beanspruchen können. Ein ausreichender Krankenversicherungsschutz besteht für die Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland mithin derzeit nicht.

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Entgegen der Ansicht der Antragsteller leitet sich ein solcher Anspruch auch nicht aus der Richtlinie 2011/24/EU ab. Denn die zitierte Richtlinie, die durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Kammern für Heilberufe und anderer Gesetze vom 20.01.2015 (GVBl. 2015, S. 28) landesrechtlich umgesetzt wurde, regelt lediglich Standards in Bezug auf die sog. grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung. Bei Inanspruchnahme von Leistungen in dem Land, in dem ein Wohnsitz begründet wurde, fehlt schon das grenzüberschreitende Element mit der Folge, dass Kostenerstattungsansprüche aus der genannten Richtlinie nicht bestehen (vgl. BT-Drs. 17/1301, S. 8).

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Die Antragsteller haben auch keinen der Ausreisepflicht entgegenstehenden Anspruch auf Aufenthalt nach dem AufenthG. Der alleinig in Betracht kommende Tatbestand des § 38a AufenthG ist nicht erfüllt, da bereits die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen.

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Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist der Lebensunterhalt nicht gesichert. Weder die Antragstellerin zu 1) noch der Antragsteller zu 2) verfügen über eigenes Einkommen oder eigenes Vermögen. Es liegt auch keine Verpflichtungserklärung eines Dritten i. S. d. § 68 AufenthG vor.

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Die eidesstattliche Versicherung des Herrn F genügt nicht den Anforderungen an eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG. Für die Abgabe der Verpflichtungserklärung ist nach lit. B) des bundeseinheitlichen Merkblatts zur Verwendung des bundeseinheitlichen Formulars der Verpflichtungserklärung zu § 68 i. V. m. § 66 und § 67 AufenthG (Merkblatt) des Bundesministeriums des Innern grundsätzlich das amtlich vorgeschriebene, fälschungssichere und bundeseinheitliche Formular in der jeweils geltenden Fassung zu verwenden oder ein Schuldversprechen nach § 780 BGB. Ausreichend i. S. d. § 68 AufenthG ist sie nur dann, wenn die Behörde zweifelsfrei aus ihr vollstrecken kann. Die Verpflichtungserklärung ist gegenüber der Ausländerbehörde abzugeben. Nach lit. D) des Merkblattes ist der Dritte (sich Verpflichtende) vor Abgabe der Verpflichtungserklärung ausdrücklich über den Umfang und die Dauer der Haftung zu belehren. Weiter bestehen konkrete Hinweispflichten vor Abgabe der Erklärung. So ist darauf hinzuweisen, dass er neben den Kosten für den Lebensunterhalt, den Kosten für den Krankheitsfall, sowie den Kosten der Ausreise im Fall einer Abschiebung auch die anfallenden Abschiebungskosten zu tragen hat. Der sich Verpflichtende hat zu erklären, dass er keine weiteren Verpflichtungen eingegangen ist, die die Garantiewirkung der aktuellen Verpflichtungserklärung gefährden. Der sich Verpflichtende ist auf die Freiwilligkeit seiner Angaben und Nachweise sowie auf die Strafbarkeit unrichtiger oder unvollständiger Angaben gemäß §§ 95, 96 AufenthG und auf die Tatsache, dass seine Daten gemäß § 69 Absatz 2 Nummer 2h AufenthV gespeichert werden, hinzuweisen. Er ist weiter darauf hinzuweisen, dass er auch für die Kosten im Krankheitsfall aufzukommen hat, die nicht von einer Krankenversicherung übernommen werden bzw. die über der Mindestdeckung der Krankenversicherungssumme liegen. Diese Mindestanforderungen an die Hinweis- und Erklärungspflicht – die für die Vollstreckbarkeit notwendig sind – erfüllt die eidesstattliche Versicherung nicht ansatzweise. Der sich Verpflichtende kann darauf auch nicht einseitig verzichten. Die Bestimmungen des Merkblattes dienen sowohl dem Schutz des sich Verpflichtenden als auch der Bundesrepublik Deutschland, eine zweifelsfrei vollstreckbare Verpflichtungserklärung in Bezug auf den Ausländer innezuhaben.

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Darüber hinaus wäre für eine solche Erklärung (vgl. auch Nr. 3.1 des Merkblattes erforderlich, dass der Dritte die übernommene Verpflichtung aus eigenem Einkommen oder sonstigen eigenen Mitteln im Bundesgebiet erfüllen kann (so auch: Bauer, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 68 Rn. 1.2.1) und nicht etwa durch Leistungen Dritter.

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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Ziffer 8.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderung, wonach für jeden Antragsteller ein Streitwert i. H. v. 2.500 Euro festgesetzt wurde, der nach Ziffer 1.5 zu halbieren war. Nach Ziffer 1.1.3 sind beide Streitwerte zu addieren.


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