Beschluss vom Verwaltungsgericht Magdeburg (15. Kammer) - 15 B 27/17
Gründe
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Der Antrag auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des Verfahrens nach § 60 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist zulässig und begründet.
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§ 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA bestimmt, dass „der Beamte beim Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen“ kann, wenn „ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Einleitung durch Erlass einer Einstellungsverfügung oder Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden“ ist. Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vor, ist der Antrag abzulehnen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 DG LSA).
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Zur Überzeugung des Disziplinargerichts liegt zum augenblicklichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht (mehr) vor, so dass eine gerichtliche Fristsetzung geboten ist.
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Die gerichtliche Fristsetzung dient der Beachtung des dem Disziplinarrecht innewohnenden Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA). Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die Frage des zureichenden Grundes für den fehlenden Abschuss des behördlichen Disziplinarverfahrens. Dies entspricht inhaltlich der unangemessenen Verzögerung, die sprachlich treffender ist (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 62 BDG Rz. 10). Unangemessen ist eine über sechs Monate hinausgehende Verzögerung, wenn die Sachaufklärung bzw. Verfahrenshandlungen nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind. Dabei hat das Gericht einerseits die Unabhängigkeit des mit den Ermittlungen betrauten Beamten (Ermittlungsführer) und dessen Beurteilungsspielraum zu den einzelnen Aufklärungspunkten und Aufklärungsmitteln sowie die notwendige Bearbeitungs- und Prüfungszeit, andererseits das Recht des Beschuldigten auf beschleunigte Bearbeitung zu berücksichtigen.
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Ob unangemessen verzögert wurde, lässt sich nicht durch den bloßen Vergleich einer pauschalen Prognose der notwendigen Gesamtbearbeitungszeit mit dem Sechsmonatszeitraum beantworten, sondern nur durch die konkrete Nachprüfung des bisherigen realen Bearbeitungszeitaufwandes feststellen. Das Verfahren nach § 60 DG LSA zielt nicht darauf ab, eine fiktive Bearbeitungszeit zu errechnen und daran die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes zu messen. Dies würde in rechtlich bedenklicher Weise in die Disziplinarbefugnisse des Dienstherrn eingreifen. Der Zweck der Fristsetzung zielt allein darauf ab, die - auf der Grundlage der zu akzeptierenden Aufklärungserwägungen - tatsächlich erfolgten Verfahrensverzögerungen zu erfassen. Bei der Feststellung des Arbeitsaufwandes ist nicht von dem Arbeitsaufwand auszugehen, den das Gericht nach seiner Beurteilung der Rechtslage annehmen würde, sondern von demjenigen, der sich aus der Aufklärungsbeurteilung des Ermittlungsführers ergibt. Hierbei ist Großzügigkeit geboten. Unangemessene Verzögerung ist gleichbedeutend mit sachlich nicht gerechtfertigter Untätigkeit der jeweils befassten Disziplinarorgane. Untätigkeit des Ermittlungsführers liegt nicht in den Einarbeitungs- und Überlegungszeiten, in den unvermeidbaren Zwischenzeiten zwischen Ladung und Anhörungs- oder Beweistermin, in den üblichen Bürolaufzeiten, in den durch die Beschuldigten selbst veranlassten Unterbrechungen oder Vertagungen von Terminen oder Fristverlängerung für Schriftsätze, in den Urlaubs- oder Krankheitsbedingten Abwesenheiten der Beteiligten. Ergibt aber die genaue Nachprüfung, dass das jeweils zuständige Organ auf der Basis seiner Aufklärungsbeurteilung längere Zeiten ohne sachlichen Grund untätig geblieben ist, so liegt darin eine unangemessene Verzögerung.
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Das sodann weiter erforderliche Verschulden ergibt sich daraus, dass die Organe nicht für die ihnen mögliche Beschleunigung des Verfahrens gesorgt haben. So ist der Ermittlungsführer zur Aufbietung all seiner Kräfte und seiner Zeit zur vorrangigen Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens verpflichtet. Die Einleitungsbehörde muss dafür sorgen, dass er nach Bedarf so weit von den Aufgaben seines Hauptamtes freigestellt wird, dass er sich mit Vorrang den behördlichen Ermittlungen widmen kann (vgl. BVerwG, Beschluss v. 23.05.1977, I DB 4.77; juris). Ebenso muss die Einleitungsbehörde qualitativ und quantitativ personell ausgestattet sein. Eine sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe muss gewährleistet sein (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss v. .08.2009, 2 AV 3.09; VG Magdeburg, Beschluss v. 30.01.2014, 8 A 22/13; 15.01.2014, 8 A 20/13; Beschluss v. 28.03.2012, 8 A 2/12; Beschluss v. 21.03.2013, 8 A 4/13; Beschluss v. 26..2013, 8 A 18/13; jeweils mit Verweis auf: Hummel/Köhler/Mayer; BDG 4. Auflage 2009, § 62 Rz 10 ff.; VG Wiesbaden, Beschluss v. 04.02.2013, 25 L 1251/12.WI.D; alle juris; Urban/Wittkowski, BDG, § 62 Rz. 10).
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Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermittelt (§§ 21 ff. DG LSA) und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, die Möglichkeit zur Äußerung zu geben (§ 30 DG LSA). Gestalten sich die Ermittlungen schwierig oder umfangreich, so lässt sich die Bearbeitungsfrist nicht einhalten, ohne die Aufklärungs- und die Anhörungspflicht zu verletzten (BVerwG, Beschluss v. .08.2009, 2 AV 3.09; juris). Darüber hinaus sind vom Disziplinargesetz vorgesehene behördeninterne Beteiligungen und Zustimmungen zu beachten (vgl. §§ 35, 76 DG LSA).
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Gemessen an diesen Voraussetzungen muss vorliegend von einer - schuldhaften - verzögerten Bearbeitung ausgegangen werden.
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Dem Antragsteller werden mit dem unter dem 04.09.2014 eingeleiteten behördlichen Disziplinarverfahren Verstöße gegen seine beamtenrechtlichen Pflichten nach §§ 34, 35 und 48 BeamtStG vorgeworfen. Er habe sich am 21.04.2014 entgegen der Weisung nicht in der Wache aufgehalten, sei am 22. und 24.04.2014 nicht zu Personalgesprächen erschienen und seit dem 3. Quartal 2012 den Anweisungen zur Unterzeichnung diverser Dienstnachweise nicht nachgekommen.
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Unter dem 03.09.2015 wurde das Disziplinarverfahren umfangreich um Zeiten ausgedehnt, in denen der Antragsteller seine Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich angezeigt habe. Eine weitere Ausdehnung erfolgte unter dem 18..2015, wonach der Antragsteller am 21.04.2014 in vier Fällen nicht auf Funkanrufe geantwortet habe. Schließlich erfolgte die dritte Ausdehnung des Disziplinarverfahrens mit Verfügung vom 18.01.2016 mit dem Inhalt, dem Dienst ungenehmigt ferngeblieben zu sein, Dienstzeiten nicht mitgeteilt, seine telefonische Erreichbarkeit nicht sichergestellt und einen Vorgesetzten belogen zu haben.
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Ausweislich der dem Disziplinargericht vorgelegten Ermittlungsvorgänge ist festzustellen, dass mit der dritten Ausdehnung des Disziplinarverfahrens im Januar 2016 das Ermittlungsverfahren "quasi zum Stillstand gekommen ist". Gab es noch unmittelbar im Anschluss an die Ausdehnung im Januar Ermittlungen des Ermittlungsführers, schließt der dem Gericht übersandte Ermittlungsvorgang – wie bereits aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich - unter dem 10.03.2016 mit einem Aktenvermerk auf Blatt 689 zu einer zahnärztlichen Bescheinigung des Antragstellers. Seitdem ist weder den übersandten Akten noch dem Vortrag des Antragsgegners eine Bearbeitung des laufenden und ausgedehnten Disziplinarverfahrens zu entnehmen. Dies deckt sich mit dem Vortrag des Antragstellers, dass seit dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten von 12.02.2016 keine Reaktion des Antragsgegners mehr erfolgte. Dies stellt keine ordnungsgemäße Bearbeitung des Verfahrens im Sinne der o. g. Ausführungen dar. Soweit der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 20.12.2017 an das Disziplinargericht ausführt, dass "aufgrund des Umfangs der Ermittlungen und des Berichtes sowie der Personalsituation im TPA" es zu "dieser Verzögerung im Verfahren" gekommen sei, genügt dies nicht den Anforderungen an die zügige ordnungsgemäße Bearbeitung des behördlichen Disziplinarverfahrens. Wie ausgeführt, muss der Dienstherr dem Ermittlungsführer genügend Entlastung zur zügigen Bearbeitung des Disziplinarverfahrens verschaffen. Wenn dann vom Antragsgegner weiter mitgeteilt wird, dass nach Rücksprache mit dem Ermittlungsführer der Ermittlungsbericht Ende Januar fertiggestellt sein sollte, erschließt sich dies aufgrund des Stillstandes der Ermittlungen seit März 2016 nicht.
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Bei Abwägung aller Interessen sieht das Disziplinargericht in dem vorliegenden Einzelfall die Notwendigkeit, den Abschluss des Verfahrens bis zu einem angemessen zu bestimmenden Zeitpunkt vorzugeben. Für die Bestimmung der Frist kann das Gericht, anders als bei der Feststellung der Verzögerung, nur eine summarische Beurteilung des weiteren Aufklärungsaufwandes vornehmen und prognostizieren, innerhalb welche Zeitraums im Rahmen einer geordneten Untersuchung der Abschluss des Verfahrens erreicht werden kann (BVerwG, Beschluss v. 22.07.1998, 1 DB 2.98; juris).
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Da der Ermittlungsführer den Abschussbericht für Ende Januar 2018 avisiert hat, erscheint dem Disziplinargericht die im Tenor bezeichnete Zeitspanne als ausreichend, aber auch als angemessen. Es muss den Beteiligten bewusst sein, dass das weitere Verfahren und neuer Ermittlungsaufwand naturgemäß auch von etwaigen Verfahrenshandlungen und –anträgen des Antragstellers abhängen, auf die der Antragsgegner sodann verfahrensrechtlich zutreffend reagieren muss. Dabei ist die Frage, ob Verfahrensfehler - und dazu erhebliche - die Rechtmäßigkeit einer etwaig folgenden Disziplinarmaßnahme berühren, in dem dann sich anschließenden gerichtlichen Verfahren zu klären. Auf das weitere Antragsrecht nach §§ 60 Abs. 2 Satz 3, 50 Abs. 2 Satz 3 bis 5 DG LSA wird hingewiesen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
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