Beschluss vom Verwaltungsgericht Magdeburg (8. Kammer) - 8 B 399/17

Gründe

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Die Antragstellerin wendet sich als eine von fünf Berechtigten nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) gegen ihre alleinige Heranziehung zur Auskehr des Verkehrswertes der durch Naturalersatz erlangten Ersatzgrundstücke für die bei der Zwangsumsiedlung ihrer Eltern von H. nach P. enteigneten Grundstücke. Die Antragstellerin ist Alleinerbin nach ihren Eltern. Mit notarieller Urkunde vom 16.10.1992 trat die Antragstellerin ihre vermögensrechtlichen Ansprüche zu je einem Fünftel an ihre vier Geschwister ab; ein Fünftel behielt sie. Dabei wurde bestimmt, dass eine mögliche Vermögensabgabe von allen Berechtigten zu je einem Fünftel zu tragen wäre. Die Rückübertragung der durch die Zwangsaussiedlung enteigneten Grundstücke erfolgte sodann mit Bescheid vom 19.10.1995 an die Antragstellerin und ihre vier Geschwister zu je einem Fünftel.

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Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 09.08.2017 setzt der Antragsgegner allein gegenüber der Antragstellerin in Ergänzung des Bescheides vom 19.10.1995 den an den Entschädigungsfond zu zahlenden Verkehrswert für die erlangten 18 Ersatzgrundstücke in Höhe von 104.601,63 Euro fest.

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Zur Begründung führte er aus, im Vertrag vom 16.03.1953 hätten die Eltern der Antragstellerin, die Eheleute H., in P. das Grundstück ….straße, Flur ..., Flurstück ...in Größe von 3306 qm mit Wohnhaus, Stallungen, Wirtschaftsgebäuden, Hof und Garten für einen Kaufpreis in Höhe von 41.570,00 Mark als Hofstelle ihres neuen Betriebes erworben. Als Teil des Kaufpreises hätten sie dem Verkäufer das ihnen zugewiesene Ersatzgrundstück P., Flur ..., Flurstück ... überlassen. Dabei sei für dieses Grundstück ein Wert von 18.000,00 Mark auf den Kaufpreis angerechnet worden.

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In einer vom Kreisarchiv des Landkreises … am 12.09.2016 übersandten Liste ergebe sich abschließend, welche Grundstücke F. als Ersatzgrundstücke für die Zwangsumsiedlung übereignet worden seien. Denn auf der Liste sei vermerkt: "Nach Angabe des Koll. B. werden diese Flächen für H. ohne Bodenreformbelastung eingetragen, da H. diese als Ausgleichflächen erhält." Die Antragstellerin äußerte sich trotz Aufforderung nicht zu den Ersatzgrundstücken.

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Die Auskehr des Verkehrswertes der Ersatzgrundstücke bestimme sich nach § 2 Abs. 4 Sätze 5 bis 8 VwRehaG. Danach habe der Berechtigte das Eigentum an Ersatzgrundstücken aufzugeben oder dessen Verkehrswert zu entrichten. Dabei stehe der Behörde kein Ermessen zu (§ 7 Abs. 1 Satz 5 VwRehaG). Die Ablöse hätte bereits im Rückübertragungsbescheid vom 19.10.1995 festgesetzt werden müssen. Dieses Unterlassen mache den Rückübertragungsbescheid nicht rechtswidrig, sondern nur unvollständig. Die Ablöse sei nachträglich ohne Anwendung der §§ 48 VwVfG festzusetzen. Deswegen sei auf den Verkehrswert zum Stichtag 19.10.1995 abzustellen, welchen der Gutachterausschuss in Höhe von 100.000,00 Euro taxierte. Für das bereits im Jahr 1953 veräußerte Grundstück sei der in diesem Jahr geltende Verkehrswert, welcher nach Umrechnung in DM und Euro einen Betrag von 4.601,63 Euro ausmache, anzusetzen. Insgesamt ergebe sich daher die Ablösesumme von 104.601,63 Euro.

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Die Ablöse sei nur gegenüber der Antragstellerin als einer von fünf Berechtigten festzusetzen. Denn der Ablöseregelung liege der Gedanke zugrunde, dass der Berechtigte zugleich Eigentümer der Ersatzgrundstücke war. Dies treffe nur auf die Antragstellerin zu. Denn sie habe ihre Eltern allein beerbt. Dass sie von der Erbfolge unabhängig und freiwillig ihren nicht erbberechtigten vier Geschwistern Ansprüche abtrat, ändere nichts an der Festsetzung. Etwaige Ansprüche gegenüber ihren Geschwistern, müsse die Antragstellerin zivilrechtlich geltend machen.

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Obwohl der zu ergänzende Bescheid bereits vor mehr als 21 Jahren ergangen sei, liege keine Verwirkung vor. Denn der damalige Bescheid sei als "Teilbescheid" kenntlich gemacht und auf § 2 Abs. 4 VwRehaG sei hingewiesen worden.

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Mit dem Eilantrag wendet sich die Antragstellerin gegen ihre alleinige Verpflichtung zur Ablösezahlung. Zudem sei nicht belegt, dass es sich bei den erwähnten Grundstücken um Ersatzgrundstücke handele.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30.08.2017 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 09.08.2017 anzuordnen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzuweisen

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und verteidigt die Gründe des Bescheides.

II.

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Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus. Denn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der angefochtene Bescheid rechtlich nicht zu beanstanden; der gesetzgeberische Sofortvollzug (§ 33 a Abs. 2 Vermögensgesetz – VermG) überwiegt das Individualinteresse der Antragstellerin, von der sofortigen Zahlung verschont zu bleiben.

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1.) Nach § 2 Abs. 4 Satz 5 VwRehaG hat der Berechtigte das Eigentum an als Entschädigung erlangten Ersatzgrundstücken aufzugeben oder dessen Verkehrswert zu entrichten. Mit Bescheid vom 19.10.1995 wurden die Antragstellerin mit ihren vier Geschwistern als Berechtigte der vermögensrechtlichen Ansprüche aus dem Eigentumsentzug aufgrund der Zwangsumsiedlung ihrer Eltern festgestellt und die Grundstücke restituiert. Nach § 7 Abs. 1 Satz 5 VwRehaG hätte die nach dem VermG zuständige Behörde in dem Bescheid über die Rückübertragung zugleich die nach § 2 Abs. 4 VwRehaG erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Dies ist - aus welchen Gründen auch immer - nicht geschehen. Das Verwaltungsgericht teilt die Rechtsauffassung des Antragsgegners, dass die Rechtslage insoweit nicht anders ist, als bei einer nachträglichen Ergänzung der ebenfalls im Rückübertragungsbescheid zu treffenden Regelung zur Leistung eines Ablösebetrages für untergegangene Grundstücksbelastungen nach § 18 VermG und § 4 Abs. 3 Hypothekenablöseverordnung (HypAblV). Auch diese Regelungen sind unabhängig von den Voraussetzungen nach § 48 VwVfG noch nach der Bestandskraft des Restitutionsbescheides möglich und unterliegen nicht der Ausschlussfrist nach § 30 a Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 2 VermG (vgl. bereits: VG Magdeburg, Urteil v. 06.02.2007, 5 A 297/06 MD; juris). Denn bei diesen Ansprüchen handelt es sich um solche im Vermögens-, Restitutions- und Wiedergutmachungsrecht wurzelnden öffentlich-rechtlichen Ansprüche, die auch nach bestandskräftiger Berechtigtenfeststellung und Restitution auferlegt werden können (vgl. VG Cottbus, Urteil v. 14.06.2012, 1 K 407/09; juris). Für diese Ansprüche sind Verjährungsregelungen nicht vorgesehen, sodass der Berechtigte auch nach Bestandskraft des Restitutionsentscheidung bzw. Berechtigtenfeststellung mit der nachtäglichen Festsetzung rechnen muss (VG Magdeburg, Urteil v. 06.02.2007, 5 A 297/06 MD; juris).

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2.) Auch fehlt es an den Voraussetzungen einer Verwirkung. Diese setzt als Hauptanwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11. 2010, 3 B 26.10; Beschl. v. 17.08.2011, 3 B 36.11, Beschl. v. 03.04.2012, 5 B 59.11; alle juris).

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Vorliegend ist der Aktenlage zu entnehmen, dass im Zeitpunkt des Restitutionsbescheides im Jahre 1995 noch nicht von tatsächlich erlangten Ersatzgrundstücken ausgegangen wurde. Dementsprechend ging der Bescheid auch "nur" von der Rückzahlung einer geflossenen Entschädigung aus. Im diesbezüglichen Widerspruchsverfahren wurde der zurückzuzahlende Entschädigungsbetrag mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2014 für jeden der fünf Berechtigten in Höhe von 5.001,97 Euro festgesetzt. In Folge dieser langjährigen Ermittlungen kam es dann zur Feststellung der Ersatzgrundstücke. Die Antragstellerin musste bereits aufgrund der Bezeichnung im Restitutionsbescheid als "Teilbescheid" damit rechnen, dass Folgebescheide ergehen. Auch wurde auf § 2 Abs. 4 VwRehaG verwiesen. Der Antragstellerin war seit dem Schreiben des Landkreises … vom 25.05.1999 und späterer Schreiben vom 01.11.2000 und 25.10.2002 bekannt, dass nunmehr bezüglich möglicher Ersatzgrundstücke unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht ermittelt werde.

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3.) Das Gericht ist mit dem Antragsgegner der Auffassung, dass es sich bei den vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld mitgeteilten, im Bescheid bezeichneten und vom Gutachterausschuss bewerteten Grundstücken um die Ersatzgrundstücke handelt. Dafür streitet bereits der dortige Vermerk, dass es sich um "Ausgleichsflächen" handele und die Flächen aus der Bodenreform ohne Bodenreformsperrvermerk übertragen worden seien. Im Übrigen müsste die Antragstellerin dies substantiiert bestreiten, woran es mangelt.

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4.) Schließlich durfte die Ablösesumme auch nur von der Antragstellerin verlangt werden. Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 5 VwRehaG hat der Berechtigte das Eigentum an dem Ersatzgrundstück aufzugeben oder dessen Verkehrswert zu entrichten. Nach Satz 6 der vorgenannten Bestimmung ist dessen Wert zum Zeitpunkt des Eigentumsverlustes maßgebend, soweit sich das Ersatzgrundstück nicht mehr im Eigentum des Berechtigten befindet. Berechtigte im Sinne dieser Vorschriften war allein die Antragstellerin. Sie allein hat im Wege der Gesamtrechtsnachfolge das Eigentum an dem betreffenden Ersatzgrundstück erlangt. Eine Inanspruchnahme der übrigen Berechtigten – der Geschwister der Antragstellerin – kommt nicht in Betracht. § 2 Abs. 4 VwRehaG bezweckt den Ausgleich erfahrener Vorteile. Im Falle der Rückgabe des entschädigten Vermögenswertes soll im Gegenzug die empfangene Entschädigung in den öffentlichen Haushalt zurückfließen, um es nicht zu einer doppelten Wiedergutmachung desselben Schadens kommen zu lassen. Aus dem komplementären Verhältnis von Entzug und Entschädigung folgt bei Rückgabe des Vermögensgegenstandes die Pflicht zur Erstattung (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.2000, 8 C 24.99, juris). Die Geschwister der Antragstellerin haben zu keinem Zeitpunkt Eigentum an den Ersatzgrundstücken erworben. Ihnen ist insoweit dementsprechend auch keine Entschädigung für den entzogenen Vermögenswert gewährt worden.

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5.) Die Höhe und Berechnung der Ablösesumme wird von der Antragstellerin nicht beanstandet und auch das Gericht sieht keinen Fehler darin begründet. Dass bei der Berechnung der Verkehrswerte der Stichtag des Berechtigtenbescheides im Jahre 1995 zugrunde gelegt wurde, dürfte die Antragstellerin jedenfalls nicht beschweren. Zutreffend wurde das bereits 1953 veräußere Flurstück ... mit dem damaligen Wert berechnet und umgerechnet.

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6.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in Höhe von ¼ des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Ablösebetrages von 104.601,63 Euro festzusetzen (§ 52 Abs. 3 GKG; Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 VermG letzte Alternative ist die Beschwerde zulässig.


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